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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Von Crash zu Crash

Dr. Sahra Wagenknecht, MdB, Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE

Von Crash zu Crash

Krisen gehören zum Kapitalismus wie Gewitter zum Hochsommer. Auch wahnwitzige Spekulationsblasen sind nichts Neues, wie die Tulpenmanie im 17. Jahrhundert beweist, auf deren Höhepunkt die teuersten Immobilien jener Zeit gegen einzelne Tulpenzwiebeln eingetauscht wurden. Die tieferen Ursachen wirtschaftlicher Krisen liegen in den Widersprüchen der kapitalistischen Akkumulation begründet; hauptsächlich in dem Unvermögen, für die produzierten Warenmassen auch die nötige kaufkräftige Nachfrage zu schaffen. Ihre jeweilige Erscheinungsform ist dagegen meist Ergebnis von Mechanismen auf den Finanzmärkten, wobei diese Mechanismen Krisen sowohl hinauszögern oder verlagern als auch beschleunigen und verstärken können. Es lohnt sich daher, die Funktionsweise moderner Finanzmärkte zu analysieren, wenn man Formen, Ausmaß und Wirkung von Wirtschaftskrisen begreifen will.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es eine kurze Zeitspanne, in der Finanzmärkte streng reguliert, die Macht der Konzerne und Banken eingedämmt, die Arbeitslosigkeit gering und die Organisationen der Arbeiterschaft relativ stark waren. Doch spätestens mit Beginn der achtziger Jahre hat dieses »goldene Zeitalter« ein Ende gefunden und Finanzkrisen nehmen an Häufigkeit und Schwere wieder zu. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Krisen der letzten Jahrzehnte gegeben werden mit dem Ziel, die künftige Entwicklung besser einschätzen zu können. Ist die aktuelle Krise vorbei, wurden die Lektionen gelernt und die richtigen Konsequenzen gezogen, so dass sich Vergleichbares nicht wiederholen kann? Oder ist der nächste große Crash nur eine Frage der Zeit?

Schuldenkrise und verlorenes Jahrzehnt

Der seit Gründung der OPEC sprudelnde Ölreichtum, der nach gewinnbringender Anlage suchte und ihn in den siebziger Jahren in den kapitalistischen Zentren nicht fand, führte dazu, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer in jener Zeit mit billigen Krediten geradezu überschüttet wurden. Die abrupte Wende hin zur Hochzinspolitik in den USA setzte diesem Kreditboom ein Ende, von Mitte 1982 bis Ende 1984 erklärten 66 Entwicklungsländer ihre Zahlungsunfähigkeit. Dies wiederum brachte das westliche Bankensystem in Bedrängnis und es kam zu hektischen Verhandlungen unter dem Dach des Internationalen Währungsfonds. Dieser vergab vermeintliche »Hilfskredite« an überschuldeten Staaten, sofern diese sich im Gegenzug zu drastischen Kürzungsprogrammen und Privatisierungen verpflichteten. Das Ergebnis war ein verlorenes Jahrzehnt für Millionen Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien, die für die Rettung des westlichen Bankensektors teuer bezahlen mussten: So lagen die durchschnittlichen Reallöhne in Lateinamerika noch Mitte der neunziger Jahre etwa 40 Prozent unter dem Niveau von 1980, in Afrika fiel das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bis 1990 auf das Niveau der frühen sechziger Jahre zurück.

Krise der Savings und Loans

Zwar gelang es dank IWF und Weltbank und einer geschickten Strategie des »Teile und herrsche«, die Folgen der internationalen Verschuldungskrise zum großen Teil auf die Entwicklungsländer abzuwälzen, doch erste Erschütterungen machten sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auch in den kapitalistischen Zentren bemerkbar. Nachdem 1982 zahlreiche Regeln und Investitionsbeschränkungen für US-amerikanische Sparkassen aufgehoben wurden, kam es zu einem regelrechten Kreditboom und wenige Jahre später zu einer Bankenkrise: Zwischen 1985 und 1989 brachen über 1000 Sparkassen (Savings und Loans) zusammen und mussten mit Steuergeldern in Höhe von etwa 125 Mrd. US-Dollar gerettet werden, was die US-amerikanischen Haushaltsdefizite und die Verschuldung in die Höhe trieb.

Big bang und Crash

Im Oktober 1986 versuchte Margret Thatcher, den Londoner Finanzplatz durch eine großangelegte Deregulierungswelle (sog. »big bang«) als führenden Weltfinanzplatz zu etablieren. Auch hier folgte dem Abbau von Regelungen zunächst ein Boom und dann ein Absturz: Am 19. Oktober 1987 verlor der US-amerikanische Aktienindex Dow Jones innerhalb eines Tages fast ein Viertel seines Wertes; eine halbe Billion Dollar löste sich in nur wenigen Stunden in Luft auf. Die in dieser Krise hervortretenden Merkmale moderner Finanzmärkte haben bis heute nichts von ihrer Gefährlichkeit verloren, im Gegenteil: Die enorme Beschleunigung des Handels durch computergestützte Automatisierung, der massenhafte Einsatz neuer Finanzinstrumente (Derivate), mit denen sich eine größere Hebelwirkung erzielen lässt, die durch das Internet erleichterte Internationalisierung des Handels und die Konzentration des Handelsvolumens auf wenige institutionelle Anleger und Megabanken, die jeweils ein Billionenvermögen verwalten, haben die Finanzmärkte in ein Pulverfass verwandelt, das schon bei geringen Anlässen zu explodieren vermag.

Von der japanischen Bankenkrise …

Wie langwierig und teuer Bankenkrisen sein können, zeigt die Entwicklung in Japan. Dort platzte zu Beginn der neunziger Jahre eine Immobilienpreisblase und die japanischen Banken blieben auf einem Berg von Schulden sitzen. Mitte der neunziger Jahre glitt Japan in eine Deflationsspirale, aus der es sich bis heute kaum befreien konnte und die das Land teuer zu stehen kam. 1998 entschloss sich die japanische Regierung, das Bankensystem mit Steuergeldern im Umfang von 60 Billionen Yen zu rekapitalisieren. Zusammen mit der Auflage immer neuer Konjunkturprogramme führte dies zu einem enormen Anstieg der Staatsverschuldung, die im letzten Jahr die Grenze von einer Billiarde Yen (ca. 7,2 Billionen Euro) überstieg. In diesem Jahr liegt die japanische Schuldenquote bei einem Rekordwert von 244 Prozent des BIP, eine Situation, die schon längst in den Staatsbankrott geführt hätte, wenn nicht 96 Prozent der Schuldtitel zu geringen Zinssätzen von einheimischen Akteuren (Pensionsfonds, Versicherungen, Privatpersonen) gehalten würden.

… zur Asienkrise 1997/98

Seit jeher reagieren Zentralbanken auf eine Finanzkrise mit einer lockeren Geldpolitik. Dies schafft kurzfristig Abhilfe, führt mittelfristig jedoch zu neuen Spekulationsblasen. So trug die Niedrigzinspolitik der japanischen Zentralbank zu einem Kreditboom in den südostasiatischen Schwellenländern (Südkorea, Malaysia, Indonesien, Philippinen u.a.) bei, die ab 1993 enorme Kapitalzuflüsse verbuchen konnten. 1997 war der Boom vorbei, es kam zu einer massiven Kapitalflucht ausländische Anleger aus sämtlichen »emerging markets.« Die Wechselkurse stürzten ab (im Fall Indonesiens um 80 Prozent), was die einheimische Verschuldung explodieren ließ. Eine schwere Bankenkrise sowie ein rasanter Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut war die Folge. Dabei blieb die Krise nicht auf Asien beschränkt: 1998 wurden auch Brasilien und Russland von ihr erfasst. Vergleichsweise glimpflich kam Malaysia durch die Krise, wo man sich einem »Rettungsprogramm« des IWF verweigerte und stattdessen strikte Kapitalverkehrskontrollen einführte. Vergleichsweise schwer traf es hingegen Argentinien, wo man sich bis zum endgültigen Absturz 2002 besonders stark an den Ratschlägen der neoliberalen Finanzinstitutionen orientiert hatte.

… zur Krise am neuen Markt

Zu Beginn des neuen Jahrtausends schlug die Krise dann wieder in den kapitalistischen Zentren zu. So floss das überschüssige Kapital, das Ende der neunziger Jahre aus den »emerging markets« abgezogen wurde, in die Industrieländer zurück und trug dort zu einem Fusions- und Übernahmefieber sowie zu einem Boom des »Neuen Markts« der jungen Internet-, Multimedia- und Biotechfirmen bei. Die Aktienmärkte in den USA und Europa erreichten immer neue Höchststände, doch schon im Jahr 2000 platzte die Technologieblase und bis 2003 verlor der Deutsche Aktienindex drei Viertel seines Wertes. Viele Kleinanleger, die sich vom Aktienhype hatten verleiten lassen, büßten einen Großteil ihrer Ersparnisse ein.

Weltwirtschafts- und Eurokrise

Die Zentralbanken Europas und der USA reagierten auf den Börsencrash mit einer Niedrigzinspolitik, um die Konjunktur wieder anzukurbeln. Dies trug zu einer neuen Preisblase bei, diesmal am US-amerikanischen Immobilienmarkt. Als sich zeigte, dass immer mehr KreditnehmerInnen ihre Hypotheken aufgrund gestiegener Zinssätze nicht mehr bedienen konnten, platzte die Blase. Die Immobilienpreise verfielen, es kam zu Millionen Zwangsvollstreckungen, Unmengen als sicher geglaubte Wertpapiere verwandelten sich in finanziellen Giftmüll, der die Bilanzen der Banken in den USA und Europa ruinierte. Einen Höhepunkt der Krise markiert die Pleite der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008, welche wiederum den Versicherungsriesen AIG und weitere Banken und Hedgefonds ins Wanken brachte. Im April 2009 schätzte der IWF die weltweiten Wertpapierverluste infolge der Krise auf vier Billionen US-Dollar und es stellte sich die Frage, wer diese Verluste am Ende würde verbuchen müssen. An dieser Stelle kamen die Staaten ins Spiel, die – auf Druck der Großbanken und Vermögensbesitzer – Billionen Euro an Steuergeldern mobilisierten: Allein die EU-Kommission genehmigte zwischen Herbst 2008 und 2012 über 5 Billionen Euro an staatlichen Beihilfen für den Finanzsektor. Auch zur Stützung der Konjunktur wurden weltweit enorme Summen an Steuergeldern ausgegeben, was immerhin dazu beitrug, dass ein völliger Absturz der Weltwirtschaft vermieden werden konnte. Die Kehrseite dieser Politik lag im starken Anstieg der Staatsverschuldung und so kam es insbesondere in Europa ab 2010 zu einer neuen Krisenetappe, bei der nicht länger die überschuldeten Banken, sondern überschuldete Staaten im Mittelpunkt standen. Die Krise legte grundlegende Konstruktionsfehler der Eurozone offen und Anleger begannen, ganz offen auf einen Euro-Austritt Griechenlands, Portugals und anderer Länder zu spekulieren.

Lektionen gelernt?

Glaubt man Bundeskanzlerin Merkel, so ist die Banken- und Eurokrise dank kluger Regulierung weitgehend überwunden. Fakt ist, dass ein Zerreißen der Eurozone zwar durch die Europäischen Zentralbank abgewendet wurde, die im Sommer 2012 erklärte, im Ernstfall die Rolle als »lender of last resort« für die Eurozone wahrzunehmen (welche die EU-Verträge nicht vorgesehen hatten). Die Rettung des europäischen Bankensystems und des Euro war für die Krisenländer allerdings mit immensen sozialen Kosten verbunden: Die von der Bundesregierung forcierten Spardiktate haben die Wirtschaft in diesen Ländern abgewürgt, Massenarbeitslosigkeit und Armut produziert und zu mehr statt weniger Schulden geführt. Löhne, Sozialleistungen und Renten wurden gekürzt und wo sich allzu großer Widerstand regte, wurden demokratische und gewerkschaftliche Rechte kurzerhand eingeschränkt. Werden die Spardiktate nicht bald durch echte Hilfs- und Investitionsprogramme ersetzt, wird dieses Jahrzehnt für Südeuropa ein »verlorenes« sein. Nicht ausgeschlossen ist ferner, dass ganz Europa in eine gefährliche Deflationsspirale abgleitet.

Auch von kluger Regulierung der Finanzmärkte kann keine Rede sein, bislang fällt die Regulierung in der EU sogar weit laxer aus als etwa in den USA. Zwar wurden die Eigenkapitalvorschriften für Banken ein wenig angehoben und es wurden Richtlinien erlassen, die die Finanzinstitute zu etwas Risikovorsorge verpflichten und im Krisenfall eine rasche Abwicklung ermöglichen sollen ohne dass allzu viele Steuergelder fließen. Doch dank der mächtigen Finanzlobby wurden all diese Richtlinien mit großen Hintertüren, Schlupflöchern und Ausnahmen ausgestattet. Mit der angestrebten Bankenunion ändert sich lediglich, dass künftig auch die Steuerzahler eines noch zahlungsfähigen Landes für die Rettung der Banken eines nicht mehr zahlungsfähigen Landes zur Kasse gebeten werden können, was ein zweifelhafter Fortschritt ist.

Auch in Zukunft werden große Finanzkonzerne vom Staat immense Rettungsgelder erpressen können, da sie als »too big to fail« gelten. Allen Reformen zum Trotz hat die Macht der großen Finanzkonzerne durch Konzentrationsprozesse sogar weiter zugenommen. In der EU verfügen die 15 größten Banken über Vermögenswerte von durchschnittlich 1,3 Billionen Euro, in sieben Fällen ist die Bilanzsumme der Bank größer als die Wirtschaftsleistung des jeweiligen Heimatlandes. Diese enorme Wirtschaftsmacht der Finanzkonzerne trägt wiederum dazu bei, dass in großem Stil Reichtum von unten nach oben umverteilt wird. Nach einer aktuellen Studie der Schweizer Großbank UBS ist die Zahl der Milliardäre auf ein Rekordhoch von 2325 gestiegen, das Vermögen der Milliardäre soll um 12 Prozent auf 7,3 Billionen US-Dollar zugenommen haben und wuchs damit weit schneller als die Weltwirtschaft. Dabei hätte ein echtes Krisenmanagement am Punkt der Wirtschaftsmacht ansetzen müssen: Großbanken hätten zur Abwicklung riskanter Geschäftsbereiche gezwungen, verkleinert und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden müssen. Durch Rücknahme von Rentenprivatisierungen hätte man der wachsenden Macht von Pensionsfonds und Versicherungskonzernen entgegenwirken können. Um die Krisenkosten zu decken und die Staatsverschuldung wieder auf Vorkrisenniveau zurückzuführen, hätte in ganz Europa eine Vermögensabgabe für Millionäre eingeführt werden müssen, um nur ein paar zentrale Punkte zu nennen. Von einer Regierung, die der Finanzmafia aus der Hand frisst statt sich mit ihr anzulegen, sind derartige Maßnahmen freilich nicht zu erwarten, und so ist die nächste Krise nur eine Frage der Zeit.