Und immer noch fliegt der Condor
Horst Schäfer, Berlin
"Operation Condor" - ein lesenswertes Buch über eine Internationale des Terrors
Welche Rolle spielten BND und HVA in Bezug auf das Terror-Netzwerk "Operation Condor" in Lateinamerika? Wer oder was steckte überhaupt hinter dieser verbrecherischen Operation, die sich nach dem Geiervogel der Anden benannte? War dieser Name gar eine Anleihe bei der berüchtigten "Legion Condor", mit der sich die faschistische deutsche Luftwaffe 1936 bis 1939 am Putsch Francos gegen die spanische Republik beteiligte?
Wer das neue Buch von Klaus Eichner [1] liest, erfährt: Für diese "Internationale des Terrors", die in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Billigung und aktiver Unterstützung von US-Regierungsstellen Tausende fortschrittliche Südamerikaner verfolgte, folterte, ermordete oder verschwinden ließ, interessierten sich auch die Auslands-Geheimdienste beider deutscher Staaten.
Während der Bundesnachrichtendienst BND allerdings mehr an stabilen Kontakten unter anderem mit dem chilenischen Geheimdienst unter Pinochet interessiert schien, stand die HVA auf der anderen Seite und versuchte, den von der Militärjunta Verfolgten zu helfen und sie zu retten. Beim Generalsekretär der Sozialistischen Partei Chiles Carlos Altamirano gelang das, bei General Carlos Prats, dem ehemaligen Vizepräsidenten unter Allende, kamen die Warnungen und Bemühungen der HVA offenbar nur um wenige Stunden zu spät. Er wurde von den Pinochet-Schergen mittels einer Autobombe in Buenos Aires ermordet.
Und was die Verwandtschaft mit der "Legion Condor" betrifft, so war der Namensvetter "Operation Condor" zumindest genau so verbrecherisch und barbarisch in seinen Auswirkungen. Verwundern kann das nicht. Schließlich, so berichtet Klaus Eichner, wurde der Plan für das mörderische Netzwerk bezeichnenderweise im November 1975 am Grab des faschistischen Diktators Francos endgültig beschlossen und schon zwei Tage später auf einem geheimen Treffen in Santiago de Chile gegründet.
Das Buch zeichnet die drei Phasen der "Operation Condor" nach, zu der sich etwa ein Jahrzehnt lang die Militärdiktaturen von Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Brasilien verbündet hatten. Später kamen noch Peru und Ecuador dazu. Dieses "staatliche Terrornetzwerk" sei ein "struktureller Zusammenschluß der Geheimdienst- und Polizeiverantwortlichen der reaktionären Militär-Diktatoren der südlichen Zone von Südamerika" gewesen, beschreibt Klaus Eichner die Situation. "Sie waren die Büttel der Diktatoren, die rund zwei Drittel der Bevölkerung Südamerikas beherrschten."
Eichner dokumentiert die Regie der USA bei Militärputschen, die enge Zusammenarbeit südamerikanischer Geheimdienste mit CIA und FBI im Rahmen der "Operation Condor", beschreibt die wichtige Rolle der US-Konzerne beim Kampf gegen jede Veränderung auf dem Kontinent, gibt einen guten Überblick über US-Militärbasen in Süd- und Mittelamerika und schildert die Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen gegen Gegner der südamerikanischen Militärdiktaturen auf dem amerikanischen Kontinent und auch in Europa, darunter die Ermordung des ehemaligen chilenischen Außenministers Orlando Letelier im September 1976 in Washington.
Bemerkenswertes kann man bei Klaus Eichner auch über die Terroristen und ihre Hintermänner, über die eigentlichen Brandstifter und ihre Rolle bei der "Operation Condor", erfahren – wie den Friedensnobelpreisträger und damaligen US-Außenminister Henry Kissinger und den stellvertretenden CIA-Direktor und späteren US-Botschafter in Bonn, Vernon Walters.
Wie war es dem Autor überhaupt möglich, an alle die geheimen Dokumente zu kommen, die die Mordpraxis der "Operation Condor" belegen? Dafür ist ein Mann namens Martin Almada aus Paraguay mit verantwortlich, ein Professor und Rechtsanwalt, der in den 70er Jahren von der Stroessner-Diktatur wegen seines Kampfes um Menschenrechte verfolgt, drei Jahre eingesperrt und gefoltert wurde. Als er 1992 nach seiner eigenen Polizeiakte suchte, entdeckte er in einer Polizeistation in Paraguay zufällig Berge von Akten mit genauen Berichten über Verfolgungen, Folter und Morde: Er hatte einen wichtigen Teil des umfangreichen "Archivs des Schreckens" über die "Operation Condor" entdeckt, die – so die ARD am 4. 12. 2006 unter Berufung auf Menschenrechtsorganisationen – mit insgesamt etwa 50.000 Toten, 30.000 Verschwundenen und 400.000 Verhafteten zu den schwärzesten Kapiteln südamerikanischer Geschichte gehört. Diese Akten zusammen mit den im November 2000 freigegebenen CIA-Dokumenten gelten inzwischen als bedeutende Beweise für den Staatsterrorismus in Amerika.
Ein ausführlicher Anhang mit einer Liste der Geheimdienste in den Condor-Ländern, mit Glossar, Personenregister, Bibliographie und vielen interessanten Original-Dokumenten ergänzen das lesenswerte Taschenbuch. "Operation Condor" ist ein Muß für jeden, der sich für die Entwicklung in Südamerika interessiert.
Nach der Lektüre dieses Buches mag man sich fragen, wo denn die Zehntausende von US-hörigen Militärs, Politikern und Geheimdienstlern Lateinamerikas geblieben sind, die bisher in den USA – so in der berüchtigten "School of the Americas" (SOA) – ausgebildet wurden. Nur wenige wurden für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen und verurteilt. Einige bekleiden – trotz der Linksentwicklung in zahlreichen Staaten – immer noch einflußreiche Posten. Man kann sich daher vorstellen, wie gefährdet die demokratische Entwicklung in Südamerika ist.
Das Buch "Operation Condor"macht also auch deutlich: Die Gefahr von Militärputschen, die Rückkehr des Terrors, ist in Lateinamerika trotz vieler positiver Entwicklungen noch nicht gebannt. Honduras und die mehr oder weniger offene Unterstützung der USA unter Präsident Obama für den Putsch sind dafür nur ein Beispiel. "Operation Condor" ist ein brandaktuelles Buch. Denn der Condor fliegt immer noch …
Unser Rezensent Horst Schäfer war 11 Jahre DDR-Korrespondent in Washington und New York und ist unter anderem Autor des Buches "Im Fadenkreuz: Kuba" über 50 Jahre Staatsterrorismus der USA gegen die Karibikinsel.
Anmerkung:
[1] "Operation Condor – eine Internationale des Terrors" von Klaus Eichner im Verlag Wiljo Heinen, 316 Seiten, 12 Euro. Eichner arbeitete in der Spionageabwehr der DDR, war leitender Analytiker der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit und auf US-Geheimdienste spezialisiert.