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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Unserem Genossen Stefan Doernberg zum Gedenken

Prof. Dr. Gretchen Binus, Berlin

 

Am 11. Mai 2010 fand im Münzenberg-Saal am Berliner Franz-Mehring-Platz eine Gedenkveranstaltung für Stefan Doernberg statt, der am 3. Mai, schwer krank, verstorben ist. Hier folgt eine der Ansprachen.

 

Liebe Familie Doernberg, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde!

Für uns, die Mitglieder des Ältestenrates der Partei DIE LINKE, ist es unfaßbar, daß unser Genosse Stefan Doernberg nicht mehr ist. Es ist eine gewaltige Lücke entstanden, die man kaum schließen kann.

Stefan Doernberg war Initiator und Motor der Arbeit unseres Gremiums. Es hatte vom Parteivorstand vor drei Jahren die Aufgabe übertragen bekommen, die Vorsitzenden der Partei über die Entwicklung der Partei, über Bündnis- und internationale Fragen, zur Geschichte der Linken und zur sozialistischen Programmatik zu beraten.

Stefan Doernberg brachte dafür die allergrößten politischen Erfahrungen aus seinem gesamten, sehr bewegten und ereignisreichen Entwicklungsweg mit.

Sein ganzes Leben bis zuletzt – so sagt es seine Familie in ihrer Traueranzeige – war Friedenskampf. Sein ganzes Leben gehörte deshalb aber auch der Partei, die sich so konsequent für den Kampf um den Frieden und gegen Kriege einsetzt und deshalb andere gesellschaftliche, sozialistische Verhältnisse anstrebt. Dieses Anliegen stand für ihn immer im Vordergrund, auch wenn er manche Prozesse und Bewegungen in der Partei mit Skepsis betrachtete. Und für diese Orientierung der Partei hat er sich auch so aktiv in seiner Arbeit engagiert – sehr oft schonungslos gegen sich selbst, seiner Gesundheit und seinem Lebensalter gegenüber.

Schon viele Jahre zuvor gehörte Stefan Doernberg einem Ältestenrat der Partei – der PDS – an und konnte dort seinen politischen Erfahrungsschatz einbringen. Als einer der Sprecher diese Ältestenrates setzte er durch seine Sachkunde und sein umfangreiches Wissen Maßstäbe für die Arbeit dieses Konsultationsgremiums. Stefan Doernberg war es, der gleich von Beginn an die Idee zur Vereinigung von Linkspartei.PDS und WASG zur Partei DIE LINKE vehement befürwortete. Zu deren Konstituierung initiierte er die "Überlegungen des Ältestenrates zum politischen Profil und zur notwendigen Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms". In einem Positionspapier zur Vorbereitung des Dresdner Parteitages vom November 2005 heißt es:

"Ihrer historischen Notwendigkeit kann die von uns angestrebte neue Linkspartei nur dann gerecht werden, wenn sie politikfähig und massenwirksam ist und eine entsprechend organisatorische und politische Verfaßtheit aufweist."

Sie muß, so heißt es darin weiter, sich zwei wichtigen Herausforderungen stellen – aus den grundsätzlich veränderten nationalen wie internationalen Rahmenbedingungen ihr politisches Programm ableiten. Und sie sollte sich zugleich zu den bleibenden Traditionen des Kampfes der Arbeiterbewegung für echte Demokratie, stabile Friedenssicherung und sozialistische Zukunft der Menschheit bekennen.

Die Entwicklung der Partei lag Stefan Doernberg sehr am Herzen. Immer und immer wieder hat er uns in dem neu konstituierten Ältestenrat gedrängt, zu strategisch wichtigen Schwerpunkten und Zielstellungen der Partei Position zu beziehen. Im Februar 2008 stellte er das gemeinsam mit unserem im vergangenen Jahr verstorbenen Genossen und Internationalisten Harald Neubert erarbeitete "Angebot des Ältestenrates zum Fortgang der Programmdebatte" zur Diskussion.

Prononciert steht in diesem Papier am Anfang die Forderung, daß der Prozeß der Konsolidierung der Partei DIE LINKE zügig vorangebracht werden muß, "denn die Situation im Lande, in Europa und in der Welt macht eine einheitliche, aktionsfähige linke deutsche Partei dringend notwendig". Und hierfür, so heißt es weiter, benötigt die Partei einheitliche programmatische Vorstellungen und eine beispielhafte politische Kultur, auf deren Grundlage sie in ihrer pluralen Verfaßtheit stets als berechenbar und zuverlässig, besonders auch gegenüber der eigenen Mitgliedschaft und ihren Bündnispartnern, wahrgenommen werden kann."

Seit kurzem liegt ein Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE zur Diskussion vor. Stefan Doernberg befürwortete ihn, weil er viele seiner Gedanken in der Grundlinie wiederfand. Zu einigen wichtigen Fragen wollte er jedoch noch unbedingt seine Position einbringen. Er hat es nicht mehr geschafft. Er fehlt uns nun mit seiner klaren und kritischen Sicht in der Diskussion um die programmatischen Zielstellungen der Partei.

Auf noch einen besonders gewichtigen Schwerpunkt seiner politischen Arbeit kann man auch in einer kurzen Würdigung für Stefan Doernberg keinesfalls verzichten. Als einem profilierten Historiker und auch einer bedeutenden Persönlichkeit des 20.Jahrhunderts mit einem bewegten Leben war ihm die Bewertung der Geschichte, vor allem aber der Blick auf die jüngste Geschichte sowie das Geschichtsbild der Partei, äußerst wichtig. Stefan Doernberg formulierte Mitte des Jahres 2008 deshalb auch als Erklärung die "Anregungen des Ältestenrats der Partei DIE LINKE zum Umgang mit der Geschichte". Darin wird betont, daß das vorherrschende Geschichtsbild einer Partei stets auch ihre politische Positionierung zur Gegenwart und Zukunft widerspiegelt.

Für einen Diskurs innerhalb der Partei werden in diesem Papier einige Schlüsselprobleme benannt. Sie könnten, so heißt es, bei der Vermittlung des Geschichtsverständnisses der Partei DIE LINKE ihren Platz finden. Ausgehend von einem Traditionsverständnis in der Haltung zur deutschen und weltweiten Arbeiterbewegung umfassen sie die Bewertung geschichtlicher Prozesse des 20. Jahrhunderts von der Oktoberrevolution bis in die jüngste Zeit hinein. Sie sind vor allem von aktueller Bedeutung in der heutigen politischen Auseinandersetzung.

Mit Nachdruck wird in dieser Erklärung unterstrichen, daß eine kritische Bewertung geschichtlicher Ereignisse nicht in Verkennung oder gar bei bewußter Negierung der jeweiligen konkreten historischen Situation vorgenommen werden sollte. Es geht dabei um Vermeidung von Fehleinschätzungen und einseitigen Sichten. Deshalb wird eine wahrheitsgetreue, aber durchaus differenzierte Bewertung der Geschichte eingefordert. Das betrifft insbesondere die Haltung zur Geschichte der DDR.

In diesem Zusammenhang sah es Stefan Doernberg vordringlich als eine zentrale Aufgabe der Partei an, dem besonders in der Bundesrepublik vorherrschenden Geschichtsrevisionismus mit seiner antisozialistischen Grundhaltung entgegenzutreten.

Das initiativreiche Engagement Stefan Doernbergs im Ältestenrat war aber nur ein Teil seiner Aktivitäten. Die Breite seiner Tätigkeiten spiegelt sich nicht zuletzt auch in einem äußerst umfangreichen Spektrum seiner öffentlichen Wirksamkeit wider. Er hat in vielen anderen Gesellschaften und Arbeitskreisen mitgewirkt, war in der GBM, der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde, engagiert und beteiligte sich an Gutachten der Alternativen Enquête-Kommission zur Zeitgeschichte.

Gerade in den letzten Jahren hat Stefan Doernberg sich sowohl zu den geschichtlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts als auch zur jüngsten zeitlichen Periode sachkundig in zahlreichen eigenen Publikationen geäußert und in vielen Debatten das Wort ergriffen. Anläßlich des 65. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai dieses Jahres bestritt er eine Vielzahl von Veranstaltungen unterschiedlichster Art. Ob in politischen Bildungsveranstaltungen, in kirchlichen Gemeinden, Kulturclubs oder Schulen, immer fand er klare Worte zu wichtigen politischen Themen. Er brachte – vor allem im Zusammenhang mit seinen Erlebnisberichten – überzeugend seine Sicht auf die Geschichte sowie seine politische Position zu nationalen und internationalen Entwicklungsprozessen in die Diskussion ein.

Dabei hat es sich Stefan Doernberg in seiner Meinungsbildung und in seinen Schriften selbst nicht leicht gemacht. Er hat um ausgewogene Formulierungen gerungen, um seine Erfahrungen und seinen Standpunkt allen Menschen verständlich nahe zu bringen. Und es gehörte dabei auch zu seinem Arbeitstil, daß er ein offenes Ohr für die Argumente anderer hatte. Er konnte zuhören und holte sich auch bei jüngeren und unerfahrenen Genossinnen und Genossen die Meinung ein.

Mehr noch: Wenn seine Charakterzüge anzusprechen sind, dann muß man auch ein ganzes Bündel von Eigenschaften nennen, die ihn als einen ganz besonderen Menschen auszeichneten. Dazu gehören unbedingt seine äußerste Bescheidenheit, seine Fähigkeit "auf Menschen zuzugehen", seine Gradlinigkeit, Offenheit und Freundlichkeit, seine Beharrlichkeit in vielen Dingen sowie seine lebendige herzliche Art.

Für uns im Ältestenrat waren Stefans Vorschläge, Anregungen und sein Rat immer wichtig. Wir hatten stets eine hohe Achtung vor ihm – vor allem, weil er sich in seiner Haltung stets treu geblieben ist. Stefan Doernberg wird uns unvergeßlich bleiben.

Er wird uns sehr fehlen.

Die Autorin ist Ökonomin, Wirtschaftshistorikerin und stellvertretende Vorsitzende des Ältestenrates der Partei DIE LINKE