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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Umgang mit Kunst aus der DDR

Dr. phil. Peter Michel, Berlin

Dr. Peter Michel ist ein Insider, einer, der in der bildenden Kunst der DDR wie nur wenige zu Hause war und ist: »Vor und hinter den Kulissen«. So heißt auch ein im Verlag Wiljo Heinen 2021 erschienenes Büchlein mit Essays zur bildenden Kunst 2018 - 2020. Peter Michel, Chefredakteur der Zeitschrift »Bildende Kunst« (1974 bis 1987), hat in der DDR auch hinter den Kulissen vieles erlebt, beschämende Dummheiten inklusive. So beschreibt er Reaktionen auf Wolfgang Mattheuers Werk »Die Ausgezeichnete«. »Unsere Menschen freuen sich, wenn sie ausgezeichnet werden«, lauteten Einwände. »Die Ausgezeichnete« wirkt nachdenklich-ernst und auch etwas müde. Nichts Ungewöhnliches für Menschen, die auszeichnungswürdig arbeiten. Bei aller Kritik an solchen Kleinkariertheiten lässt Peter Michel doch keinen Zweifel daran, dass »Was in der DDR über politische Eingriffe geschah, … heute weit unauffälliger über das Geld und über Absprachen in Lobbys geregelt (wird). … Die Verhältnisse in der DDR – das machen die Jahrgänge der »Bildenden Kunst« deutlich – waren weit kunstfreundlicher als in der deutschen Gegenwart mit ihrem Marktgeschrei, ihren Verdrängungsstrategien und Vandalenakten«. Über Vandalenakte schreibt Peter Michel in »Wege und Irrwege. Über den Umgang mit Kunst aus der DDR«. Mit freundlicher Genehmigung des Autors dokumentieren wir Auszüge aus diesem Essay. (Ellen Brombacher)

Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. Voltaire

In ihrem Roman »Spinnweb. Bilder aus dem Leben der Lea E.« beschreibt die Malerin und Graphikerin Heide-Marlis Lautenschläger, die von 1990 bis 1998 Mitglied des Landtages in Mecklenburg-Vorpommern war, auf eindrucksvolle Weise ihre Gedanken und Gefühle beim Blättern in einer Liste mit Kunstwerken aus der DDR, die aus der Öffentlichkeit verschwanden. Sie erinnert sich: »Im eigenen Leben liest sie, weiß, wo die Bilder entstanden, sieht Ateliers vor sich, spartanisch meist, Tisch, Stuhl und Liege, Staffeleien zwei, drei ... Es riecht nach Firnis, Öl, Terpentin, nach Rotwein auch und Papieren. Dicke Sträuße von Pinseln stehen in Gläsern bereit. In Spänen gewatet ist Lea beim Karl, der das Holz vor jedem Schlag mustert, bespricht, umschleicht. Im Stadtpark Neubrandenburg standen Bronzeskulpturen von ihm, auf dem Markt, im Ferienheim der Gewerkschaft ... Von der frühen Freundin sind auch Werke dabei. Als die Mauer fiel, im Herbst 89, kam ein Sammler zu ihr. Er wollte Ost-Kunst kaufen, ließ sich alle Bilder zeigen, blätterte in Mappen, wühlte in Kästen, war begeistert und suchte aus, haufenweise. Dann nannte er einen Spottpreis. Sie wies ihm die Tür. Jetzt lehrt sie in Tübingen. ... Von vielen ... hingen Bilder in Häusern für Kinder und Alte, schmückten Wände bei Kranken und Urlaubern, wurden für Betriebe gekauft, für Gaststätten, Schulen, Kulturhäuser, Büros. In den Straßen der Städte stand ihre Plastik, in Grünanlagen oder auf Plätzen. Leute saßen daneben, stellten die Einkaufstasche ab. Kinder turnten daran, die Spatzen machten Pause auf bronzenen Köpfen und ließen ihre Kleckerspuren zurück. Wandbilder gabs außen und innen von wem sonst bezahlt als von Parteien und Organisationen? Millionäre waren recht selten im Arbeiter-und-Bauern-Staat ...« Sie denkt an die Diskussionen im Künstlerverband zurück, an Auftragsvergaben, Stipendien und Ankäufe, an den Besucherandrang in Ausstellungen: »Ja, Brigaden kamen auch, von der Drehbank, vom Acker, aus Büros, aus Schulen. Neugierig waren die Leute, unverstellt, manche begeistert, andere ablehnend, skeptisch ... Zu Hunderten kamen sie jedenfalls. Es war eine andere Mischung als heute, wo es Vernissage heißt.« Und sie ruft sich die Atmosphäre ins Gedächtnis zurück, die im Künstlerverband herrschte: »... Leidenschaft auch, im Streit um das Wie und Was, um die Form, die gültige … Verehrung und Bewunderung, Klatsch und Tratsch, ehrgeiziger Wettbewerb, Vereinzelung oder Zusammenhalt der Kollegen, schwankend alles, doch durch ein Band verbunden, nicht wie jetzt, wo jeder seiner Wege geht und vom andern nichts weiß ...«. Heide-Marlis Lautenschlägers damalige Bemühungen, die aufgelisteten Werke in den Kunstsammlungen ihres Bundeslandes zu bewahren, schlugen fehl. Ihr Antrag an das Landesparlament fand keine Mehrheit. »Die wissen nicht, was sie tun«, sagte eine Abgeordnete ihrer Links-Fraktion zu ihr, und ein anderer: »Doch! ... bei der Elite fängt man an und der Kultur ...«. [1]

Dieser Roman erinnert auf sehr persönliche Art an die Nach»wende«zeit mit ihren Vandalenakten gegen Menschen und Kunstwerke. Schon kurz nach der falschen Euphorie, nach dem verlogenen Freiheitsgeschrei, nach illusorischen Verheißungen blühender Landschaften kam Ernüchterung: massenhafte Arbeitslosigkeit, gezielte Verdrängung der künstlerischen und wissenschaftlichen Eliten, Bildersturm, Stasi-Hatz, Demütigungen, Verächtlichmachen von Leistungen, das ganze Repertoire der Eroberer: Abriss des Palastes der Republik und anderer Architekturleistungen. Schändung und Entfernung von Denkmalen und Wandbildern. Verbannung von Bildwerken in die Magazine der Museen. Schließung von Bibliotheken, Theatern, Kulturhäusern und Orchestern. Massenhafte Vernichtung von Büchern usw. Man warf der DDR Kulturbarbarei vor und praktizierte sie selbst. In zahlreichen Presseveröffentlichungen, auch in einer Abrechnung anlässlich des 20. Jahrestages des »Anschlusses« der DDR an die BRD gab es detaillierte Bilanzen dieses Vernichtungsprozesses. [2] Sie sind erschreckend in ihrem Ausmaß. Auch Suizide gehören dazu. Einiges wird als ewiges Schandmal in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen.

Zunächst hatte es nach 1990 in den alten Bundesländern mutige Präsentationen gegeben, die an Erfahrungen aus dem deutsch-deutschen Kulturabkommen anknüpften. Später zeigte z.B. die Berliner Neue Nationalgalerie eine umfangreiche »Kunst in der DDR«-Ausstellung mit einer repräsentativen Werkauswahl, in deren Katalog man neben ideologisch intendiertem Unverstand auch Gutes, Eigenständiges, Wahres lesen konnte.

Nun sind weitere Jahre vergangen – und man muss sich die Frage stellen, ob sich überhaupt noch jemand an den Einigungsvertrag von 1990 erinnert, in dem festgelegt war, dass die kulturelle Substanz der neuen Bundesländer keinen Schaden nehmen darf. Auch wenn sich heute die Zeichen der Vernunft mehren, so bestimmt doch nach wie vor der Kapitalismus, wenn er sich auch verschleiernd »freiheitlich-demokratische Grundordnung« nennt, den Umgang mit Kunst und Kultur. Nicht das gesellschaftliche Gebrauchtwerden bestimmt diesen Umgang, sondern die Gesetze des Marktes. Die Diktatur des Geldes beherrscht die Kunstproduktion ebenso wie ihre Konsumtion. Was sich – auch nach Manipulationen – gut verkaufen lässt, ist »in«, auch wenn es künstlerischen Maßstäben nicht entspricht. Was sich nicht rechnet, fällt durch.

»Bilderstreit«

2006 zeigte die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen eine Ausstellung unter dem Titel »Deutsche Bilder aus der Sammlung Ludwig«. Bilder aus Ost und West wurden gleichberechtigt auf einer Augenhöhe präsentiert und man konnte sehen, dass die besten, scheinbar so unterschiedlichen Exponate aus den alten und neuen Bundesländern gemeinsame Wurzeln haben, u.a. im deutschen Expressionismus, in der Neuen Sachlichkeit und in der Kunst früherer kunstgeschichtlicher Perioden. Diese Ausstellung, von seriösen Kunstwissenschaftlern konzipiert und gestaltet, war ein wichtiger, gut gemeinter Schritt zur Überwindung des Kalten Krieges auf dem Gebiet der Kunst. Das verführte einige Publizisten dazu, von einem Ende des »Bilderstreits« zu sprechen.

Doch das war ein Irrtum. 1999 hatte in Weimar die Ausstellung »Aufstieg und Fall der Moderne« stattgefunden. Diese Horror-Schau war der absolute Tiefpunkt des Umgangs mit Künstlern und ihren Werken. Kunst aus der DDR wurde wie Müll behandelt, während Arbeiten aus der Sammlung Adolf Hitlers freundlicher präsentiert wurden. Es ging um undifferenzierte Entwürdigung, die den Zorn zahlreicher Künstler und Wissenschafller – nicht nur aus dem Osten Deutschlands – hervorrief. Dem rheinischen Kurator Joachim Preiß wurde ignorantes Unvermögen nachgewiesen; man sprach von einer »Massenexekution«. Im Umfeld dieser Schau bezeichneten andere die nicht in den Westen gegangenen Künstler als »Arschlöcher« und »Propagandisten der Ideologie«.

Dieser »Bilderstreit« wurde mit voller Härte auf dem Nürnberger Symposium weitergeführt, das im Sommer 2001 nach einer verbotenen Sitte-Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum stattfand, wo man – ganz im Sinne der Totalitarismus-Doktrin – Sitte als »Staatskünstler« mit Künstlern aus der Nazidiktatur gleichsetzte und das nicht als Diskriminierung begriff. Mit außerkünstlerischen Argumenten wurden (und werden z.T. bis heute) Kunstwerke zensiert. Das war sehr gezielt gelenkt – und der Terminus »Bilderstreit« verschleierte die Tatsachen, war ein Euphemismus: Es ging nicht um einen fairen Streit gleichberechtigter Widersacher; es ging von Anfang an um Delegitimierung, Verletzungen, Verurteilungen, Kränkungen, Ausgrenzungen und Unterstellungen.

Schon zuvor gab es dagegen Persönlichkeiten, deren Anliegen es war, deutlich zu machen, dass es im zusammengeschobenen Deutschland im Bereich der bildenden Künste – Qualität vorausgesetzt – mehr Gemeinsames als Trennendes gibt.

»Bleiben Sie wie Sie sind!«, schrieb der Aachener Kunstsammler Peter Ludwig 1990 an Walter Womacka; fünf Jahre später bestärkte er ihn in einem Geburtstagsgruß: »Haltung besteht darin, zu seiner Leistung und zu seinem Werk zu stehen.« Später warnte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Eröffnung einer Gerhard-Kettner-Ausstellung in Dresden davor, staatsnahe Künstler, die in der DDR wirkten, zu verurteilen.

Der Kalte Krieg ging jedoch weiter. In der 2009 im Berliner Gropiusbau eröffneten Ausstellung »60 Jahre - 60 Werke« anlässlich des Jubiläums des Grundgesetzes wurde kein einziges in der DDR entstandenes Werk gezeigt. Das Kuratoriumsmitglied Siegfried Gohr schrieb in der Zeitung »Die Welt« vom 2. 6. 2009: »Wer vermisst eigentlich diese zeitgebundenen, situationsbedingten und oft epigonalen Werke? … Warum sind die Werke von Künstlern, die in eine menschenverachtende Diktatur verstrickt waren oder ihr aktiv gedient haben oder als Alibi von Nutzen waren, so wichtig? … Die Ausstellung ... beweist Gott sei Dank, dass die ›DDR-Kunst‹ wirklich nur ein Nebenkriegsschauplatz ist.« Hier wird es offen ausgesprochen: Es ging also um Kriegsschauplätze. Eröffnet wurde diese skandalöse Schau von der aus der DDR stammenden Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und ein Kurator setzte dem Ganzen die Krone auf: Kunst könne nur in Freiheit gedeihen. In der DDR habe es keine Freiheit gegeben – also auch keine Kunst. Der Schriftsteller Christoph Hein schrieb damals einen zornigen Brief an die Bundesregierung: »Die Bilder und Graphiken, die Skulpturen und Installationen, die in der Zeit der DDR und im Herrschaftsbereich dieses untergegangenen Staates entstanden, sollen nach dem Wunsch des Kurators wie ›ein hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunsten‹. Was für eine Sprache! Ich will sie keineswegs mit der Sprache jener anderen Richter gleichsetzen, die einst eine ›entartete Kunst und entartete Künstler‹ zu vernichten suchten. … Aber die Haltung dieser Kunstrichter ist die gleiche, der Wunsch und das Ziel, sie sind deckungsgleich: ausmerzen, ausradieren, verdunsten.« [3] Ob Christoph Hein eine Antwort erhalten hat, ist nicht bekannnt.

Souveränität versus Kleingeisterei

Seit etwa einem Jahrzehnt mehren sich Beispiele eines achtungsvolleren Umgangs mit in der DDR entstandener Kunst. Menschen engagieren sich, die klüger und sensibler sind als viele »Aufarbeiter« und Meinungsmacher. Es sind Museumsleute, Restauratoren, Mitglieder von Kunstvereinen, Mäzene, ein forderndes Museumspublikum, vernünftige Kommunalpolitiker, Kunstwissenschaftler und Journalisten, die sich nicht damit abfinden, dass der Osten Deutschlands einschließlich seiner hochdifferenzierten Kunst dreißig Jahre nach dem in Endlosschleifen umjubelten »Mauerfall« noch immer nicht in der deutschen Einheit angekommen ist. Mancher dieser Versuche blieb halbherzig und war, vor allem wenn jüngere oder importierte Wissenschaftler am Werke waren, von Unkenntnis und anerzogenen Vorurteilen geprägt. Doch jeden Ansatz, auch wenn er hilflos erscheint, sollte man ernst nehmen.

(Aus: Peter Michel, a.a.O., S. 12-19.)

Anmerkungen:

[1]  Heide-Marlis Lautenschläger: Spinnweb. Bilder aus dem Leben der Lea E., edition lesezeichen, STEFFEN MEDIA GmbH Friedland/Berlin/Usedom, 2. Auflage 20.

[2]  Klaus Blessing und Siegfried Mechler (Hrsg.): Zwanzig Jahre ausgeplündert, ausgegrenzt, ausgespäht. Es reicht, verlag am park 2010; Peter Michel: Kulturnation Deutschland? Streitschrift wider die modernen Vandalen, Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2013; Peter Michel: Ankunft in der Freiheit. Essays gegen den Werteverlust der Zeit, verlag am park Berlin 2011.

[3]  Christoph Hein/Peter Michel: DDR-Kunst soll als »ein hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunsten«, in: Deutsche Geschichte 1/2010, Sonderheft 20 Jahre deutsch-deutsches Dilemma – eine alternativlos ehrliche Bilanz. Einheit in Zwietracht, S. 70 ff.