Stille Straße ist überall - Zivilcourage siegt
Thomas Fritsche, Berlin-Pankow
Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Pankow beschloss in Erfüllung der Sparvorgaben des Senats, die Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße 10 zum 30. Juni 2012 zu schließen und das in exklusiver Lage befindliche Haus meistbietend zu verkaufen. Damit setzten sich die Bezirksverordneten zwar gegen die Linksfraktion durch, sie rechneten aber nicht mit dem Widerstand der Mehrheit der über 300 Nutzerinnen und Nutzer.
Seit Juli 2012 ist die Begegnungsstätte durch die "wilden Alten" besetzt. Sie fordern den Erhalt ihrer Begegnungsstätte, wollen den über Jahre entstandenen sozialen Zusammenhalt erhalten, wollen "ihre Familie" nicht aufgeben. Diese - wie internationale Medien feststellten - auf der Welt einmalige Aktion betagter Mitbürger lebt vom heroischen Einsatz der Seniorinnen und Senioren, der aktiven Unterstützung vieler freiwilliger Helfer und von der breiten nationalen und internationalen Solidarität.
Da diese Unterstützung, diese Widerspenstigkeit und die breite Solidarität stört, wurde gegenüber Honorarkräften, gegenüber solidarischen Projekten, die über Fördermittel finanziert werden, seitens Senat und Bezirksamt Druck ausgeübt. So wurde versucht, mit der Fragestellung "Welches andere Projekt, wenn nicht die Stille Straße?" soziale Einrichtungen gegeneinander auszuspielen. Vor allem aber störte, dass die Besetzerinnen und Besetzer ihre Aktion sehr wohl als Protest gegen den landesweiten Kahlschlag an soziokultureller Infrastruktur, als Wahrnahme ihrer Verantwortung gegenüber den Enkeln verstanden wissen wollten. Deshalb der Slogan "Stille Straße ist überall".
Der Protest - der schon an die physischen wie psychischen Grenzen der Besetzerinnen und Besetzer ging -, zeigte seine ersten Erfolge darin, dass der Begegnungsstätte zwar der Telefonanschluss gekappt, Wasser und Strom aber belassen, von einer Räumung Abstand genommen wurde und sich die Politik erneut mit dem "Fall" befasste. Die BVV beschloss am 29. August 2012 - entgegen bisheriger Beschlusslage -, das Objekt über einen Erbbaurechtsvertrag mit sozialer Zweckbindung, Wohlfahrtsverbänden, freien Trägern und Vereinen zur weiteren Nutzung anzubieten. Mit gleichem Beschluss forderten sie aber auch die sofortige Annullierung der Betriebsgenehmigung und den schnellstmöglichen Verkauf. Damit gingen die Kommunalpolitiker nur scheinbar auf die Forderungen ein, verabschiedeten hingegen einen Beschluss zur Verhinderung der Weiterführung der Begegnungsstätte.
Am 20. September 2012 befasste sich der Finanzausschuss der BVV mit der einzig von der Volkssolidarität Berlin e.V. (VS) eingegangenen Interessenbekundung. Dabei führten sich die Bezirksverordneten auf, als ob sie etwas zu verschenken hätten, beanstandeten das Angebot der VS und verschoben die Entscheidung auf den 18. Oktober 2012. Der lautstarke Protest der Senioren und deren Frage nach notwendiger Heizung der Begegnungsstätte führte dazu, dass die Sozialstadträtin am nächsten Tag in der Stillen Straße erschien, die Heizung öffnete und 500 € Heizkostenvorschuss von den Besetzerinnen und Besetzern kassierte.
Der anhaltende Protest und die nicht nachlassende Solidarität und mediale Öffentlichkeit erzwangen eine grundlegende Wendung im Auftreten von SPD, B90/G und Piraten in der BVV Pankow. Am 18. Oktober 2012 beschloss der Finanzausschuss, dass die Begegnungsstätte Stille Straße ab 1. Januar 2013 für ein Jahr vermietet und bis Ende 2013 per Erbpacht an die VS übergeben werden soll.
Die Rettung der Stillen Straße ist in erster Linie ein Sieg der Nutzerinnen und Nutzer, die durch die monatelange, strapazenreiche Besetzung eine Aufgabe der Einrichtung verhinderten - aber auch der LINKEN, die dauerhaft und vielfältig unterstützte. Zur weiteren Sicherung der Tätigkeit der Begegnungsstätte wird am 26. Oktober 2012 ein "Förderverein Stille Straße" gegründet, der durch organisatorische wie inhaltliche Hilfe und nicht zuletzt durch die Einwerbung von Spenden tätig werden wird. Wer sich an der zukünftigen Sicherung des Hauses beteiligen möchte, den bitte ich um Spenden an die
Volkssolidarität, Landesverband Berlin e.V., Kto-Nr. 3141219 bei der Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 10020500, Spendenzweck: Stille Straße. - Info: stillestrasse10bleibt.blogsport.eu