Von Damaskus nach Lichtenberg
Rim Farha
Von Damaskus nach Lichtenberg
Von Rim Farha
Neun Jahre war ich alt. Angst vor wirklich Gefährlichem ist einem da noch fremd. Zum Leidwesen meiner Mutter kletterte ich auf Bäume, um den Anflug der israelischen Militärmaschinen auf Damaskus möglichst früh zu erblicken. 1967 war das. Meine erste Begegnung mit dem Krieg. Es blieb nicht die einzige. Im Februar 2003 war ich im Irak. Noch hatte die US-Aggression nicht begonnen. Und doch war schon Krieg. Grauenhaft die Auswirkungen des Embargos. Die Qualen der Iraker erinnerten mich an das Leid der palästinensischen Flüchtlinge, denen ich immer wieder begegnet war. Ich komme aus einem Teil der Welt, in dem die Menschen besonders geschunden werden. Meist von den Herrschenden im Innern und den Neokolonialisten und Aggressoren des Westens zugleich. Vielleicht wäre ich als syrische Kurdin eine Nationalistin geworden. Doch ich wurde unter Kommunisten groß und später in der DDR und der Sowjetunion sozialisiert. So wurde ich Internationalistin. 1958 gab es die Bestrebungen Nassers, aus Ägypten und Syrien eine Vereinte Arabische Republik zu bilden. Nasser hatte in Ägypten Kommunisten und Islambrüder gleichermaßen abschlachten lassen, und auch in Syrien begann eine außerordentliche Repressionswelle. Ich erinnere mich an meine Großmutter. Wie hat sie gelitten. Meinem Vater rissen die Folterer die Fingernägel aus, meinen Onkel, ein Bluter, schlugen sie. Als er aus dem Gefängnis kam, war er so angeschwollen, daß er einem Ungeheuer glich. Sie holten meine Tanten. Eine kann bis heute nicht darüber reden, was sie mit ihr gemacht haben. All das prägte meine Kindheit. Mir wird bis heute schlecht, wenn ich antikommunistische Sprüche höre. Antikommunismus ist kein arabisches Problem. Nach meinem ersten Besuch in Sachsenhausen konnte ich nicht einmal einen Apfel essen. Mein Vater mußte emigrieren, und so kam ich 1970, gemeinsam mit meinem Bruder in die DDR. Mein Vater hatte Syrien schon 1968 verlassen. In der DDR war Nasser hoch angesehen. Ägypten hatte als erstes Dritteweltland die DDR diplomatisch anerkannt. Nassers Außenpolitik galt als fortschrittlich, denn sie war antiimperialistisch. So mußte ich als Kind schon mit der bitteren Wahrheit umgehen, daß auch die Politik der sozialistischen Länder von teils enormen Widersprüchen geprägt war. Das tat weh und stieß auch ab. Mein Vater selbst hat mir die Zusammenhänge erklärt. Und der hatte das Recht dazu.
Ansonsten wurde ich in der DDR bald heimisch. Zunächst wollte ich nicht in die Schule. Wie sollte ich – ohne die Sprache zu kennen – einfach in eine siebente Klasse gehen und lernen. Meine Lehrer haben die beste Schülerin neben mich gesetzt. Zwei weitere Schüler übernahmen eine Patenschaft. Solidarität und Sprachbegabung halfen mir, sehr schnell Deutsch zu lernen. Ich wurde Pionier, und meinen FDJ-Ausweis habe ich bis heute. Freie Deutsche Jugend – ich war syrische Staatsbürgerin. Die FDJ-Gruppe war aufgefordert, über meine Aufnahme abzustimmen. Einstimmig – so das Resultat. Ich hatte wunderbare Lehrer und gute Freunde. Ausländerfeindlichkeit habe ich nie empfunden. In den letzten Jahren der DDR gab es sehr wohl einigen Rassismus, und plötzlich fanden sich auf Sportplätzen und manchen Jugendclubs auch junge Nazis. Die ökonomische Lage wurde immer schlechter, und die Jugend sah in diesem von zunehmenden Mängeln gekennzeichneten und Probleme verschleiernden Sozialismus keine Perspektive mehr. Auf diesem Boden entwickelten sich wieder Tendenzen, von denen wohl jeder fortschrittliche DDR-Bürger geglaubt hatte, sie seien ein für allemal überwunden. Aber es gab eben nicht nur fortschrittliche DDR-Bürger, obwohl wir uns das leider eingeredet hatten. Vor allem aber gab es den Westen. Dessen ideologischer Einfluß war groß, vor allem, weil er materiell manches zu bieten hatte, was es in der DDR nicht gab. Was der Westen nicht zu bieten hat, wissen wir heute sehr genau.
Zurück zur DDR. Sie wurde meine zweite Heimat. Von 1976 bis 1982 studierte ich in der Sowjetunion. 1975 habe ich geheiratet. 1975 waren die schrecklichen Geschehnisse im Libanon: Sabra und Shatila. Die mit Israel verbündeten christlichen Milizen schlachteten die Palästinenser ab. Wahllos, auch Frauen und Kinder. Die israelischen Truppen nahmen das billigend in Kauf, und auch die syrische Armee schaute zu. Mein ganz großer Wunsch ist es, daß für alle Völker des Nahen Ostens endlich Frieden einkehrt und deshalb engagiere ich mich in der Friedensbewegung. Nach meinem SU-Studium konnten mein Mann und ich uns entscheiden: In der Sowjetunion bleiben, in die DDR zurückkehren oder in ein westliches Land gehen, zum Beispiel nach Schweden. Wir hatten damals zwei Söhne. Für unsere Kinder sahen wir in einem sozialistischen Land die bessere Perspektive. Wir wußten schon damals zu schätzen, was es heißt, in sozialer Sicherheit und in einem friedlichen Staat zu leben. Beides bot die DDR. Beides haben wir verloren. Ich hatte eingangs über meine Familie gesprochen. Von Kind auf habe ich gelernt, daß man kämpfen muß. In den Jahren nach der sogenannten Wende hatte ich eine Menge Probleme. Nach meiner Rückkehr in die DDR hatte ich eine Anstellung in der libyschen Botschaft, und deshalb interessierte sich der Oberstaatsanwalt Mehlis für mich, jener Mehlis, der wegen seines Vorgehens bei der „Aufklärung“ des Hariri-Mordes in Libanon später massiv in die Schlagzeilen geriet. 1995 erhielt ich dann doch die deutsche Staatsbürgerschaft und begann erneut, mich politisch zu engagieren. 1998 wurde ich Mitglied der PDS. Seit 1999 bin ich Bezirksverordnete in Berlin-Lichtenberg und schlage mich – bei allen Meinungsverschiedenheiten – gemeinsam mit meinen Genossen mit den Nazis herum. Im Zusammenhang mit dem Geraer Parteitag kam ich 2002 zu dem Schluß, daß ich in die Kommunistische Plattform gehöre. Ich bin wieder in der so oft geschlagenen, aber doch nie besiegten Familie.