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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Umweltschutz im Schatten der Blockade – Tarea Vida funktioniert

Hellmut Naderer, Oelsnitz

 

Fidel Castro richtete auf der Umweltkonferenz der UNO 1992 in Rio de Janeiro eine ein­dringliche Mahnung an die Menschheit, aber vor allem an die Politik: »Eine bedeutende biologische Gattung ist aufgrund der schnellen und fortschreitenden Beseitigung ihrer natürlichen Lebensbedingungen vom Aussterben bedroht: der Mensch.« Der Schutz der Umwelt nimmt seit der Revolution in der kubanischen Politik einen breiten Raum ein. Schon 1976 hat Kuba als eines der weltweit ersten Länder Umweltfragen in seine Ver­fassung aufgenommen. Es wurde eine Kommission für den Schutz der Umwelt und für nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen eingerichtet. 1992 Jahr nahm Kuba eine Verpflichtung zur nachhaltigen Entwicklung in seine Verfassung auf, und in der 2019 verabschiedeten neuen Verfassung wurde das Recht auf eine gesunde und ausgewoge­ne Umwelt zum Menschenrecht erklärt. Kuba hat den Klimaschutz auf wissenschaftli­cher und institutioneller Ebene unterstützt und entsprechende politisch-ökonomische Rahmenbedingungen geschaffen. Zwischen 2006 und 2020 wurde der Inselstaat in mehreren internationalen Berichten als weltweit führend im Bereich der nachhaltigen Entwicklung bezeichnet.

Heute sprechen wir von einer Mehrfachkrise, die Klima, Biodiversität, Energie, Wasser und Ernährung betrifft. Alle Teile haben Auswirkungen auf Kuba. Viele Faktoren werden durch die Insellage noch verstärkt. So ist neben dem ansteigenden Meeresspiegel (seit den 1950er Jahren um 19 cm) mit verstärkt auftretenden Starkniederschlägen und besonders im Osten der Insel mit Dürren zu rechnen (z.B. Stausee Zaza im Zentrum der Insel: 2017 niedrigster Wasserstand seit Erststau, 2018 Notablass nach langanhalten­dem Regen). Auch die Zunahme von tropischen Wirbelstürmen und vor allem deren Stärke beeinträchtigt das Leben auf der Insel.

Der Maßnahmeplan

Während in den Ländern des wohlhabenden Nordens die Politik nur Versprechen abgibt und Beschlüsse fasst, die letztendlich nicht eingehalten werden, versucht Kuba trotz der mehr als 60 Jahre andauernden Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade, den Auswirkungen der nicht durch Kuba verursachten Krisen (Kuba ist mit 0,08 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen beteiligt) im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu begegnen. »Das oberste Ziel besteht darin, Leben zu retten«. Das ist der Leitspruch der KP Kubas und der staatlichen Organe des Landes. Einen breiten Raum nimmt dabei der direkte Schutz der Bevölkerung vor Witterungsunbilden ein. Seit dem Hurrikan »Flora« im Jahr 1963 wurde ein gut funktionierendes System der Zivilverteidigung aufgebaut. Es soll sichergestellt werden, dass für Naturkatastrophen eine Vorwarnzeit von 120 Stunden gewährleistet wird. In dieser Zeit erfolgen bei Bedarf Evakuierungen, technische Vorbe­reitungen im Hurrikangebiet sowie außerhalb, um aufgetretene Störungen im Rahmen von solidarischer Hilfe in kurzer Zeit beseitigen zu können.

Das Kernstück der Gesamtheit des Kampfes gegen die Mehrfachkrise ist der Plan »Tarea vida« (Lebensaufgabe), der im April 2017 vom kubanischen Ministerrat in Kraft gesetzt wurde. Er umfasst kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen bis zum Jahr 2100. Sein Hauptziel ist die Minimierung der Beeinträchtigungen der Insel durch den Klimawandel. Dazu sind umfangreiche Aufgaben formuliert, die gleichzeitig auch Aus­wirkungen anderer Teile der Krise verringern sollen. Die erste Aufgabe besteht darin, Maßnahmen zum Küstenschutz einzuleiten (Kubas Küstenlinie geht jährlich um durch­schnittlich 1,20 Meter zurück), wie den Schutz vorhandener und die Anlage neuer Man­grovenbestände (bisher sind 380 Quadratkilometer saniert und neu angelegt). Trotzdem ist es notwendig, gefährdete Gemeinschaften, die in Küstennähe leben, durch die Umsiedlung von Haushalten oder ganzen Siedlungen zu schützen (mehr als 10 Prozent der am meisten gefährdeten Häuser wurden bereits geräumt). Der kubanische Staat übernimmt die Kosten für die Umsiedlung, baut dafür neue Häuser und eine öffentliche Infrastruktur und gewährleistet die notwendigen sozialen Dienstleistungen. Diese tief in das Leben der Betroffenen eingreifende Handlungsweise wird durch Sozialbetreuung begleitet. Auch Aufforstungen werden dem Klimawandel entgegenwirken. So konnte die Waldbedeckung auf mehr als 30 Prozent der Landesfläche erhöht werden (1959 14 Prozent). Große Anstrengungen wurden und werden auch bei der Umsetzung des Was­serprogrammes unternommen. Dabei geht es um die Sicherstellung von Trinkwasser, aber auch um Bereitstellung von Wasser zur Bewässerung landwirtschaftlicher Kultu­ren.

Nicht nur einsparen – Kuba als Vorbild

2005 wurde die »Energierevolution« gestartet. Bei den ersten Maßnahmen ging es um Einsparung von Energie. Dazu gehörte der Austausch von Energiefressern in den Haus­halten (Glühlampen, Kühlschränke, Kochplatten, Ventilatoren). Zunehmend wird die Energie aus alternativen Quellen gewonnen (Solar, Wind, Biomasse). Viele entlegene Bauernwirtschaften sind stolz auf ihre Solarpaneele – eine Elektroleitung wäre da illu­sorisch. Die deutschen Solidaritätsorganisationen KarEn und Cuba sí unterstützen die Umstellung auf alternative Energiegewinnung durch Projekte, die oft auch im Zusam­menhang mit dem Bemühen um Nahrungssouveränität stehen. Fossile Energieträger sind knapp, aber ihre Substitution wird vorwiegend zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes durchgeführt. Während die Oldtimer als Spritfresser das Straßenbild Havannas mitbe­stimmen und ein besonderes Flair geben, gibt es aber erstaunlich viele leise surrende E-Roller und E-Dreiräder zum Personen- oder Lastentransport. Was nicht gleich ins Auge fällt, sind E-Busse, die in Havanna den ÖPNV bereichern.

Das Klima in Kuba verändert sich derzeit von einem humiden (7-9 Monate überwiegt Niederschlag gegenüber Verdunstung), tropischen Klima zu einem subhumiden Klima (5-6 Monate überwiegt Niederschlag), durch das sich die Niederschlagsmuster, die Wasserverfügbarkeit, die Bodenbeschaffenheit und die Temperaturen verändern wer­den. Hinzu kommen die an Zerstörungskraft gewinnenden Hurrikans. Das stellt auch die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Die Arbeit auf dem Feld wird durch die zu erwartende Hitze noch anstrengender. Auch für die Tiere muss Vorsorge getrof­fen werden. Rinder, Büffel, Schafe und Ziegen werden vorwiegend als Weidetiere gehal­ten. Auch für ihre Gesundheit und Leistung sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich (z. B. ausreichend Schatten und Tränkwasser). Beim Anbau von Pflanzen müssen auch Anpassungen erfolgen, weil sich neben dem Klima auch die Böden zum Negativen ver­ändern (Versalzungen, Erosion, Bodenfeuchte). Einen immer breiteren Raum für die Ver­sorgung mit Nahrungsgütern nehmen die Stadtgärten (organopónicos [1]) ein. Sie nutzen häufig nichtlandwirtschaftliche Fläche, befinden sich in der Nähe der Produzenten und Konsumenten und tragen zur Selbstversorgung in ihrem Einzugsbereich bei.

Ein wichtiger Teil des Umweltschutzes ist der Naturschutz. Kuba ist ein weltweiter Hot­spot der Biodiverstät und zeichnet sich durch eine hohe Artenanzahl aus. Die Notwen­digkeit des Schutzes der Natur wurde im revolutionären Kuba früh erkannt. Entspre­chende Gesetze und Verordnungen haben neben dem allgemeinen Naturschutz auch den Schutz einzelner Gebiete festgeschrieben. Es gibt 215 Schutzgebiete, davon 14 Nationalparks und drei Biosphärenreservate mit einem Flächenanteil von 21,26 Prozent der Landesfläche. Die Betreuung und Pflege obliegt dem Staatsbetrieb »Flora und Fau­na«. Bedeutendster Nationalpark ist der Humboldt-Nationalpark im Osten der Insel. Auf einer Fläche von 70.680 ha (Zum Vergleich: Die Fläche des größten deutschen Natio­nalparks beträgt 24.850 Hektar.) leben mehr als 1.200 Tier- und mehr als 1.000 Pflan­zenarten. 80 Prozent davon kommen nur in diesem Nationalpark vor (endemisch).

Der kubanische Ansatz zur Anpassung an den Klimawandel bietet eine Alternative zu den weltweit vorherrschenden Paradigmen, die auf die Privatwirtschaft oder öffentlich-private Partnerschaften setzen. Tarea Vida strebt kostengünstige nationale Lösungen statt externer Finanzierung an. Die kubanische Vorgehensweise könnte ein Beispiel für andere Länder des globalen Südens darstellen. Ein Plan wie Tarea Vida erfordert eine Vision, die nicht auf Profit oder Eigennutz ausgerichtet ist. Sie beruht auf sozialer Gerechtigkeit. Ein Plan dieser Art erfordert ein anderes Gesellschaftssystem, und das ist der Sozialismus. Kuba gehört inzwischen zu den am nachhaltigsten wirtschaftenden Staaten der Welt.

 

Anmerkung:

[1] Siehe en.wikipedia.org/wiki/Organop%C3%B3nicos (in Englisch).

 

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