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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Unversöhnliche Vorkämpfer von "Versöhnung" – 60 Jahre Vertriebenen-Verbände

Prof. Dr. Ludwig Elm, Jena

 

Anfang 2010 stellt sich der Bund der Vertriebenen (BdV) unverändert als das dar, was er einschließlich seiner Vorläufer und Mitgliedsorganisationen seit der Gründung der Bundesrepublik mehrheitlich ist: Von deutschnationalem Ressentiment erfüllte rechtskonservative Kampftruppe, die mit der Verdrängung eigener problematischer Ursprünge und grundsätzlichen Geschichtsverzerrungen gegen das friedliche Miteinander mit den östlichen Nachbarn Deutschlands agiert. Kein Wandel auch bei der Protektion durch die mit dem BdV personell, politisch-organisatorisch und ideologisch eng und wechselseitig verbundenen Unionsparteien. Sie geben seit Jahrzehnten dem Kalkül mit nationalistischen und antikommunistischen Stimmungen unter ihren Wählern den Vorrang gegenüber elementaren Belangen einer europäischen Einigung, die diesen Namen verdient. Im Streit um die Besetzung des Beirats der Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" treten die ungeklärten Probleme neu hervor.

Hilfstruppen des Revanchismus

Die alliierten Besatzungsmächte hatten in ihren vier Zonen zunächst nazistische, militaristische und revanchistische Zusammenschlüsse verboten. Das wurde schrittweise auf lokaler und regionaler Ebene aufgehoben. Mit der Gründung der Bundesrepublik entfielen ab September 1949 endgültig solche Hemmnisse. Im Einklang mit den nunmehr vorherrschenden Schlußstrich-Konzepten kam es zu einer Welle einschlägiger Partei-, Verbands- und Vereinsgründungen. Nachdem bereits im April 1949 aus verschiedenen Landesverbänden der Zentralverband der vertriebenen Deutschen (ZvD) entstanden war, wurden im Oktober 1949 die Vereinigten ostdeutschen Landsmannschaften (VOL) gegründet. Vorsitzender des ZvD war Linus Kather, früher Zentrum, 1949 MdB, bis 1954 Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Heimatvertriebene und Mitglied der CDU, danach des Gesamtdeutschen Blocks/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE).

In der Eichstätter Erklärung vom 30. November 1949 forderten ehemalige Sudetendeutsche, von der katholischen Ackermanngemeinde eingeladen, die Aussiedlung rückgängig zu machen, das Heimatrecht aller Vertriebenen anzuerkennen sowie die "Rückgabe der Heimat in den Sprachgrenzen und Siedlungsverhältnissen von 1937". Am 24. und 25. Januar 1950 erfolgte in Detmold die Gründung des Bundesverbandes der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL); Rudolf Lodgmann von Auen wurde zum Sprecher und Vorsitzenden gewählt. Eine Entschließung nannte die "Wiedergewinnung der Heimat" als Ziel. In nazistischem Jargon wurde gefordert, daß die "sudetendeutsche Volksgruppe" ihr "grenzdeutsches Erfahrungsgut dem Deutschtum" vermitteln und ihre eigene "Existenz und Substanz" sichern solle. Die Satzung schrieb den Anspruch "auf Rückerstattung des geraubten Vermögens und die sich daraus ergebenden Entschädigungsansprüche" fest. Es entstanden Verlage und erschienen zahlreiche Periodika, die sich der bis nach Rechtsaußen reichenden Pflege eines nationalistischen Geschichtsbildes, des Antikommunismus sowie revisionistischer Programmatik und Politik widmeten.

Am 5. August 1950 wurde in Anwesenheit von Mitgliedern der Bundesregierung, der Parlamente und der Kirchen auf einer Großkundgebung in Stuttgart die "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" verkündet. Sie trägt die Unterschriften der Sprecher der Landsmannschaften sowie der Vorsitzenden des ZvD und seiner Landesverbände. Einige Unterzeichner kamen aus der deutsch-völkischen Bewegung in der Tschechoslowakei, der Sudetendeutschen Partei K. Henleins sowie der NSDAP und ihr verbundener Organisationen. Sie hatten sich mit der faschistischen Besatzungspolitik in Polen und der Tschechoslowakei arrangiert und daran in dieser oder jener Weise mitgewirkt. Beispielsweise hatte R. Lodgman von Auen in einer Denkschrift an Hitler im April 1938 seine Sympathien für den Nationalsozialismus bekannt und im Oktober 1938 den Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei begrüßt. Bis heute – und bereits wiederholt seitens der Bundeskanzlerin A. Merkel – wird die Charta als Zeugnis eines beispielhaften Versöhnungswillens verklärt. Das wird im Sommer 2010 anläßlich des 60. Jahrestages wiederum der Fall sein. Die Euphorie hält einer unvoreingenommenen Prüfung der Umstände, des Inhalts und der Mehrzahl der Akteure nicht stand. Sie verrät den andauernden Unwillen der Regierungsparteien von damals und heute sowie weiterer Kräfte, die Gründungs- und Frühgeschichte der Bundesrepublik insgesamt einer überfälligen kritischen Neubewertung zu unterziehen.

In der Charta von 1950 werden die entscheidenden zeitgeschichtlichen Sachverhalte seit der Zerschlagung und Unterwerfung der Tschechoslowakischen Republik 1938/39 und dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 einschließlich der damit eingeleiteten Besatzung und des massenhaften Mordens nicht genannt. Es gibt keinerlei kritische Aussage zum eigenen politisch-moralischen Versagen und zur Schuld Nazideutschlands. Die Rede ist anonymisierend vom "Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat" sowie von "Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend". Ohne den mehr als fünfjährigen systematischen Mord an Millionen Juden, Polen, Russen, Weißrussen, Ukrainern, Jugoslawen und vielen anderen ethnischen und sozialen Gruppen zu erwähnen, hieß es: "Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden."

Die Reduktion auf deutsche Kriegs- und Aussiedlungsopfer befand sich im völligen Einklang mit dem Schlußstrich-Konzept der Mitte-Rechts-Regierung unter Adenauer. Ein Vergleich der Charta mit der Regierungserklärung des ersten Bundeskanzlers und CDU-Vorsitzenden vom September 1949 offenbart die gleichen Defizite der zeitgeschichtlichen Analyse sowie die Beschränkung der Anteilnahme auf deutsche Kriegsgefangene, Umsiedler und Opfer des Bombenkrieges. Das Bundesvertriebenengesetz von 1953 sowie das bis 1969 bestehende Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsbeschädigte gaben den Vertriebenenverbänden politischen, rechtlichen und finanziellen Rückhalt und Förderung.

Der ZvD vereinigte sich im November 1951 mit dem Bund der vertriebenen Deutschen (BvD); die VOL konstituierten sich im August 1952 als Verband der Landsmannschaften (VdL). Diese beiden Verbände schlossen sich am 27. Oktober 1957 zum Bund der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände (BdV) zusammen. In den fünfziger Jahren entstanden die seither staatlich großzügig subventionierten Bildungs- und Kulturzentren der Landsmannschaften. Seit 1954 findet alljährlich der "Tag der Heimat" als propagandistische Großveranstaltung statt. Die Kulturpolitische Korrespondenz des Ostdeutschen Kulturrates erschien ab 1968. Im gleichen Jahr wurde die Union der Vertriebenen und Flüchtlinge in der CDU/CSU gegründet, die sich 1981 in Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung umbenannte. In diesem Geiste wirkte auch die Exil-CDU. Es entstand ein spezifisch bundesdeutsches, deutlich rechtsgerichtetes Potential in der westdeutschen Gesellschaft, das unablässig entspannungsfeindliche Bestrebungen und anmaßende Verlautbarungen gegenüber den östlichen Nachbarn hervorbrachte. Geschichtspolitisch trug es erheblich zum langjährigen Beschweigen von Verbrechen und Schuld der Jahre bis 1945 bei. Das gilt auch für die Versäumnisse bei Wiedergutmachung und Gedenken gegenüber den riesigen Opfergruppen der faschistischen Diktatur und ihres europaweiten Eroberungs- und Vernichtungskrieges.

Folgerichtig erwuchsen einige der spektakulärsten NS-Skandale der Bundesrepublik aus dem altnazistisch durchsetzten, deutschtümelnden und stramm antikommunistischen Vertriebenenspektrum. Der faschistische Volkstumsforscher Theodor Oberländer, NSDAP-Mitglied und Abwehroffizier, war Mitbegründer und Landesvorsitzender des – bundesweit 1950/51 entstandenen – BHE in Bayern und ab 1953 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Auch Waldemar Kraft, ehemals NSDAP-Mitglied und SS-Hauptsturmführer, war Mitbegründer des BHE und gehörte der von Altnazis dominierten Landesregierung Schleswig-Holsteins von 1950 bis 1953 an. Ende 1952 wurde er Vorsitzender des GB/BHE, kam ebenfalls 1953 in das Bundeskabinett und wechselte 1956 zur CDU. Hans Krüger – wie Oberländer Teilnehmer am Hitler-Putsch 1923 und NSDAP-Mitglied –, Blutrichter im besetzten Polen, begründete 1948 den BvD mit, wurde 1957 MdB (CDU) und Vorsitzender des BdV sowie im Oktober 1963 Bundesvertriebenenminister. Gegen Widerstand aus den Unionsparteien mußten Oberländer – inzwischen ebenfalls CDU – im Mai 1960 und Krüger im Februar 1964 wegen ihrer Belastungen aus der Nazizeit als Bundesminister zurücktreten.

Von Seebohm bis Steinbach

Zu den aggressivsten Rednern der Vertriebenenverbände – speziell der SL – gehörte Hans-Christoph Seebohm, der die rechtskonservative Deutsche Partei (DP) im Parlamentarischen Rat 1948/49 vertreten und in deren Geist das Grundgesetz abgelehnt hatte. Er war in der Wirtschaft Schlesiens und der besetzten Tschechoslowakei tätig gewesen. Der Bundesregierung gehörte Seebohm von September 1949 bis – nach dem Wechsel in die CDU 1956 – Dezember 1966 an. Auf dem Parteitag der DP in Kassel hatte er am 2. Dezember 1950 eine Ehrenerklärung für das Hakenkreuz abgegeben als eines Symbols, "unter dem deutsche Menschen ihr Leben für ihr Vaterland geopfert haben." Adenauer nahm auch dies hin – wissend um die Wählerstimmen, die damit seiner Koalition erhalten oder gewonnen wurden. Die ostpreußische glühende NS-Poetin Agnes Miegel behielt stets einen Ehrenplatz in der Erinnerung der Vertriebenenverbände.

Gegen die europäischen Entspannungs- und Abrüstungsbemühungen richteten sich Kampagnen um und nach 1970. Die von der DDR im Görlitzer Abkommen 1950 besiegelte Oder-Neiße-Genze wurde ebenso entschieden bekämpft wie ein realistischer Umgang mit dem zweiten deutschen Staat und die Verträge mit der UdSSR, Polen, der DDR und der CSSR. Die deutschnationalen Erbschaften und das nachgewachsene extrem rechte Potential der Vertriebenenverbände – beispielsweise im sudetendeutschen Witikobund – begünstigten das Zusammengehen selbst mit nazistischen Parteien und Gruppierungen. Die Unbelehrbarkeit und Aggressivität traten in den Umbrüchen um und nach 1989/90 erneut hervor. Nationalkonservative Kräfte in der CDU/CSU, im BdV sowie in weiteren Bereichen machten wiederum gegen die unwiderrufliche Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze mobil. Bis heute gibt es Bestrebungen, historisch-politische und völkerrechtliche Entscheidungen nach dem Mai 1945 in territorialer, eigentums- und entschädigungsrechtlicher und politisch-moralischer wie geschichtsideologischer Hinsicht ins Zwielicht zu rücken, zu revidieren und deren geschichtliche Wirkungen in Frage zu stellen. Wie den Ostdeutschen soll den Polen und Tschechen das offiziöse bundesdeutsche Geschichtsbild selbst hinsichtlich ihrer eigenen Vergangenheit eingebleut werden.

Autoren der CDU/CSU, Republikaner, DVU, FPÖ, Vertriebenenverbände und weiterer rechter Gruppierungen vereinten sich in einem repräsentativen, 1995 im nazistischen Hohenrain-Verlag, Tübingen, erschienenen Sammelband: "50 Jahre Vertreibung. Der Völkermord an den Deutschen. Ostdeutschland – Sudetenland: Rückgabe statt Verzicht". Einträchtig nebeneinander fanden sich darin unter anderen Walter Becher, Alfred Dregger, Gerhard Frey, Jörg Haider, Paul Latussek, Heinrich Lummer, Franz Schönhuber und Rudolf Wollner. Wenig später löste Latussek, Vorsitzender des BdV in Thüringen, mit rechtsextremistischen Auftritten einen Skandal aus. Der Mitbegründer und erste Vorsitzende der REP, Schönhuber, wurde Ehrenmitglied in der SL und erhielt deren Ehrenpreis für Publizistik.

Im August 2006 bagatellisierte Erika Steinbach (CDU), MdB und Vorsitzende des BdV seit 1998, die nazistischen Herkünfte von Gründungs- und Führungspersonen in den Organisationen der Vertriebenen sowie die jahrzehntelangen Versäumnisse einer kritischen Aufarbeitung. Sie zählt sich als 1943 im westpreußischen Rahmel geborene Tochter eines aus Hanau stammenden deutschen Besatzungssoldaten und der aus Bremen kommenden Mutter zu den Vertriebenen. Dieses provozierende Bekenntnis verband sich mit der Gegnerschaft zur Oder-Neiße-Grenze über 1990 hinaus und seitherigen Ausfällen gegen verantwortungsbewußte, auf wirkliches gegenseitiges Verstehen orientierte Stimmen Polens. Steinbach lehnte mit anderen konservativ-nationalistischen Abgeordneten den Grenzvertrag mit Polen 1991 ebenso ab wie die Deutsch-Tschechische Erklärung von Anfang 1997.

Es ist dieser Ungeist, der weiterhin haltlose Forderungen von Unionspolitikern und aus den Vertriebenenverbänden zu den Beneš-Dekreten der tschechoslowakischen Emigrations- und ersten Nachkriegsregierung prägt. Es wird verdrängt, daß für die Aus- und Umsiedlung von Deutschen nach Kriegsende die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der alliierten Siegermächte vom 2. August 1945 ausschlaggebend waren. Steinbach weigert sich wie andere deutsche Rechtskonservative, den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung zu würdigen. Es war nicht zufällig, daß Bundespräsident Roman Herzog es in einer Rede in Prag versäumte, der Tschechoslowakischen Republik für die Aufnahme zahlreicher, von den Nazis zwischen 1933 und 1938 vertriebener Deutscher zu danken. Diese Tradition ist Unionspolitikern fern und fremd. Von der Erinnerung an Gemeinsamkeiten des antifaschistischen Widerstandes, über die Lorenz Knorr sowie andere Zeitzeugen und Autoren in neueren verdienstvollen Beiträgen berichten, ganz zu schweigen.

Die Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" nimmt Anfang 2010 ihre Tätigkeit auf. Der internationale wissenschaftliche Beraterkreis konstituierte sich am 14. Dezember 2009. In den aktuellen Kontroversen beschwören die Anhänger Steinbachs die Versöhnung als ihr vermeintliches Leitmotiv. Der gleichzeitige Appell, dabei vor allem die deutschen Interessen zu vertreten, ist verräterisch. Tatsächlich setzt ein glaubwürdiges Streben nach Versöhnung voraus, daß zunächst die eigene – zumal die ursprüngliche und schwerwiegendere – Schuld vorbehaltlos bekannt wird. Gerade dies sind die Wortführer der Vertriebenenverbände seit mehr als sechzig Jahren schuldig geblieben. Das gehört ebenso zu den Gründen andauernden Mißtrauens in Polen, Tschechien und weiteren Ländern wie die Begünstigung geschichtsrevisionistischer und rechtsextremistischer Tendenzen und Bestrebungen. Insbesondere die Führungen und Abgeordneten, die Funktionäre und Mitglieder der Unionsparteien und ihres Umfeldes sind gefordert, den anachronistischen sowie friedenspolitisch abträglichen Sonderstatus der Vertriebenenverbände innerhalb der Bundesrepublik und in ihren außenpolitischen Ansprüchen zu beenden. Legitime geschichtswissenschaftliche und kulturpolitische Anliegen und Vorhaben sind in eine von gegenseitiger Achtung getragene allseitige Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn der Bundesrepublik sowie in die umfassenderen europäischen Integrationsprozesse einzubeziehen.

 

Mehr von Ludwig Elm in den »Mitteilungen«: 

2008-08: Rückblicke auf 1933

2008-03: Bundes-Kriminellen-Amt