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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Über einen gemeinsamen Ausstellungsbesuch

Ellen Brombacher und Carla O'Gallchobhair, Berlin

 

Natürlich ist es legitim, eine Ausstellung über DDR-Vertragsarbeiter zu gestalten. Und es muss auch möglich sein, in diesem Kontext Kritisches zu äußern. Was uns mit Bitterkeit erfüllt, ist eine Überschrift, die wohl jegliches Urteil vorwegnehmen, zumindest aber beeinflussen soll. "Bruderland ist abgebrannt - Einwanderung, Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus in der DDR". Zu Antisemitismus in der DDR findet sich in der Ausstellung nichts. Wie auch? Tut nichts. Man organisiert eine begleitende Veranstaltung, und schon hat der Antisemitismusbegriff in der Überschrift seine Berechtigung. Jan Riebe, sozialisiert im Westen, verbunden mit der Amadeu-Antonio-Stiftung, sprach zum Thema. So z.B.: Es habe nach dem Krieg 1946 auf dem Boden der späteren DDR 5300 Juden gegeben, 1959 nur noch 3100 und am Vorabend der Wende 1989 ganze 300. Vermutlich bezieht er sich auf die Mitglieder der Jüdischen Gemeinden. In denen waren seinerzeit noch keine zehntausende Kontingentflüchtlinge aus der Sowjetunion. Dass im Verlaufe von fünfundvierzig Jahren sehr, sehr viele der überlebenden Holocaustopfer verstarben, wird wohl auch nicht mitgedacht. So entsteht der Eindruck, die Überlebenden hätten massenhaft die DDR verlassen - und das zu etwa zwei Dritteln nach dem Mauerbau. Und wie es nicht anders sein kann; für dieses Phänomen liefert Riebe eine ideologische Begründung: Der Dimitrowsche Faschismusbegriff, der den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Terrorherrschaft herstellte, wäre dem Gefühl der Juden, verfolgt worden zu sein, nicht gerecht geworden. Der Holocaust - diese Behauptung ist übrigens eine politische Dreistigkeit, man denke nur an Kunst und Literatur - sei in der DDR kaum mehr erwähnt worden. Des Weiteren seien die Juden enteignet, oder zumindest für das Naziunrecht nicht entschädigt worden. Und so ging es weiter. Es lohnt kaum, sich mit solch - vorsichtig formuliert - einseitiger Betrachtung auseinanderzusetzen, und es ist dies auch nicht der passende Bezug. Ebenso oberflächlich ist der Umgang mit Neonazis in der DDR. Die Amadeu-Antonio-Stiftung und andere greifen nach jedem auch nur entfernt als Fremdenfeindlichkeit auszulegenden Anzeichen, um zu beweisen, dass es auch schon in der DDR Neonazis gab. Der massive, gezielte Westimport von Nazikadern, die die Verunsicherungen in den Nachwendejahren nutzten, um zutiefst entwurzelte Jugendliche für die im Westen seit Jahr und Tag etablierten Nazi-Strukturen zu rekrutieren, wird geleugnet oder heruntergespielt. Die Medienpropaganda der neunziger Jahre legte bisweilen den Schluss nahe, mit dem Anschluss der DDR hätten die ostdeutschen Nazis die antifaschistische Bundesrepublik verseucht. Davon zumindest ist man weggekommen. Dass die alten Nazieliten die einstige Bundesrepublik maßgeblich prägten, den Staatsapparat - so die Bundeswehr, die Geheimdienste und das Klima an den Schulen, von der Wirtschaft gar nicht erst zu reden - ist bis heute ein Kavaliersdelikt. Dass die Nazieliten in der DDR nichts zu sagen hatten - die meisten waren ohnehin in den Westen geflüchtet - und die jungen Generationen in der DDR tatsächlich antifaschistisch geprägt wurden, darüber zu informieren, ist nicht zeitgeistgemäß. Es ist nur gut, dass auf der ebenfalls im Rahmen der Ausstellung durchgeführten Veranstaltung "Mythos Antifaschismus" hierzu deutliche Worte gefunden wurden, so von Prof. Wippermann, aber auch von Gregor Gysi.

Es geht uns nicht darum, alles in Frage zu stellen, worüber die Ausstellung berichtet. Zumal die DDR in ihr bei weitem nicht nur schlecht wegkommt. So schreibt ein angolanischer Vertragsarbeiter, der nach der Wende mit seiner Familie in Eberswalde wohnte: "Auch andere Hiergebliebene beobachten mit Sorgen die fremdenfeindlichen Übergriffe, denen wir uns ausgesetzt fühlen. Dabei denke ich an DDR-Zeiten zurück, als das noch nicht so war." Im Zusammenhang mit den polnischen Vertragsarbeitern findet sich die auf die DDR bezogene Feststellung, es habe Betriebe gegeben, in denen sich das Verhalten (gemeint sind nationalistische Tendenzen) gegenüber polnischen Kollegen erst durch staatliches Eingreifen verbesserte. Hieraus lässt sich zweierlei entnehmen: Es gab natürlich auch in der DDR einen nationalistischen Bodensatz, nur wurde der nicht toleriert, geschweige denn befördert. Und so findet sich in dem Ausstellungsteil über die polnischen Kollegen die Formulierung: "Bereits in der Wendezeit änderte sich das öffentliche Klima. Es gab eine staatlich geförderte Kampagne gegen solche Polen, die sich mit DDR-Waren einen privaten Zugang zur D-Mark verschafften. Dies markierte den Wegfall bisheriger, staatlich gesetzter Grenzen für offen nationalistisches Verhalten". Und noch eine Feststellung aus der Ausstellung: "In der DDR waren ausländerfeindliche Äußerungen verboten. Nach der Wende konnten die Leute frei ihre Meinung äußern." Zu solchen Auffassungen kann man sich unterschiedlich verhalten. "Sieh an", kann man sagen, "in der DDR gab es also auch nationalistische Stimmungen und rassistische Verhaltensweisen". Wer darüber erstaunt ist, kannte den Alltag der späten achtziger Jahre nicht. In mancher Kaufhalle schimpften die Einheimischen auf die Vietnamesen im Heim um die Ecke, die vieles wegkaufen würden. Zunehmende Versorgungsprobleme waren auch dem Internationalismus nicht förderlich. Aber bis zum bitteren Ende war es in der DDR strafbar, Probleme dadurch zu kanalisieren, dass z.B. Ausländer als Sündenböcke herhalten mussten. Kurz nach der sogenannten Wende brannten Asylbewerberheime in Ost und West, und die nächtlichen Brände endeten erst - und zwar abrupt - nachdem der Asylparagraph im Grundgesetz faktisch abgeschafft war. Ein solcher Vorgang wäre in der DDR undenkbar gewesen. Auf vermeintliche Freiheitsrechte, Menschen abzufackeln - oder auch "nur" die Stimmung für solch mörderisches Tun zu erzeugen -, sollte eine Gesellschaft verzichten können.

Wer sich durch die Grundtendenz der Ausstellung nicht a priori manipulieren lässt, findet durchaus Positives. Die meisten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in Westdeutschland kamen aus europäischen Ländern, ärmer als die BRD, aber doch nicht elend. Sie stammten z.B. aus Italien, Spanien, Griechenland oder auch Jugoslawien. Die DDR-Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter hingegen kamen aus dem kriegszerrütteten Vietnam, aus ehemaligen Kolonien und Bürgerkriegsländern in Afrika (z.B. Angola und Mozambique), aus dem auch nicht reichen Kuba - aber natürlich auch aus Polen. Sieht man vom RGW-Staat Polen ab, so ergibt sich aus der Situation der anderen aufgeführten Länder fast automatisch, dass die DDR hier Solidarität übte. Sehr viele Frauen und Männer aus diesen Staaten erhielten in der DDR ihre Ausbildung, die ihrem Heimatland später von Nutzen war. Natürlich gab es gerade mit dem Niedergang der DDR in den achtziger Jahren auch andere Tendenzen, über die Jörg Roesler in den rls-Standpunkten referiert, so zum Beispiel den vorrangigen Einsatz von Vertragsarbeitern in der Nachtschicht. Wer aber denkt, die DDR habe durch den Einsatz von Vertragsarbeitern nur ihrem Arbeitskräftemangel abhelfen wollen und ihr somit internationalistische Solidarität abspricht, der weiß entweder nichts oder hat alles vergessen. Und es gab nicht nur die Facharbeiterausbildung, sondern - auch das zeigt die Ausstellung - es gab bemerkenswert viele Freizeitangebote für die Vertragsarbeiter.

Die Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter waren in der Regel dankbar für die freundliche Aufnahme durch ihre DDR-Kolleginnen und Kollegen. Dass ihnen die Klimaumstellung schwer fiel und sie sich an die fremde Nahrung, z.B. Bockwurst, gewöhnen mussten, ist der DDR doch wohl nur bedingt anzulasten. Wirklich ablehnende Stellungnahmen finden sich in der Ausstellung kaum. Die Ausnahme ist ein Kubaner, dessen Vater auf Kuba inhaftiert war. Nach dem Ende der DDR äußerte er über seine Heimat: "Das kubanische Regime ist eine Diktatur ... ein Familienklan, eine Gruppe, die überhaupt nichts im Kopf haben, keine Schule, keine Ausbildung, nichts, und die wollen mit Gewalt ein Land regieren. Sie haben das Land total kaputt gemacht, ganz kaputt gewirtschaftet." Man muss dieses "Urteil" über Kuba nicht kommentieren. Dieser Kubaner blieb natürlich nach der Wende in Deutschland. Andere gingen mit 3.000 DM Abfindung zurück in ihre Heimat.

Worüber die Ausstellung auch berichtet, und was nicht schön geredet werden soll, ist die Tatsache, dass Frauen, wenn sie schwanger wurden, schnell wieder nach Hause geschickt wurden. Zu Hause galt das häufig als Schande und konnte für die Betreffenden tragische Folgen haben. Als Erich Honecker ein konkreter Fall zur Entscheidung vorgelegt wurde, durfte die schwangere Vietnamesin bleiben, und auch in weiteren Fällen sollten die Betroffenen bleiben dürfen. Diese Korrektur erfolgte im Frühjahr 1989 und blieb daher faktisch ohne Konsequenzen.

Der die Ausstellung abschließende Teil berichtet über die Lage der Vertragsarbeiter nach 1989/90. Da wird nichts beschönigt. Betriebsleiter erhielten Drohbriefe: "Wenn Du die Ausländer behältst und Deutsche entlässt, dann hängst Du am nächsten Baum!" Wer so etwas schrieb - miese Typen aus der untergegangenen DDR oder importierte rechte Hetzer - bleibt ungewiss. Die Ausstellung ist in ihrer Wirkung ambivalent, welche Absicht ihre Organisatoren auch immer gehabt haben mögen. Diese Widersprüchlichkeit wird besonders durch den offenen Brief von Frau Vu Le charakterisiert. Sie schreibt:

Den Tag, an dem wir in die DDR gekommen sind, kann ich nicht vergessen. Mit Blumensträußen und einer schönen Begrüßungsrede sind wir auf dem Flughafen Schönefeld herzlich empfangen worden. ... Die Deutschen sind sehr gastfreundlich und wir müssen unseren Fleiß zeigen. In den drei Jahren (1987-89, A.d.R.) haben wir auch in allen Betrieben unseren Fleiß gezeigt. Ich denke, die Betriebe waren bestimmt mit unserer Arbeit zufrieden.

Und dann kam der Mauerfall. Alles veränderte sich bis zur Wiedervereinigung.

Wir haben uns mit Euch gefreut. Es wird mehr Freiheit, mehr Demokratie für alle geben, es wird ein starkes und reiches Deutschland werden, dachte ich. Ich konnte auch nicht ahnen, was noch alles auf uns zukommt.

Die Arbeitsverträge wurden geändert und gelöst. Die ausländischen Arbeitskräfte wurden zuerst gekündigt. Und als das noch nicht reichte, mussten auch die deutschen Leute gekündigt werden. Es fiel uns allen schwer, uns an die neuen Lebensverhältnisse anzupassen.

Arbeitslosigkeit und Lebenshaltungskosten steigen in Deutschland. Und jetzt heißt es plötzlich, wir sind daran schuld. "Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg, sie machen uns arm, sie leben auf unsere Kosten und von unserem Geld usw." Diese Vorwürfe kommen von einigen Deutschen, die uns gar nicht kennen und auch nicht kennenlernen wollen …

Nicht nur Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter ahnten nicht, was auf sie zukommt: Die Kälte des Kapitalismus. Gerade deshalb tut Solidarität not - nicht zuletzt mit Migrantinnen und Migranten, darunter so manch ehemaliger Vertragsarbeiter, mit Flüchtlingen und Asylbewerbern. Niemand sollte vergessen, dass Solidarität und Internationalismus in der DDR prägende Werte waren.

 

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2012-12: Bericht des Bundessprecherrates (Archiv)

2012-11: Zu Tendenzen des Berliner Landesparteitages

2012-09: Erinnerung an die Ermordung Ernst Thälmanns vor 68 Jahren (Archiv)