Verstärkte Angriffe auf die GBM
Prof. Dr. Wolfgang Richter im Interview mit den "Mitteilungen"
"Mitteilungen": Die Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde ist zur Zeit vermehrten Angriffen ausgesetzt. Ordnest Du das in die gegenwärtigen nationalen und internationalen Entwicklungen ein, oder ist das eine eher interne Ostberliner Angelegenheit?
Professor Wolfgang Richter: Beides trifft zu. Der Schauplatz ist vornehmlich Ostberlin, die Gründe liegen tiefer. Anträge in drei BVV – Pankow, Lichtenberg und Treptow/Köpenick – gestellt von SPD, CDU, FDP oder B90/Grüne, der GBM nicht mehr zu erlauben, ihre seit vielen Jahren durchgeführten Rentensprechstunden in Räumen durchzuführen, über die die Bezirksämter verfügen, haben ein erhebliches Presseecho gefunden. In Lichtenberg wurde der Antrag dank der Stärke der Linken abgelehnt, in Treptow/Köpenick angenommen. Offensichtlich in vorauseilender Zustimmung zu einer öffentlichen Wortmeldung des RCDS1, der anläßlich des 17. Juni forderte, daß "die Leugnung der brutalen Freiheitsverweigerung in der DDR – des DDR-Unrechtssystems an sich ebenso – unter Strafe gestellt werden sollte wie die Holocaustlüge", wurden auch noch gleich weltpolitische Begründungen zu Sanktionen der GBM in Beschlüsse von BVV aufgenommen. In Treptow-Köpenick ersucht man das Bezirksamt, nur noch mit grundgesetzkonformen Vereinen zusammenzuarbeiten. Und man setzt noch eins drauf: "Die BVV distanziert sich von Vereinen, Organisationen und Einrichtungen, die Menschenrechtsverletzungen negieren und die Opfer von Willkür verleumden". Das sollen ja wohl nicht wir sein! Die kürzlich eingeworfenen Schaufensterscheiben unserer Geschäftsräume (Schaden 6.000 €), die sich häufenden Drohungen via Internet sind bei weitem nicht nur die einfache Fortsetzung von Kampagnen, die mit dem Buch "Stasiland" absurdeste Lügen über uns verbreiteten und die erst durch unseren Antrag auf einstweilige Verfügung untersagt werden mußten, oder einer Talk-Show mit Anne Will – die ebenfalls ihre Behauptungen über die GBM nicht wiederholen darf. Man greift ungestüm in die Vokabulare des Kalten Krieges. Wir sind auch nicht die einzigen Betroffenen solcher Anwürfe. Ich sehe einmal von fortgesetzten Angriffen auf Die Linke und ihre Politiker ab, die unsere Solidarität haben, und erwähne nur, daß auch der GRH Räume aufgekündigt wurden und nicht nur in Berlin-Lichtenberg, sondern auch in Halle. Zahlreiche Medien haben neue Lügen über uns verbreitet. Es sind eigentlich alte. ISOR ist ebenfalls unter den besonders stark angefeindeten Organisationen.
Nun könnte man sagen, was ist das schon angesichts der finsteren Zeiten, die die Arbeiterbewegung, die Linke, die Marxisten und Kommunisten schon durchleben mußten. Das ist wahr. Doch wenn wir die Argumente und Bedrohungen in die Bewertung einbeziehen, so erinnert vieles gerade an diese finstersten Zeiten. Da ist schon mal "Rot Front verrecke!" dabei. So erhielt die GRH im Zusammenhang mit den jüngsten Philippiken gegen sie eine Mail: "Macht Euch schön öffentlich. Für Eure und Eure linke PDS-SED-Tarnaktion gibt es im Westen genug Laternen". Das erinnert an die zahlreichen bedauernden Äußerungen von Politikern und ihren Adepten daß 1989 kein Blut geflossen ist. Eben dieser Rechtsstaat hätte es heute leichter, wenn man bei der gewaltlosen Revolution ein paar Leute an die Bäume gehängt hätte, so auch der Müchner Professor Christian Meier.
Die GBM war also immer mit im Zentrum der Auseinandersetzungen und damit auch der Angriffe? Vielleicht manchmal noch mehr als andere NGOs.
Das hat natürlich vielerlei Gründe. Der erste ist eher ein philosophisch-politischer. "Bürgerrecht und Menschenwürde" 1991 in den Namen unserer Organisation aufgenommen zu haben, muß als ein ständiger Stachel wider den Alleinvertretungsanspruch der westlichen Werte für alles, was Menschenrechte betrifft, angesehen werden und stellt sie unter Rechtfertigungszwang. Der Sozialismus wurde im Namen der Menschenrechte gestürmt, und nun kommt jemand daher und singt weiter: "Die Internationale erkämpft das Menschenrecht". Das muß natürlich aufhören. Man will angesichts der sich vertiefenden Krisenerscheinungen und Ausweglosigkeiten der Gesellschaft alle Reste – aber auch wirklich alle – von Marxismus und Sozialismus liquidieren. Daß Fidel Castro Menschenrechtspreisträger der GBM ist, das soll uns fertig machen. Da sind sie sozusagen päpstlicher als der Papst. Und sie ignorieren die Hoffnungen der Menschheit, die sich mit Kuba und ganz Lateinamerika verbinden.
Ein zweiter Grund ist, daß die GBM eine Organisation ist, in der sich Kompetenz und Entschlossenheit vereinen, sich selbstlos, also ehrenamtlich, zur Durchsetzung ihrer Ziele zu engagieren. Ein australischer Soziologe, Scott Calnan, hat über weltweit neun Menschenrechtsorganisationen (USA, Großbritannien und BRD) 2005 seine Doktorarbeit verteidigt. Er kommt zu dem Schluß: "Die GBM-Fallstudie überraschte den Autor am meisten." Die Analyse zeige, "daß die GBM eine große Programm- und Zielwirksamkeit hat ... . Dieses Ergebnis erstaunt, wenn man die Schwierigkeit der GBM bedenke, Mitglieder zu gewinnen und zu behalten, ebenso wie ihre ziemlich traditionelle Form. Möglicherweise ist es die Kombination des kulturellen Kapitals und der technischen Expertise von früheren DDR-Fachleuten ... Die GBM scheint ein Beispiel dafür zu sein, daß Vernetzung und Sammelbecken von und für technische Expertisen (und/oder politische Verbindungen ) für NGO-Aktivitäten wichtiger sein könnten als Geldkapital." Ohne diese Verbindung von Politik, Wissenschaft und Kultur auf vielen Gebieten hätte die GBM tatsächlich eine solche Wirksamkeit nicht erreichen können, mit altersbedingt nur noch 3.000 Mitgliedern. Übrigens gab es auch Beitritte aus Solidarität in den letzten Monaten. Die Hälfte dieser Neumitglieder waren nach 1970 geboren. Ein bißchen "Geldkapital" wäre trotzdem nicht schlecht.
Drittens ist es die Brisanz und Wichtigkeit der Themen, die die Menschen bewegen. Rentenunrecht, Berufsverbote, Diskriminierung von Biographien, Enteignung und Kolonialisierung Ostdeutschlands sowie Weißbücher über dieses alles standen als Themen an der Wiege der GBM. Als sie im Verbund des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden das Ostdeutsche Memorandum mit erarbeitete und vorstellte, das einige Zeitungen ein "Regierungsprogramm von unten" nannten, war ein neuer Regierungsfeind gefunden. Wenn wir seitdem mehrere Parallelberichte zu Staatenberichten der Bundesrepublik vor der UNO abgegeben haben, wenn wir auch zahlreiche Stellungnahmen bei Rentenklagen für das Bundesverfassungsgericht verfaßt haben, aufgrund von dessen Urteilen schon vier Mal die Rentengesetzgebung geändert werden mußte, dann zeigt das auch, daß wir konstruktive Demokraten sind. Auch nach der Einheit haben wir erfahren, daß Menschenrechte Klassenrechte sind. Bürgerlichen Haß zieht vor allem der auf sich, der fordert: Alle Menschenrechte für alle Menschen! Das aber ist die Losung der UNO-Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien. Genau das steht auch auf unseren Schaufensterscheiben, die eingeworfen wurden.
Die GBM ist nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch international tätig. Gibt es in anderen Ländern ebensolche Anfeindungen?
Für uns nicht direkt. Aber für unsere politischen Freunde, deren Gäste wir sind. Doch gerade deswegen hat sich schon mancher bundesdeutsche Botschafter die Finger wund geschrieben über das Auftreten der GBM. In Kiev waren wir im Februar zu einer erweiterten Präsidiumstagung des Europäischen Friedensforums epf zusammengekommen. Einige Tageszeitungen mit Hunderttausenden Auflage brachten auf der Titelseite Bilder von unserer Beratung. Im Referat, das ich als amtierender Präsident hielt, nannte ich das Recht auf Leben das höchste Menschenrecht. Dazu gehörten auch Forderungen nach Auflösung der NATO und die Aufforderung des Kampfes gegen die Raketen- und Radarstationen in Polen und Tschechien.
Auf der Weltfriedenskonferenz in Caracas haben wir zu einer Europäischen Friedenskonferenz aufgerufen anläßlich des 10. Jahrestages der NATO-Aggression gegen Jugoslawien im März nächsten Jahres in Berlin. In Belgrad haben wir kürzlich diesen Aufruf gemeinsam mit dem Belgradforum vorgestellt und laden gemeinsam nach Berlin ein. Auch hier war ein beachtliches Presseecho. Wir wurden vom stellvertretenden Minister für Kosovo und Metohia empfangen und konnten gemeinsame Standpunkte gegen die Sezession des Kosovo finden.
Nicht zufällig haben sich auch Abgeordnete der Antragsteller in den BVV darüber aufgeregt, daß wir für die Auflösung der NATO sind und damit auch das Raumverbot begründet.
Ihr werdet als Stasiverein beschimpft? Was soll das sein?
Das ist die Krönung der Verlogenheit. Der Weg von der Staatssicherheit zum Sicherheitsstaat ist übrigens auch kein Fortschritt.
Diese Anschuldigung folgt einer infamen Symbolik über fast 20 Jahre, Sozialismus und Faschismus gleichzusetzen, Staatssicherheit mit Gestapo und Stalin mit Hitler. Das ist die dünne geistige Suppe der Totalitarismusdoktrin. Der Sinn ist, seine politischen Gegner in diese Reihe zu stellen und sie zu diffamieren. Aber wir vertreten natürlich auch die Rechte der ehemaligen Mitarbeiter des MfS gegen Diskriminierung. Sie gehören zu einer besonders betroffenen Gruppe, und wir freuen uns über die Mitarbeit einiger zur Aufdeckung der groben Geschichtsfälschungen, denen wir ausgesetzt werden.
Ich möchte mich aber auch entschieden verwahren gegen die Lüge, wir verhöhnten damit die Opfer der DDR. Herr Hubertus Knabe und Anhänger vertreten keineswegs "die" Opfer der DDR und des MfS, wie sie glauben machen wollen. Sie haben nicht das sittliche Recht, das zu behaupten. Die GBM hingegen ist auch von ehemaligen Gefangenen der DDR mitbegründet worden. Wolfgang Harich ist nur einer von Ihnen. Ich habe von ihm einen Brief, in dem er uns seine Unterschrift unter den Gründungsaufruf der GBM schickt und schreibt: "Sehr geehrte Damen und Herren! Hiermit erkläre ich, daß ich mit ihrem "Aufruf an alle BürgerInnen! Für Recht und Würde" voll einverstanden bin und mir Mühe geben werde, ihn nach Kräften zu unterstützen. ... Indem ich Ihrem edlen Bestreben denkbar besten Erfolg wünsche, verbleibe ich mit freundlichem Gruß Wolfgang Harich." Später hat er mit mir zusammen gegen solche Leute und Argumente, wie sie von Eppelmann in die Schlacht gegen die DDR geführt wurden, eine "Alternative Enquetekommission Deutsche Zeitgeschichte" gegründet und die Mitarbeit von MfS-Angehörigen ausdrücklich gewünscht. Den Gründungsaufruf auch dieser Opfer gegen die Geschichtslügen dieser Kommission und ihre eilfertigen Nachkommen sucht man vergeblich in der Gedenkstätte in Hohenschönhausen.
Professor Richter ist Bundesvorsitzender der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. GBM und amtierender Präsident des Europäischen Friedensforums.
Die Fragen stellte Volkmar Vogel.
1 Ring Christlich-Demokratischer Studenten