Skandalöses brutales Verhalten der Polizei
Ein Briefwechsel
Mit Zustimmung der Adressatinnen und Adressaten veröffentlichen wir das nachfolgende Schreiben vom 12. Januar 2021 und die Antworten vom 14. Januar 2021 sowie den Beschluss des Bundesausschusses der Partei DIE LINKE vom 16. Januar 2021. – Am 20. Januar beschloss der geschäftsführende Landesvorstand den an ihn vom Landesparteitag überwiesenen Dringlichkeitsantrag »DIE LINKE verurteilt brutalen Polizeieinsatz gegen LL- Demo«, s. Seite 30. Des Weiteren erreichte uns eine Vielzahl von solidarischen E-Mails, so von Gerhard Mertschenk, Wolfgang Dockhorn, Gerhard Langguth, Ulrich Sander und Rudolf Denner.
Schreiben an Katina Schubert (Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Landesverband Berlin), Sebastian Koch (Geschäftsführer der Partei DIE LINKE, Landesverband Berlin), Anne Helm (Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Berlin) und Carsten Schatz (Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion, Berlin)
Liebe Katina, lieber Sebastian, liebe Anne, lieber Carsten, nachfolgend möchten wir uns mit einer Bitte des Bündnisses zur Vorbereitung der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung an Euch wenden: Lasst dem Innensenator und der Berliner Polizei ihr brutales, skandalöses Verhalten gegen die Demonstration am 10. Januar 2021 nicht durchgehen. Man kann es für richtig oder falsch halten, dass das Bündnis die Demonstration nicht auch auf den 14. März 2021 verschoben hat. Das Vorgehen der Polizei hat mit dieser Frage nichts zu tun. Es herrschte Willkür. Weder war der Grund – oder nur der Anlass? – für das Polizei-Agieren rechtens, noch das konkrete Vorgehen ohne jede Vorwarnung. Vorgewarnt wurden weder die Demo-Leitung noch die Demonstranten. So etwas hat es seit der 2. Hälfte der 90er Jahre nicht mehr gegeben. In der heute veröffentlichten Erklärung des Bündnisses (siehe Anhang [1]) haben wir das Verhalten der Polizei skizziert. »Einzelheiten«, wie der brutale Angriff auf einen Rollstuhlfahrer oder andere widerwärtige Bilder, die im Netz zu besichtigen sind, haben wir nicht einmal aufgeführt. Dass die Polizei, nachdem Demonstranten auf Grund des Polizeiüberfalls zusammenrückten, »feststellte«, dass Hygienebestimmungen nicht eingehalten wurden, erinnert bitter an einen alten Witz. Es schubst jemand einen anderen die Treppe hinunter und ruft ihm hinterher: »Was rennst Du denn so?« Oder, in verschärfterer Form: »Haltet den Dieb; er hat mein Messer im Rücken!« Aber – so weit sind wir noch nicht. Wir haben an allen LL-Demonstrationen in Verantwortung teilgenommen. Ohne spekulieren zu wollen, erlauben wir uns den Hinweis, dass die Polizei, die ein so aggressives Verhalten seit gut 20 Jahren nicht mehr an den Tag gelegt hat, von Anbeginn durch martialisches Gebaren darauf hindeutete, dass etwas passieren wird. Und so war es dann auch. Es ging um weitaus mehr als um eine ungeliebte Demonstration ohne schwarz-weiß-rote Fahnen. Man zeigte den Linken die Instrumente. Da wir schweren Zeiten entgegengehen, denn die sozialen Folgen der Pandemie beginnen sich erst abzuzeichnen, sollten wir den Anfängen wehren.
Mit solidarischen Grüßen, Ellen Brombacher und Jürgen Herold – Berlin, 12. Januar 2021
Antwort von Katina Schubert (Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Landesverband Berlin)
Liebe Ellen, lieber Jürgen, vielen Dank für eure Mail! Selbstverständlich respektiert DIE LINKE Berlin, dass das Bündnis in der Abwägung mit knapper Mehrheit zu dem Schluss gekommen ist, dass eine Demo für Rosa und Karl trotz der Pandemie am traditionellen Datum durchgeführt werden kann. Auch wir haben leider den Eindruck, dass die Einsatzstrategie der Polizei in Berlin immer wieder eine andere war und ist, je nachdem ob es sich um vermeintlich linke oder rechte Versammlungen handelt, und ich habe dies in meiner Funktion als Landesvorsitzende DIE LINKE Berlin z.B. im Zusammenhang mit der Räumung der Liebig 34 nicht nur gegenüber dem Innensenator, sondern auch bereits öffentlich kritisiert. Auch wir sind empört über den rechtlich umstrittenen und unverhältnismäßigen Polizeieinsatz bei der Demo für Rosa und Karl. Grundsätzlich ist es aber so, dass die VertreterInnen von DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen keinen direkten Einfluss auf Polizeieinsatzplanungen in Berlin haben. Politisch allein verantwortlich ist hier der SPD-Innensenator. Der Polizeieinsatz wurde bereits am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses auf Drängen des innenpolitischen Sprechers der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader, kritisch aufgearbeitet. Niklas hat unsere Kritik der Polizeipräsidentin von Berlin, Frau Slowik, im Ausschuss sehr deutlich mitgeteilt. Die FDJ-Ost ist nie verboten worden – anders als die FDJ-West, die bereits in den 50er Jahren im Westen verboten wurde. Während FDJ-Symbole in einzelnen alten Bundesländern als »verfassungsfeindlich« gelten, ist dies nach unserer Rechtsauffassung in Berlin nicht der Fall. Vor dem Einschreiten der Polizei hat allerdings die Staatsanwaltschaft Berlin eingeschätzt, dass ein Anfangsverdacht auf Verfassungsfeindlichkeit bestehen würde, weil FDJ-Symbole gezeigt worden sind und auf dieser Grundlage hat die Polizei agiert. Wir teilen diese Auffassung nicht! Es ist davon auszugehen, dass nun ein Gericht entscheiden wird, ob das Zeigen des FDJ-Symbols gemäß den Gesetzen in Berlin als Anfangsverdacht für Verfassungsfeindlichkeit gewertet werden darf. So oder so war das Vorgehen der Einsatzkräfte am Wochenende aus Sicht von Partei und Fraktion von DIE LINKE Berlin unverhältnismäßig. Im Netz kursiert ein Video von einem Polzisten, der wie ein Karate-Kämpfer auf die VersammlungsteilnehmerInnen losgeht. Zwar sind auch VersammlungsteilnehmerInnen bspw. mit Fahnenstangen gewaltsam gegen die Einsatzkräfte vorgegangen, aber die Gewalt ging aus unserer Sicht ganz eindeutig von der Polizei aus, und das ist absolut inakzeptabel. Vor diesem Hintergrund hat Niklas am Montag im Ausschuss veranlasst, dass eine Prüfung wegen des unverhältnismäßigen Agierens der Polizei durchgeführt wird und die Vorgänge somit aufgearbeitet werden müssen. Wenn ihr Interesse an den diesbezüglichen Ergebnissen habt, bitte ich euch, in ein bis zwei Wochen direkt bei Niklas diesbezüglich nachzufragen: n.schrader@linksfraktion-berlin.de
Solidarische Grüße, Katina – Berlin, 14. Januar 2021
Antwort von Anne Helm (Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Berlin) und Carsten Schatz (Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion, Berlin)
Liebe Ellen, lieber Jürgen, vielen Dank für Eure Mail, auf die wir gern antworten wollen. Wir haben mit Entsetzen bereits am Wochenende vom Vorgehen der Polizei erfahren und unser Innenpolitischer Sprecher Niklas Schrader hat den Polizeieinsatz umgehend im unmittelbar auf den Einsatz folgenden Innenausschuss des Abgeordnetenhauses thematisiert. Wie Ihr sicherlich wisst, ist es grundsätzlich so, dass die Vertreter der Koalitionspartner keinen direkten Einfluss auf Polizeieinsatzplanungen und den konkreten Polizeieinsatz in Berlin haben. Politisch allein verantwortlich ist hier der SPD-Innensenator. Nach Darstellung der Berliner Polizeipräsidentin Frau Slowik hat vor dem Einschreiten der Polizei auch die Staatsanwaltschaft Berlin eingeschätzt, dass ein Anfangsverdacht auf Verfassungsfeindlichkeit bestehen würde, weil FDJ-Symbole gezeigt worden sind, und auf dieser Grundlage hat die Polizei agiert. Nun ist uns bewusst, dass die FDJ-Ost nie verboten worden ist – anders als die FDJ-West, die in den 50er Jahren im Westen verboten wurde. Von Gerichten ist das Tragen von FDJ-Symbolen bislang stets als straffrei bewertet worden. Deswegen können wir die konkrete Einschätzung der Polizeipräsidentin und der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen, und Niklas hat für unsere Fraktion das im Innenausschuss auch deutlich gemacht (siehe hier z.B. ein Bericht der taz: taz.de/Rosa-Luxemburg-Demo-in-Berlin/!5738916/). Es ist davon auszugehen, dass nun Gerichte erneut feststellen werden, ob das Zeigen des FDJ-Symbols gemäß den Gesetzen in Berlin als Anfangsverdacht für Verfassungsfeindlichkeit gewertet werden darf. Aber selbst wenn dies anders gesehen würde, aus unserer Sicht wäre selbst dann der Einsatz nicht verhältnismäßig gewesen. Als zusätzlicher Grund für das Einschreiten der Polizei wurde von Frau Slowik angeführt, dass ein Verstoß gegen das Uniform-Verbot im Versammlungsrecht vorgelegen hätte. Aus unserer Sicht ist allerdings mindestens zweifelhaft, ob dies bereits bei ca. 30 Uniformierten in einer größeren Versammlung einen Anlass für die Polizei darstellen kann, dagegen vorzugehen. Auch im Hinblick auf diese Frage wird es nun evtl. zu einer gerichtlichen Klärung kommen.
So oder so war das Vorgehen der Einsatzkräfte am Wochenende aus Sicht von Partei und Fraktion von DIE LINKE Berlin unverhältnismäßig. Im Netz kursiert ein Video von einem Polizisten, der wie ein Karate-Kämpfer auf die VersammlungsteilnehmerInnen losgeht. Zwar sind auch VersammlungsteilnehmerInnen bspw. mit Fahnenstangen gewaltsam gegen die Einsatzkräfte vorgegangen, aber der erste Auslöser der Gewalt ging aus unserer Sicht ganz eindeutig von der Polizei aus, und das ist absolut inakzeptabel. Der Tritt des Beamten war der Polizeipräsidentin bislang nicht bekannt, sie hat aber zugesagt, dem nachzugehen. Wir gehen deshalb davon aus, dass ein Strafverfahren eingeleitet wird. Wir werden uns weiter für eine kritische Aufarbeitung dieses Einsatzes einsetzen, natürlich auch mit Blick auf die nächsten Jahre.
Mit solidarischen Grüßen, Anne Helm und Carsten Schatz – Berlin, 14. Januar 2021
Berliner Landesparteitag der LINKEN: DIE LINKE verurteilt brutalen Polizeieinsatz gegen LL-Demo
Der Geschäftsführende Landesvorstand von DIE LINKE. Berlin hat in seiner Sitzung am 20. 01. 2021 den vom Landesparteitag überwiesenen Dringlichkeitsantrag »DIE LINKE verurteilt brutalen Polizeieinsatz gegen LL-Demo« beschlossen.
»Der Berliner Landesparteitag der LINKEN verurteilt den brutalen und rechtswidrigen Polizeieinsatz gegen die Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 10. Januar 2021.«
Am 10. Januar 2021 versammelten sich tausende Menschen, um bei einer Gedenkdemonstration an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vor 102 Jahren zu erinnern. Dabei kam es zum Einsatz von Gewalt durch die Polizei, unter anderem durch einen Polizisten, der mit gestrecktem Bein in die Menge der Demonstranten gesprungen ist.
Wir erwarten, dass dieser Polizeieinsatz aufgeklärt wird.
(hdielinke.berlin/aktuell/#c16709)
Bundesausschuss der Partei DIE LINKE, Beschluss vom 16. Januar 2021: Polizeilicher Willkür ein Ende setzen
Der Bundesausschuss der Partei DIE LINKE hat die Erklärung des Bündnisses zur Vorbereitung der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung, 11. Januar 2021 zur Kenntnis genommen. Der Bundesausschuss verurteilt entschieden die Polizeigewalt gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 11. Januar 2021. Wir sehen darin den Versuch, das in den ehemaligen Westsektoren Berlins [2] und den sogenannten »alten« Bundesländern noch immer geltende Verbot der FDJ auch in den Ländern gewaltsam durchzusetzen, in denen es nach dem Einigungsvertrag von 1990 tatsächlich nicht gilt. Wir fordern die für den Einsatz der Polizei im Land Berlin politisch Verantwortlichen auf, dieser polizeilichen Willkür ein Ende zu setzen.
Anmerkungen:
[1] Seite 25 in diesem Heft oder www.ll-demo.de.
[2] Die Benennung der Westsektoren Berlins in der Erklärung des Bundesausschusses hat zu Irritationen geführt. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass diese Frage nichts an der Beurteilung der Polizeigewalt gegen die LL-Demo und deren Begründung mit dem Verbot der FDJ ändert. Zweitens wurde die FDJ nicht in »Westdeutschland« verboten, sondern in der Bundesrepublik Deutschland. Und die hielt – auch wenn entsprechende Bestimmungen im Grundgesetz und in der (West-)Berliner Verfassung von den Alliieren suspendiert worden waren – politisch an der Zugehörigkeit des »Landes Berlin« zur BRD fest. Und drittens hatte die Bundesregierung in ihrem Verbotsbeschluss die Landesregierungen ersucht »jede Betätigung« der FDJ zu unterbinden. Dem konnte die Westberliner Verwaltung nicht folgen, das Verbot also nicht durchsetzen. Das schafft aber das »Ersuchen« und seine politischen Nachwirkungen nicht aus der Welt. Im Übrigen handelt es sich noch immer nicht nur um ein Berliner Problem. Ich habe ein entsprechendes Agieren der Polizei auch in Ziegenhals erlebt. Das spricht mehr für politisch gewolltes Verhalten als für spontane Willkür. Artur Pech, Mitglied des Präsidiums des Bundesausschusses der Partei DIE LINKE