Wahlkampfmunition – bloß für wen?
Dokumentation
Am 4. September 2011 finden in Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen statt. Der Landesvorstand hat den kommenden Landesparteitag zum 13./14. August einberufen. Bereits das Zustandekommen der Kandidatenliste für die Landtagswahlen auf dem jüngsten Landesparteitag hat bei vielen Genossinnen und Genossen in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus – gelinde gesagt – Befremden ausgelöst. Auch jetzt wundern sich sicherlich viele über das Timing. Wenn ein Landesverband der LINKEN auf den Tag genau fünfzig Jahre nach der Errichtung der Mauer einen Parteitag organisiert, erwartet man auf diesem natürlich eine Stellungnahme zum erwähnten historischen Ereignis. Genau drei Wochen vor den Landtagswahlen keine gute Situation: Wird der Zeitgeist bedient, so stößt man die eigenen Leute vor den Kopf; löckt man wider den Stachel, so hat man die bürgerlichen Medien am Hals. Was man auch tut – ein prima Ergebnis ist gewiß.
Einen Vorgeschmack bietet ein als Vorlage für den Landesvorstand kursierendes "Positionspapier ... zum 50. Jahrestag der Errichtung der ‚Berliner Mauer’ am 13. August 1961". Darin heißt es u.a. zur DDR: "Die tiefe Kluft zwischen Ziel und Weg, die nach 1945 angesichts von Völkermord und Weltkrieg zeitweilig legitim schien, ist es heute nicht mehr und hat sich historisch als Sackgasse erwiesen." Mit anderen Worten: Die Existenz der DDR, die im übrigen nach der BRD gegründet wurde, war stets illegitim – denn sie schien nur zeitweise legitim zu sein. Legitim ist allerdings, daß man von der Mitgliedschaft, nicht zuletzt von den ehemaligen Mitgliedern der SED, gern Mitgliedsbeiträge und Wahlkampfaktivitäten in Anspruch nimmt. Nützliche Idioten, damals wie heute, in den Augen jener, für die Dialektik ein Fremdwort geblieben ist. Für uns nicht. Deshalb lassen wir uns nicht provozieren. Wissend, daß unsere Partei trotz bestimmter Tendenzen – zum Beispiel im Umgang mit der Geschichte – wichtig für dieses Land ist, engagieren wir uns in Wahlkämpfen und auf vielen anderen Feldern der Parteiarbeit.
Manches im Positionspapier aus dem Jahr 2011 erinnert im übrigen an eine Erklärung des PDS-Vorstandes zum 13. August 2001, auch seinerzeit ein echter Wahlkampfrenner. Damals hieß es: "Der Mauerbau war der in Beton gegossene Nachweis der Unterlegenheit des stalinistisch geprägten Sozialismustyps in der DDR gegenüber dem realen damaligen Kapitalismustyp in der Bundesrepublik." Die Kommunistische Plattform verabschiedete seinerzeit in Polemik mit dem oben genannten Vorstandsbeschluß eine bis heute totgeschwiegene Erklärung.
Aus aktuellem Anlaß dokumentieren der Bundessprecherrat und die Redaktion sie erneut:
Anmerkungen zu einem Delegitimationspapier
Daß die Mauer existierte, macht – geht es nach der Erklärung des PDS-Parteivorstandes zum 13. August 2001 – diejenigen, die sie auf sozialistischer Seite zu verantworten hatten, für alle Zeiten zu Geächteten und Verfemten. Die Verantwortung der Antisozialisten, besonders der Nato, ist kaum einer Erwähnung wert. Vergessen Ernst Reuters Parole: "Berlin ist die billigste Atombombe."
Es ist politisch in Mode gekommen, Ereignisse der Vergangenheit von den historischen Bedingungen "abzutrennen", unter denen sie stattfanden und sie dann ahistorisch-abstrakten Bewertungen zu unterziehen. Wer auf historische Zusammenhänge verweist, setzt sich sogleich dem Vorwurf aus, er wolle relativieren – nach dem Motto: wo gehobelt wird, fallen Späne. Unsere Philosophie ist das nicht. Auch wir bedauern jeden Toten an der Staatsgrenze der DDR, die ermordeten Grenzsoldaten eingeschlossen.
Doch für uns ergibt sich aus diesem Bedauern nicht, Zusammenhänge auszublenden. Die Errichtung der Mauer war von tiefer Tragik gezeichnet: einerseits konnte die DDR zunächst ohne sie nicht mehr existieren. Andererseits aber machte die Mauer die DDR durchaus auch instabiler, weil viele DDR-Bürger diese als einen Mißtrauensbeweis empfanden. Es gab viele, bis heute umstrittene Gründe dafür, warum es die DDR nicht mehr gibt. Einer war sicherlich, daß wir die Mauer benötigten. Es ist – gelinde gesagt – unredlich, über die negativen Folgen der Mauer zu reden und zu verschweigen, wer die Situation maßgeblich mit herbeigeführt hat, die ihre Errichtung zu einer Existenzfrage für die DDR und für die Erhaltung des Friedens, zumindest in Europa, machte.
Die DDR blutete aus, nicht in erster Linie, weil es in ihr nicht auszuhalten war. War es denn in der damaligen Bundesrepublik so gut auszuhalten, in der die alten Nazis wieder zu Ehren und Funktionen gelangten und die KPD verboten wurde? Im gültigen Parteiprogramm heißt es: "Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und später das Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Rettung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichlichen Verbrechen des Faschismus geschwächt und diskreditiert war." Wird das Parteiprogramm schon vor dem Dresdner Parteitag nicht mehr ernst genommen? Was stimmt denn nun? Die Formulierung des gültigen Programms oder jene in der Erklärung des Parteivorstandes: "Der Mauerbau war der in Beton gegossene Nachweis der Unterlegenheit des stalinistisch geprägten Sozialismustyps in der DDR gegenüber dem realen damaligen Kapitalismustyp in der Bundesrepublik."
Sicherlich verließ so mancher die DDR, weil ihm Unrecht geschehen war oder weil ihn Kleinlichkeiten zermürbten. Zur historischen Wahrheit gehört auch, daß nicht wenige dem Osten bereits in den ersten Nachkriegsjahren den Rücken kehrten, weil sie sich als gewesene Nazijuristen oder SS-Leute in der Bundesrepublik sicherer fühlten. Die meisten, welche die DDR verließen, hofften nicht ohne Grund auf ein materiell besseres Leben im Westen. Die Reparationen an die Sowjetunion brachte der Osten auf, und der Westen erhielt Marshallplanhilfe. Unendlich viel ließe sich sagen über Sabotage, Abwerbungen, Schmuggel, Grenzgänger und die jede Wirtschaft kaputt machenden Wechselkurse, über Westberlin als Spionagezentrale und Schaufenster des reicheren Kapitalismus. In dem Sinne waren wir wirklich unterlegen. All das wissen auch die Verfasser der Vorstandserklärung. Tut nichts. "Sozialismus gedeiht eben nicht als Befehlssystem, nicht unter Bajonetten, nicht im Schatten von Panzern, nicht hinter Mauern. Ein Staat, der sein Volk einsperrt, ist weder demokratisch noch sozialistisch." Man könnte denken, von Pinochets Chile sei die Rede!
Worum geht es unserer Meinung nach? Nicht um Geschichte. Schon gar nicht um schmerzhafte Analyse. Es geht um etwas anderes: Die PDS wird salonfähig, wenn sie sich an der Delegitimierung der DDR beteiligt. Die Erklärung des Parteivorstandes zum 13. August 2001 ist ein Delegitimationspapier. Es ist ein offener Bruch mit dem geltenden Parteiprogramm und macht unverhohlen deutlich, wohin der programmatische Richtungswechsel gehen soll. Offenkundig ist es den Verfassern dieses Papiers gleichgültig, wie große Teile der Basis über die Erklärung denken. Müntefering jedenfalls hat sie gelobt. Das scheint wichtiger zu sein. Die Gründe für das Vorgehen der Vorstandsmehrheit liegen auf der Hand. Es geht um Wahltaktik, um Ankommen. Austritte werden – mindestens – billigend in Kauf genommen. Man kann die führenden Genossinnen und Genossen nur auffordern, einzuhalten. Dieser Kurs zerstört die Partei.
Stellungnahme des Bundeskoordinierungsrates der Kommunistischen Plattform der PDS zur Erklärung des PDS-Vorstandes zum 13. August 2001, einstimmig beschlossen am 7. Juli 2001.