Verfolgt – toleriert – (fast) gleichberechtigt
Horsta Krum, Berlin
Der Weg der französischen Protestanten durch die Jahrhunderte
»Hugenotten« werden sie außerhalb von Frankreich genannt. Sie selber nennen sich »reformiert – gemäß der Bibel«. Ihre katholischen Gegner nannten sie »Protestanten« und meinten damit etwa das, was heute der Begriff »Terroristen« sagen will.
Zwischen dem Papst in Rom und dem französischen Königshaus gab es verwandtschaftliche Beziehungen. Für die Kriege, die die französischen Könige führten, brauchten sie die Unterstützung der Päpste.
Als der Mönch Martin Luther im Jahre 1517 seine Kritik an der katholischen Kirche öffentlich machte, beunruhigte er damit die katholische Kirche in Frankreich und in Rom noch nicht wirklich; denn was in Wittenberg geschah, war weit weg. Aber als 1534 in Paris kritische Schriften gegen die katholische Messe auftauchten, verstanden König Franz I. und die katholische Kirche das als Alarmzeichen: Eine größere Zahl von Protestanten wurden verhaftet und mindestens 25 von ihnen hingerichtet.
Kurz vorher hatte der König die Verbindung mit Rom bekräftigt, indem er seinen Sohn Heinrich mit der Nichte des Papstes verheiratete: Katharina von Medici. Beide waren vierzehn Jahre alt.
Ständig versucht das Herzoghaus der Guisen, im Bunde mit der der katholischen Hierarchie, Einfluss auf die Regierungspolitik zu nehmen und den jeweiligen König zu einer strengeren Politik gegenüber den Protestanten zu bewegen.
1560 wird Karl IX. – als zehnjähriges Kind – König von Frankreich. Seine Mutter Katharina von Medici übernimmt die Regentschaft und ist entschlossen, den Einfluss der Guisen zurückzudrängen. Auch gegenüber den Protestanten verfolgt sie andere Politik: Zu Beginn des Jahres 1562 erlässt sie ein Toleranzedikt. Das ist zwar – in Erwartung einer Entscheidung der römisch-katholischen Kirche – nur vorläufig, bedeutet aber doch einen historischen Einschnitt insofern, als die Protestanten nicht mehr als Häretiker verfolgt werden. Als Antwort darauf überfällt der Herzog von Guise mit seinen Leuten eine Gruppe von Protestanten, die in Wassy, einem Ort im Nordosten des Landes, in einer Scheune zum Gottesdienst versammelt sind. Die genaue Zahl der Ermordeten ist nicht bekannt. Dieser Überfall ist als »Massaker von Wassy« in das kollektive Gedächtnis eingegangen, so dass die Scheune von Wassy zu einem Museum umgebaut wurde.
Feindschaften, Friedensstreben und die Mächtigen
Für strenge Katholiken bedeuteten protestantische Gottesdienste eine Provokation: Fanden sie doch in der Landessprache statt, nicht in Latein. Auch Nicht-Theologen konnten biblische Texte auslegen; vor allem, und das war die größte Provokation, konnten sie die Communion reichen, auch den Kelch mit dem Wein, den die katholische Kirche bis heute nur dem geweihten Priester zugesteht. Der tschechische Theologe und Rektor der Prager Karls-Universität Jan Hus war 1415 als Häretiker verbrannt worden, weil er den Kelch für alle von der Hierarchie gefordert und selber praktiziert hatte.
Nach dem Massaker von Wassy greifen die Protestanten ihrerseits zu den Waffen. Damit beginnt der erste von acht Hugenottenkriegen – eine Reihe von verbittert und grausam geführten Auseinandersetzungen. Beide Seiten erlitten große Verluste, auch die materiellen Einbußen des Landes waren groß. Katharina von Medici, im Namen ihres unmündigen Sohnes, beendet den Krieg durch das »Edikt von Amboise«, das den Protestanten Religionsfreiheit außerhalb der Städte gewährt.
Doch Edikte und andere königliche Erlasse können die Feindschaft zwischen Katholiken und Protestanten nicht beenden. Den dritten Hugenottenkrieg beendet Karl IX. am 8. August 1570 mit dem Frieden von St.-Germain-en-Laye, der den Protestanten weitere Rechte einräumte, beispielsweise die Wiedereinsetzung in ihre Ämter, die bürgerliche und religiöse Gleichberechtigung; außerdem gestand der Friedensvertrag den Protestanten vier militärische »Sicherheitsplätze« zu, unter anderen den strategisch wichtigen Atlantikhafen La Rochelle; und der König übernahm die Zahlung des rückständigen Solds an die protestantischen Soldaten.
Um das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten dauerhaft zu sichern, greift Katharina nach einem weiteren Mittel: sie verheiratet ihre Tochter Margarete, die, wie die ganze Verwandtschaft, katholisch ist, mit dem protestantischen König Heinrich von Navarra.
Die Hochzeit findet am 24. August 1572 im Louvre, dem königlichen Schloss, statt. Der protestantische Adel, der zur Hochzeit geladen ist, wird grausam ermordet. Diese Morde sind der Beginn eines Pogroms in Paris und im ganzen Lande. Sie sind als »Bartholomäus-Nacht« [1] in die Geschichte eingegangen und haben, stärker noch als das Massaker von Wassy, ihren Platz im kollektiven Gedächtnis über Frankreich hinaus. In Paris kamen etwa 3.000 Protestanten um, außerhalb etwa 10.000; manche Schätzungen sprechen von 30.000 Todesopfern.
Französische und deutsche Historiker haben die Bartholomäus-Nacht öfter mit der Reichs-Pogrom-Nacht des 9. November 1938 verglichen, dem Beginn der offenen und systematischen Verfolgung der Juden in Deutschland und Österreich. In beiden Fällen waren die Angriffe geplant, gut vorbereitet und nicht, wie behauptet, dem spontanen Volkszorn geschuldet. Als die Protestanten in Frankreich ermordet wurden, läuteten in Rom die Glocken außerplanmäßig!
Der Bräutigam, König Heinrich von Navarra, entflieht dem Massaker und kann sich retten. Die Bartholomäus-Nacht ist der Beginn des vierten Hugenottenkrieges.
Auch der Nachfolger von Karl IX. konnte die Kriege nicht beenden. Während des achten Hugenottenkrieges starb er 1589 kinderlos. Seinem Wunsche gemäß sollte König Heinrich von Navarra sein Nachfolger werden. Ein Protestant auf dem französischen Thron war undenkbar; Heinrich konvertierte zum Katholizismus und wurde König Heinrich IV. von Frankreich.
Die Protestanten waren geteilter Meinung: die einen warfen ihm Verrat an der gemeinsamen Glaubensüberzeugung vor; die anderen sahen in seiner Konversion die einzige Möglichkeit, die verheerenden Bürgerkriege definitiv zu beenden.
1598 unterzeichnet Heinrich IV. das Edikt von Nantes. Es beinhaltet zwar viele Bestimmungen der vorhergehenden Edikte und Friedensschlüsse, hat aber ein anderes politisches Gewicht, regelt in 95 Thesen (!) das Miteinander der katholischen Mehrheit und der protestantischen Minderheit in Paris und den verschiedenen Provinzen des Landes. Die Eroberungen, die die verfeindeten Parteien vor Kriegsende gemacht haben, sollen soweit ausgeglichen werden, dass keine Seite zu großen Nachteil erleidet.
Bemerkenswert viel Raum nehmen die Bestimmungen ein, die den Umgang im Alltag betreffen und auf ein gedeihliches Miteinander abzielen. So heißt es im Hinblick auf die acht Kriege: »Wir verbieten allen Unseren Untertanen, wes Standes und Berufes sie auch seien, die Erinnerung daran aufzufrischen, sich anzugreifen, nachzutragen, zu beleidigen … noch darüber zu disputieren, zu streiten, zu hadern, noch sich zu beschimpfen oder mit Tat und Wort zu beleidigen.« (These 2) Die Protestanten sollen die katholischen Feiertage respektieren, indem sie ihre Waren nicht öffentlich ausstellen und verkaufen, dass sie Handwerkerarbeiten nur in ihren Häusern und leise verrichten. (These 20) Die Protestanten haben zu allen öffentlichen Ämter Zugang, »ohne ihnen einen anderen Schwur abzunehmen als den, dem Könige bei Ausübung ihres Berufes aufrichtig und treu zu dienen und die bestehenden Ordnungen zu beachten« (These 27). Auch brauchen sie an keiner Feierlichkeit teilzunehmen, die ihrer Religion entgegensteht (These 22). [2]
Ende des Königs Heinrich IV.
An manchen Bestimmungen zeigt sich, dass die Protestanten doch nicht vollständig gleichberechtigt wurden. Beispielsweise durften sie in der Nähe eines katholischen Bischofssitzes keine Kirchen bauen. [3] Im ganzen aber ist das Edikt von Nantes keineswegs ein »Toleranzedikt« wie seine Vorgänger, sondern der erste ernsthafte Versuch, dass zwei Konfessionen in einem Land ko-existieren, auch wenn die protestantische Minderheit höchstens zehn Prozent ausmachte.
Solange Heinrich IV. lebte, wurde das Edikt einigermaßen respektiert. Kleinere Übergriffe, Feindseligkeiten, die es von beiden Seiten gab, regelten vor Ort die Kammern, die das Edikt vorsah.
1610 wurde Heinrich IV. in Paris auf offener Straße ermordet. Danach verloren die verbrieften Rechte der protestantischen Minderheit nach und nach an Bedeutung. Im Laufe der Jahre wurde es mühsam, protestantisch zu bleiben. Die Methoden, wie Protestanten zum Übertritt in die katholische Kirche gebracht werden sollten, waren vielfältig: von freundlicher Überredung, Geldzahlungen, dem Angebot ehrenvoller Ämter bis zu Erpressung und physischem Druck. Auch unterschieden sich die Methoden in den verschiedenen Regionen, je nach zahlenmäßiger Stärke und Selbstbewusstsein der protestantischen Minderheit; vereinzelt wehrte sie sich mit Waffen.
Die Berufung auf das Edikt von Nantes war immer weniger erfolgreich – bis König Ludwig XIV. es 1685 offiziell widerrief.
Nach den Bürgerkriegen hatte sich Frankreich auch wirtschaftlich erholt. Während seiner langen Regierungszeit (bis 1715) stärkte Ludwig XIV. die militärische, wirtschaftliche und kulturelle Vormachtstellung Frankreichs in Europa. Die Opposition im Lande, beispielsweise einen Teil des Adels, drängte er zurück; die noch verbliebene protestantische Minderheit betrachtete er als Unruhestifter, obwohl sie immer wieder Ergebenheitsadressen an ihn richtete. Er regierte Frankreich im Sinne des Absolutismus: Ein König. Ein Gesetz, d.h. keine Sondergesetze für Minderheiten. Ein Glaube, d.h. der katholische. So besagte der Widerruf des Ediktes von Nantes, dass alle seine Untertanen katholisch zu sein haben.
Frankreich und seine Protestanten seit dem Absolutismus
Einige Protestanten leisteten offen Widerstand, beispielsweise in unzugänglichen Bergregionen wie den Cevennen, konnten sich aber gegen die gut ausgestatteten und gut ausgebildeten Truppen auf Dauer nicht behaupten. Andere Protestanten verließen das Land, was der König ausdrücklich verboten hatte, denn die Protestanten trugen erheblich zur wirtschaftlichen Kraft des Landes bei. So erfuhren nicht-katholische Länder wie die Schweiz, die Niederlande nicht nur wirtschaftliche Bereicherung – was wäre aus Brandenburg-Preußen und Berlin geworden ohne die französischen Glaubensflüchtlinge?!
Es gab auch Protestanten, die im Lande blieben, offiziell konvertierten und ihren Glauben heimlich praktizierten. Eine Bibel im Haus, die Teilnahme an einem Gottesdienst usw. waren strafwürdige Tatbestände: Die Frauen wurden mit Gefangenschaft bestraft, die Männer mit Galeerendienst, denn König Ludwig brauchte starke Arme, die seine Galeeren auf den Weltmeeren ruderten. Die Kinder wurden in Klöstern erzogen, die Pastoren auf grausame Weise exekutiert.
Hundert Jahre, nachdem Ludwig XIV. das Edikt von Nantes widerrufen hatte, gab es immer noch Protestanten. Einige beteiligten sich aktiv an der Französischen Revolution. Im Gegensatz zu den Katholiken, bedeuteten für die Protestanten Frankreichs die Jahre 1789 und folgende eine Befreiung.
1905 wird die Trennung von Kirche und Staat im Gesetz festgeschrieben: Frankreich versteht sich als »laizistischer«, säkularer Staat, der alle Religionen und Weltanschauungen gleich behandelt. Das Thema »Laizität« wird seitdem im französischen Protestantismus lebendig diskutiert, auch während der Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum 2017: Die Protestanten sollten nicht aufhören zu protestieren, heute beispielsweise für Minderheiten. Für Protestanten sei das laizistische Prinzip die »Chance gewesen, anders zu sein und doch vollen Zugang zu allen Bürgerrechten zu haben. Deshalb müssen Protestanten die Laizität verteidigen, nicht nur teilweise, sondern konsequent – für andere und für sich selber.« [4]
Wer den Film »Gelobt sei Gott« (Grâce à Dieu) gesehen hat, konnte merken, wie stark die katholische Kirche als Institution präsent ist und welchen Einfluss sie ausübt – trotz des laizistischen Prinzips.
Im Gegensatz zum deutschen Protestantismus, hat der französische Protestantismus nie an der politischen Macht teilgehabt und fühlte sich stets der jüdischen Minderheit und anderen Verfolgten verbunden, auch gerade zur Zeit der deutschen Besatzung während der Jahre 1940 bis 1944.
Im Gegensatz zum deutschen Protestantismus, ist der französische Protestantismus nie reich gewesen. Die deutsche Diskussion um Kirchensteuer und andere Staatsleistungen, um kirchliches Eigentum usw. gibt es im französischen Protestantismus nicht. Dass die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland ein offizielles Verbindungsbüro zum Bundestag und zur Regierung haben und viele andere halboffizielle Verbindungen, von den inoffiziellen ganz zu schweigen, löst bei französischen Protestanten Erstaunen aus.
Anmerkungen:
[1] Im katholischen Kalender ist jeder Tag nach einem Heiligen benannt. Den 6. Dezember kennen auch Nicht-Katholiken als den Nikolaus-Tag, gewidmet dem Bischof Nikolaus aus dem 4. Jahrhundert. Der 24. August trägt den Namen des heiligen Bartholomäus, den die Bibel als Schüler (»Jünger«) Jesu nennt.
[2] Bedenkt man, dass seitdem mehr als 400 Jahre vergangen sind und wir heute in einem säkularen Staat leben, so mutet die Eidesformel »So wahr mir Gott helfe«, wie sie, wenn auch freiwillig, im Grundgesetz verankert ist, doch recht altertümlich an! Auch sind beispielsweise Gottesdienste üblich am 3. Oktober, einem keineswegs religiösen Datum.
[3] Auch die Juden mussten ihre Synagogen diskret und wenig sichtbar bauen.
[4] Valentine Zuber, Défendre et renouveler la laicité, in: Les protestants 500 ans après la Réforme, Lyon 2017.
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