Verfolgung ehemaliger jüdischer Partisanen sofort einstellen!
Offener Brief
Seit Anfang des Jahres ermittelt die Staatsanwaltschaft in Litauen gegen ehemalige jüdische Partisanen, die während des Zweiten Weltkriegs gegen die deutsche Besatzungsmacht gekämpft haben. Wir dokumentieren im folgenden einen Offenen Brief vom September 2008 an den litauischen Botschafter in Berlin, an den deutschen Botschafter in Litauen und an das Europaparlament.
Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, daß "Hunderte Zeugen befragt wurden", täuscht über die Tatsache hinweg, daß ausschließlich jüdische Namen in den Medien auftauchen, vor allem die von Yitzhak Arad, Fania Brantsovsky und Rachel Margolis. Sie werden in Zusammenhang mit Partisanenaktionen genannt, bei denen litauische Zivilisten umgekommen sind und als deren Urheber die Justizbehörden "Terroristen" und "Mörder" ausgemacht haben. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Ermittlungen darauf ausgerichtet sind, die öffentliche Meinung in Litauen dahingehend zu beeinflussen, daß primär Juden für die litauischen Opfer von Partisanenaktionen verantwortlich sind. Auf diese Weise soll die antisowjetische bzw. antirussische Stimmung in Litauen eine antijüdische Stoßrichtung erhalten.
Es sei daran erinnert, daß die jüdischen Antinazipartisanen zuvor Gefangene in den Ghettos waren, die von den deutschen Besatzern und ihren litauischen Kollaborateuren eingerichtet wurden; sie kämpften bewaffnet gegen die nationalsozialistische Herrschaft in autonomen jüdischen Gruppen oder sowjetischen Partisaneneinheiten und trugen damit zum Sieg der alliierten Streitkräfte gegen Nazideutschland bei. Aktuell wird in den Massenmedien bewußt das negative Image jüdischer Partisanen konstruiert. Medien und Justiz bedienen sich dabei des gleichen Stereotyps, das in den Jahren der deutschen Besatzung der massenhaften Beteiligung von Litauern am Massenmord an der jüdischen Bevölkerung zugrunde lag: Juden werden mit Kommunismus, dem sowjetischen System und sowjetischen Partisanen identifiziert.
Demgegenüber wird gegen die litauischen Kollaborateure der deutschen Besatzer, die für die Ermordung von 220.000 Juden in den Jahren 1941 bis 1944 mitverantwortlich sind, nicht ermittelt. In den 18 Jahren der Unabhängigkeit Litauens ist kein einziger Nazikollaborateur belangt worden. Die litauische Staatsanwaltschaft steht offenbar unter politischem Druck. So wurde Fania Brantsovsky aufgrund der Anfrage eines Abgeordneten der Vaterlands-Partei zur Ermittlungsbehörde vorgeladen. Die Tatsache, daß die vom Präsidenten der Republik Litauen gegründete "Internationale Kommission zur Ermittlung von Verbrechen des nationalsozialistischen und des sowjetischen Okkupationsregimes in Litauen" ihr eigenes Mitglied Yitzhak Arad und die anderen jüdischen Antinazipartisanen nicht öffentlich verteidigte, ist äußerst befremdlich.
Offensichtlich wird derzeit in Litauen in einer antisemitischen Stimmungsmache die Geschichte des Holocaust umgeschrieben, und die ehemals Verfolgten werden als Täter verdächtigt. Wir fordern, die Verfolgung ehemaliger jüdischer Partisanen sofort einzustellen! Die Europäische Kommission sollte ihren Entschluß, Vilnius, die Hauptstadt Litauens, zur Kulturhauptstadt 2009 zu erklären, überdenken. Einem Land, in dem antisemitische Stimmungsmache in Politik, Justiz und Medien derart breiten Raum einnehmen kann, steht eine solche Auszeichnung nicht zu.
Erstunterzeichnerinnen: Dr. Franziska Bruder (Historikerin), PD Dr. Susanne Heim (Historikerin), Dagi Knellessen (Erziehungswissenschaftlerin), Dr. Gudrun Schroeter (Literaturwissenschaftlerin).