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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Über das Ende des spanischen Bürgerkrieges und meine Emigration

Dr. Olga García Domínguez, Madrid

 

Ich wurde 1947 geboren. Aber ich kenne diese Zeit des Bürgerkrieges, als ob ich das erlebt hätte. Meine Eltern haben mir viel erzählt. Ich würde sagen, alles erzählt.

Meine Mutter, Kommunistin, arbeitete in der Bezirksleitung der KP Andalusien, in Jaén. Und mein Vater, auch Kommunist, diente während des Krieges in der republikanischen Armee. Am Ende des Krieges, am 5. März 1939, putschte Colonel Casado gegen die republikani­sche Regierung von Juan Negrín.

Er glaubte, dass Franco einen Frieden ohne Vergeltung machen würde. Und deswegen sperrte Casado viele Kommunisten, Sozialisten und Anar­chisten in Gefängnisse ein, um Franco einen Gefallen zu tun. Aufgrund dessen waren meine Eltern im Gefängnis.

Mein Vater lag im Lazarett von Valencia. Nach einer bewaffneten Auseinandersetzung mit franquistischen Truppen, wurde er schwer verletzt und in diesem Hospital behandelt. Blind, wie er war, wurde er überführt in das Gefängnis von Jaén und zum Tode verurteilt.

Meine Eltern erzählten mir, dass es eine sehr schwierige Zeit war, voller Angst und psychi­schem Missbrauch. Die Gefängnisse waren überfüllt und die Verhältnisse waren un­menschlich. Mein Vater war viele Jahre in Francos Gefängnissen. Und so wurde ich immer konfrontiert mit der politischen Tätigkeit meiner Eltern. Einmal im Jahr durften die Kinder im Gefängnis mehrere Stunden mit den gefangenen Angehörigen verbringen. So fuhren wir einmal im Jahr nach Burgos, um meinen Vater zu besuchen.

1961, durch eine weltweite Solidaritätsaktion, wurde mein Vater freigekämpft. Er war zu dieser Zeit der einzige politische Gefangene, der blind war. Auch in diesem Jahr organisier­te der spanische frauendemokratische Bund eine stille Demonstration in der Puerta del Sol, wo das größte Polizei- und Foltergefängnis war. Ich ging mit meiner Mutter dahin, und mit vielen anderen Frauen auch. Viele Frauen wurden verhaftet. Meine Mutter und ich auch. Aufgrund meines Alters, 14 Jahre, wurde ich nach ein paar Stunden auf freien Fuß gesetzt.

Meine Mutter blieb mit anderen Genossinnen im Gefängnis. Das war im Monat Mai und im Monat September, als ich mich wieder immatrikulieren wollte, um die Ober­schule weiter fortzuführen, war es nicht möglich. Ich bekam keinen Studienplatz.

Emigration nach Paris

Meine Eltern in Verbindung mit der KP beschlossen, mich nach Paris zu schicken, damit ich dort meine Oberschule fortsetzen kann. Ich war also die Erste, die in die Emigration ging. Es war sehr kompliziert für mich. Niemals hatte ich mich von meiner Mutter getrennt und jetzt, wo mein Vater in Freiheit war, mussten wir uns wieder trennen.

In Paris war ich bei einer französischen Familie untergebracht, beide Kommunisten, und ich hatte mich recht bald eingelebt. Beide haben mich wie eine eigene Tochter behandelt und ich fühlte mich sehr wohl. Ich konnte die Oberschule besuchen, auch zu Ende führen. Diese Familie hatte eine kleine Tochter, die meine kleine Schwester war. Meine kleine Schwester, die ich niemals hatte. Es war eine schöne Zeit für mich.

Das war die erste Zeit meiner Emigration. 1963 wurde meine Mutter als Vertreterin für den demokratischen Bund spanischer Frauen gewählt und nach Berlin geschickt, wo der Sitz der Internationalen Demokratischen Frauenföderation war. Mein Vater musste illegal aus Spanien geschleust werden, um sich mit uns in Paris zu treffen. Das hat ein französischer Genosse gemacht mit gefälschten Papieren und es war auch eine Zeit voller Angst. Wenn die Polizei meinen Vater erwischt hätte, wäre er wieder ins Gefängnis gekommen. Aber er kam nach Paris und kurz danach fuhren meine Eltern nach Berlin. Ich war also in Paris und sie in Berlin. Zu Weihnachten 1963 habe ich sie besucht. Es war für mich klar, dass die Funktion meiner Mutter mit vielen Reisen verbunden war. Mein Vater, blind, konnte nicht alleingelassen werden. Und so sah ich die Notwendigkeit ein, in Berlin zu bleiben.

In der DDR habe ich mich als gleichwertiger Mensch gefühlt

Am Anfang war ich nicht glücklich darüber. Ich kannte die Sprache nicht, hatte natürlich keine Freunde. Aber langsam erlernte ich die Sprache, ging zur Oberschule – leider sehr weit weg von dem Ort, wo wir wohnten. Wir wohnten in Hohenschönhausen und meine Oberschule war in Niederschönhausen. Es war auch Winter und das komplizierte alles. Ich war nicht gewöhnt, solche Temperaturen zu haben, so lange Schnee. Uns ging es aber gut. Wir hatten eine schöne Wohnung, wohnten in einer schönen Gegend.

Meine Mutter arbei­tete in der Frauenföderation, mein Vater hatte eine sehr gute medizinische Betreuung. Er kam aus dem Gefängnis und war sehr krank. Er wurde sehr gut behandelt in der DDR. Außerdem trat er in Verbindung mit Interbrigadisten und mit SED-Genossen. Die organi­sierten Konferenzen, damit er über die spanische Aktualität und über den Bürgerkrieg erzählen konnte.

Meine Eltern waren beide Mitglieder der Organisation der Kämpfer gegen den Faschismus und hatten aufgrund dessen eine stabile Rente.

Ich hatte inzwischen sehr viele Freunde in der Oberschule. Die versuchten am Anfang, sich mit mir zu verstehen und ich mit ihnen. Wir haben zuerst mit Händen und Füßen geredet. Aber bald danach ging es viel besser mit unserer mündlichen Verständigung. Ich wieder­holte die 11. Klasse und dann machte ich Abitur.

Im Winter fuhr ich mit meinen Mitschülern zum Winterurlaub – Skifahren. Für mich war es ganz neu. Alle meine Mitschüler konnten schon Ski fahren. Ich hatte aber in meinem Leben so wenig Schnee gesehen, aber ich fühlte mich wohl. Im Sommer übersetzte ich für die CGT und arbeitete im Sommerlager für die französische Gesellschaft. Es war eine schöne Zeit.

In der DDR habe ich mich als gleichwertiger Mensch gefühlt. In Spanien war ich die Toch­ter von einem »Roten«. So nannten die Franquisten alle Republikaner und alle Gefangenen. Dort durfte ich niemandem sagen, wer meine Eltern waren, sonst hätte ich sicher Repres­salien gehabt. Ich wurde nicht getauft, ich hatte auch die erste Kommunion nicht gemacht – also ein Mensch zweiter Klasse für die Offizialität.

In der DDR war ich ein freier Mensch. Ich konnte mit Stolz alles erklären. Ich war Mitglied der FDJ und studierte Medizin, das, was ich immer machen wollte. Ich kann mich noch sehr gut an meine Aufnahmeprüfung erinnern in der Humboldt-Universität. Ich wurde danach von zwei Freunden abgeholt und wir machten eine spontane Feier an einer Bank in der Friedrichstraße. Das sind unvergessliche Momente für mich.

Ich habe viele Jahre in Berlin in der DDR im Krankenhaus als Gynäkologin gearbeitet. Dort habe ich meinen Mann kennengelernt, dort habe ich meinen Sohn bekommen und dort habe ich die schönsten Jahre meines Lebens verbracht.

Rückkehr nach Spanien

1989 kam ich zuerst alleine nach Spanien zurück. Mein Vater hatte mir als Kommunistin auch immer erzählt, dass wir Kommunisten in unser Land zurückfahren müssen, um dort zu erbauen, was in der DDR Wirklichkeit war: eine menschliche Gesellschaftsordnung.

So bin ich am Anfang alleine zurück gefahren.

Meine Rückkehr nach Spanien war meine schwierigste Emigration. Ich kam mit einem wun­derschönen Beruf, mit vielen Kenntnissen, aber ohne jede materielle Grundlage. Und im Kapitalismus bist du nichts, wenn du keine materiellen Güter hast. Die Banken geben dir auch nichts, wenn du nichts hast. Es war sehr kompliziert, moralisch und psychisch. Wir hatten keine Wohnung. Ich kam zuerst alleine und blieb bei einem Cousin. Bald habe ich in verschiedenen medizinischen Einrichtungen gearbeitet. Mein Sohn, mein Mann und meine Mutter – alle blieben in Berlin. Ich habe in dieser Zeit viel geweint und habe mich sehr allein gefühlt. Ich verstand dieses Land, mein Land, nicht mehr. Ich war nicht gewöhnt, für meine Tätigkeit als Ärztin Geld zu verlangen. In der DDR war das Gesundheitswesen kostenlos. So war ich gewöhnt, zu arbeiten. Hier war es alles anders. Diese Teamarbeit, die ich in der DDR kannte, war hier nicht. Hier warst du alleine auf dich gestellt.

Nach einigen Monaten konnte ich eine Wohnung mieten und so konnten zuerst meine Mutter und mein Sohn kommen. Mein Mann hatte noch Verträge in Berlin und musste oft hin und her fahren.

Für uns alle war es sehr kompliziert. Meine Mutter hatte sich sehr danach gesehnt, nach Spanien zurückzukehren. Aber als sie hier war, fühlte sie sich sehr unsicher. Diese Sicherheit, die sie in Berlin hatte, hatte sie hier nicht. Und sogar mein Sohn wollte zurück. Er meinte, die Kinder in Spanien schreien viel und er war gewöhnt an seinen kleinen Kindergarten bei Tante Beate.

Für meinen Mann war es wieder ein neues Exil, da er Chilene ist. Er hatte es nicht einfach, in Madrid auch Fuß zu fassen als Künstler.

Ich dachte, nach Francos Tod hätte sich alles geändert. Aber es ist nicht so gewesen. Es hat sich vieles geändert, aber der Kapitalismus ist nach wie vor so aggressiv wie immer und der Humanismus hat in so einer Gesellschaftsordnung wenig Platz. Jetzt, nach so vielen Jahren, haben wir uns alle eingelebt und haben unsere progressiven, linken Freunde gefunden, mit denen wir uns gut fühlen.

Die spanische Geschichte wurde nicht aufgearbei­tet, während der Franco-Zeit und leider auch heute noch nicht. Es gibt eine große Stille über die Zeit des Bürgerkrieges, über alles, was die zweite Re­publik geschafft hat. Ich will euch ein kleines Bei­spiel erzählen: in den Schulen wird heutzutage ganz wenig über den Bürgerkrieg gespro­chen. Außerdem – wenn darüber gesprochen wird – war es nicht Franco, der putschte ge­gen die zweite Republik, sondern es war ein Befreiungskampf von Franco. So wissen heut­zutage die Leute ganz wenig darüber. Es gibt in Morata de Tajuña das Museum der Jarama-Schlacht, und deut­sche Architekturstudenten sind gekommen und haben versucht, dieses Museum neu auf­zubauen, da dessen Räumlichkeiten in sehr schlechtem Zustand waren. Und diese acht Studenten, geführt von einer Dozentin, Frau Professor Abri, haben in der kurzen Zeit viel mehr gewusst über den spanischen Bürgerkrieg als viele unserer Jugendli­chen heutzutage wissen.

Es ist beängstigend für mich, wenn ich feststelle, wie leider in fast allen Ländern die Rechten, die Faschisten präsent sind. Auch in Spanien ist das der Fall. Wir bemühen uns, unsere Erfahrungen aus der DDR zu erzählen, denn hier in Spanien wissen die Einwohner wenig über den realen Sozialismus.

Es waren, wie neulich der spanische Schriftsteller Javier Cercas sagte, nicht drei Jahre Krieg, sondern 43 Jahre Krieg. Diese 40 Jahre Franquismus sind Spanien sehr schlecht bekommen.