Vor 50 Jahren: Acht Jahre DDR
Dr. Joachim Mitdank, Botschafter a.D., Berlin
Um die internationale Diskussion über Entspannung und Abrüstung voranzubringen sowie den wachsenden Bestrebungen nach einer atomaren Ausrüstung der BRD zu begegnen, unterbreitete der polnische Außenminister Jolan Rapacki am 3. Oktober 1957 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa. Die Regierungen der Tschechoslowakei und der DDR erklärten ihre Zustimmung zum Rapacki-Plan. Die UdSSR unterstützte und empfahl ihn. Bei den Westmächten zeigten die britische und die französische Regierung Interesse an einer Diskussion über Rapackis Vorschlag, unter der Voraussetzung, daß die Bundesrepublik Deutschland auch als Mitglied einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa Mitglied der NATO bleiben werde. Sowohl die USA als auch die BRD-Regierung lehnten den polnischen Plan ab.
Sputnik-Schock (4. 10. 1957)
Der Kampf um Geld, Macht und Einfluß war in Bonn nach den Wahlen noch in vollem Gange, als eine Meldung aus Moskau die Welt aufhorchen ließ: Am 4. Oktober 1957 erfolgte in der UdSSR der Start des ersten künstlichen Erdsatelliten der Welt (Sputnik). Eine Spitzenleistung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der Sowjetunion, womit der Grundstein für die Erforschung und Erschließung des Kosmos gelegt wurde.
In der DDR wurde dieser Erfolg sowjetischer Wissenschaftler wie ein eigener gefeiert, zumal er unmittelbar vor dem 8. Jahrestag der Gründung der DDR erfolgte und der Druck der BRD und des Westberliner Senats auf die Republik enorm gewachsen war, vor allem durch den forcierten Wirtschaftskrieg und die Abwerbung von Fachkräften wie Ärzten, Ingenieuren und Technikern. Konrad Adenauer, der große Meister der Vereinfachung und Entstellung, bemerkte, er verstehe den ganzen Lärm um diesen Sputnik nicht, denn so ein Stück Metall könnte doch jeder in den Himmel schießen! Verständlich aus Bonner Sicht, denn hier war etwas geschehen, was hätte eigentlich gar nicht sein sollen.
Mit dem Sputnik-Start war schlagartig der deutliche Vorsprung der UdSSR auf dem Gebiet der Raketentechnik vor den USA deutlich geworden. Adenauer hatte seine ganzen Hoffnungen seit Jahren auf die wirtschaftliche Schwäche der Sowjetunion gesetzt und erwartet, daß die – wie er sprach – „Soffjets“ nachgeben müßten. Das hatte er im Wahlkampf mit stoischer Härte gepredigt. Auch die NATO hatte auf ihrer Frühjahrstagung 1957 in Bonn eingeschätzt, daß die sowjetische Industrie ein Schwachpunkt der UdSSR sei. Die geplante atomare Bewaffnung der Bundeswehr wurde als ein wirksames Druckmittel eingeschätzt.
Der ehemalige Nazidiplomat Herbert Blankenhorn, Mitglied der NSDAP seit 1. Dezember 1936, seit 1942 Legationsrat 1. Klasse und 1955 Botschafter der BRD in Paris, notierte in seinem Tagebuch: „Die sowjetische Industrie ist, wie wir ja alle wissen, seit langer Zeit überfordert und kann nicht so schnell die taktischen atomaren Waffen entwickeln, die die amerikanische Industrie heute schon produziert und die in wachsendem Maße in die Nähe des sowjetischen Giganten herangeschoben werden. Neben dem großen Basengürtel der strategischen, mit Megaton-Bomben ausgestatteten, Luftstreitkräfte, die um das gesamte europäische und asiatische Rußland herumliegen, kommen nun noch die atomaren Waffen, deren Wirkung an die Hiroshima-Bombe herankommen, die von Amerika in den europäischen Partnerstaaten zunächst noch als amerikanisches Eigentum gelagert werden. Daß hier große Gefahren liegen, war wohl allen Konferenzteilnehmern bewußt.“ Der Botschafter war jedoch überzeugt, „daß man aber, wenn man Sowjetrußland wirklich zu Verhandlungen über die großen politischen Streitfragen und über Abrüstung zwingen will, den Druck unter allen Umständen aufrechterhalten, wenn nicht verstärken muß.“
Hallstein-Doktrin gegen Jugoslawien
Es war nicht nur der Sputnik-Start, der Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis widerspiegelte. Im Oktober 1957 wurde das offizielle Bonn noch während der Regierungsbildung sehr nachdrücklich an die DDR, an die deutsche Zweistaatlichkeit erinnert. Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ) nahm mit der DDR diplomatische Beziehungen auf. Eleonore Staimer, die Tochter von Wilhelm Pieck, wurde zur Botschafterin in Belgrad berufen. Was tun?, so lautete die Frage für die Bundesregierung. Sollte die Hallstein-Doktrin oder eine flexiblere Variante angewandt werden. Die Hardliner und Dogmatiker setzten sich durch. Am 17. Oktober beschloß das Kabinett unter dem Vorsitz Adenauers den Abbruch der Beziehungen zu Jugoslawien. „Heinrich von Brentano wie überhaupt das ganze Auswärtige Amt bis zum Nachwuchs“ waren von einem „blinden Ehrgeiz“ befallen, den selbst Adenauer abstoßend empfunden haben soll, zumindest zeitweise. Dieser blinde Ehrgeiz forderte Opfer in den eigenen Reihen. Der bundesdeutsche Botschafter in Belgrad, Karl Georg Pfleiderer, Vorreiter einer neuen Bonner Ostpolitik, konnte von seinem Posten nicht mehr abberufen werden. Von den Ereignissen tief betroffen, starb er am 8. Oktober in Bonn an einem Herzinfarkt. Er hatte zuletzt an einer Denkschrift über die Neugestaltung der Ostpolitik gearbeitet.
Zufrieden über die Anwendung der Hallstein-Doktrin war offenkundig ihr Urheber: Prof. Dr. Walter Hallstein, während der Nazidiktatur Dozent und aktiver Nazianhänger an den Universitäten Rostock und Frankfurt/Main sowie Teilnehmer an den Rechtsverhandlungen Deutschland-Italien 1944. Bereits 1950 wurde Hallstein zum Leiter der BRD-Delegation zu den Verhandlungen mit Frankreich über den sogenannten Schuman-Plan des französischen Außenministers R. Schuman. Anschließend avancierte er zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt und wurde 1958 Präsident der EWG. Eine beachtliche Karriere des ehemaligen Ribbentrop-Diplomaten analog jener seiner zahlreichen ehemaligen Kollegen, die nach 1949/50 wie Phönix aus der Asche aufstiegen, nachdem sie den Wilhelmstraßenprozeß [Der Wilhelmstraßenprozeß war der zeitlich längste der Nürnberger Prozesse (November 1947 bis April 1949). Angeklagt waren führende Angehörige des Auswärtigen Amts und anderer Ministerien – Red.] ohne nennenswerten Schaden überstanden hatten.
Joachim von Ribbentrop, der 1920 in die Sektkellerei Henkel eingetreten war und unter Hitler zum Chefdiplomaten der Nazis aufstieg, war 1945 in die Anonymität Hamburgs geflüchtet, „da ihm weder Berlin noch eines seiner Güter und Schlösser als Zuflucht geeignet erschienen“. Bevor er sich in die britische Zone absetzte, hatte er zuvor „seinen ebenso großen wie erlesenen Weinbestand ... rechtzeitig in die Freie Hansestadt verbracht, wohl in der Annahme, seine alte Firma Impegroma (Import und Export großer Marken) über kurz oder lang wieder aufleben zu lassen“. Daraus wurde aber nichts. Am 14. Juni 1945 wurde Ribbentrop in seiner Hamburger Wohnung von britischen Militärpolizisten aufgespürt und arretiert. Als einer der Hauptkriegsverbrecher wurde er vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg angeklagt und in allen vier Punkten der Anklage für schuldig befunden. In der Nacht zum 16. Oktober 1946 wurde Ribbentrop durch den Strang hingerichtet.
Vorabdruck aus „Die DDR zwischen Aufstieg und Verkauf“ –
zur Veröffentlichung als Buch (ca. 250 Seiten) vorbereitet.