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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Was der Kampf um unsere friedenspolitischen Positionen mit dem Kampf gegen Russophobie zu tun hat

Margit Glasow, Mitglied des Parteivorstands, in der Diskussion am 12. April

 

Sechs Mitglieder des Parteivorstandes brachten in die PV-Sitzung am 25. März einen Dringlichkeitsantrag zur Verurteilung des Abstimmungsverhaltens der Linken-Regierungs­mitglieder in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat zur Grundgesetzände­rung ein. Der Bundesrat habe – mit Unterstützung der Linken – den Weg für Irrsinnsrüs­tungsausgaben freigemacht. Das sei mit der Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten im Jahr 1914 vergleichbar, heißt es in dem Antrag, und verstoße gegen die antimilitaristischen Traditionen unserer Partei ebenso wie gegen das geltende Parteipro­gramm. Dort steht geschrieben: »An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt …, wer­den wir uns nicht beteiligen.« – Unmittelbar vor der besagten PV-Sitzung lag ein Erset­zungsantrag des geschäftsführenden Parteivorstandes auf dem Tisch, der in eine völlig an­dere Richtung zielte. Die Linke sei eine lernende Partei mit dem Anspruch, zu verändern – egal ob in einer Regierung oder in der Opposition. Der Parteivorstand wolle die Kritik an diesem Vorgang zum Anlass nehmen, neue Formate und Verbindlichkeiten der innerpartei­lichen Auseinandersetzung zu beraten und mit den Landesverbänden zu vereinbaren. Dabei seien die unterschiedlichen Anforderungen an verschiedene Akteure ebenso zu berücksichtigen wie unsere gemeinsamen Werte, Haltungen, die Rolle und das Programm unserer sozialistischen Partei Die Linke.

Ist es nicht eine Illusion, zu glauben, wir könnten unsere Auseinandersetzungen innerpar­teilich führen, ohne dass sie an die Öffentlichkeit geraten? Sind unsere Differenzen dazu nicht viel zu groß, vor allem hinsichtlich der Einschätzung der Kriegsgefahr und der Rolle Russlands? Warum wollte man zum Beispiel im Ersetzungsantrag den Vergleich mit der Zu­stimmung zu den Kriegskrediten von 1914 streichen? Unabhängig davon, worin der Einzel­ne die Ursachen für den Ukraine-Krieg sieht: Angesichts von 27 Millionen toter Sowjetbür­ger, angesichts von rund 10 Millionen toter Soldaten der Roten Armee haben wir eine be­sondere Verantwortung gegenüber Russland. Und diese Verantwortung beinhaltet auch, sich mit der Geschichte tiefgründig auseinanderzusetzen, wenn wir die richtigen Schluss­folgerungen ziehen, wenn wir die notwendigen Analysen erstellen wollen. Welches Interes­se sollte Russland haben, Deutschland zu überfallen? Dafür ist man bisher jeden Beweis schuldig geblieben. Warum? Weil die Russophobie ideologischer Kern der Kriegsvorberei­tung ist? Weil Deutschland einen erklärten Feind braucht, um die wahnsinnige Aufrüstung zu rechtfertigen?

Welch groteske Positionen es zu dieser angeblichen Gefahr eines russischen Überfalls gibt, zeigen folgende Zitate eines führenden Genossen unserer Partei. Er sagte im Juni 2022 in einem Interview im maldekstra#15: »Es ist Moskaus Krieg, es ist der Kreml-Krieg, es ist nicht der russische Krieg. Viele Menschen in Russland unterstützen diesen Krieg. Das hat viel mit Propaganda zu tun, mit Nichtwissen, aber natürlich auch mit einem bestimmten Verhältnis russischer Menschen gegenüber anderen Völkern der früheren Sowjetunion. Auch diese Probleme haben wir als Linke uns in den vergangenen 30 Jahren nicht oder nicht ausreichend angeschaut und diskutiert. Ein Fehler.«

Und weiter: »Aktuell ist die gesellschaftliche Linke in Deutschland eher zerrissen. Einer­seits werden Waffenlieferungen als Ausdruck der Solidarität diskutiert, als Hilfe im Kampf gegen ein autokratisches Regime. Auf der anderen Seite steht die Betonung von nichtmilitärischen Wegen zum Frieden. Zu einem gerechten Frieden, in dem die Ukraine nicht aufgegeben wird. Das ist meine Position. Dann gibt es auch noch diejenigen, die mit Hinweis auf eine mögliche atomare Eskalation jegliche Einmischung ablehnen. Das, finde ich, geht nicht, denn irgendeine Antwort braucht es auf die russische Aggression, sonst sind als nächstes Moldawien und Georgien dran.«

Der gleiche Genosse sagte gegenüber nd-aktuell vom 25. Februar 2024: »Es ist ein Ein­schnitt, dass es überhaupt zu diesem Angriff gekommen ist. Ich bin ja ein großer Freund von Entspannungspolitik und kooperativer Sicherheitspolitik. Ich muss aber feststellen, dass die Situation jetzt sich von den siebziger Jahren, gewissermaßen der Geburtsstunde der Entspannungspolitik, insofern unterscheidet, als damals die beiden Blöcke Ost und West den Status quo erhalten wollten. Und heute müssen wir feststellen: Russland akzep­tiert den Status quo nicht, es will Grenzen verschieben. Das ist ein großer Unterschied, der die Diskussion um friedliche Konfliktlösungen so schwierig macht.«

Und gegenüber der taz am 6. März 2025 antwortete der Genosse – es handelt sich übrigens um unseren Co-Parteivorsitzenden Jan van Aken – auf die Frage Sehen Sie angesichts der aggressiv auftretenden USA und eines feindlich gesinnten Russlands die Notwendigkeit, anders über die Verteidigungsfähigkeit Europas nachzudenken?: »Ja, das ist so. Wir sollten Sicherheit europäisch denken. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass die EU versucht, jetzt zur vier­ten Weltmacht neben China, USA und Russland zu werden und entsprechend Militär aufbaut, das global eingesetzt werden kann. Das hielte ich für falsch. Aber ich halte eine Konzentrie­rung auf die EU- und die Landesverteidigung für erforderlich. Dafür würden auch die finanziel­len Mittel erstmal ausreichen. Kaufkraftbereinigt stehen 430 Milliarden Dollar an jährlichen Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden Dollar Russlands gegenüber. Dass das Geld effektiver eingesetzt werden kann, steht außer Frage. Rüstungsprojekte, die nichts mit Landesverteidigung zu tun haben, sollten eingestellt werden. Es müsste also um einen Umbau der Bundeswehr gehen, nicht um mehr Geld für Aufrüstung.«

Vor ein paar Wochen hielt Gabriele Krone-Schmalz im Westend-Verlag einen Vortrag zum Thema »Vom Feindbild Sowjetunion zum Feindbild Russland«. Krone-Schmalz – eine Frau, die man nicht als eine Linke bezeichnet kann – sagte dort unter anderem, dass wir schon einmal sehr weit fortgeschritten waren in der Frage eines gemeinsamen Europäischen Hauses und dass es dadurch gute Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben gegeben hätte. Heute aber würden Entspannungspolitiker zum Teil für die bestehende gefährliche aktuelle Lage verantwortlich gemacht. Das sei eine infame Verunglimpfung von historischen Tatsachen, denn hätte sich die Entspannung durchgesetzt, würde es heute keinen Krieg in der Ukraine geben. Davon sei sie überzeugt.

Sie erinnerte auch an den 27. Januar 2025, den 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Sie sehe es kritisch, dass ein paar Details bei der Berichterstattung über diesen Tag ausgelassen worden seien – nämlich die Frage, wer der Befreier gewesen sei. »Heute vor 80 Jahren wurde Auschwitz befreit«, hieß es in den Tagesthemen. Die Rolle der Roten Armee sei komplett ignoriert oder nur am Rande erwähnt worden. Doch wenn man Überle­bende von Auschwitz einlade, warum könne man dann nicht auch überlebende Soldaten der Roten Armee einladen, die damals dabei gewesen sind? Es handele sich hier ihrer Mei­nung nach um den Aufbau eines Feindbildes: Das Feindbild Sowjetunion sei durch das Feindbild Russland ersetzt worden. Es werde eine Bedrohung inszeniert, die nicht besteht, und das diene dazu, eine ganze Generation kriegsbereit zu machen. Die Grundsatzfrage sei aber: Verfolgt Russland imperialistische Interessen oder geht es um eine funktionierende Sicherheitsarchitektur, die Russland miteinschließt? Warum das Ganze? Man wolle Angst in der Gesellschaft schüren, damit die Menschen die unendliche Aufrüstung mitmachen.

Zurück zur Frage der Abstimmung im Bundesrat. Die Forderung an die verantwortlichen Genossen auf Landesebene war klar: Im Bundesrat gegen die Grundgesetzänderung zu stimmen oder sich zumindest zu enthalten. In Mecklenburg-Vorpommern, wo Genossinnen für unsere Partei in der Regierung sitzen und Ministerposten bekleiden, hieß es als Erklä­rung, es wäre eine Abwägung ausschließlich im Interesse des Landes und der Menschen getroffen worden. Denn: Stellten sie sich gegen das Sondervermögen, wären sie als Linke raus und hätten Null Einfluss auf die Verwendung von insgesamt 400 Millionen Euro mehr jährlich im Landeshaushalt. Jede Forderung der Linken würde müde belächelt und die Grundgesetzänderung käme trotzdem. Die Linke aber wolle das konkrete Leben der Men­schen verbessern, die Linke, die so nah an den Menschen sein will.

Doch wer kann glauben, dass die Milliarden für das Sondervermögen Infrastruktur den Menschen dienen werden? Wer kann glauben, dass die Linke mit knappen 10 Prozent (9,9 %) bei den letzten Landtagswahlen 2021, in deren Ergebnis sie eine Koalition mit der SPD einging, tatsächlich mitbestimmen kann, wofür das Geld ausgegeben wird? Wäre es nicht konsequent gewesen, spätestens an diesem Punkt die Koalition aufzukündigen? Zeigt sich hier nicht, wie verhängnisvoll der Wunsch nach Regierungsbeteiligung ist? Keiner kann sich Illusionen darüber machen, was 2026 bei den Landtagswahlen in M-V passieren wird, hat die AfD doch hier ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl am 23. Februar auf 35 Prozent ver­doppelt und die SPD haushoch geschlagen. Wo also liegen die Gründe für die Zustimmung? Geht es um Einzelinteressen? Weil sie mit dem Linken-Ticket sehr gutes Geld verdienen und sich auch für die Zukunft etwas erhoffen? Und könnte ein solches Verhalten Teil einer verhängnisvollen Entwicklung der Gesamtpartei werden, falls sie die Hände nach einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene ausstreckt? Der Ersetzungsantrag, der mehrheitlich vom PV angenommen wurde, zeugt zumindest von dem Anpassungswillen führender Genossen an den gesellschaftlichen Mainstream.

 

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