Von den Zuständen in griechischen Kinderkrankenhäusern und "vaterlandslosen Gesellen"
Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der LINKEN
Vom 8. bis 10. Oktober dieses Jahres besuchte Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der LINKEN, auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Athen. Der Besuch anlässlich der Einweihung des Athener RLS-Büros geriet angesichts des gleichzeitigen Besuchs von Kanzlerin Merkel zur medialen Großauseinandersetzung. Bernd Riexinger nutzte in Athen die Gelegenheit, sich über die sozialen Zustände vor Ort zu informieren und mit den Protesten der Gewerkschaften und unserer Partnerpartei SYRIZA gegen die Merkelsche Krisenpolitik zu solidarisieren. - Wir dokumentieren hier den ersten Teil der Rede von Bernd Riexinger auf dem Landesparteitag der LINKEN. Berlin am 20. Oktober 2012:
Guten Morgen, liebe Genossinnen und Genossen, vielen Dank für die Einladung. Vielen Dank auch für die solidarischen Worte zu meinem Griechenland-Besuch. Lasst mich deshalb auch kurz damit beginnen. Mein Besuch in Griechenland hat deutlich gezeigt, dass die Politik der europäischen Krisenlösung von Merkel und anderen jämmerlich gescheitert ist. Es waren zum Teil auch erschreckende Bilder, die ich in Griechenland sehen musste.
Wir waren zum Beispiel in einem Kinderkrankenhaus, wo sich Frau Merkel niemals hingetraut hätte. Dort haben uns die Beschäftigten erzählt, wie es ihnen inzwischen geht. Eine ausgebildete Kinderkrankenschwester verdient dort nach den diversen Lohn- und Gehaltssenkungen von über 40 Prozent gerade einmal noch 750 Euro bei einem ähnlichen Preisniveau wie wir es hier in Deutschland kennen. Kein Mensch kann davon leben. Wir haben dort erfahren, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht. Die gesetzlichen Krankenkassen, bei einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent, können sich nicht mehr finanzieren. Das Kinderkrankenhaus kann seinen Betrieb nicht mehr aufrechterhalten. Die Beschäftigten haben uns erzählt, dass bei 3.000 Beschäftigten 800 Personalstellen abgebaut wurden und gleichzeitig die Patientenzahl um 70 Prozent zugenommen hat, weil nämlich der übrige Teil des medizinischen Versorgungssystems zusammenbricht. Was mich noch mehr erschreckt hat: Ein Kinderpsychologe hat gesagt, die Zahl von Depressionen und Selbstmorden bei Kindern und Jugendlichen nimmt dramatisch zu.
Die Situation in Griechenland kann man gut mit "einer Mischung aus Verzweiflung und Wut" beschreiben. Inzwischen sind die Menschen verzweifelt, weil sie ihren Lebensalltag nicht mehr organisiert bekommen, weil sie alle Kraft brauchen, um unter diesen Bedingungen überhaupt zu überleben. Sie haben gleichzeitig eine Wut auf die Politik der Troika, die ihnen das zugemutet hat. Ich muss ganz ehrlich sagen: Eine Politik, die solche Zustände erzeugt, die verursacht, dass 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind, dass Krebspatienten sterben müssen, weil sie die nötigen Medikamente nicht mehr finanziert bekommen, eine Politik, in der Jugendliche depressiv werden, eine Politik, in der die Schere von Arm und Reich immer mehr auseinandergeht, eine solche Politik ist gescheitert, und eine solche Politik kann niemals als erfolgreich bezeichnet werden.
Deshalb bleibt DIE LINKE dabei: Wir brauchen eine völlig andere Europapolitik, wenn uns nicht erstens der Euro um die Ohren fliegen soll und zweitens die sozialen Verhältnisse in Europa nicht noch schlimmer werden sollen und drittens die europäische Vereinigung nicht auf diesem Weg zerbrechen soll. Es darf doch niemand erwarten, dass ein Europa, in dem solche Zustände herrschen, in dem inzwischen Bilder zu sehen sind, die man eigentlich früher aus der Dritten Welt gekannt hat, dass ein solches Europa für die Menschen attraktiv ist.
Deswegen stellt DIE LINKE auch im Bundestagswahlkampf ihre Alternativen klar in den Vordergrund. Wir wollen nicht, dass in Europa Rentnerinnen und Rentner, Beschäftigte und Erwerbslose für die Kosten der Krise bezahlen müssen.Wir wollen, dass diejenigen für die Kosten der Krise zahlen, die sie verursacht haben, dass also endlich Reiche und Vermögende zur Kasse gebeten werden. Wir sind für eine Vermögensabgabe - für eine Vermögenssteuer jetzt und für eine europäische Vermögensabgabe.
Klaus Lederer hat es angesprochen - ich glaube, es ist besonders wichtig, dass wir ein solches europäisches Projekt, eine europäische Vision haben. Die SYRIZA-Genossinnen und -Genossen haben uns erzählt, dass sie jetzt zwar stärkste Partei sind, aber dass die soziale Polarisierung auch dazu führt, dass rechtsnationalistische, rechtsradikale Kräfte dort Zulauf bekommen. Genau mit diesen nationalistischen Ansätzen wird ja auch gespielt: hier von CSU-Kräften und in anderen Ländern wird so getan, als ob es sich um eine Auseinandersetzung zwischen griechischer Bevölkerung und deutscher Bevölkerung handelte oder zwischen Italienern und Spaniern. Nein, liebe Genossinnen und Genossen, wir als LINKE müssen deutlich machen, dass es nicht eine Auseinandersetzung zwischen Griechen und Deutschen, Spaniern und Deutschen oder Italienern ist. Wir erleben eine Auseinandersetzung zwischen oben und unten. Deshalb brauchen wir Projekte und Forderungen, die die Gemeinsamkeit, die Solidarität von unten darstellen.
Ebenso muss endlich Schluss damit sein, dass die Europäische Zentralbank an die Banken billige Kredite gibt zu 0,75 Prozent und diese dann an die Schuldnerländer zu sieben oder acht Prozent weitergeben. Jeder weiß, dass die Schuldnerländer aus dieser Zinsfalle niemals herauskommen können, weil man das nur durch Wirtschaftswachstum unterlegen kann. Wirtschaftswachstum ist mit sinkenden Löhnen und sinkenden Renten und der Verramschung des öffentlichen Eigentums nicht herzustellen. Das muss im Übrigen auch endlich mal Herr Steinbrück begreifen. Wir unterstützen die Forderung der Europäischen Linken, die sagt: Diese Kredite müssen zu günstigen Zinsen direkt an die Schuldnerländer gegeben werden. Wir müssen nicht die Banken füttern, sondern wir müssen den Menschen in Europa helfen. Das ist Ziel linker Politik.
Ich war schon etwas erschrocken und war es ja auch vorher nicht so gewöhnt, wie manche Reaktionen in der Öffentlichkeit ausgefallen sind. Da war ja nicht nur vom "vaterlandslosen Gesellen" die Rede, in der BZ fand sich zum Beispiel die Überschrift "LINKEN-Chef demonstriert mit griechischem Mob". Dann wurden noch Bilder von Hakenkreuzfahnen hineingeschnitten. Man könnte meinen, das sei eine Bestätigung für uns. Aber man muss auch ein bisschen Sorgen bekommen, was heute schon wieder möglich ist, wie mit solchen nationalchauvinistischen Sätzen auf der ersten Seite von Zeitungen gearbeitet wird. Wir müssen deshalb auch dafür sorgen, dass das Verhältnis wieder klargerückt wird und deutlich wird, dass DIE LINKE für ein Europa der internationalen Solidarität steht und jede nationalchauvinistische Tendenz radikal ablehnt. (…)
Weitere Informationen: "Athen 2012 - Krise und Aufbruch. Eindrücke von einem Besuch der Solidarität", Artikel in der aktuellen "Disput"-Ausgabe, Oktober 2012. "Bernd Riexingers nicht gehaltene Rede" in "neues deutschland", 10. Oktober 2012.