Wahlen in schwierigen Zeiten
Wulf Kleus, Düsseldorf
Während in Griechenland und Frankreich linke Parteien beachtliche Erfolge bei den jüngsten Wahlen erringen konnten, hat DIE LINKE in Deutschland empfindliche Niederlagen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen einstecken müssen.
Landtagswahl in Schleswig-Holstein
Bei der Landtagswahl am 6. Mai 2012 erhielt DIE LINKE lediglich 2,3 Prozent und verlor gegenüber der Landtagswahl 2009 fast 69 Prozent der Zweitstimmen. Von den knapp über 95.000 Wählern, die 2009 ihre Stimme der LINKEN gaben, gingen dieses Mal 39.000 erst gar nicht zur Wahl, 23.000 wählten eine andere Partei – zumeist SPD und Piratenpartei. DIE LINKE hat in Schleswig-Holstein damit in ganz erheblichem Ausmaß Stimmen an das Nichtwählerlager verloren.
Die Gründe für die Wahlniederlage sind vielfältig. Ein Rückblick: Vor zweieinhalb Jahren fand die Landtagswahl in Schleswig-Holstein zeitgleich mit der Bundestagswahl statt, bei der DIE LINKE bundesweit 11,9 Prozent der Zweitstimmen erhielt. Die schleswig-holsteinische LINKE konnte damals vom positiven bundespolitischen Trend der Partei und von der öffentlichen Aufmerksamkeit, die ihr die Medien zeitweise schenkten, profitieren, und ihr gelang mit immerhin sechs Prozent der Einzug in den Kieler Landtag. Diese für DIE LINKE günstigen Rahmenbedingungen waren bei der diesjährigen Landtagswahl nicht mehr gegeben, vor allem die Medien berichteten kaum noch über Inhalte und Forderungen der Partei, dafür umso mehr über personelle Auseinandersetzungen, die im Landesverband Schleswig-Holstein besonders massiv geführt wurden. Hinzu kam, dass der Landesverband mit weniger als 1.000 Mitgliedern eine flächendeckende und kontinuierliche Präsenz der Partei in den außerparlamentarischen Bewegungen und in den Kommunen nicht auf dem gleichen Niveau gewährleisten konnte wie dies in mitgliederstarken Landesverbänden der Fall ist. Auf weitere Faktoren, die bei der Wahlniederlage eine Rolle spielten, wird weiter unten noch einzugehen sein.
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen
Die Neuwahl in NRW hatte eine kontroverse Vorgeschichte [Thomas Gutscher in: "Der Krieg", Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.03.2012]. Im Kern ging es dabei um eine Auseinandersetzung um den Landeshaushalt, den die rot-grüne Minderheitsregierung durchbringen wollte, während CDU, FDP und LINKE ihn ablehnten, freilich aus sehr unterschiedlichen Motiven. So wollte DIE LINKE soziale Zugeständnisse im Interesse der Bevölkerungsmehrheit erreichen, wofür ihr allerdings das nötige Druckpotential fehlte. Denn mit größeren Aktivitäten außerparlamentarischer Organisationen war nicht zu rechnen, und die Umfrageinstitute prognostizierten zum Zeitpunkt der Haushaltsauseinandersetzung Rot-Grün eine parlamentarische Mehrheit, der LINKEN.NRW hingegen ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Dass Letzteres die ohnehin schon schwierige Situation der LINKEN weiter verschlechtern und der Verankerung der Partei in Westdeutschland einen herben Rückschlag versetzen würde, lag auf der Hand. Die Neuwahl kam demnach der SPD und den Grünen nicht ungelegen, wenn auch der Verlauf der Haushaltsabstimmung in der Öffentlichkeit turbulent und unübersichtlich wirkte und in politischer wie auch juristischer Hinsicht umstritten war [Spiegel,http://www.spiegel.de/politik/deutschland/verfassungsrechtler-halten-aufloesung-des-nrw-landtags-fuer-fragwuerdig-a-821879.html].
Im Ergebnis des Haushaltsstreits beschloss der Landtag einstimmig seine Auflösung und gab damit den Weg für die Neuwahl frei, welche der NRW-LINKEN das enttäuschende Ergebnis von 2,5 Prozent bescherte. Damit fiel DIE LINKE.NRW sogar unter das Landtagswahlergebnis von 2005, als WASG und PDS zusammen 3,1 Prozent an Zweitstimmen erhielten.
Der Einschätzung des Landesvorstands der NRW-LINKEN, dass die Landtagsfraktion das schlechte Wahlergebnis nicht zu verantworten, sondern vielmehr eine "solide Arbeit geleistet hat", kann man nur zustimmen. Sie war von den anderen Fraktionen klar unterscheidbar, hat außerparlamentarische Aktivitäten unterstützt und sich für die Interessen der sozial Benachteiligten eingesetzt. Ulrich Sander, Bundessprecher des VVN-BDA, hat die Arbeit der Linksfraktion zutreffend so beschrieben: "Seit 1953 erstmals wieder Linke, Anti-Antikommunisten im Landtag, das hat dem Land gut getan" [Leserbrief in "neues deutschland" vom 19.03.12].
Verglichen mit der Wahl in Schleswig-Holstein, hat DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen relativ wenige Wähler an das Nichtwählerlager verloren. Allerdings wählten etwa 80.000 frühere LINKEN-Wähler dieses Mal die Piratenpartei. Letztere wird von den Mainstreammedien zur Protestpartei erklärt, ist aber in Wirklichkeit in den gesellschaftlichen Kernthemen keine Protestpartei zur herrschenden Politik – sie hat sich bisher weder gegen Kriegseinsätze noch gegen die neoliberale Agenda-2010-Politik positioniert, auch stellt sie die bestehenden Eigentumsverhältnisse im Finanz- und Bankensektor oder in anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen keineswegs infrage. Dennoch – oder gerade deshalb – geben ihr die Medien das Etikett der Protestpartei – und wie man anhand der NRW-Wahl sehen kann, nicht ohne Erfolg, denn laut Infratest dimap waren 68 Prozent der Befragten der Ansicht, dass die Piratenpartei "besser für Protestwähler als die Linkspartei" sei. Die Auswertung der Wählerwanderungen in NRW zeigt auch, dass die Piratenpartei den sogenannten "Mitte-Links-Parteien" LINKE, SPD und Grüne wesentlich mehr Stimmen abnahm als dem "konservativ-liberalen Lager" aus CDU und FDP.
Wenngleich es in NRW nicht zu einer SPD-CDU-Regierung gekommen ist, so erhöht doch der Aufstieg der Piraten die Wahrscheinlichkeit, dass es nach der Bundestagswahl 2013 eine große Koalition aus Union und SPD auf Bundesebene geben wird, zumal einige führende Sozialdemokraten ohnehin eine solche Koalition bevorzugen würden. Für das Establishment wäre diese Konstellation durchaus günstig, denn um die unsoziale Agenda-Politik fortzusetzen, bedarf es einer stabilen Regierung, die von einer breiten Parlamentsmehrheit getragen wird. Dass es ein Interesse herrschender Kreise gibt, ein möglichst breites Bündnis von Parteien zu schmieden, die sich dem Spar- und Kürzungswahn anschließen statt sich diesem zu widersetzen, hat jüngst auch der Versuch der Regierungsbildung in Griechenland gezeigt. Dort haben insbesondere die Finanzoligarchie und die ihr hörigen Parteien wochenlang vergeblich versucht, sogar das Linksbündnis Syriza mit in das Regierungsbündnis zu holen, um dadurch vor allem die wütenden Proteste der Bevölkerung auszubremsen und zu schwächen.
Zurück zur NRW-Wahl: DIE LINKE verlor viele Stimmen auch an die SPD – rund 90.000 frühere LINKEN-Wähler entschieden sich dieses Mal für die Sozialdemokratie von Hannelore Kraft, deren Politik erheblich anders und positiver beurteilt wurde als die der Bundes-SPD, 63 Prozent der Befragten meinten sogar, Hannelore Kraft habe "die SPD in NRW wieder zu ihren Wurzeln zurückgeführt". Insbesondere wurde die NRW-SPD – im Unterschied zur Bundes-SPD – in den Augen vieler ihrer Wähler kaum noch mit der Agenda 2010 in Verbindung gebracht. Im Kern hat sich die nordrhein-westfälische SPD zwar nicht verändert, aber sie hat sich in vielerlei Hinsicht sozialer gebärdet und es eher vermieden, mit der Agenda-2010-Politik assoziiert zu werden, während die Bundesspitzen der SPD, vor allem Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, bis heute die unsoziale Agenda-Politik als "notwendige Reformpolitik" verteidigen.
Erschwerend kam für DIE LINKE hinzu, dass die SPD ihr die Tür, die sie anfänglich zumindest für eine punktuelle Zusammenarbeit auf Landesebene – etwa bei der Abschaffung der Studiengebühren – einen Spalt breit offenhielt, mittlerweile ganz geschlossen hatte. Für nicht wenige Wähler, die sich soziale und politische Veränderungen erhofften, ergab sich daraus das Gefühl, dass die Wahl der LINKEN letztlich nichts bewirken könne, dass es keinen Sinn mache, DIE LINKE zu wählen, wenn sie ohnehin keinen Einfluss mehr auf die Landespolitik habe. Und die Umfrageinstitute, die DIE LINKE bei unter fünf Prozent sahen, schienen diese Sichtweise zu bestätigen.
Medienblockade gegen DIE LINKE
Dass DIE LINKE trotz alledem einen Gebrauchswert hat, dass sie ein Störfaktor gegen unsoziale Kürzungspolitik ist und dass auf ihren Druck hin in NRW die Abschaffung der Studiengebühren, ein vergabespezifischer Mindestlohn, mehr Mitbestimmung im Öffentlichen Dienst, die Abschaffung der Residenzpflicht für Asylsuchende und die Abwahlmöglichkeit von Oberbürgermeistern durchgesetzt werden konnte – all dies wurde von vielen Menschen nicht der LINKEN zugerechnet, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie mit einer Medienblockade konfrontiert war, die es ihr erheblich erschwerte, die von ihr erkämpften Errungenschaften ihren Wählern und Sympathisanten zu kommunizieren. Das Totschweigen von Erfolgen und von Konzepten und Forderungen der LINKEN war auch nicht durch den engagierten Straßenwahlkampf, den die Genossinnen und Genossen führten, zu kompensieren. Erschwerend kam hinzu, dass DIE LINKE.NRW seit den Kommunalwahlen 2009 ein Viertel ihrer Ratsfraktionen verloren hat.
Seit den Wahlniederlagen in beiden Bundesländern kursieren zahlreiche Papiere, die nach Antworten für die Wahlniederlage suchen. So heißt in der Erklärung [http://www.dielinke-nrw.de/nc/nrw_aktuell/aktuelles/detailansicht_der_news/zurueck/aktuelles/artikel/die-linke-nrw-nach-der-niederlage] des Landesvorstandes der LINKEN.NRW zum Wahlausgang, dass "der Glaube daran, dass sich vor allem durch das politische Agieren im Parlament gesellschaftliche Veränderungen anstoßen oder umsetzen lassen" groß sei und DIE LINKE.NRW hierbei "Hoffnungen geweckt [habe], die wir nicht einhalten konnten". Der Landessprecherrat der Kommunistischen Plattform in NRW schrieb [http://www.dielinke-nrw.de/nc/partei/arbeitskreise/politische_stroemungen/kommunistische_plattform] daraufhin an den Landesvorstand: "(…) hat tatsächlich allein DIE LINKE.NRW diese Hoffnungen geweckt? Verhält es sich nicht vielmehr so, dass der Glaube, gesellschaftliche Veränderungen seien beinahe ausschließlich über parlamentarische Prozesse durchsetzbar, vor allem von den Herrschenden und Mainstream-Medien täglich genährt wird?". Und weiter heißt es in der KPF-Stellungnahme: "Sicher ist es nötig, dass DIE LINKE – intensiver als bisher – darüber aufklärt, dass gesellschaftliche Veränderungen vor allem außerhalb der Parlamente erkämpft werden müssen, allerdings halten wir es für verfehlt, die Ursachen der Wahlniederlage beinahe ausschließlich bei der Partei selbst zu verorten, das Wirken unserer politischen Gegner hingegen, vor allem das der Mainstream-Medien, völlig außer Acht zu lassen. (…) Im Wesentlichen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – haben die Mainstream-Medien die Ansichten und Argumente der LINKEN totgeschwiegen, oder – wenn dies nicht möglich war – als unrealistisch und nicht praktizierbar abgestempelt. Fehler, die die LINKE gemacht hat, wurden von unseren Gegnern gnadenlos ausgenutzt".
Es geht hierbei keineswegs um das Bagatellisieren hausgemachter Fehler, sondern vielmehr darum, deutlich zu machen, dass sich die Gründe für die enttäuschenden Wahlergebnisse nicht auf subjektives Versagen reduzieren lassen. Das Agieren der politischen Gegner, nicht zuletzt der Massenmedien, auszublenden, verringert die politischen Handlungsmöglichkeiten der LINKEN und kann zu folgenreichen Fehleinschätzungen führen. Diesen Gefallen sollten wir denen nicht tun. Albrecht Müller von den NachDenkSeiten fordert DIE LINKE zu Recht auf, dass "sie ihren Sympathisanten erklären [muss], was hier abläuft. Die Medienbarriere existiert, also muss man sie auch thematisieren. Andernfalls verstehen die Sympathisanten nicht, warum eine sachlich gute Position nicht gewürdigt wird".
Auf Kurs bleiben
Dass die Mainstreammedien Mobbing gegen DIE LINKE betreiben, ist im Interesse ihrer Eigentümer, die eine sozialistische Linke nicht dulden. Nicht nachvollziehbar ist es aber, dass einige in der Partei, vornehmlich aus dem Umkreis des Forums Demokratischer Sozialismus (fds), diesen Medien auch noch die Stichworte für die Demontage der Partei liefern. Wenn namhafte Protagonisten des fds die eigene Parteiführung als unfähig darstellen und öffentlich schlechtmachen, einen Geburtstagsbrief an Fidel Castro verurteilen oder dem Kapitalismus gar progressive Seiten abgewinnen können, dann ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Wähler DIE LINKE meiden. Über Monate hinweg in den Mainstreammedien geführte personelle Auseinandersetzungen erweckten bei vielen Menschen den Eindruck, dass DIE LINKE hoffnungslos zerstritten sei und sich kaum noch um ihre Sorgen und Nöte kümmere. Für nicht wenige unserer Wähler war das Profil der Partei schlichtweg nicht mehr erkennbar.
Die Auseinandersetzungen in der Partei haben sich in den vergangenen Wochen im Vorfeld des Göttinger Parteitages extrem zugespitzt. Der maßgebliche Grund hierfür liegt in der Kontroverse um die politische Ausrichtung der Partei. Wenn ein Bundesvorstandsmitglied des fds in seiner von der fds-Bundesversammlung mit großer Zustimmung bedachten Rede behauptet, das Hauptproblem unserer Partei liege "im Grundcharakter des Projekts" DIE LINKE und verlangt, sie solle sich vielmehr in der "Welt des Geldes" einrichten, dann gibt es eine grundlegende Differenz innerhalb der Partei – nämlich zwischen jener Mehrheit, die am in Erfurt beschlossenen Parteiprogramm festhalten will, und denen, die das Parteiprogramm eher als Hindernis betrachten. Wenn aber DIE LINKE ihre Kernpositionen, vor allem in der Friedensfrage, aufgeben würde, dann wäre sie bedeutungslos. Es wird daher in den nächsten Wochen und Monaten vor allem darauf ankommen, dass sich nicht jene in der Partei durchsetzen, die die Wahlniederlagen offenbar dazu ausnutzen wollen, um Kerninhalte der Partei zu verwässern. Wenn DIE LINKE ihren antikapitalistischen, sozialen und friedenspolitischen Markenkern behält, ihn wieder offensiver in der Öffentlichkeit vertritt und die aufzehrenden Personaldebatten nach dem Göttinger Parteitag endlich ein Ende finden, dann erhält DIE LINKE auch wieder die Chance, aus ihrem Tief herauszukommen.