Vor 20 Jahren: Beginn des 2. Golfkrieges - Gedanken eines Kundschafters des Friedens
Dieter Popp, Bonn
In der Haft
Vor 20 Jahren saß ich als Kundschafter des Friedens in Haft in Köln-Ossendorf – verraten durch den MfS-Überläufer Eberhard Lehmann (BfV-Deckname "Glasschüssel"), letztlich aber verraten und verkauft durch Michail Gorbatschow. Mit Sorge beobachtete ich die Vorgänge im Nahen Osten. Ziel meines Einsatzes als Kundschafter war es, den Sozialismus zu schützen und Kriege zu verhindern. War durch Gorbatschows "Ausverkauf" der Sozialismus in Osteuropa und der noch existierenden Sowjetunion zusammengebrochen, so zeigte sich nun, daß die USA als alleinige Supermacht wieder offene Kriege zur Durchsetzung der eigenen Interessen führen konnte.
Die Vorgeschichte
Die ölreichen Regionen des Nahen Ostens waren schon immer das besondere Interessengebiet der imperialistischen Mächte gewesen. Als 1953 der demokratisch gewählte Premierminister des Iran, Dr. Mohammad Mossadegh, die Erdölvorkommen verstaatlichen wollte, sorgte die CIA für seinen Sturz und die Errichtung des diktatorischen Regimes unter Schah Reza Pahlavi. Dieser herrschte bis zu seinem Sturz im Februar 1979 zum Wohlgefallen der USA. Auch in der Bundesrepublik wurde er anläßlich seines Staatsbesuches 1967 regierungsamtlich hofiert, während – wie ich mich noch gut erinnere – iranische Geheimdienstagenten mit Duldung der Westberliner Polizei brutal auf Gegendemonstranten einprügelten.
Pahlavis Sturz 1979 war aber kein Sieg der nationalen demokratischen Kräfte, sondern mit der Rückkehr des Ajatollah Khomeini wurde eine islamische Theokratie eingeführt und fortschrittliche Kräfte wurden abermals verfolgt. Laut wurden (und werden bis heute) in den westlichen Medien der Mangel an Demokratie und die Einschränkung der Rechte der Frauen im Iran beklagt, während diesbezüglich viel schlimmere Defizite z.B. in Saudi-Arabien stillschweigend übergangen werden.
Die feindselige Haltung Khomeinis gegenüber dem "Großen Satan" USA und die Verteufelung des islamischen Iran als Teil der "Achse des Bösen" hielten sich die Waage. So verwundert es nicht, daß es 1980 in den USA mit Wohlgefallen gesehen wurde, als der damalige Präsident des Irak, Saddam Hussein, den Iran überfiel – wohl in der irrigen Meinung, gegen den zerrütteten Staat ein leichtes Spiel zu haben. Letzteres erwies sich jedoch als folgenschwerer Irrtum: Der als Blitzkrieg geplante Überfall entwickelte sich zum acht Jahre währenden 1. Golfkrieg, einem für beide Seiten äußerst verlustreichen Desaster. Mehrfach geriet auch der Irak an den Rand einer Niederlage, weshalb sich die USA, viele arabische Staaten und einige NATO-Staaten veranlaßt sahen, mit Waffenlieferungen und mehr oder weniger verdeckter Einmischung den Irak zu unterstützen. Frankreich tat sich hervor mit der Lieferung von Exocet-Flugkörpern. Die Bundesrepublik lieferte Know-How und Ausrüstung zur Produktion von chemischen Kampfstoffen. Trauriger Höhepunkt war 1988 der Abschuß eines iranischen Passagierflugzeuges über dem Persischen Golf durch einen amerikanischen Raketen-Kreuzer, wobei ca. 300 Zivilpersonen ums Leben kamen. Im August 1988 trat schließlich ein Waffenstillstand in Kraft. Saddam Hussein sah sich jedoch bald zu neuen Abenteuern ermutigt.
Die irakische Invasion in Kuwait
Als Ergebnis des 1. Weltkrieges hatten dessen Siegermächte England und Frankreich das Osmanischen Reich zerschlagen und gemäß der eigenen imperialen Interessen mit dem Lineal auf der Landkarte willkürlich neue Staaten geschaffen, u.a. auch das Scheichtum Kuwait. Dieses besonders ölreiche Gebiet sollte nun nach dem Willen Saddam Husseins dem Irak wieder einverleibt werden. Am 2. August 1990 drangen irakische Soldaten in Kuwait ein. Die USA schienen durch Äußerungen der amerikanischen Botschafterin April Glaspie grünes Licht für diese Eroberung gegeben zu haben. Bald aber änderte sich die Bewertung: Der bisherige Freund Saddam Hussein hatte seine Rolle als nützlicher Idiot im Stellvertreterkrieg gegen den Iran ausgespielt; jetzt war er wieder der böse Tyrann.
Aus dieser Zeit ist auch eine lehrbuchhafte Episode moderner Meinungsmanipulation in die Geschichte eingegangen: Kuwaits geflüchtete Regierung engagierte die amerikanische PR-Firma Hill & Knowlton. Diese startete eine Kampagne, mit der Berichte über angebliche Greueltaten der irakischen Truppen lanciert wurden. Besondere Beachtung fand die Geschichte, daß irakische Soldaten Babys aus den Brutkästen in kuwaitischen Krankenhäusern herausgerissen und auf den Fußboden geworfen hätten. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, das vor dem US-Kongreß tränenüberströmt als Zeugin dieser Greueltaten auftrat, war, wie später bekannt wurde, die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA. So wurde die Vertreibung eines von den USA tolerierten Scheich-Regimes in eine besonders barbarische Aggression umgedeutet. Gezielte Lügen, um die Kriegsbereitschaft der amerikanischen und der internationalen Öffentlichkeit herbeizumanipulieren – ein Schema, das inzwischen schon als "Klassiker" der US-Politik gilt.
Die arabischen Herrscher in der Region sahen ihre Feudalregime durch den Irak bedroht. Im November 1990 signalisierte Saudi-Arabien für den Fall eines Krieges gegen den Irak seine Unterstützung und die Unterordnung seiner Truppen unter die amerikanische Befehlsgewalt zu. US-Präsident George Bush (sen.) hatte sich vom UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen den Irak und Embargo-Maßnahmen absegnen lassen. Saddam Hussein seinerseits rief zum "Heiligen Krieg" gegen die Präsenz der USA am Persischen Golf und zum Sturz des saudi-arabischen Königs auf.
Der Krieg lag in der Luft. Im Bonner Hofgarten, wo 1981 300.000 Menschen gegen den "NATO-Doppelbeschluß" protestiert hatten, versammelten sich wieder – so las ich in meiner Gefängniszelle in Köln-Ossendorf – Hunderttausende, um für eine friedliche Lösung des Konfliktes zu demonstrieren. Jedoch waren die Weichen in Richtung Krieg offenbar bereits gestellt. Im Dezember 1990 bot der Irak den Rückzug aus Kuwait an, wenn die USA im Gegenzug bereit wären, auf einen Angriff während des Rückzuges zu verzichten und ausländische Truppen die Region verlassen würden. Das Angebot wurde jedoch von der US-Regierung abgelehnt; nach den intensiven Kriegsvorbereitungen und dem Truppenaufmarsch der USA und 34 Unterstützerstaaten schien es opportun, die Militärmaschinerie losschlagen zu lassen.
Der zweite Golfkrieg
Am 17. Januar 1991 begann das Bündnis einen massiven Luftkrieg, wobei infolge der waffentechnische Überlegenheit in kurzer Zeit die irakische Luftwaffe und die Luftabwehr ausgeschaltet waren. Außer militärischen Zielen wurden Elektrizitätsanlagen, Hafeneinrichtungen, Ölraffinerien und -pipelines, Eisenbahnen, Brücken und die Trinkwasserversorgung der Zivilbevölkerung zerstört.
Am 24. Februar 1991 schließlich begannen die USA ihren Bodenkrieg. Die demoralisierten irakischen Truppen konnten den US-Panzern keinen effektiven Widerstand mehr leisten und zogen sich zurück. Mit der Bombardierung der auf dem Rückzug befindlichen Truppen und der eingeschlossenen Zivilisten erzielten die US-Truppen dann noch ihre größten "Erfolge", die von unabhängigen Beobachtern als Kriegsverbrechen eingestuft werden.
Die USA hatten dem Rest der Welt demonstriert, wie eine Supermacht "Ordnung schaffen" kann. Verdeckt unterstützte Stellvertreterkriege waren nicht mehr erforderlich. Mit weniger als 1000 Toten auf der eigenen Seite und ca. 200.000 Toten auf irakischer Seite war ein Verlustverhältnis erreicht, mit dem ein auf dem militärtechnischen Höchststand befindliches Imperium leben und jederzeit seinen Willen überall in der Welt durchsetzen kann.
Auf eine Besetzung des gesamten Iraks verzichteten die USA; die Lasten einer jahrewährenden Truppenpräsenz wurden realistischerweise als zu hoch eingeschätzt. Der Irak wurde aber mit fortbestehenden Embargo-Maßnahmen gestraft, worunter vor allem die Zivilbevölkerung schwer zu leiden hatte.
Das gerade aus BRD und DDR wiedererstandene "einig Vaterland" konnte sich noch nicht offen an diesem Krieg beteiligen. Zu sehr war in den Köpfen noch die Meinung vorhanden, daß eine Armee allenfalls zur Verteidigung legitim sei. Erst in den folgenden Jahren wurde die deutsche Öffentlichkeit schrittweise an ferne Auslandseinsätze ("out-of-area") gewöhnt und der Gedanke lanciert, daß Krieg ein geeignetes Mittel sein könne, "Demokratie und Menschenrechte" durchzusetzen.
Nichtsdestoweniger unterstütze die neue BRD den Krieg in großzügiger Weise mit offiziell 17 Milliarden DM. Kampfverbände und Minenräumverbände der Bundesmarine entlasteten die US-Flotte im Mittelmeer. NATO-Flugplätze in der Türkei, von denen aus täglich Luftangriffe gegen den Irak geflogen wurden, wurden von Bundeswehreinheiten gegen mögliche Gegenangriffe geschützt. Etliche Hunderttausend Schuß großkalibriger Munition und Bomben wurden zur Verfügung gestellt (und später auf deutsche Rechnung in den USA wieder nachbestellt).
So sah also die "Friedensdividende" aus, die man sich in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges erhofft hatte. Auch wenn deutsche Truppen nicht unmittelbar an Angriffshandlungen teilnahmen, waren sie im Sinne des Völkerrechts schon wieder Kriegspartei. "Schwerter zu Pflugscharen" hatten noch zwei Jahre zuvor DDR-Dissidenten und -Kirchenmänner gefordert. In den Folgejahren verschwanden viele von ihnen in der Versenkung, während andere ehemalige Friedensfreunde die neue Rolle der Bundeswehr bald mehr oder weniger offen unterstützen und so im neuen Deutschland politische Karriere machen konnten, manche erneut.
Die Lehren und die Folgen
Die USA hatten dem Rest der Welt erfolgreich demonstriert, daß offener militärischer Widerstand gegen die stärkste Supermacht zwecklos ist. Die noch existierende Sowjetunion war als konkurrierende Macht vollkommen diskreditiert worden; wenige Monate später zerfiel sie Dank Michail Gorbatschow und Boris Jelzin in ein Sammelsurium korrupter und machtpolitisch unbedeutender Staaten. Die USA und die NATO konnten sich daraus nach Belieben bedienen und das verbliebene Rußland einkreisen.
Dieser Höhenflug US-amerikanischer Machtentfaltung stellte aber bereits dessen Wendepunkt dar. Die schwachen Nationen der Erde sind offenbar nicht willens, sich der offenen militärischen Macht zu beugen. Verschiedene Widerstandskräfte sind bereit, nach der Guerilla-Taktik oder mit Selbstmordattentaten der Militärmaschinerie das Leben schwer zu machen. Die in offener Feldschlacht realisierten Verlustverhältnisse von 1:1.000 sind nicht mehr gegeben.
Der 2001 an die Macht gekommene Präsident George Bush (junior) nahm die Terroranschläge zum Anlaß, abermals auf die militärische Karte zu setzen. Mit dem von ihm ausgerufenen "Krieg gegen den Terrorismus" sollte die überlegene Militärmaschinerie eine Weltordnung nach US-amerikanischem Geschmack durchsetzen. Ob und inwieweit diese Anschläge mit Duldung und Wissen von US-Geheimdiensten ausgeführt wurden, bleibt umstritten; sie lieferten in jedem Fall die gewünschte Begründung, um die USA erneut auf Kriegskurs zu bringen.
Eindeutiger nachweisbar sind jedoch die gezielten Lügen bei der Vorbereitung des 3. Golfkrieges. Mit dem erneuten Krieg gegen das Regime Saddam Husseins sollte die vermeintliche Inkonsequenz des 2. Golfkrieges – nämlich die damals unterbliebene Besetzung des Landes – korrigiert werden.
Vor dem 4. Golfkrieg?
Heute müssen wir feststellen, daß die USA und ihre Vasallen sich sowohl im Irak als auch in Afghanistan übernommen haben. Auch die modernste Kriegstechnik kann Frieden und Sicherheit nicht erzwingen. Insbesondere vermag sie nichts gegen eine Bevölkerung auszurichten, die keinerlei Perspektive für das eigene Leben hat und infolgedessen auch Widerstand unter Verlust des eigenen Lebens zu leisten bereit ist. Derlei Opferbereitschaft ist natürlich von den Söldnern der imperialistischen Mächte nicht zu erwarten. Deren Mut sinkt in dem Maße, in dem sie – trotz Schutzwesten und modernster Waffentechnik – auch selbst ein Lebensrisiko eingehen müssen.
Der Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre zeigt uns die Hybris einer militärischen Supermacht, die – moralisch diskreditiert – inzwischen auch ökonomisch auf mehr als wackligen Füßen steht. Nichtsdestoweniger scheint ein weiterer Golfkrieg, dieses Mal wieder ein direkter Angriff gegen den Iran, nicht ausgeschlossen. Ein andauerndes Propaganda-Trommelfeuer wegen angeblicher nuklearer Ambitionen des Iran soll die Weltöffentlichkeit darauf einstimmen, daß ein "Präventivschlag" irgendwann unumgänglich sein könnte. Der – im Vorgriff auf die von ihm erhoffte Friedenspolitik schon mal mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete – US-Präsident Barak Obama scheint wenig Interesse an einem weiteren militärischen Abenteuer zu haben. Aber wer hat denn in den USA die Macht wirklich in den Händen? Und im Zweifelsfalle wird auch für Obama die Chance auf eine zweite Amtszeit wichtiger sein als die von ihm versprochene Friedenspolitik.
Dieter Popp ist Vorsitzender der Initiativgruppe Kundschafter des Friedens fordern Recht – IKF e.V., siehe www.kundschafter-frieden.de.
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