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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Sozialismus wieder zu einer Gesellschaftskonzeption geworden

Ernst Heinz, Berlin

Die Mai-Mitgliederversammlung unserer Basisorganisation (Humannplatz, Berlin Prenzlauer Berg) beschäftigte sich mit dem "Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE". Dazu referierte als Gast Genossin Elke Breitenbach, Mitglied des Berliner Landesvorstandes und der Fraktion im Abgeordnetenhaus. Unser Erstaunen war groß: Sie ließ kaum ein gutes Haar an dem der Parteimitgliedschaft zur Diskussion unterbreiteten Text. Der sei viel zu allgemein, die notwendigen Reformschritte, die zu unserem Ziel führen sollen, würden nicht konkret benannt, die Probleme der Arbeitslosigkeit, die Erfahrungen Berlins mit dem "öffentlichen Beschäftigungssektor" würden nicht gewürdigt, "Arbeitsmarktpolitik" und soziale Sicherheit überhaupt wären unterbelichtet, Vollbeschäftigung würde es sowieso nie mehr geben, konkret würde der Entwurf nur in den Fragen der Steuerpolitik u. dgl. m. Der große Wurf sei dieses Schriftstück also nicht. Die Diskussion, die sich dann entspann, zeigte, daß die Genossen, die den Programm-Entwurf schon gelesen hatten, die Meinung der Referentin nicht teilten.

Endlich, nach dem vielen Hin und Her im Parteivorstand ("Was brauchen wir jetzt ein Programm, wir haben doch die 'Eckpunkte'", "Wahlprogramme hatten wir immer, und das genügt" ... usw.) liegt nun etwas auf dem Tisch, um das es zu streiten lohnt. Endlich ist in einer programmatischen Aussage der Partei der Sozialismus aus einem Traum, aus rein ethischen Werten wieder zu einer Gesellschaftskonzeption geworden, für deren Verwirklichung wir kämpfen wollen, die Wirklichkeit werden soll. Endlich enthält ein Programm-Entwurf eine Art Analyse der sozia1ökonomischen Ausgangssituation; ob sie in jeder Frage ins Schwarze trifft, darüber kann man ja reden. Endlich wird um die Eigentumsfrage nicht mehr herumgeredet; es wird die Vergesellschaftung von Eigentum in der Daseinsvorsorge, der Infrastruktur, der Energiewirtschaft, im Finanzsektor und an deren strukturbestimmenden Bereichen gefordert. Die Rolle des außerparlamentarischen Kampfes und breiter linker Bündnisse, ohne die die Arbeit unserer Abgeordneten wirklich nicht viel bringen würde, wird hervorgehoben. Eine etwaige Regierungsbeteiligung wird an konkrete Bedingungen geknüpft; sie muß völlig ausgeschlossen sein, wenn eine Regierung das Land in Kriege führt, sich an NATO-Politik und weiterem Sozialabbau beteiligt.

Kann man mit allem, was wir in diesem Entwurf lesen, einverstanden sein? Sicher nicht. Ich wünschte mir eine klarere Darstellung unseres Antifaschismus (ohne Benutzung der verlogenen Vokabel "Nationalsozialismus"). Vieles, was unsere Vergangenheit betrifft, müßte anders bewertet werden – die Rolle der rechten SPD-Führung 1914, 1918, 1933, die Vereinigung der Arbeiterparteien in Ostdeutschland 1946 und vor allem die Rolle der Deutschen Demokratischen Republik, des ersten deutschen Friedensstaates. Auch die Geschehnisse von 1989/90 schätze ich völlig anders ein als das im Programm-Entwurf erfolgt. Die Rolle der EU ist falsch dargestellt. Die Bernsteinsche Tautologie "Demokratischer Sozialismus" oder der Kampf-Slogan unserer Feinde "Stalinismus" sollten wegbleiben u. v. m.

Na gut, könnte man sagen, laßt uns darüber diskutieren. Aber was ist das für eine Diskussion, wenn die ostdeutschen Landeschefs der Partei sich von vornherein gegen den ganzen Entwurf wenden – so Lederer auf dem Berliner Landesparteitag, so die Fraktionsvorsitzenden in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg und Sachsen-Anhalt? Worum geht es ihnen eigentlich? Soll die Partei sich unter Preisgabe unserer sozialistischen Ziele und unserer friedenspolitischen Grundsätze der heutigen SPD noch weiter annähern? Soll dem Streben einiger Funktionäre nach Regierungsposten die Partei geopfert werden? Ich denke, das dürfen wir nicht zulassen! Unsere Mitgliederversammlung hat beschlossen, die Diskussion über den Programm-Entwurf konstruktiv fortzusetzen.

5. Mai 2010