Unauslöschliche braune Spuren
Dr. Norbert Podewin, Berlin
Am 10. Juli starb Norbert Podewin in seinem 80. Lebensjahr. Einen Nazijäger der DDR nannte ihn das ND völlig zu Recht. Maßgeblich arbeitete er am 1965 erstmals erschienenen Braunbuch »Kriegs- und Naziverbrecher in der BRD« mit. Sein letztes Buch heißt »Stalinallee und Hansaviertel«. Es gereicht den »Mitteilungen« zur Ehre, dass Norbert Podewin zu unseren Autoren gehörte (siehe »Schlaglichter der Spaltung Deutschlands«, Oktoberheft 2013). Zu Beginn des Jahres baten wir ihn um einen Artikel zum Thema: »1. September 1964. Volkskammer beschließt Gesetz über die Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen«. Nicht nur, dass er uns sehr schnell zusagte. Bereits vor Wochen schickte er uns seine Überlegungen. Wir werden sie wie geplant im Septemberheft veröffentlichen. Vor kurzem bot er uns den nachfolgenden Artikel an, mit dem Vermerk, wir könnten ihn bringen, wenn wir das für zweckmäßig hielten. Wir danken Norbert Podewin und werden ihn nie vergessen.
Die historische Aufarbeitung der zwölfjährigen NS-Diktatur bleibt auch nach Jahrzehnten ein »Dauerbrenner«. Dominanter Streitpunkt ist auch heute noch die unterschiedliche Wertung der personellen Erbmasse in BRD und DDR. 2010 erschien der voluminöse Band (878 Seiten) »Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche Diplomaten im dritten Reich und in der Bundesrepublik«. Namhafte Forscher (Eckhard Conze/Herbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann) wiesen ein weiteres Mal nach, dass sich das Ribbentrop-Ministerium aktiv an der verbrecherischen NS-Politik, insbesondere an der »Endlösung« der Judenfrage, beteiligte. Im DDR-»Braunbuch – Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik« wurde die mörderische Tätigkeit von mindestens 520 Diplomaten dokumentarisch belegt, die zu diesem Zeitpunkt wieder führende Positionen im Bonner Auswärtigen Amt innehatten. Das »Braunbuch« wurde Jahrzehnte seitens der BRD als Verleumdung und Fälschung abgestempelt und sogar auf der Frankfurter Buchmesse polizeilich beschlagnahmt. Die »Das Amt«-Autoren dagegen vermerkten einleitend, dass »nicht nur« das »›Braunbuch‹ von 1965 ... auf die hohe personelle Kontinuität zwischen dem alten und dem neuen Amt und auf die NS-Belastung führender westdeutscher Diplomaten« verwies: »Die Angaben in dem Buch trafen zum allermeisten Teil zu, aber weil die Vorwürfe aus der DDR kamen, halfen sie ... im antikommunistischen Klima des Kalten Krieges den Beschuldigten eher, als dass sie ihnen schadeten.«
Auftraggeber der Herausgeber des 2010 erschienenen Buches zur personellen Kontinuität von NS- und BRD-Diplomaten war Ex-Außenminister Joseph (»Joschka«) Fischer, er amtierte von 1998 bis 2005 am Werderschen Markt. Die Führungselite des Hauses nahm diesen Vorgesetzten niemals an. »Joschka« blieb für sie ein »68er Revoluzzer«, den man über seine sieben Amtsjahre stetig gegen »gläserne Wände« laufen ließ. So wurde Fischers Auftragswerk an das Historiker-Quartett (bisher 4 Auflagen) zum späten Konterschlag. Die Betroffenen schlugen 2013 zurück. Daniel Koerfer, Honorarprofessor an der FU Berlin, gehörte – so der Klappentext seines Buches – »früh zu den vehementen Kritikern der einseitig und verkürzend auf die Perspektive der Mitwirkung bzw. ›Täterschaft‹ des Auswärtigen Amtes an der Judenvernichtung konzentrierten Darstellung.« Der Autor hakt sich an diversen Einschätzungen von »Das Amt« fest, die er in Frage zu stellen oder als unzutreffend darzustellen bemüht ist. Koerfers Fazit liest sich nach 476 Seiten so: »Ja, Abteilungen aus dem AA waren an diesem Prozess, an den am Ende mörderischen Radikalisierungsschüben des Rassenwahns beteiligt, etwa durch Gutachten, Stellungnahmen, Zirkulardepeschen, einem Deportationsplan nach Madagaskar, die Mitwirkung an Deportationen in die Todesfabriken in einem Teil der von deutschen Truppen besetzten Gebiete. Auch an den Nürnberger Rassegesetzen – die im Kommissionsbericht kaum aufscheinen – wurde mitgewirkt, mitgearbeitet. Aber das Auswärtige Amt hat diesen Prozess – obwohl in Teilen, wie die deutsche Gesellschaft in jener Zeit antisemitisch aufgeladen – selbst weder im In- noch im Ausland intensiv den Boden bereitet und schon gar nicht als eigenes zentrales Tätigkeits- und Aufgabenfeld verstanden oder für sich reklamiert, wie der Kommisssionsbericht in seinem nahezu ausschließlich dieser Thematik gewidmeten ersten Teil nahelegt.«
Ein genauer Vergleich der beiderseitigen Beweislagen in den zwei Büchern widerlegt grundsätzlich nicht den historischen Schuldspruch – auch im sogenannten »Wilhelmstraßen-Prozess« 1947/1949 von US-Anklägern bestätigt – einer willigen NS-Klientel, den jedoch die späteren Aufbauhelfer des BRD-Außenamtes bis heute als »nicht erinnerlich« von sich weisen. Für Koerfers Selbstverständnis spricht sein abschließender Hieb »auf das in Ost-Berlin 1965 publizierte Braunbuch« mit der »verzerrenden Präsentation einer Vielzahl von Biographien ...«.
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Nachtrag des Rezensenten: Die von westlicher Seite dem »Braunbuch« von 1965 vorgeworfene Fehlerquote der ca. 1.200 Biographien lag bei 0,17 Prozent!
Daniel Koerfer: Diplomatenjagd – Joschka Fischer und seine Unabhängige Kommission und Das AMT, Strauss Edition, Potsdam 2013, 24,90 Euro.
Mehr von Norbert Podewin in den »Mitteilungen«:
2013-10: Schlaglichter der Spaltung Deutschlands
Mehr über Norbert Podewin in den »Mitteilungen«:
2011-03: Norbert Podewins »Marx und Engels grüßen … aus Friedrichshain«