Sechs Tage im Juni 1933: Die "Köpenicker Blutwoche" und ihre Opfer
Amelie Artmann, Stefan Hördler, Yves Müller
Einen Höhepunkt des frühen SA-Terrors in der Reichshauptstadt stellte die "Köpenicker Blutwoche" vom 21. bis 26. Juni 1933 dar. Mehrere hundert Mann des selbständigen SA-Sturmbanns 15 verschleppten und folterten rund 500 Personen, nachweislich 24 Menschen starben. Im Kontext von Machtergreifung und Machtkonsolidierung richtete sich die Gewaltaktion hauptsächlich gegen kommunistische und sozialdemokratische Oppositionelle sowie bürgerliche Eliten, aber auch gegen Jüdinnen und Juden. Die Verhaftungswellen, Folterungen und Morde im Juni 1933 müssen daher – auch mit Blick auf das reichsweite SPD-Verbot am 22. Juni 1933 – in einem breiteren Zusammenhang gesehen werden. Was von den Nationalsozialisten als dezentrale Maßnahme gegen den Deutschnationalen Kampfring dargestellt wurde, besaß in Wirklichkeit eine überregionale Bedeutung. Der SA-Terror in Köpenick im Juni 1933 war Teil einer reichsweiten und zentral gesteuerten Aktion zur nationalsozialistischen Machtsicherung.
Während der Weimarer Jahre galt der Bezirk Köpenick im Südosten Berlins als "Mischbezirk", in dem ein hoher Anteil an Arbeitern (47,7%) einem ebenfalls großen Mittelstand (38,2%) gegenüberstand. Traditionell war die Arbeiterschaft auch hier eher dem Spektrum der linken Parteien zugeneigt, während das bürgerliche und kleinbürgerliche Milieu mehr dem rechten Lager verbunden war. Demonstrationen, Saalschlachten und blutige Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern waren auch hier keine Seltenheit.
Nach der Machtübernahme richteten sich die Repressionen in erster Linie gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, gegen Mitglieder von Arbeiterorganisationen, aber auch gegen jüdische Bürger und andere missliebige Personen. Der Terror adressierte die Arbeiterbewegung, war jedoch nicht zuletzt auch Zeichen der Abwehr des Bürgertums: Wer allzu offen für Republik und Demokratie eintrat, paktierte mit Sozialdemokratie und "Marxismus" – den "Novemberverbrechern" von 1918 –, so die nationalsozialistische Propaganda. Individualismus und Materialismus galten als bürgerliche Einstellungen.
Bereits im Zuge des "Reichstagsbrandes" in der Nacht des 27. Februar 1933 unternahm die SA überall in Köpenick Hausdurchsuchungen und Festnahmen – in den Köpenicker Siedlungen wohnten viele Reichstagsabgeordnete, Gewerkschafts- und Reichsbannerfunktionäre. Im Zuge der Reichstagswahlen vom 5. März kam es mit Schwerpunkt auf den Ortsteil Friedrichshagen zu Razzien, Festnahmen und Misshandlungen. Über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde der Fall der SPD-Politikerin Maria Jankowski, die von SA-Männern am 20. März verschleppt und brutal misshandelt wurde. Als am 1. April reichsweit jüdische Geschäfte und Einrichtungen boykottiert wurden, verhafteten SA-Männer auch in Köpenick Jüdinnen und Juden auf offener Straße. Eines der Opfer war der konfessionslose Unternehmer Georg Eppenstein, der einer jüdischen Familie aus Berlin-Nikolassee entstammte. Auch nach der "Köpenicker Blutwoche" im Juni fanden regelmäßig Hausdurchsuchungen und willkürliche Kontrollen auf den Straßen statt.
"Alle müsst Ihr dran glauben."
Vier Uhr in der Frühe am 21. Juni 1933: Nachdem sich in der Nacht die Führer der Köpenicker Sturmbanns 15 zu einer Adjudantenbesprechung einfanden, löste Sturmbannführer Herbert Gehrke Alarm aus, woraufhin sich alle SA-Männer in ihren Sturmlokalen zum Dienst zu melden hatten. Schließlich wurde die SA in Köpenick in drei Gruppen eingeteilt, um eine systematische und koordinierte Verhaftungswelle anrollen zu lassen. Das Schema der Festnahmen war meist ähnlich: Kleine Gruppen von SA-Männern drangen in die Wohnungen bekannter Oppositioneller ein, durchsuchten alles nach politischem Schriftgut, einschlägiger Literatur und Waffen. Ob etwas gefunden wurde, spielte meist nur eine untergeordnete Rolle, da die Betroffenen zunächst sowieso festgenommen wurden. Zu Fuß, im Lastkraftwagen oder auch per Straßenbahn brachte man sie in eines der örtlichen Sturmlokale. Innerhalb weniger Stunden wurden so offenbar dutzende, wenn nicht hunderte Menschen verschleppt. Isot Kilian war neun Jahre alt, als sie zusehen musste, wie ihr Vater Götz Kilian, ein bekannter Köpenicker Kommunist, durch die Straßen geprügelt wurde: "Ich sah meinen Vater, als ich aus der Schule kam, auf einem vollbesetzten Lastwagen klemmen zwischen lauter SA-Leuten. […] Ich heulte ununterbrochen, bis wir zuhause ankamen und noch weiter. Wie eine Sirene. Keiner konnte mich beruhigen." 1934 mussten Götz und Liddy Killian mit ihrer Tochter Isot Berlin verlassen.
Nicht wenige Inhaftierte wurden in einem Raum "vernommen", das heißt man protokollierte zunächst ihren Namen, Geburtsdatum und -ort, Religion sowie Zugehörigkeit zu einer Partei, bevor man sie nach Namen und Aufenthalt weiterer Personen fragte. Waren die Antworten nicht befriedigend oder schwiegen die Befragten, setzten Misshandlungen ein. Viele Opfer konnten jedoch nicht standhalten und verrieten Andere, die sogleich ebenfalls heimgesucht werden sollten. Im Amtsgerichtsgefängnis sollte ein Teil der Häftlinge konzentriert werden, weswegen man sie aus den Sturmlokalen durch die Straßen Köpenicks trieb.
Als am späten Abend des 21. Juni eine Gruppe SA-Männer in der Alten Dahlwitzer Straße in das Haus mit der Nummer 2 eindrang, um den sozialdemokratischen Gewerkschafter Johann Schmaus und seine beiden Söhne Hans und Anton festzunehmen, schoss Anton in Notwehr die drei SA-Männer Walter Apel, Ronert Gleuel und Wilhelm Klein nieder und flüchtete. Die Nachricht von der Schießerei verbreitete sich rasend und löste bei den SA-Männern enorme Rachegefühle aus. Der Zeuge Bernhard Klappert, zitierte die SA-Männer auf dem Heuboden später folgendermaßen: "Sie sagten dann 'ihr Hunde, ihr seid schuld, dass man drei von unseren Leuten erschossen hat, für jeden einen SA-Mann müssen 3 von Euch dran glauben, nicht nur drei von Euch, sondern alle müsst Ihr ran'."
Schmaus' Vater Johann wurde erhängt im Schuppen des Wohnhauses aufgefunden. Anton selbst stellte sich der Polizei. Zwei Beamte sollten ihn in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz einliefern, doch gestaltete sich der Transport äußerst schwierig, da dutzende SA-Angehörige versuchten, das Fahrzeug mit dem Delinquenten aufzuhalten und dessen Herausgabe zu erwirken. Im Präsidium wurde Anton Schmaus von dutzenden SA-Männern umringt und schließlich durch einen Schuss niedergestreckt. Er starb am 16. Januar 1934 an den Folgen weiterer Misshandlungen durch die SA.
Unter den heute bekannten Toten – sämtlich Männer – befanden sich prominente Politiker, aber ebenso einfache sozialdemokratische und kommunistische Parteimitglieder und Funktionäre. Die SA ermordete das SPD-Vorstandsmitglied Johannes Stelling, ehemaliger Ministerpräsident Mecklenburg-Schwerins. An den Folgen der Misshandlungen verstarb 1940 auch Götz Kilian. Ebenso überlebte Georg Eppenstein die Folter nicht. Der promovierte Chemiker wurde am 21. Juni 1933 von SA-Männern verhaftet, im Sturmlokal "Demuth" schwer misshandelt und später in das Amtsgerichtsgefängnis überführt. Seine Frau Marta konnte die Freilassung ihres Mannes erwirken: "Ich erschrak, als ich ihn sah. Er war nicht wieder zu erkennen. Die Brille war weg, die Augen, der Kopf zerschlagen, das Nasenbein zertrümmert." Eppenstein erlag am 3. August 1933 seinen Verletzungen. Seine Ermordung war eine der ersten antisemitisch motivierten Tötungen nach der Machtübernahme in Berlin.
Juristische Aufarbeitung und Gedenken nach 1945
1947 wurden die Straßen und der Platz, die 1933 den drei getöteten SA-Männern gewidmet worden waren, sowie weitere Straßen nach Mordopfern der "Köpenicker Blutwoche" umbenannt. Seit 1969 erinnert ein Denkmal an die Opfer, das zentraler Ort der lokalen Erinnerungsarbeit in der DDR war. Die Ereignisse der "Köpenicker Blutwoche" im Juni 1933 bestimmten und bestimmen vielerorts noch heute die Topografie in Köpenick.
Ein erstes Verfahren zum Tatkomplex "Köpenicker Blutwoche" fand 1947 vor dem Landgericht Berlin-Moabit statt, ein zweites 1948. Fünf Haftstrafen wurden ausgesprochen. Zwei Jahre später erhob der Oberstaatsanwalt von Berlin (Ost) Max Berger in der Strafsache gegen "Plönzke u.a." Anklage gegen 61 frühere SA-Männer. Herbert Gehrke befand sich nicht unter ihnen, er war am 18. März 1945 in Dirmingen/Saar gefallen. Die 4. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin (Ost) verhandelte vom 5. Juni bis 19. Juli 1950 gegen 32 anwesende und 24 abwesende Personen. Das Tribunal verurteilte 15 Angeklagte zum Tode, 13 zu lebenslanger Haft und die übrigen Beschuldigten zu Haftstrafen zwischen fünf und 25 Jahren.
Am 8. Mai 1980 wurde auf Initiative des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer (KdAW) – Kreiskomitee Köpenick – im ehemaligen Amtsgerichtsgefängnis Köpenick ein "Traditionskabinett" eröffnet. Nach der Wende führte der im Herbst 1990 gegründete Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener (IVVdN) das Erbe des KdAW fort. Die Ausstellung wurde bis 1995 mehrfach grundlegend verändert. Die Gedenkstätte "Köpenicker Blutwoche Juni 1933" im ehemaligen Amtsgerichtsgefängnis Köpenick wird seitdem vom Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin verwaltet. Die Eröffnung der neu konzipierten Gedenkstätte findet aus Anlass des 80. Jahrestages des Beginns der "Köpenicker Blutwoche" am 21. Juni 2013 in Berlin-Köpenick statt.
Dieser Beitrag wurde im VVN-Organ "Unser Blatt" im April 2013 veröffentlicht. Die Autor/innen erarbeiten derzeit eine neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte "Köpenicker Blutwoche". Die neue Ausstellung wird am 21. Juni 2013 um 11 Uhr in der Gedenkstätte in der Puchanstraße 12, 12555 Berlin, eröffnet. Öffnungszeiten: Do 10-18 Uhr. www.koepenicker-blutwoche.org