Über die Neutralität Österreichs - Leserbrief
Dr. Elke Renner, Wien
Der Artikel von Prof. Dr. Latzo in den Mitteilungen 10/2015 über die Neutralität Österreichs bedeutete gerade vor dem 60. Jahrestag der Parlamentsabstimmung für die Neutralität am 26. Oktober 1955 eine zu diesem Thema selten klare Aussage, bemerkt Dr. Elke Renner aus Wien. Prof. Latzo geht davon aus, dass damals ein wesentlicher friedenspolitischer Schritt von der Sowjetunion und Österreich für die Zukunft möglich gewesen wäre, hätten das nicht die Westmächte, die NATO und in deren Dienst entsprechende wirtschaftliche und politische Lobbys in Österreich hintertrieben. Die endgültige Verabschiedung von der Neutralität durch den EU-Beitritt Österreichs hat die Beteiligung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ermöglicht. Prof. Latzo gibt einen schlüssigen Überblick und beendet seine Ausführungen mit der Annahme, dass in Österreich die Diskussion über die Neutralität des Landes besonders angesichts der Politik der NATO und des Verhältnisses von NATO und EU weitergeführt wird und man in politischen Kreisen davon ausgeht, dass die Neutralität des Landes noch immer von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert und als Teil der österreichischen Identität empfunden wird.
Dazu möchte ich aus der Sicht einer »Friedensbewegten«, die über Jahrzehnte für eine aktive Neutralitätspolitik eingetreten ist, einige ergänzende Gedanken einbringen.
Es ist richtig, dass es noch eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt, der die Neutralität wichtig ist, aber der größte Teil davon ist sich der realen Situation nicht bewusst. Ein Artikel in der österreichischen Tageszeitung Kurier vom 27. Oktober 2015 titelt »Neutralität, liebgewonnene Lebenslüge« und zeigt unverhohlen, wie die Neutralität von Anfang an und weiterhin umgangen wurde und wird. Eine öffentliche Neutralitäts-Diskussion gibt es kaum, da sie ja von den politischen Eliten und deren veröffentlichter Meinung gezielt vermieden wird, um sich an der EU-Militarisierung ungehindert beteiligen zu können. Die Parlamentsparteien haben jeden Schritt dieser Militarisierung mitgetragen. Selbst Abgeordnete, die in den 1980er Jahren noch in der Friedensbewegung verankert waren, haben die Wende vollzogen und erklären nun, wie »solidarisch« Österreich an Kriegseinsätzen teilhat. Vielfach ist es auch in der »Linken« opportun, speziell auch in Deutschland, das Eintreten für die österreichische Neutralität und gegen das EU-Diktat als nationale Eigenbrötlerei abzuwerten, weil sie der EU als Überwindung des Nationalstaates huldigen. Es werden aber nicht die Nationalstaaten überwunden, sondern ihre Beziehungen zueinander hierarchisiert und demokratische Verhältnisse zerstört.
Militarisierung war und ist immer mit dem Abbau von Sozialstaatlichkeit und Demokratie verbunden. Wenn ich an Österreich nach 1955 etwas schätzte, so war es der Neutralitätsstatus, eine relativ entwickelte Sozialstaatlichkeit und eine durch Volksentscheid verhinderte Nutzung der Atomkraft (heute zahlt Österreich für EURATOM). Diese Errungenschaften wurden sukzessive abgeschafft, reduziert oder umgangen.
Militarisierung fördert neben Sozialabbau und Entdemokratisierung auch entsprechende Veränderungen im Bildungsbereich. Zu neoliberalen Bildungskonzepten gehören neben der Orientierung an den Interessen der Wirtschaftsmächtigen und ihrem Konkurrenzprinzip die Einbindung des Bundesheeres und der Rüstungsindustrie sowie die Militarisierung von Wissenschaft und Forschung. Im Gegenzug werden Einrichtungen zur Friedensforschung weggespart.
Es ist nicht leicht gegen diese Entwicklungen Widerstand zu leisten. Die Pädagogische Taschenbuchreihe schulheft, deren Mitherausgeberin ich bin, publiziert seit Beginn der 1980er Jahre etliche Nummern, die das versuchen z.B.: »Unsichtbare Hand – sichtbare Faust, Informationen über Krisen und Kriege« oder »Zwei Seiten einer Medaille? Informationen zu Aufrüstung und Sozialabbau« (www.schulheft.at). Unser Abonnentenstand hat sich trotz der Zuspitzung der allgemeinen Misere eher verringert.
Seit vielen Jahren leistet die Solidarwerkstatt Österreich z.B. eine konsequente Aufklärungsarbeit in all ihren Publikationen. Es ist aber nicht gelungen, die Kräfte mehrerer Gruppen zu bündeln, einer guten Zusammenarbeit stehen zu viele Eigeninteressen der Initiativen und Organisationen entgegen.
Der 26. Oktober, der Nationalfeiertag, führt uns das Jahr für Jahr drastisch vor Augen. Angegebene 1.500.000 schaulustige »Interessierte« finden sich zur Leistungsschau des Heeres und dessen Propaganda für Auslandseinsätze, aber nur kleinste Grüppchen von Friedensaktivisten halten dagegen. Dass zunehmend Friedensforschung im Wissenschaftsbereich eingeschränkt wird, erschwert Aktivisten ihre Arbeit noch mehr. Dazu noch eine Empfehlung: Dozent Dr. Thomas Roithner hat seinen Arbeitsplatz in der Friedensforschung verloren, aber er stellt uns eine neue Publikation vor:
Roithner Thomas: Felix Austria, seine Neutralität und die europäische Sicherheit, eine friedens- und sicherheitspolitische Betrachtung im Lichte globaler Friedens- und Brandstifter, Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB), Arbeiterkammer Österreich (Hrsg.), Verlag Österreichischer Gewerkschaftsbund, Wien 2015.