Warum ich auf dem kommenden Parteitag nicht als stellvertretende Vorsitzende kandidieren werde
Sahra Wagenknecht, Berlin
Vor einigen Wochen haben Christa Luft, Heiner Fink, Friedrich Wolff und Klaus Höpcke mich in einem offenen Brief für eine Kandidatur als stellvertretende Parteivorsitzende vorgeschlagen. Seither haben mir sehr viele Genossinnen und Genossen sowie Funktionsträger unserer Partei ihre Unterstützung signalisiert und mich ebenfalls ermutigt, über eine Kandidatur auf dem nächsten Parteitag nachzudenken. Ich danke allen, die mir ihre Unterstützung angeboten bzw. sich bereits aktiv für mich eingesetzt haben.
Ich selbst habe einer solchen Kandidatur zunächst aufgeschlossen gegenübergestanden. Auch, weil ich in meiner politischen Arbeit und bei öffentlichen Auftritten, insbesondere in den Wahlkämpfen des letzten Jahres, immer wieder die Erfahrung machen konnte, mit meinen Positionen gegen neoliberale Politik, für eine antikapitalistische Orientierung und eine konsequente Oppositionsstrategie keineswegs nur eine einzelne Strömung zu vertreten, sondern erhebliche Teile der Mitgliedschaft der neuen Partei in Ost und West.
Allerdings hat der offene Brief auch andere Reaktionen ausgelöst. So wurde Unterstützern signalisiert, meine mögliche Kandidatur würde von einigen Funktionsträgern aus der Quellorganisation PDS als "Kriegserklärung" empfunden. Harsche Gegenreaktionen wurden angedroht, Rücktrittsgerüchte für den Fall meiner Wahl kolportiert. Statt sich mit meinen wirklichen Positionen auseinanderzusetzen, wurde ich eines "unklaren Verhältnisses zum Stalinismus" bezichtigt – ohne Belege, versteht sich, denn die wären schwerlich zu finden gewesen. So wurde erheblicher Druck erzeugt. Im Ergebnis hat auch mancher, der meine Kandidatur politisch unterstützt, mir geraten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon abzusehen, um der neuen Partei auf ihrem ersten Parteitag eine solche zugespitzte, polarisierende Auseinandersetzung zu ersparen.
Ich muß zur Kenntnis nehmen, daß meine mögliche Kandidatur zumindest von einigen nicht als normaler demokratischer Vorgang akzeptiert, sondern zur "Zerreißprobe" mit gefährlichen Folgen hochstilisiert wird. Es ist selbstverständlich nicht mein Interesse, daß der erste Parteitag unserer jungen Partei in der öffentlichen Wahrnehmung statt von linken Alternativen zu Neoliberalismus, Kriegspolitik, Privatisierung und Rentenraub von der Frage einer Kampfkandidatur und personalpolitischen Grabenkämpfen dominiert wird. Hinzu kommt ein weiteres Problem.
Es ist politisch gewollt und sinnvoll, daß bis zum Jahr 2010 die Führungsfunktionen unserer Partei, Vorsitzende wie Stellvertreter, paritätisch mit Vertretern aus Ex-PDS und Ex-WASG besetzt werden. Dieser Proporz ist jetzt aber zum ersten Mal nicht mehr durch das Wahlverfahren abgesichert. Meine Kandidatur könnte daher zur Folge haben, daß die Gewichte zugunsten einer der beiden Ursprungsparteien verschoben werden. Ein solches Ergebnis hielte ich selbst für problematisch.
Aus all diesen Gründen werde ich auf dem kommenden Parteitag nicht für die Funktion der stellvertretenden Parteivorsitzenden kandidieren. Ich werde mich vielmehr erneut um einen Sitz im Parteivorstand bemühen, um mich zunächst weiterhin auf dieser Ebene in die Gestaltung der Politik der LINKEN einbringen zu können. Ich hoffe sehr, daß die Formen der innerparteilichen Auseinandersetzung, die ich aus der Vergangenheit kenne und die einige in den letzten Wochen erneut gepflegt haben, in der neuen Partei keine Zukunft haben werden.
Pressemitteilung vom 16. Mai 2008