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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vor der Straße eingeknickt

Ulla Jelpke, Hamburg

 

Vor 25 Jahren schlossen Union, FDP und SPD den sogenannten Asylkompromiss

 

»Die Fraktionen stimmen darin überein, dass die Zuwanderung nach Deutschland begrenzt und gesteuert werden muss sowie der Missbrauch des Asylrechts verhindert und der Schutz tatsächlich politisch Verfolgter gewährleistet werden muss.« So lautete der erste Absatz auf einem mit »Ergebnisse der Verhandlungen zu Asyl und Zuwanderung« über­schriebenen Papier vom 6. Dezember 1992 der Fraktionen der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP sowie der oppositionellen SPD. Weiter heißt es in dem Papier, wie je­der andere Staat müsse auch Deutschland Zuwanderung steuern und begrenzen können. Andernfalls würden »Ängste und Unsicherheiten verstärkt, die für den inneren Frieden schädlich sind«. Gleichzeitig versicherten die Unterzeichnenden damit »zugleich ein ver­söhnendes Signal« setzen zu wollen, »denn Deutschland ist ein weltoffenes und tolerantes Land, und das soll auch so bleiben.« Abschließend folgten Bekenntnisse zur Bekämpfung von Fluchtursachen und einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik.

Rassistische Gewalt nicht nur in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenha­gen und Solingen

Dem durch das Einknicken der SPD möglich gewordenen sogenannten Asylkompromiss war eine nie zuvor dagewesene Kampagne von Politikern, der Springer-Presse sowie eines rassistischen Mob auf der Straße mit dem Ziel, das Grundrecht auf Asyl sturmreif zu schie­ßen, vorausgegangen.

Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Realsozialismus, des ersten US-geführten Krieges gegen den Irak und dem Krieg gegen die Kurden in der Türkei kam es Anfang der 1990er Jahre zu größeren Flucht- und Migrationsbewegungen. Auf wachsende Sorgen in der Bevölkerung vor einem mit der kapitalistischen Wiedervereinigung Deutschlands und der neoliberalen Globalisierung verbundenen sozialen Abstieg reagierten Politiker der Volksparteien und die bürgerliche Presse mit dem Konstrukt von »Asylanten« als Sünden­böcke. In einem Rundbrief forderte der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe am 12. September 1991 alle CDU-Fraktionsvorsitzenden in Landtagen, Kreistagen, Stadt- und Ge­meinderäten sowie Bürgerschaften dazu auf, »die Asylpolitik zum Thema zu machen und die SPD dort herauszufordern, gegenüber den Bürgern zu begründen, warum sie sich ge­gen eine Änderung des Grundgesetzes sperrt«. Wenige Tage später kam es in der ostsäch­sischen Bergarbeiterstadt Hoyerswerda zu einem rassistischen Pogrom. Von Anwohnern an­gefeuerte Neonazis griffen tagelang eine Vertragsarbeiterunterkunft für Mosambikaner und ein Flüchtlingsheim an, bis die Polizei die Bewohner evakuierte. Faschisten feierten Hoyerswerda als erste »ausländerfreie Stadt« Deutschlands. Nun folgte eine deutschland­weite Anschlagswelle auf Flüchtlingsheime und Migranten. Allein zwischen 1991 und 1993 wurden über 4.700 rechtsextreme Anschläge verübt, 26 Menschen wurden dabei getötet, fast 1.800 verletzt.

»Fast jede Minute ein neuer Asylant – Die Flut steigt, wann sinkt das Boot«, titelte die BILD am 2. April 1992, während die »seriöse« Frankfurter Allgemeine Zeitung mit der zynischen Wortschöpfung von »Asyl-Touristen« Fluchtgründe wie Krieg, Folter und Hunger ausblende­te. Auch prominente Sozialdemokraten wie der saarländische Ministerpräsident Oskar La­fontaine oder der Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter stimmten in den Chor der Flüchtlingsfeinde ein. »Der Unmut bei den Menschen ist riesig. Glauben Sie denn, dass die es ruhig hinnehmen werden, wenn Millionen Ausländer ungeordnet in unser Land flu­ten«, erklärte Kronawitter. Im August 1992 gipfelte die rassistische Gewalt in einem weiteren Pogrom. Tausende Menschen applaudierten, als Neonazis in Rostock-Lichtenha­gen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende attackierten und ein Wohnheim für viet­namesische Arbeiter in Brand setzten. Insbesondere die Ereignisse von Rostock ebneten den Weg zum Einknicken der SPD und dem Sieg der Straße über das Grundgesetz.

Asyl­recht seines Inhalts beraubt

Artikel 16 Grundgesetz lautete in seiner ursprünglichen Fassung vom 23. Mai 1949 einfach und wirkungsvoll: »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«. Dieses Recht galt als wesentli­che Lehre aus den Erfahrungen der Nazizeit, als ein entsprechendes Asylrecht in anderen Ländern vielen vor den Nazis geflohenen Oppositionellen oder Juden das Leben gerettet hätte. Die besondere Bedeutung, die die Väter und Mütter des Grundgesetzes dem Asyl­recht einräumten, wird daran deutlich, dass es zu einem beim Bundesverfassungsgericht einklagbaren Grundrecht ernannt wurde. Eine Streichung von Artikel 16 Grundgesetz war wegen der Ewigkeitsgarantie der Grundrechte verfassungsrechtlich riskant. Von daher hat­ten sich Regierung und SPD, die zusammen über die notwendige verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundestag verfügten, auf eine Einfügung zusätzlicher Artikel zu dem damit scheinbar weiterbestehenden, in Wahrheit aber seines Inhalts beraubten Asyl­rechts verständigt. Zukünftig sollten so Asylanträge aus vermeintlich »sicheren Herkunfts­staaten« als »offensichtlich unbegründet« behandelt werden. Zudem sollten auch Asylan­träge nach der Einreise aus einem »sicheren Drittstaat« als »unbeachtlich« eingestuft wer­den. Da alle Nachbarländer Deutschlands als sichere Drittstaaten eingestuft wurden, büß­ten damit all diejenigen Flüchtlinge das Asylrecht ein, die nachweislich auf dem Landweg einreisten. Flüchtlingshilfsorganisationen kritisierten, dass nur noch derjenige Asyl bekom­men könnte, der vom Himmel gefallen sei. Mit dem 1993 eingeführten beschleunigten Flughafenverfahren schottete sich die BRD auch vor denjenigen ab, die per Flugzeug ein­reisten. Wer aus einem vermeintlich sicheren Herkunftsland stammt, kann vor Passieren der Einreisekontrolle ohne ordentliche Prüfung seines Asylbegehrens wieder »zurückge­führt« werden. Weitere Elemente des Asylkompromisses waren eine Verschärfung der Ab­schiebehaft sowie die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das die Asylbewer­bern zustehenden Leistungen auf 30 Prozent unter das Sozialhilfeniveau senkte, um »An­reize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden«. Die verpflichtende Unterbringung in Lagern, umfassende Arbeitsverbote sowie die Residenzpflicht – also das strafbewehrte Verbot, einen Landkreis zu verlassen –, dienten der zusätzlichen Abschreckung von Schutzsuchenden.

Zehntausende protestierten

Während der Bundestagsdebatte über die Grundgesetzänderung am 26. Mai 1993 protes­tierten Zehntausende vor dem Bonner Parlament gegen die geplante Beschneidung des Grundrechts auf Asyl. Der Bundestag wurde den ganzen Tag über von 4.000 Polizisten und NATO-Stacheldraht vor den Protesten abgesichert. Die PDS/Linke Liste und Bünd­nis90/die Grünen lehnten die von Regierungsfraktionen und SPD-Opposition durch­gezogene Asylrechtsänderung als populistisches Vorhaben zur »Instrumentalisierung von Vorurteilen und Rassismus« ab. Vergeblich rief Gregor Gysi die Abgeordnetenmehrheit auf, nein zu sagen »zur Liquidierung einer der wichtigsten Konsequenzen aus dem mörderi­schen Naziregime«. Gysi nannte es »moralisch höchst fragwürdig, vom Elend und Hunger in der sogenannten Dritten Welt zu profitieren und gleichzeitig Mauern gegen die Flüchtlin­ge hochzuziehen«. Und der PDS-Politiker erklärte weiter, »es sind Politikerinnen und Politiker gewesen, die die Begriffe von Scheinasylanten, von Flüchtlingsströmen, von Wirtschafts­flüchtlingen, vom Asylmissbrauch, von asylfreien Zonen, von Durchmischung und Durchras­sung und das schlimme Wort vom Staatsnotstand in die Debatte brachten. … All jene, die in der beschriebenen Art und Weise die Asyldebatte führten und führen, haben an rassis­tischen und ausländerfeindlichen Pogromen als intellektuelle Urheber ihren An­teil.«

Drei Tage nach der Asyldebatte starben fünf türkeistämmige Migrantinnen bei einem Brandanschlag von Neonazis auf ihr Haus in Solingen, vierzehn weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen. »Kein Volk, kein Gemeinwesen kann eine solch ständig wachsende Zahl von Menschen verschiedenster Herkunft so schnell integrie­ren, dass eine drohende Überfremdung vermieden werden könnte«, erklärte der wenige Wochen später zum Bundesinnenminister ernannte CDU-Politiker Manfred Kanther nach dem Anschlag. »Kein Volk kann aber eine drohende Überfremdung widerstandslos hinneh­men, will es sich nicht selbst aufgeben.« Ein Jahr später stellte der Bundesinnenminister befriedigt fest, dass die Zahl der Flüchtlinge deutlich zurückgegangen sei. »Es wäre nicht erzielbar gewesen ohne die öffentliche Auseinandersetzung – die natürlich Hitzegrade er­zeugt hat.«

Auf dem Papier blieb das Grundrecht auf Asyl zwar bestehen, doch es war durch die ergän­zenden Absätze in seiner Substanz ausgehöhlt worden. Diese faktische Abschaffung des Asylrechts war ein gewollter Politikwechsel hin zur in den letzten Jahren weiter massiv ver­schärften und ausgebauten Politik der Abschreckung, Ausgrenzung und Inhumanität in der Flüchtlingspolitik. Das im Asylkompromiss enthaltene Versprechen einer europäischen Flüchtlingspolitik wurde abgesehen von einer immer weiter perfektionierten Abschottung Europas gegen Schutzsuchende, die jetzt bereits an despotische Regime wie in der Türkei und Libyen weit vor die Grenzen der EU verlagert wurden, bis heute nicht eingelöst. Statt der lippenbekenntnisartig angemahnten Fluchtursachenbekämpfung heizen Deutschland und andere EU-Staaten mit Rüstungsexporten und Auslandseinsätzen Kriege und Bürger­kriege weiter an, während eine maßgeblich von Berlin den Staaten des globalen Südens aufgezwungene neoliberale Wirtschaftspolitik das ihre zu weiteren Migrationsbewegungen nach Europa beiträgt.

 

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2017-02: Gegen die Legitimierung kriegerischer Politik

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2013-11: Kampf gegen Rassismus auf allen Ebenen