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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Strategisch entscheidend ist die Eigentumsfrage

Barbara Borchardt, Dr. Regina Girod, Dr. Gisela Grunwald

Im ND vom 19. September 2011 (Seite 3) äußerte Genossin Frigga Haug sich zu einem von ihr, Katja Kipping und anderen im Februar 2011 begonnenen Versuch, dem zukünftigen Parteiprogramm eine die feministischen Ansätze unserer Partei umreißende Präambel voranzustellen. Frigga Haug hierzu wörtlich im ND: "Das ist die Vier-in-einem-Perspektive, die ich als reale Utopie in die LINKE bringen wollte". Inzwischen soll das ursprünglich als Präambel gedachte Papier "als Nachtrag ins Programm" [Der eingereichte Antrag G.2 von Frigga Haug u.a. fordert: "Der anhängende Text "Die Politik der LINKEN  – Politik um Zeit" wird als Anhang dem Programm angefügt und mit veröffentlicht." Dieser Antrag ist im Antragsheft 2 veröffentlicht, siehe: www.die-linke.de/fileadmin/download/parteitage/erfurt2011_antragshefte/erfurt2011_antragsheft2.pdf]. Seinerzeit setzten sich Genossinnen mit diesem Papier auseinander, und Barbara Borchardt, Dr. Regina Girod und Dr. Gisela Grunwald stellten ihre Positionen zur Veröffentlichung zur Verfügung. Die jW bezog sich am 1. Juli 2011 in einem redaktionellen Artikel auf Seite 15 darauf. Der Bundessprecherrat und die Redaktion halten es nun vor dem Erfurter Parteitag für zweckmäßig, die im April dieses Jahres verfaßte Polemik mit der nunmehr als Antrag an den Parteitag gestellten Ausarbeitung von Frigga Haug und anderen Genossinnen geringfügig gekürzt zu veröffentlichen:

"Jeder, der etwas von der Geschichte weiß, weiß auch, daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das weibliche Ferment unmöglich sind. Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des weiblichen Geschlechts (die Häßlichen eingeschlossen)." Diese Worte von Marx aus dem Jahr 1868 [Werke 32/582-583] haben auch 143 Jahre später nichts an Aktualität verloren. Gerade unter diesem Aspekt ist jede Forderung berechtigt, dem künftigen Parteiprogramm der LINKEN eine prinzipielle feministische Prägung zu geben. Seit dem 28. Februar 2011 existiert ein von Frigga Haug, Katja Kipping, Lena Kreck und weiteren Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern verfaßter Antrag zur Veränderung des vorliegenden Parteiprogramms [Siehe: www.friggahaug.inkrit.de/documents/Praeambel-Entwurf-11-03-10.doc]. Die Autorinnen und Autoren möchten, daß ihr Text vor die Präambel des Entwurfs gesetzt wird. Mit anderen Worten: Sie wünschen eine neue Präambel unter dem Titel: "Kämpfe um Zeit". In zweierlei Hinsicht ist der Antrag von Vorteil. Zum einen erzwingt das Papier eine größere Aufmerksamkeit für das Thema Feminismus im Rahmen der Programmdebatte und zum anderen enthält es eine ganze Reihe von Textstellen, die in den Programmentwurf übernommen werden könnten.

Allerdings sollte der Antrag nicht de facto die Präambel ersetzen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wesentliche: Der Antrag macht die "Kämpfe um Zeit" zum Dreh- und Angelpunkt linker und zugleich feministischer Strategie und Politik. Die Hauptbegründungen hierfür: "Von der Arbeit und ihrer Verteilung aus begründet sich alle Herrschaft, lassen sich gegenwärtige Krisen, läßt sich unsere Politik begreifen. Immer geht es um die Verfügung über Arbeitskraft, die eigene oder fremde, so daß alle Politik und Ökonomie hier ihren Anfang und ihr Ziel findet, indem sie letztlich um die Zeit streitet, in der Menschen tätig sind. Skizzieren wir die historische Entwicklung: Menschen eignen sich ihr Leben gemeinschaftlich an, indem sie die Natur umgestalten, in Lebensmittel für sich verwandeln und in angemessene Lebensbedingungen. Im Laufe der Geschichte gelang es, die Produktivkräfte, also den Kräfteeinsatz bei der notwendigen Arbeit immer weiter zu entwickeln, und somit die fürs Überleben nötige Arbeitszeit zu verkürzen. Dadurch wird Zeit für weitere Entwicklung frei. Eine Teilung der Arbeit wird möglich, die weitere Tätigkeiten aufzunehmen erlaubt, statt bloß von der Hand in den Mund sich abzurackern. Diese Teilung der Arbeit beschleunigt den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß und ermöglicht zugleich mit der Entstehung des Privateigentums Herrschaft als Verfügung über die Arbeitskraft anderer. Klassenkämpfe bestimmen den Fortgang der Geschichte, … Die Kämpfe um Arbeit sind Kämpfe gegen Herrschaft in den Befestigungen der historischen Teilungen, also gegen die Herrschaft über Frauen, gegen die Abhängung der ländlichen Regionen von der weiteren kulturellen Entwicklung, gegen die Ausbeutung der Natur, gegen die Herrschaft der Köpfe über die Hände und schließlich der Reichen über die Armen. …" Und an anderer Stelle heißt es: "Es liegt auf der Hand, daß in diesen durch Arbeitsteilung fundierten Verhältnissen die Kämpfe um die Zeit und ihre Verfügung von beiden Geschlechtern geführt werden. Vom Standpunkt der Reproduktion der Gesellschaft sieht man, wie vor allem Frauen gefordert sind, sich der Wiederherstellung der – in vielen Regionen und Familien immer noch vornehmlich männlichen Lohn-Arbeitskraft ohne die übliche Bezahlung anzunehmen, während die Lohnarbeiter gehalten sind, sich der industriellen Disziplin so zu unterwerfen, daß ihre Arbeitskraft für die Ernährung der Familie ausreicht."

Die Nähe der Autorinnen und Autoren zu marxistischen Positionen ist unverkennbar – und das ist durchaus nicht negativ gemeint. Engels schrieb 1884: "Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche" [Werke 21/68].

Im Papier liest sich das in etwa so: Die "Teilung der Arbeit beschleunigt den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß und ermöglicht zugleich mit der Entstehung des Privateigentums Herrschaft als Verfügung über die Arbeitskraft anderer. Klassenkämpfe bestimmen den Fortgang der Geschichte, die auf vier großen Arbeitsteilungen beruht: der Teilung von Frauen- und Männerarbeit, von Stadt und Land, von körperlicher und geistiger Arbeit und der Pseudoarbeitsteilung von Arbeit und Nichtarbeit." So weit, so gut.

Zugleich liegt dem Antrag von Frigga Haug und anderen ein fundamentaler Denkfehler zugrunde. Der "Kampf um Zeit" wird zum Schlüssel für die Lösung aller Probleme gemacht. Darauf, so heißt es, "zielt die Vier-in-Einem-Perspektive. Unter dem Aufbruch ins Leben im Vier-Viertel-Takt verstehen wir: ein Viertel Erwerbsarbeit, ein Viertel Reproduktionsarbeit, ein Viertel für Muße, Kunst und Kultur und um das Ganze komplett zu machen ein Viertel Politik." Wie soll dies geschehen? Zeiteinteilungen sind doch an den Eigentumsverhältnissen vorbei eher nicht zu haben.

Erinnern wir uns auch hier kurz an Marx, genauer an die Entstehung der Mehrwertrate. NichtbesitzerInnen von Produktionsmitteln sind gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Je nach konkreten historischen Bedingungen und der ihnen innewohnenden sozialen Situation unterteilt sich der mehr oder weniger lange Arbeitstag in ein bestimmtes Verhältnis von notwendiger und Mehrarbeitszeit. Die notwendige Arbeitszeit ist jene, in der der/die Arbeitende die für die Reproduktion der eigenen Arbeitskraft – Familie inbegriffen – erforderlichen Lebensmittel etc. erarbeitet. Die Resultate der Mehrarbeitszeit kommen dem Besitzer der Produktionsmittel zugute. Je nach den herrschenden Verhältnissen kann der/die Arbeitende von dem in der notwendigen Arbeitszeit Erarbeiteten mehr oder weniger gut bzw. mehr oder weniger schlecht leben. Setzt man die notwendige und die Mehrarbeitszeit zueinander ins Verhältnis, so ergibt sich daraus für den Besitzer der Produktionsmittel die berühmte Mehrwertrate – die Voraussetzung für Profit. Aus dieser zweifellos verkürzten Darstellung geht zweierlei hervor: Erstens: Jeder Kampf um die Erweiterung der notwendigen Arbeitszeit für diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, ist ein Kampf für ein besseres Dasein und kann – zumindest in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts traf dies in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern zu – ein relativ gutes Leben zur Folge haben. Zweitens: Dieser Kampf um Zeit löst niemals das elementare Problem, daß Besitzer von Produktionsmitteln sich fremde Arbeit aneignen und daß ein würdiges Leben unter Ausbeutungsverhältnissen bestenfalls eine zeitlich begrenzte Perspektive hat. Deshalb ist die Eigentumsfrage für Sozialistinnen und Sozialisten die strategisch entscheidende, und eben hierin besteht der Grundkonflikt zwischen dem von Frigga Haug und anderen gewünschten Präambelersatz und der Präambel des vorliegenden Programmentwurfs.

Die von Frigga Haug und anderen gewünschte neue Präambel trägt durchaus auch antikapitalistische Züge, verwischt aber die elementare Bedeutung der Eigentumsproblematik. Nicht nur im Kontext mit der Verabsolutierung des Faktors Zeit ist an dem mehr als sieben Seiten umfassenden Text Kritik angebracht. Hier sollen die inhaltlichen Anmerkungen auf diesen Punkt reduziert werden, verbunden mit dem Wunsch, daß viele Genossinnen und Genossen den Text durcharbeiten und sich ein eigenes Bild machen.

Noch ein Wort zur Sprache der gewünschten Präpräambel. Diese ist in weiten Teilen kryptisch, also unklar und deshalb schwer verständlich formuliert. Nur ein Beispiel soll das belegen: "Mit Beginn des Kapitalismus wird auch Ausbeutung eine eigene Arbeit, die der Leitung. Die Empörung der im Erwerbsleben Tätigen aber wird mißbraucht, um die aus der Erwerbsarbeit herausgefallenen mit zusätzlicher Verachtung zu belegen. Das Spannungsfeld wird zunehmend ein ideologisch umkämpftes Terrain. In ihm entfalten sich Alternativbewegungen, die etwa im Kampf um ein bedingungsloses Grundeinkommen die Verknüpfung von sozialer Sicherheit mit Kontrolle über den Arbeitseinsatz als einen Zusammenhang begreifen, kapitalistische Disziplin zu reproduzieren. Ihr Aufbruch sollte in ihrem Beharren, daß die "sozialen Garantien des Lebens" (Luxemburg) in einer modernen und in einer demokratischen Gesellschaft allen gewährt werden müssen, verknüpft werden mit dem Verlangen, die Zeit, die die einzelnen in der Erwerbsarbeit verbringen, auf das historisch notwendige Maß zurückzudrängen."

Was dort steht, mag stimmen, ist aber mehr als schwer verständlich. Das Prinzip "Teile und Herrsche" ist hier so verschwiemelt beschrieben, daß es sich kaum noch erschließt und wird außerdem mal eben mit dem Kampf um ein bedingungsloses Grundeinkommen verknüpft. Letzteres ist in der Partei äußerst umstritten und sollte – wenn überhaupt – nur unter dem Aspekt im Programmentwurf erwähnt werden, daß über das bedingungslose Grundeinkommen in der LINKEN diskutiert wird, es aber bei weitem nicht mehrheitsfähig ist.

Abschließend verweisen die Autorinnen auf Formulierungen im Antrag von Haug u.a., die in ein zu beschließendes Parteiprogramm – zumindest in ihrer Intention – übernommen werden könnten und die sich mittlerweile zum Teil auch im Leitantrag an den Erfurter Parteitag wiederfinden.