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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vor 19 Jahren: Die letzten Aufzeichnungen Erich Honeckers

RA Dr. Friedrich Wolff, Stolzenhagen und Berlin

 

Margot Honecker hat die Zeit für gekommen angesehen, das Prozesstagebuch ihres verstorbenen Mannes zur Veröffentlichung freizugeben. Es ist ein Zeitdokument von hohem Wert, wenn man sich auch keine Offenbarungen von dem Mann erwarten darf, der unschuldig als Todkranker in demselben Gefängnis saß, in das ihn die Nazis schon eingesperrt hatten, bevor sie ihn zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilten. Das sagt eigentlich schon alles über die Bundesrepublik Deutschland aus.

Die Aufzeichnungen vermitteln ein neues Bild des Menschen Honecker. Er war bisher als der erste Mann der DDR bekannt, ein Mann von straffer, aufrechter Haltung, jetzt lernt der Leser den Ehemann, den Vater, den Großvater, den Angeklagten, den Sterbenden kennen. Er begreift deutlicher, so kann die Justiz, die Politik nicht mit Menschen, auch nicht mit ihren Feinden, umgehen. Das entspricht nicht den Anforderungen, denen ein Staat, der sich als Rechtsstaat ausgibt, entsprechen muss. Wenigstens fünfzig Professoren, darunter die renommiertesten Vertreter ihres Faches, haben öffentlich erklärt, dass die Schüsse an der Mauer nicht strafbar waren. Je nach ihrem Spezialfach hatten sie unterschiedliche Argumente, jedes für sich hätte eine Verurteilung verhindern müssen. Die Richter übergingen jedoch alles, was die Professoren gesagt und geschrieben hatten. Ein einmaliger Vorgang. Das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes wurde ebenso missachtet wie die Bestimmungen der Verjährung, der Schutz der Immunität, das Gebot des fairen Verfahrens nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Verletzung der Unschuldsvermutung und die Rechtsprechung zur Selbstgefährdung. Alle diese Argumente, die von den Professoren mit Nachdruck vorgetragen wurden, hat die freie unabhängige Presse einmütig unbeachtet gelassen. In einer Diktatur hätte nicht wirksamer die Wahrheit verschwiegen werden können.

Alle deutschen Gerichte ließen, wie gesagt, die fundierten Ausführungen der Professoren unbeachtet. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hielt die Schüsse an der Mauer gleichfalls für strafbar. Doch anders als die deutschen Richter hielt er das Rückwirkungsverbot aufrecht. Er erklärte die Taten nach dem Strafrecht der DDR für strafbar. Das hatte kein deutscher Richter so gesehen, das konnte man wohl auch nicht so sehen. Das war kein fairer Prozess, keine Rechtsfindung, das war politische Justiz in Aktion.

Erich Honecker verstand das Verfahren gegen ihn als politischen Schlag gegen die DDR und damit gegen den Sozialismus. Immer wieder betonte er, angefangen vom 7. August 1992 bis zur Abgabe seiner persönlichen Erklärung am 3. Dezember 1992, "diese Schlacht muss noch geschlagen werden" und "solange ich lebe, werde ich mich offensiv verteidigen" (S. 31) und "das sehe ich als meine letzte Aufgabe an" (S. 56). Am 15. September 1992 schrieb Honecker für seine Frau: "Du hast recht, unsere Verantwortung ist groß. Deshalb ist es wichtig, dass ich den Prozess durchstehe. Nicht meinetwegen, sondern wegen der Sache, wegen der sozialistischen Idee. Das bin ich den Genossen schuldig, die jahrzehntelang für den Sozialismus gekämpft haben." (S. 111). Ich weiß nicht, ob es heute, gleich in welcher Partei, noch andere Politiker gibt, die so bis zum Letzten für ihre Sache einstehen. Honecker hat das, vom Tod gekennzeichnet, in seiner persönlichen Erklärung getan, nachzulesen auf den Seiten 146-168. Das müsste eigentlich Respekt verdienen, selbst von seinen Gegnern.

Sicher, eine tiefgründige Analyse des Scheiterns des europäischen Sozialismus ist in den Aufzeichnungen nicht enthalten, dazu waren die Umstände ihrer Niederschrift auch nicht im Geringsten angetan. Doch einzelne niedergeworfene Bemerkungen lassen die Auffassung des Politikers erkennen. Da ist die Bezeichnung Gorbatschows als Verräter (S. 36), aber auch die Äußerung: "In den ersten zwei Jahren haben wir sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet" (S. 93). Schabowski und Krolikowski nennt Honecker gleichfalls Verräter (S. 43), ebenso Schürer (S. 131). Dann die tiefe Enttäuschung des Staatsmannes: "Ich sage Ruhm und Ehre den Befreiern Europas aus faschistischer Barbarei. Ohne die Sowjetvölker und ihre Rote Armee, ohne Stalin wäre die Welt in der Tyrannei der Hitlerbande zugrunde gegangen. Das ist das eine, das andere ist der Umgang mit uns" (S. 120). Wenige Zeilen später: "Ich fürchte, dass Du meine Schrift nicht lesen kannst, deshalb für heute Schluss." Honecker war, als er die Aufzeichnungen niederschrieb, stets am Rande seiner Kräfte. Das muss der Leser immer berücksichtigen.

Von eigenen Fehlern ist bei der Betrachtung der Vergangenheit wenig die Rede. Die Entlassung Konrad Naumanns aus dem Politbüro bezeichnete Erich Honecker als einen solchen und fügte noch hinzu, "jedenfalls wäre er besser als Krenz gewesen" (S. 39). Zweifelnd meinte er: "Von heute betrachtet, wäre es vielleicht besser gewesen, kämpfend unterzugehen" (S. 43). Damals hat sich der Generalsekretär jedenfalls entschieden, nicht zu den Waffen zu greifen. Allein das zählt. Später, am 26. Oktober, sieht er die Situation der Sozialisten in den Neuen Bundesländern so: "Jetzt fehlt die Partei – sie ist nicht mehr da. Ja, es sind Tausende da, mehr als die Partei Lenins 1917 Mitglieder zählte. Es fehlt ihnen aber der Kopf, es fehlen Köpfe. Leider ist ein solcher nicht in der DDR geboren worden, meine Schuld, unsere Schuld" (S. 130).

Die Aufzeichnungen lassen auch erkennen, dass Honeckers Wahrnehmung politischer Ereignisse teilweise von Wunschdenken bestimmt war. So die Schilderung der Reaktion der Menschen bei seiner Ankunft in Berlin: "Am Straßenrand stehen Menschen, ich sehe Transparente, rote Fahnen, höre Rufe von Freund und Feind. Die freundlichen Worte überwiegen." Auch sein Urteil über die DDR-freundliche Erinnerung der Jugend (S. 109) gehört wohl hierher.

Biographisches enthalten die Aufzeichnungen auch, den Stolz auf den Vater, der als Bergman Vertrauensmann war, die Äußerungen der Zuneigung zu Kindern und Enkeln (S. 97), die Liebe zu Margot (S. 20) und seine Parteiverbundenheit (S. 79).

Hervorzuheben sind die zahlreichen ausführlichen Anmerkungen. Sie mögen vor allem für diejenigen gedacht sein, die nicht in der DDR gelebt haben und denen Personen sowie Tatsachen erklärungsbedürftig sind. Manches wird sicher auch neu für alte DDR-Bürger sein. Etwa die Diskussion um den Standort des Fernsehturms (S. 12), die Umstände der Nierenerkrankung Honeckers u.a. Schade, dass der Verlag den Verfasser nicht nennt.

Margot Honecker schrieb das Vorwort. Sie schildert, wie es zu den Aufzeichnungen kam, wie die schwere Krankheit die Niederschrift erschwerte, rief die 100.000 Ermittlungsverfahren in Erinnerung, die für ihre Urheber enttäuschend waren, zitierte Gaus und seine Auffassung von der Mauer und sagt: "Ein ungetrübter Blick auf unsere Geschichte, auf die Vergangenheit und auf die Gegenwart sollte nachdenklich machen, Nachdenken befördern, Schlussfolgerungen für Gegenwart und Zukunft liefern."

Der Nachtrag eines wiederum unbekannten Verfassers enthält noch Interessantes über den Flug Honeckers nach seiner Haftentlassung und über das Verhalten der Berliner Justiz danach.

Insgesamt sehr interessant, sehr lesenswert.

 

Im Verlag Edition Ost 2012 erschienen: Erich Honecker, Letzte Aufzeichnungen, 192 Seiten, Fotos/Dokumente, brosch., 12,5 x 21,0 cm, ISBN 978-3-360-01837-3, sofort lieferbar, Preis 14,95 €.

 

 

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