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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Von der Gewerkschaftspolitischen Konferenz in Leipzig

Barbara Borchardt und Jörg Böhm, AG betrieb & gewerkschaft

Psst, weckt die Deutschen nicht!

"Krise – Exportüberschüsse, Kürzungsprogramme in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa – Wo bleibt die gewerkschaftliche Alternative?" Diese und andere Fragen wollten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in und bei der LINKEN am 17. und 18. Juni in Leipzig diskutieren und nach Möglichkeit auch Antworten finden. Mit diesem Thema der 3. Gewerkschaftspolitischen Konferenz der LINKEN wandte sich die BAG dem aktuellsten Thema zu, das die Welt und Europa neben der Atomkatastrophe von Fukushima zur Zeit beschäftigt. Da die Bundesarbeitsgemeinschaft seit Jahren in einem europäischen Netzwerk von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern in Europa zusammenarbeitet, stellten sich interessante Referenten und Gesprächspartner – z.B. aus Griechenland und Spanien – zur Verfügung und trugen somit zu einer gelungenen Veranstaltung auf hohem Niveau bei.

"Psst, weckt die Deutschen nicht", meinte Costas Ysichos aus Griechenland – Mitglied des Politbüros von Synaspismos – ehemals Betriebsrat bei Olympic Airways, im Podiumsgespräch und traf damit den Nerv der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Und er beschrieb, genauso wie Nuria Lozano-Montoya aus Katalonien – stellvertretende Vorsitzende Commissiones Obreras in Barcelona, Vereinigte Linke Alternative Kataloniens, Koordinatorin Netzwerk GewerkschafterInnen der EL – die aktuelle politische Situation in ihren Ländern. Sie räumten mit Falschmeldungen der deutschen Presse und Behauptungen von deutschen Politikern auf, benannten ungeschminkt die Ursachen der Krise in ihren Ländern, die Rolle der europäischen Politik und die Rolle der Bundesregierung in der Europäischen Union. Einig waren sich alle Gesprächspartner darüber, daß in der Europäischen Union die vorherrschende neoliberale Politik weiter verschärft wird, deren Ziel der Abbau von Sozialleistungen und bestehender Standards sei, und daß es keine nationale Lösung für die Probleme geben kann. Darüber hinaus sollen Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge privatisiert, der Politik und somit einer demokratischen Einflußnahme entzogen werden. Einher geht diese Umsetzung mit einer Entsolidarisierung zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und der Erstarkung neofaschistischer Kräfte. Auch und gerade deshalb ist es umso dringender, daß die Gewerkschaften und die Parteien der Europäischen Linken Widerstand organisieren und für ein soziales Europa gemeinsame Alternativen entwickeln müssen. Aber, so das Fazit, hier stehen wir erst am Anfang – das müssen wir gemeinsam ändern.

Die Euro-Krise ist keine klassische Krise

Deutschland war viele Jahre Exportweltmeister und ist seit Jahren Weltmeister im Lohndumping. Niedrige Lohnkosten wurden zum Treibstoff für den Exportmotor. Massive Exportüberschüsse verursachten Handels- und Zahlungsdefizite bei den Importländern. Hinzu kommen nicht ausreichend geprüfte bzw. gefälschte Bilanzen bei der Aufnahme in die Euro-Zone und die faktische Aufwertung der Länderwährungen mit der Einführung des Euro. Seit dem Jahr 2000 sind die Reallöhne in den meisten entwickelten Industrienationen teilweise deutlich gestiegen. Lediglich in Israel, Japan und Deutschland sind sie – einer Übersicht der IAO folgend – gesunken, in Deutschland um 4,5 Prozent.

Nach Ansicht von Michael Schlecht, MdB und gewerkschaftspolitischer Sprecher des Parteivorstandes DIE LINKE, ist die Einkommensentwicklung in Deutschland aber auch sehr unterschiedlich verlaufen. Alle Beschäftigungsbereiche hätten stagnierende oder deutlich sinkende Realeinkommen zu verbuchen, lediglich die Beschäftigten in der Industrie hätten Reallohnsteigerungen von 7,8 Prozent erreicht. Im Ergebnis dieser Lohnpolitik stiegen die Lohnstückkosten in Deutschland in den letzten 10 Jahren lediglich um 6 Prozent, während die Euroländer im Durchschnitt um 27 Prozent zulegten. Welche Bedeutung der Export inzwischen für Deutschland erlangt hat, wird daran deutlich, daß der Anteil des Exports am BIP Anfang der 1990er Jahre noch bei ca. 20 Prozent lag und inzwischen (2010) auf 46 Prozent gestiegen ist. Seit 1993 sind das Exportvolumen und der Exportüberschuß Deutschlands fast stetig gestiegen. Der Exportüberschuß belief sich in der Summe Ende der 90er Jahre auf 90 Mrd. Euro, im letzten Jahrzehnt stieg der Außenhandelsüberschuß in der Summe auf 1,2 Billionen Euro! Angesichts dieser Entwicklung muß doch die Frage erlaubt sein, wo die Ursachen dieser Entwicklung liegen. Allein durch einen Anstieg der Lohnstückkosten um 2% pro Jahr, so Wissenschaftler, könnten die Defizitländer mit ihren bestehenden Lohnstückkosten ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und somit selbstständig aus der Krise kommen. Tragen die betroffenen Länder allein die Verantwortung, oder ist es nicht vielmehr die in der Europäischen Währungsunion (EWU) immer stärker ausgeprägte Politik im Interesse des Großkapitals, der Banken und Konzerne? Denken wir nur an die Reformen der Agenda 2010, die durch die rot-grüne Bundesregierung einschließlich der Hartz-Reformen auf den Weg gebracht worden sind, die den Weg frei gemacht haben für einen nie vorher dagewesenen Niedriglohnsektor. Welche Rolle spielten aber auch Gewerkschaften, die dieser Entwicklung nicht entschieden genug entgegengetreten sind? Die Hartz-Reformen wurden auch von Gewerkschaften nicht intensiv genug bekämpft. Und was sollen die Vorwürfe gegenüber den betroffenen Ländern? Es wird behauptet, diese Länder hätten eine unsolide Haushaltspolitik betrieben – und gerade deshalb müsse man, wie im Frühjahr dieses Jahres geschehen, die Kriterien für den Stabilitätspakt weiter verschärfen. Niemand von der Bundesregierung spricht die Ungleichgewichte in der Eurozone als Ursache der Krise an. Nur deren Beseitigung kann auf Dauer zu einer Stabilität des EURO beitragen. Das wiederum bedeutet Koordination der nationalen Wirtschafts- und Lohnpolitiken innerhalb der EWU.

"Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen!"

So titelte die Bild-Zeitung am 27. Oktober 2010. Deutschland schließt sich trotz eigener Erfahrungen aus der Zeit des Anschlusses der DDR an die BRD de facto dieser Meinung an. Die Arbeit der Treuhand läßt grüßen. Die bewußte Deindustrialisierung der ehemaligen DDR durch die Treuhand endete statt in einem erwarteten Gewinn in Höhe von 1.300 Mrd. DM für die Bundesrepublik Deutschland in einem Verlust in Höhe von 264 Mrd. DM. Entscheidend dafür waren mehrere Faktoren, vor allem die schnelle Währungsunion, die falsche Bewertung der DDR-Betriebe bei ihrem Verkauf – statt des Substanzwertes wurde der Verkehrswert zugrunde gelegt – der Ausschluß ausländischer Investoren und der zeitliche Druck, der beim Verkauf der ehemaligen DDR-Betriebe künstlich erzeugt wurde. Trotz dieser Erfahrungen aus der eigenen Geschichte drängt die Bundesregierung auf schnelle Verkäufe staatlichen Eigentums in Griechenland, wohl wissend, welche negativen Folgen diese hat. Die Verursacher der Krise ziehen keine Lehren aus ihrem verantwortungslosen Handeln und beklagen nun, daß die vermeintlichen Krisenstaaten über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Gleichzeitig wurde Griechenland der Bau bzw. Kauf von deutschen U-Booten durch deutsche Bürgschaften in Milliarden-Höhe ermöglicht. Daß deutsche Banken zwischen 2004 und 2009 jedoch 455 Mrd. Euro in Schrottpapieren und anderen spekulativen Geschäften verbrannt haben, das verschweigt die deutsche Politik weitgehend. Mit den auch von Deutschland befürworteten Maßnahmen droht Europa eine Währungsdiktatur, bei deren Etablierung der Wirtschaftsausschuß des Europäischen Parlaments eine ganz unrühmliche, weil verschärfende Rolle, spielt.

Wege aus der Krise – nur gemeinsam

Die Konferenz hatte zum einen das Ziel, die Ursachen der Krise klar zu benennen, aber auch Wege aus der Krise deutlich herauszuarbeiten. Und – wie kann es anders sein – die Rolle der Gewerkschaften in diesem Prozeß klar zu benennen.

Deutlich wurde, wir müssen einer Entsolidarisierung entgegentreten, dürfen uns nicht weiter auseinanderdividieren lassen. Denn am Ende zahlen wir alle die Zeche. Nein, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, egal in welchem Land, tragen nicht die Verantwortung. Und es hilft uns nicht weiter, mit Fingern auf andere zu zeigen. Die weitere Verschärfung von Gegensätzen zwischen Arm und Reich trifft uns alle. Was geschieht, wenn die Kaufkraft in den Krisenländern weiter sinkt? Welche Auswirkungen wird das auf Deutschland als Exportweltmeister haben? Und sind nicht gerade an dieser Stelle die Gewerkschaften gefragt? Es geht um die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland, um Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte über den eigenen Tellerrand hinaus. Schlußendlich stellt sich auch die Frage, ob der Mindestlohn nicht nur ein Wundpflaster darstellt und es tatsächlich grundlegender Veränderungen bedarf. Veränderungen z.B. der institutionellen Rahmenbedingen innerhalb der Europäischen Union, auf die Sabine Wils, Mitglied des Europaparlamentes, zu Recht aufmerksam machte. Diskutiert wird z.B. über die Notwendigkeit einer europäischen Wirtschaftsregierung, umstritten, auch unter den LINKEN. Sicherlich auch, weil nach wie vor die Kompetenzen und die institutionelle Ausgestaltung noch sehr verschwommen vorhanden sind. Und wie stehen die Gewerkschaften dazu, was bedeutet das für ihre verbrieften Rechte? Wie realistisch ist dieser Weg überhaupt?

Wie steht es mit einer wirtschaftspolitischen Koordinierung? Einer verstärkten Zusammenarbeit der Sozialpartner auf europäischer Ebene? Und lassen sich dadurch die Diskussionen über eine notwendige Lohnentwicklung wirklich lösen? Wo liegen eigentlich die Interessen der nationalen Tarifparteien?

Die Frage des politischen Streiks in Deutschland gehört zweifelsohne dazu, wurde in Leipzig aber nicht explizit im Plenum thematisiert.

Oder wie ist das mit der Einführung der Schuldenbremse in der EWU? Reicht es überhaupt aus, allein auf eine fiskalische Anpassung zu setzen? Werden nicht gerade dadurch die Ungleichgewichte in den einzelnen Ländern noch weiter verschärft?

Fazit

Ja, wir geben es zu, die Konferenz hat nicht auf alle anstehenden Fragen Antworten finden können. Aber die anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben viel Faktenwissen mit nach Hause nehmen können, das es ihnen ermöglicht, gegen den gesellschaftlichen Mainstream vorzugehen. Sie sind sensibilisiert worden als Mitglied der Gewerkschaft, als Betriebsrat über den eigenen Tellerrand hinwegzuschauen und in den Einzelgewerkschaften dafür zu streiten, daß die notwendige Diskussion über die Ursachen der Krise und möglicher Initiativen auch hier verstärkt erfolgt.

Vielleicht hat diese Konferenz auch dazu beigetragen, daß Deutschland wacher wird, sich der Widerstand gegen die neoliberale Politik in der Europäischen Union verstärkt. Und für DIE LINKE? Es war richtig, gegen den Vertrag von Lissabon gestimmt zu haben. Unsere Kritik muß aber verstärkt verbunden werden mit der Entwicklung von Alternativen, sowohl mit den Parteien in der europäischen LINKEN, den außerparlamentarischen Kräften wie Attac, als auch den Gewerkschaften. Wer, wenn nicht wir, sollte die Rolle der Bundesregierung in diesem Prozeß deutlich benennen.

Die Linken in Europa, das haben unsere Gäste deutlich gemacht, erwarten von uns viel und verbinden damit große Hoffnungen für ein anderes solidarisches Europa.

Wir sollten sie nicht enttäuschen.

B&G-LändersprecherInnen-Treffen thematisiert die Situation in der Partei

Fast nicht mehr erwartet, wurde die aktuelle Situation in der LINKEN dann doch noch am Sonntag auf dem Treffen der LandessprecherInnen der BAG thematisiert und – obwohl auch unterschiedlichen Strömungen angehörend – von allen GewerkschafterInnen und Mitgliedern der LINKEN als kritisch bewertet. Die linken GewerkschafterInnen sahen es u.a. als destruktiv an, sich wie Dietmar Bartsch gegenüber den Mitgliedern aus der ehemaligen WASG zu äußern. Solcherlei Äußerungen provozierten die Frage nach dem Grund und der Zielrichtung solcher Äußerungen. Der BundessprecherInnenrat wurde beauftragt, einen Gedankenaustausch mit Dietmar Bartsch herbeizuführen und die Bundesarbeitsgemeinschaft über das Ergebnis zu informieren.

Auf dem nächsten Bundestreffen, das am 10./11. September in Würzburg stattfindet, wird diese Diskussion ebenso fortgeführt wie die Beratung zur Programmdebatte und zu möglichen Satzungsänderungen.

Barbara Borchardt ist Mitglied des BundessprechInnenrats der AG betrieb&gewerkschaft und Jörg Böhm Landesprecher der AG in Mecklenburg-Vorpommern. Mehr Informationen zur Arbeit der BAG, zu Bundestreffen, Konferenzen und zu anderen gewerkschaftlichen Themen unter www.betriebundgewerkschaft.de