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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Vom Ostspion Hitlers zum Chefspion der BRD

Klaus Eichner, Lenzke

 

Wieder ein Jahrestag im "Superjahr 2009"! Diesmal am 8. Juni der 30. Todestag von General Reinhard Gehlen. Für unsere Leser gewiß kein Jubeltag, aber doch Anlaß, sich an die Ursprünge der bundesdeutschen Geheimdienste zu erinnern.

Reinhard Gehlen, Sproß einer Offiziersfamilie und überzeugter Antikommunist, diente seit 1920 in der Reichswehr, nahm 1939 als Erster Generalstabsoffizier einer Infanteriedivision am Überfall auf Polen teil und leitete ab April 1942 die Abteilung "Fremde Heere Ost (FHO)" im Generalstab des Heeres. Dieser Spionagedienst der faschistischen Wehrmacht für die "Ostfront" beschaffte Informationen aus dem Einsatz von Agenten, aus erbeuteten Dokumenten und aus den menschenunwürdigen "Befragungen" von Kriegsgefangenen.

In den Nürnberger Prozessen wurde vom Internationalen Militärtribunal bewiesen, daß die Abteilung FHO in Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen verwickelt und am Tod unzähliger Gefangener direkt und indirekt beteiligt, also mitschuldig an faschistischen Kriegsverbrechen war. [Vgl. Eichner/Schramm (Hrsg.): Angriff und Abwehr – Die deutschen Geheimdienste nach 1945; edition ost, 2007, S. 46.] Die Abteilung FHO warb Agenten unter Kollaborateuren in den besetzten Gebieten und setzte Agenten hinter den Frontlinien ein. Damit verfügte Gehlen mit dem Kriegsende 1945 über eines der umfangreichsten Archive über die Sowjetunion und speziell über die Rote Armee.

Wurzeln der "Demokratie"

Seinen engsten Vertrauten im Führungsstab der FHO hatte Gehlen bereits im Oktober 1944 eingeschärft, daß der Krieg mit einer Niederlage enden werde, und man an die Zukunft denken müsse.

Dazu Gehlen: "Hieraus ergab sich, so aussichtslos und widersinnig dies im Frühjahr 1945 auch erschien, daß der Versuch gemacht werden müsse – wenn möglich ohne wesentliche Unterbrechung –, den Kern für einen neuen deutschen Nachrichtendienst zu schaffen. … Die Personallage würde es gestatten, wenn man sofort nach Kriegsende anknüpfen konnte, einen entsprechenden Personalstamm aus den bisher verfügbaren Nachrichtenleuten und meinen bewährten Mitarbeitern zusammenzustellen." [R. Gehlen: Der Dienst; Erinnerungen 1942-1971, Mainz und Wiesbaden; v.Hase&Koehler Verlag, 1971, S. 121.]

Gehlen war der Überzeugung: Die Westmächte würden sehr bald ihren sowjetischen Kriegsverbündeten als den "eigentlichen Feind" ausmachen. Dann wären das Fachwissen seiner Offiziere und das gerettete Archiv der FHO nicht mit Gold aufzuwiegen. Die Amerikaner wogen es zwar nicht mit Gold, aber doch einige Zeit später mit erklecklichen Dollar-Summen auf.

Ausgehend von diesen Prämissen sicherte Gehlen mit seinen Offizieren das Archivgut seiner Abteilung und begab sich gezielt in westliche Gefangenschaft. Zu diesem Zeitpunkt wurde Gehlen durch die sowjetische Aufklärung gesucht. Sein Schutz durch die westlichen Alliierten widersprach internationalen Abkommen, die festlegten, daß jene faschistischen Führungskräfte, die an "Handlungen im Osten" beteiligt waren, an die Sowjetunion auszuliefern waren. Auf der Potsdamer Konferenz protestierte die Sowjetunion in scharfer Form gegen die sich anbahnende Allianz der USA mit diesem General der faschistischen Wehrmacht.

Gehlen fand unter den Vertretern der amerikanischen militärischen Geheimdienste sehr schnell Interessenten für einen Deal, indem er sein Wissen über die Sowjetunion und seine Erfahrungen als Geheimdienstspezialist für den Osten als preiswerte Nachkriegswährung anbot. Nach einigem Zögern schlossen die Amerikaner mit Gehlen den Pakt gegen den Feind im Osten.

Entscheidende "Geschäftsgrundlage" dieses Deals war der ungebrochene militante Antikommunismus, unter dessen Flagge Gehlens FHO-Offiziere den faschistischen Geheimdienst aufgebaut hatten, ihn nahtlos mit USA-Hilfe in die Org. Gehlen überführten und diese dann unter Adenauer und Globke zum Bundesnachrichtendienst der BRD umwandelten. Sein antikommunistisches Credo postulierte Gehlen in vielfältiger Form in seinen Erinnerungen, so u.a.: "Seit nahezu vier Jahrzehnten habe ich – … – jene Entwicklung verfolgt, die unser Schicksal weitgehend beeinflußt hat und nach meiner Überzeugung auch in Zukunft entscheidend bestimmen wird: Die Wirksamkeit und Ausbreitung des aggressiven Kommunismus, dessen zerstörerischer Kraft sich in erster Linie die sowjetische Weltmacht zur Durchsetzung ihrer Ziele bedient." [R. Gehlen: Verschlußsache; v.Hase&Koehler, 1980, S. 125.]

Dieser Antikommunismus manifestierte sich in späteren Jahren nicht zuletzt in engen Kontakten Gehlens zur rechtsradikalen Szene in der Bundesrepublik. So gab es einen sehr freundschaftlichen und intimen Briefwechsel Gehlens mit dem damaligen DVU-Führer Gerhard Frey; in Freys "Deutsche Nationalzeitung" wurde Gehlen als "langjähriger Berater" genannt. [Vgl. O. Köhler in konkret 11/93, S. 22.]

Welche paranoiden Züge der Antikommunismus Gehlens annahm, zeigt folgender Sachverhalt. In seiner gesamten Amtszeit – als Chef der Org. Gehlen und Präsident des BND – unterhielt Gehlen einen kleinen, auch innerhalb des Dienstes streng abgeschirmten, Stab mit der Aufgabe, die Spuren der "Roten Kapelle" in den Führungsspitzen der BRD aufzufinden. Er war der festen Überzeugung, daß unbekannte Spitzenquellen der "Roten Kapelle" weiterhin in entscheidenden Positionen der Bundesrepublik agierten.

Zu den Wurzeln dieser Paranoia schreibt er z.B. in seinen Memoiren: "In einem längeren Gespräch kamen Canaris und ich zu der Überzeugung, daß die Sowjets in der deutschen obersten Führung über eine gut orientierte Nachrichtenquelle verfügen mußten. Wiederholt stellten wir unabhängig voneinander fest, daß der Feind in kürzester Zeit über Vorgänge und Erwägungen, die auf deutscher Seite an der Spitze angestellt wurden, bis ins einzelne unterrichtet war." [R. Gehlen: Der Dienst; 1971, S. 47.]

Unter den Fittichen der amerikanischen Militär-Geheimdienste und mit ihrer Hilfe konzentrierte Gehlen nach Kriegsende seine FHO-Offiziere in seiner Nähe, warb geheimdiensterfahrene SS- und SD-Angehörige, vor allem aus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA), an und baute ab 1946 erst in Oberursel/Taunus und seit Ende 1947 in Pullach bei München die Organisation Gehlen (meist als ORG bezeichnet) auf. Mit seinem engsten Stab hatte er von August 1945 bis 1. Juli 1946 in den USA im Fort Hunt/Virginia die Führungsspitzen der USA-Geheimdienste von seinem besonderen "Wert" für die aufzubauende Ostspionage der Westmächte überzeugt.

Nach anfänglichem Mißtrauen wurde der Pakt besiegelt. Die Amerikaner hatten sich entschieden, im beginnenden Kalten Krieg und im Kampf gegen ihren bisherigen Verbündeten, die Sowjetunion, die Potenzen eines militärischen Geheimdienstes des bisherigen gemeinsamen Kriegsgegners, des faschistischen Deutschlands, zu nutzen. Dabei dürfte die perspektivische Überlegung von Anfang an eine Rolle gespielt haben, daß der Pate eines zukünftigen Geheimdienstes des neu zu bildenden (west)deutschen Staates dauernde und wirksame Einflußmöglichkeiten auf die Politik dieses Dienstes und damit auch dieses Staates erhalten wird.

Nach den Erinnerungen von Gehlen hatte er in den USA folgende Bedingungen ausgehandelt:

"1. Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potentials geschaffen, die nach Osten aufklärt beziehungsweise die alte Arbeit im gleichen Sinne fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.

2. Diese deutsche Organisation arbeitet nicht ‚für’ oder ‚unter’ den Amerikanern, sondern ‚mit den Amerikanern zusammen’.

3. Die Organisation arbeitet unter ausschließlich deutscher Führung, die ihre Aufgaben von amerikanischer Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine neue deutsche Regierung besteht.

4. Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert, wobei vereinbart wird, daß die Mittel nicht aus den Besatzungskosten genommen werden. Dafür liefert die Organisation alle Aufklärungsergebnisse an die Amerikaner.

5. Sobald wieder eine souveräne deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidung darüber, ob die Arbeit fortgesetzt wird oder nicht. Bis dahin liegt die Betreuung dieser Organisation ... bei den Amerikanern.

6. Sollte die Organisation einmal vor einer Lage stehen, in der das amerikanische und das deutsche Interesse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen." [R. Gehlen: Der Dienst, S. 149 ff.]

"Alte Kameraden" und neuer Imperialismus

Damit hatte Gehlen – bei aller Anlehnung an die Potenzen der amerikanischen Führungsmacht – eine deutlich nationalistische Linie für den Aufbau und das Wirken des bundesdeutschen Auslandsnachrichtendienstes durchgesetzt. Eine politische Grundlage, die bis heute immer wieder auch Ausgangspunkt verschiedenster Widersprüche und Konflikte beim Zusammenwirken des BND mit den amerikanischen "Partnerdiensten" ist.

Am 1. Juli 1949 nahm die CIA offiziell die Organisation Gehlen in ihre Obhut. In der größten Villa des weiträumigen Pullacher Komplexes, dem "Bormann-Haus", etablierte sich ein CIA-Stab, der jahrelang Personal und Aktivitäten der ORG beaufsichtigen wollte und jahrelang von Gehlen und seinen Vertrauten davon abgehalten wurde.

Die Kontroversen, ob und wie weit die Amerikaner eine Kontrolle über die ORG ausüben durften, betrachtete Gehlen weniger als ein nachrichtendienstliches Problem als eine politische Frage des Images des künftigen Geheimdienstes eines souveränen westdeutschen Staates. Für Gehlen war entscheidend, ob er eine Organisation als Geschöpf und Anhängsel amerikanischer Interessen oder einen eigenständigen, unter deutscher (d.h. Gehlens) Führung entstandenen und tätigen Nachrichtendienst einer neuen deutschen Staatsmacht präsentieren konnte. Damit entwickelten sich die Geheimdienst-Beziehungen mit den Vereinigten Staaten immer in einem Spannungsfeld zwischen Zweifeln am gegenseitigen Vertrauen und gleichzeitig einem breiten Spektrum gemeinsamer Interessen.

Aber in der Hauptsache blieb Gehlen gegenüber seinen Paten konsequent: keine Angaben über Personal, Quellen, Operationen. Mit seiner Abschottung der Angaben über den Personalbestand (bereits zu dieser Zeit agierten die Mitarbeiter der ORG prinzipiell, in allen Unterlagen des Dienstes mit einem Dienst-Decknamen) traf er aber auf zwei gegenläufige Interessen der CIA. Sie strebte einerseits eine Kontrolle, zumindest aber einen konkreteren Einblick, über die Personalpolitik der ORG an. Die Gründe dafür lagen jedoch vorrangig in Befürchtungen der CIA über eine dadurch evtl. mögliche kommunistische Unterwanderung der ORG und im geringeren Maße in der Mitarbeit belasteter Nazi- und Kriegsverbrecher. Dieses Personalproblem wird in der Memoirenliteratur leitender BND-Mitarbeiter und in nachträglichen Analysen vom BND abhängiger Historiker immer wieder heruntergespielt. Dabei kann ein objektiver Überblick über die Gründergeneration der ORG, die von ihr zur Bildung anderer Bereiche des bundesdeutschen Geheimdienstsystems (Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst) abgestellten "Altkader" bis hin zu den Agentenführern und Agenten sehr deutlich machen, daß die Anfangszeit der BRD-Geheimdienste maßgeblich und nachhaltig von "bewährten" und hochbelasteten Mitarbeitern des faschistischen Geheimdienst- und Sicherheitsapparates bestimmt wurde. In der Führung der ORG dominierten die Kader von FHO, die sich gern als "saubere Wehrmachtsoffiziere" hinstellten. Parallel dazu stützte sich Gehlen aber auch auf Spezialisten aus dem RSHA, aus der SS und dem SD, auf leitende Gestapo-Beamte und erfahrene Einsatzkader des Amtes Ausland/Abwehr von Admiral Canaris.

Das Prinzip der Hilfe der "alten Kameraden" untereinander ermöglichte auch in den ersten Nachkriegsjahren den Agentenwerbern der ORG die Rekrutierung von Quellen im Osten Deutschlands. In einigen wenigen Fällen gelang Gehlen in dieser Zeit die Werbung von Quellen in verantwortlichen Funktionen der DDR. Die Mehrheit der Quellen konnte jedoch niemals in Positionen gelangen, die zur Beschaffung wertvoller Informationen geeignet waren. Vorwiegend dienten sie der Aufklärung und Kontrolle militärischer Objekte von außen.

Die außenpolitische Funktion seines Apparates hebt Gehlen in seinen Erinnerungen deutlich hervor: "Auch außenpolitische Überlegungen zwangen zu dem Gedanken, den Kern des bisherigen Auslandsnachrichtendienstes zu retten. … In einem Europa, das sich zur Verteidigung gegen den Kommunismus rüstete, konnte auch Deutschland wieder seinen Platz finden. Die zukünftige deutsche Politik würde daher Anlehnung an die westlichen Siegermächte suchen und zwei politische Ziele anstreben, nämlich die Abwehr des kommunistischen Zugriffs und die Wiedervereinigung mit den verloren gegangenen Teilen Deutschlands. … Nachrichtendienstlich mußte bei allen Westmächten, und zwar ziemlich frühzeitig, wenn auch in unterschiedlicher Weise, ein besonderes Interesse an der Nutzung des deutschen nachrichtendienstlichen Potentials für die Ostaufklärung zu erwarten sein." [R. Gehlen: Der Dienst, S. 121 ff.]

Aber Gehlens Interessen gingen sehr früh über die klassische "Ostaufklärung" hinaus. Mit Hilfe alter Verbindungen des faschistischen Deutschlands und durch die geheime Übersiedlung hochbelasteter Nazi- und Kriegsverbrecher in das Ausland baute Gehlen sehr schnell ein effektives Netzwerk von Auslandsstützpunkten auf, die meist Ausgangspunkte der späteren Auslandsresidenturen des BND waren und dem westdeutschen Imperialismus frühzeitig wieder Einflußmöglichkeiten auf Politik, Wirtschaft, Militär und die Geheimdienste strategisch bedeutsamer Länder ermöglichten. Zu seinen Exponenten gehörten z.B. SS-Sturmbannführer Otto Skorzeny in Ägypten und Alois Brunner, die rechte Hand von Eichmann, in Syrien.

Remilitarisierung und der Generalmajor Gehlen

Gehlen war von Anfang an bemüht, die Existenz und das Wirken seiner "Organisation" vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Umso nachhaltiger traf ihn, daß am 17. März 1952 der Londoner Daily Express einen explosiven Artikel von Sefton Delmer, einem britischen Publizisten mit britischer Geheimdienstverbindung, druckte, der die Überschrift trug: «Hitler-General spioniert jetzt für Dollars".

"Achten Sie auf einen Namen, der Schlimmes verheißt", begann Delmer seinen Artikel. "Er steht für den meiner Meinung nach gefährlichsten politischen Sprengstoff im heutigen Westeuropa. Dieser Name lautet Gehlen (...). Vor zehn Jahren war dies der Name eines der fähigsten Stabsoffiziere von Hitler. (...) Heute ist Gehlen der Name einer Geheimorganisation von gewaltiger und zunehmend größerer Macht (...). Während er seine Organisation immer weiter ausbaute, krochen jede Menge frühere Nazis, SS- und SD-Leute (des Himmlerschen Geheimdienstes) in seiner Organisation unter, wo sie vollen Schutz genossen. Heute ist Gehlen der Kopf einer Spionageorganisation, die ihre Agenten in allen Teilen der Erde hat (...). Die Gefahr, die von dieser Organisation ausgeht, liegt in der Zukunft. Denn Gehlens Agentennetz ist schon heute in Deutschland zu einer immensen Untergrund-Macht geworden (...)." [Zitiert nach Mary Ellen Reese, Organisation Gehlen, Der Kalte Krieg und der Aufbau des deutschen Geheimdienstes, 1992, Rowohlt Berlin Verlag GmbH, S. 192.]

Von diesem Artikel fühlte sich Gehlen persönlich tief getroffen. In seinen Memoiren versuchte er zurückzuschlagen: "Zum Teil in gehässiger Weise zusätzlich aufgebauscht, wurden Delmers ‚Enthüllungen’ zum Spielball einzelner sensationsgieriger Journalisten, die sich geprellt fühlten, weil ihrem Spürsinn die Existenz des Dienstes verborgen geblieben war." [Gehlen, Der Dienst, 1971, S. 187.]

Aber der Daily Express war nicht die einzige Schlappe, die Gehlen in der öffentlichen Meinungsbildung einstecken mußte. Auf der Grundlage von Quelleninformationen und mit Hilfe von Überläufern aus der ORG konnten die sowjetischen Geheimdienste und das MfS der DDR bereits Anfang der 50er Jahre in mehreren, kurzfristig aufeinanderfolgenden offensiven Maßnahmen zur Information der Öffentlichkeit über die ORG die Verhaftung hunderter Quellen der Gehlenorganisation verkünden und dabei auch viele interne Details dieses Apparates bekanntmachen. Insbesondere wurden in diesem Zeitraum die konkreten Kriegsvorbereitungen der ORG, u.a. durch die Werbung und Ausbildung von sogenannten E-Fall-Funkern (Funkagenten für den "Ernstfall"), entlarvt. Auf der Grundlage der sichergestellten Beweise sah sich der Hohe Kommissar der UdSSR am 23. September 1954 veranlaßt, in einem Schreiben an den Hohen Kommissar der USA für Deutschland "wirksame Maßnahmen zur Auflösung der Spionage- und Diversionsorganisationen in Westdeutschland und Berlin (West)" und die "Einstellung ihrer verbrecherischen Tätigkeit" zu fordern.

Von Anfang an stand Gehlen unter der Schirmherrschaft des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, Hans Maria Globke, der Adenauers Personalpolitik koordinierte. Globke versicherte Gehlen, daß sein sehnlichster Wunsch, seine Organisation als Bundesbehörde der BRD zu etablieren, Realität würde, sobald die westdeutsche Souveränität es zulasse und die Finanzierung aus Bundesmitteln geregelt sei. 1956 war es dann soweit, die Org. Gehlen wurde am 1. April offiziell Bundesoberbehörde.

Am 28. Januar 1957 berief Bundeskanzler Konrad Adenauer den Generalmajor a. D. der faschistischen Wehrmacht, Reinhard Gehlen, zum ersten Präsidenten des neuen Auslandsgeheimdienstes der BRD, des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Für die Remilitarisierung der Bundesrepublik hatte die Org Gehlen eine herausragende Bedeutung. Zu den 15 Autoren der Himmeroder Denkschrift von 1950 über die Notwendigkeit der Wiederaufrüstung Westdeutschlands und die strategischen Leitlinien einer neuen deutschen Wehrmacht gehörten fünf hochrangige Wehrmachtsoffiziere aus dem Gehlen-Apparat. Gehlen dazu in einem seiner Memoirenbände: "Beim Aufbau der deutschen Streitkräfte in den 50er Jahren wurde meine Konzeption von den höchsten Offizieren der Bundeswehr mitgetragen. Mehrere von ihnen hatten in der ‚Org.’ gearbeitet und sich durch diese Tätigkeit gute Voraussetzungen für die Übernahme wichtiger militärischer Kommandostellen geschaffen."

An gleicher Stelle hebt er seinen Anteil an der Schaffung des "atlantischen Bündnisses" hervor: "Durch die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Siegermacht vom ersten Nachkriegsjahr an sind Voraussetzungen für das spätere Bündnis geschaffen worden, die von ihrer Bedeutung her nicht hoch genug eingeschätzt werden können." [Gehlen: Verschlußsache, 1980, S. 28f.]

Mit seiner Informationspolitik, der gezielten Verbreitung von "Analysen zur Feindlage" trug Gehlen wesentlich zur Verschärfung des Kalten Krieges bei. Aus der Feder seines Chefauswerters, General Adolf Heusinger, stammte z.B. die Aussage, daß 175 kampfbereite Divisionen der Sowjetarmee bereitstünden, um Westeuropa zu überrennen. Solche Einschätzungen lancierte Gehlen bis in die Führungsspitzen der US-Administration und der Bundesregierung.

Für seine "Verdienste" um die Bundesrepublik Deutschland zeichnete Bundespräsident Lübke 1968 anläßlich seines Ausscheidens aus der Funktion des BND-Präsidenten Gehlen mit dem Großen Bundesverdienstkreuz am Schulterband aus.