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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vor 70 Jahren: Das Potsdamer Abkommen

Prof. Dr. Gregor Schirmer, Woltersdorf

 

Muss man nach 70 Jahren noch das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 ins Gedächtnis rufen? Unbedingt! Schon deshalb, weil dadurch bewusst wird, wie anders die Geschichte Deutschlands und Europas hätte verlaufen können, wenn das Abkommen nach Treu und Glauben verwirklicht worden wäre.

Die Unterzeichner und Regierungschefs der Sowjetunion Stalin, der USA Truman und Großbritanniens Attlee [1] schrieben am Ende der Mitteilung über das Abkommen, wir »verlassen diese Konferenz, welche das Band zwischen den drei Regierungen fester geknüpft und den Rahmen ihrer Zusammenarbeit und Verständigung erweitert hat, mit der verstärkten Überzeugung, dass ihre Regierungen und Völker zusammen mit anderen Vereinten Nationen, die Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens sichern werden.« Dem sollte neben der Potsdamer Vereinbarung die zeitgleich erfolgte Gründung der Vereinten Nationen und des Nürnberger internationalen Militärtribunals dienen. Es war jedoch schon unwahrscheinlich geworden, dass die Kriegskoalition der Drei (und Frankreichs) als Friedensbündnis fortgesetzt werden würde.

Eindeutige antimilitaristische und antifaschistische Festlegungen

In Potsdam wurde ein Rat der Außenminister gebildet, dem außer den »Großen Drei« auch Frankreich (und auf dem Papier auch China) angehörten. Der Rat hat einiges Positive vollbracht. Er hat die Friedensverträge mit den Verbündeten Hitler-Deutschlands Italien, Finnland, Ungarn, Rumänien und Bulgarien von 1947 und den Österreichischen Staatsvertrag von 1955 ausgehandelt. An der »Deutschlandfrage«, die ihn laufend und ergebnislos beschäftigt hat, ist der Rat mit seiner Genfer Konferenz 1959 endgültig gescheitert und nicht wieder zusammengetreten. Das war folgerichtig. 1949 war die Nato als antisowjetisches politisch-militärisches Kampfinstrument etabliert worden. Die BRD war 1955 in das westliche Militärbündnis eingetreten. Vorschläge der Sowjetunion für einen Friedensvertrag mit beiden deutschen Staaten waren von den drei Westmächten und Westdeutschland nicht einmal der Diskussion für wert befunden worden. Das in Potsdam angeblich »fester geknüpfte Band« war vom ehemaligen britischen Premierminister Churchill schon mit seiner berüchtigten Fulton-Rede vom 5. März 1946, als er den »Eisernen Vorhang« öffentlich proklamierte [2], und von Truman spätestens am 12. März 1947 zerrissen worden, als er vor dem USA-Kongress die nach ihm benannte Doktrin verkündete und damit den Kalten Krieg unter Führung der USA gegen die Sowjetunion eröffnete.

Aber im Sommer 1945 standen Verlauf und Ergebnis der Konferenz noch stark im Zeichen des Anti-Nazi-Konsenses der alliierten Siegermächte, die 12 Wochen vorher die vernichtende Niederlage Hitler-Deutschland unter ungeheuren Opfern gemeinsam vollendet hatten. Es kam zu eindeutigen antimilitaristischen und antifaschistischen Festlegungen. Die Kernpunkte:

  • Deutschland wird völlig abgerüstet und entmilitarisiert. Die gesamte deutsche Kriegsindustrie wird ausgeschaltet. Die Nazi-Partei und ihre Gliederungen und Unterorganisationen werden vernichtet. Es ist zu sichern, »dass sie in keiner Form wieder auferstehen können; jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen.«
  • Das »deutsche Wirtschaftsleben« wird dezentralisiert »mit dem Ziel der Vernichtung der übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate und andere Monopolvereinigungen«. Die Produktion von Waffen, Kriegsausrüstung und Kriegsmitteln ist verboten und wird unterbunden. Das »Hauptgewicht [ist] auf die Entwicklung der Landwirtschaft und der Friedensindustrie für den inneren Bedarf (Verbrauch) zu legen.«
  • Das deutsche politische Leben wird auf demokratischer Grundlage umgestaltet. Dazu wurde festgelegt: Kriegsverbrecher sind zu verhaften und dem Gericht zu übergeben. Aktive Nazis sind aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern und aus verantwortlichen Posten in wichtigen Privatunternehmen zu entfernen. Das Erziehungswesen wird von militaristischen und nazistischen Lehren gesäubert und demokratischen Ideen geöffnet.

Die DDR hat die Potsdamer Beschlüsse akzeptiert und – soweit es von ihr abhing – getreulich durchgeführt. Die BRD hat das Potsdamer Abkommen niemals anerkannt, geschweige denn verwirklicht, sondern gebrochen. Für Konrad Adenauer war das Abkommen »ein Alpdruck«.

Die Verbindlichkeit der in Potsdam beschlossenen Maßnahmen

Eine juristische Begründung für die Ablehnung von Potsdam hat der von Hitler mit dem Ritterkreuz mit Eichenlaub und dem Deutschen Kreuz in Gold geehrte Oberstleutnant der faschistischen Wehrmacht, unter Adenauer zum General der Reserve der Bundeswehr beförderte und 1987 mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens ausgezeichnete Völkerrechtler Friedrich August Freiherr von der Heydte in dem renommierten Wörterbuch des Völkerrechts geliefert. Erstens sei das Potsdamer Abkommen »Als Ganzes gesehen kein Vertrag im Sinn des Völkerrechts«, sondern nur eine Information der Öffentlichkeit über eine Konferenz. Die Staatsmänner, die den »Bericht« unterzeichneten, hätten dies »nicht mit dem Willen« getan, in allen Punkten »für den Staat, den sie jeweils vertraten, rechtlich verbindliche Verpflichtungen einzugehen.« Vertragscharakter hätten »offenkundig« nur die Vereinbarungen über die Bildung des »Rates der Außenminister«, über die Reparationen und über die Verfolgung und Bestrafung der Kriegsverbrecher. Die Behauptung geht schon deshalb daneben, weil die drei Unterzeichnerstaaten, USA, Sowjetunion, Großbritannien und das mit Vorbehalten beigetretene Frankreich nie einen Zweifel daran gelassen haben, dass es sich unabhängig von der Bezeichnung um eine internationale Übereinkunft zwischen ihnen, an die sie gebunden sein wollten, also um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt.

Unabhängig vom Rechtscharakter sei das Potsdamer Abkommen nach von der Heydte zweitens eine »res inter alios acta«, also – wenn überhaupt ein Vertrag – dann einer zu Lasten eines unbeteiligten Dritten, nämlich Deutschlands, der keine Verpflichtungen Deutschlands begründen könne. Darauf vor allem hat sich die Bundesregierung berufen. Der Vorwurf, die BRD habe das Potsdamer Abkommen gebrochen, war damit als gegenstandslos wegargumentiert. Ein Abkommen, an dem ein Staat gar nicht beteiligt ist, kann von diesem Staat auch nicht gebrochen werden. Er ist für ihn ein juristisches Nullum. So einfach ist das. Aber das Argument ist falsch.

Die drei Mächte haben in Potsdam in ihrer Eigenschaft als zeitweilige Inhaber der Staatsgewalt in Deutschland gehandelt. Das Deutsche Reich war im Ergebnis des II. Weltkriegs als Staat und Völkerrechtssubjekt untergegangen. Es gab keine deutsche Staatsgewalt mehr. Deutschland geriet bis zur Gründung der zwei deutschen Staaten 1949 faktisch und juristisch in eine Situation sui generis: Ein Land unter Besatzungsmacht, das die Verantwortung für ungeheuerliche Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit trägt, aber von den Siegermächten nicht annektiert wurde. Als Inhaber der Obersten Gewalt in Deutschland waren die drei Mächte berechtigt, in der Gestalt der Festlegungen des Potsdamer Abkommens Verfügungen über Deutschland zu treffen und Verpflichtungen Deutschlands festzulegen. Otto Grotewohl sagte in seiner ersten Regierungserklärung: »Die Potsdamer Beschlüsse gehen von der Tatsache der totalen Niederlage Hitlerdeutschlands und der Zerschmetterung des faschistischen Machtapparats aus. Das dadurch entstandene Vakuum sollte durch die Viermächteregierung ausgefüllt werden.«

In der Völkerrechtswissenschaft der DDR ist die Verbindlichkeit der in Potsdam beschlossenen Maßnahmen für Deutschland und beide deutsche Staaten aus dem Prinzip der Verantwortlichkeit für das internationale Verbrechen des Aggressionskriegs abgeleitet worden, das die Möglichkeit schwerwiegender Sanktionen gegen den Verbrecherstaat einschließt. Diese Auffassung steht in Übereinstimmung mit Art. 107 der UN-Charta, wo festgelegt ist, dass »Maßnahmen, welche die hierfür verantwortlichen Regierungen als Folge des zweiten Weltkrieges in Bezug auf einen Staat ergreifen oder genehmigen, der während des Krieges Feind eines Unterzeichnerstaats dieser Charta war, … durch diese Charta weder außer Kraft gesetzt noch untersagt« werden. Noch weiter ging Art. 53 der Charta. Er erlaubte Zwangsmaßnahmen gegen einen »Feindstaat« aufgrund regionaler Abmachungen auch ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates. Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 [3] sieht in Art. 75 vor, dass einem »Angreiferstaat« durch Vertrag, an dem er nicht beteiligt ist, Verpflichtungen auferlegt werden können, »die auf den Angriff des betreffenden Staates hin im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen getroffen wurden.« Dem steht das Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter in Art. 34 nicht entgegen. Die Verbindlichkeit von Sanktionsmaßnahmen gegen den Rechtsnachfolger des untergegangenen Aggressorstaats »Deutsches Reich« und damit auch des Abkommens von Potsdam war in der damaligen Umbruchsituation des Völkerrechts wohl begründet. Das Abkommen war zusammen mit der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 und dem Statut des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg vom 8. August 1945 einer der Grundbausteine des demokratischen Völkerrechts.

 

Anmerkungen:

[1] Attlee hat in der letzten Phase der Potsdamer Konferenz die Delegation Großbritanniens geleitet, nachdem Winston Churchill als Regierungschef abgewählt worden und der Labor-Politiker Attlee sein Nachfolger geworden war.

[2] Das Bild vom Eisernen Vorhang hat Churchill schon im Mai 1945 gegenüber Truman verwendet.

[3] BGBl. 1985 II S. 927.

 

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