Sahra Wagenknecht
stellvertretende Parteivorsitzende, Mitglied des Bundestages und Mitglied der Redaktionskommission
Am 31. März war der Schluß, um Anträge einzubringen, die direkt in das Verfahren gehen, in dem der Parteivorstand und zunächst mal die Redaktionskommission einen Leitantrag erstellt. Wir haben in den letzten Tagen noch endlos viele Anträge bekommen.
Im Mai wird es eine dreitägige Klausur der Redaktionskommission geben, wo wir das alles irgendwie strukturieren müssen. Und zwar so, daß der Parteivorstand es dann auf einer dreitägigen Klausur schafft, die Änderungen abzustimmen. Es wird so ein Verfahren sein, daß wir voraussichtlich bei Sachen, die konsensual sind – es wird da auch ein paar geben –, dem Vorstand empfehlen, das zu übernehmen. Bei vielen Sachen wird es alternative Abstimmungen, Kampfabstimmungen, geben, aber auch die müssen ja vorbereitet werden.
Der Parteivorstand wird sich im Mai und noch mal im Juli mit dem überarbeiteten Papier beschäftigen, und im Juli wird der Leitantrag veröffentlicht werden, der dann wiederum für Änderungsanträge auf dem Parteitag die Grundlage ist. Es ist natürlich nicht so, daß dieser vom Parteivorstand beschlossene Leitantrag schon das Nonplusultra sein muß. Es gibt natürlich die Möglichkeit, zu diesem Leitantrag bis Mitte September Änderungsanträge zu stellen, die dann im Oktober auf unserem Programmparteitag verhandelt werden. Dort wird dann ein Programm beschlossen werden, welches danach zur Mitgliederabstimmung vorliegt. Also das ist sozusagen der grobe Fahrplan. Jetzt zum Inhaltlichen.
Wir haben längere Zeit nach Veröffentlichung des Programmentwurfs viele Meinungsäußerungen bekommen. Das waren meist nicht konkrete Anträge, sondern vielmehr prinzipielle Äußerungen, etwa: In dem Punkt sollte noch dies und das berücksichtigt werden. Oder: Die Analyse sei noch unzureichend. Oder auch eher allgemeine Äußerungen zur Gesamtbewertung des Entwurfs. Das war im Herbst bis zum Winter 2010/11 das Dominierende in den sehr vielen Zuschriften.
Es zeigte sich schon in dieser Zeit: Erstens, die Programmdebatte wird sehr intensiv geführt. Die Basis der Partei beteiligt sich sehr interessiert daran. Und die Meinungsäußerungen verdeutlichen auch: Der Grundtenor des Programms ist meist unterstützt worden. Viele Genossen wollen in dem und dem Punkt noch etwas ergänzen, präzisieren oder verändern – die deutliche Kapitalismuskritik, die Aussicht einer sozialistischen Perspektive, die klare friedenspolitische Position befürworten sie allerdings deutlich. Das konnte in der Programmkommission bei der Auswertung auch von jenen, die eine grundlegend andere Auffassung zum Entwurf vertreten, nicht wesentlich anders beurteilt werden. Es konnte dort niemand sagen, daß die Zuschriften hergeben würden zu sagen: Also, dieser Entwurf sei in der Partei durchgefallen, und es gäbe massive, grundsätzliche Einwände. Vielmehr gibt es viele Ergänzungen, Veränderungen an konkreten Punkten. Die sind vor allem auch in den letzten Wochen eingegangen, und da allerdings auch noch einmal sehr massiv von jenen, die eben einen komplett anderen Entwurf wollen.
Das fds [forum demokratischer sozialismus, Zusammenschluß innerhalb der Partei DIE LINKE] z.B. hat ein 13 Seiten langes Papier mit Änderungsanträgen verfaßt. Ema.Li [Emanzipatorische Linke, Zusammenschluß in und bei der Partei DIE LINKE] hat Anträge gestellt. Aber es gibt auch Anträge, die auf eine Präzisierung und deutliche Akzentuierung und Konturierung in linker Hinsicht hinausgehen.
Zur Präambel gibt es einige komplett andere Vorschläge und dann auch eine Menge an Anträgen, die einzelne Punkte ändern sollen.
Es gibt einen komplett anderen Vorschlag vom fds. Das ist im Grunde mehr oder weniger die Präambel, die damals Michel Brie und Dieter Klein schon in der Programmkommission eingebracht haben. Daß sie die noch mal einbringen ist legitim. Der Unterschied zur jetzigen Präambel ist meines Erachtens vor allem gleich am Anfang die Totalabgrenzung zum Sozialismusversuch. Der undifferenzierte Umgang mit Geschichtsfragen war aber einer der Gründe, warum wir in der Programmkommission diese Präambel nicht wollten. Also das wird am Anfang direkt eine Grundsatzentscheidung, welche Präambel man dort nehmen wird.
Dann gibt es de facto einen zweiten Alternativentwurf des Landesvorstands NRW zur Präambel. Dieser unterscheidet sich von der jetzigen Präambel vor allem dadurch, daß man die Vier-und-Eins-Perspektive aus dem Papier von Frigga Haug und anderen sehr ausführlich in den Anfang reinnimmt. In diesem Präambelvorschlag steht manches Richtige drin. Aber ich hatte das Gefühl, daß er nicht sehr leserlich ist für Menschen, die nicht in alle internen Debatten der Linken involviert sind. Zudem sind auch Positionen in dem Papier, die man durchaus auch kritisch sehen kann. Soweit zur Präambel.
Dann gibt es zum ersten Abschnitt "Analyse" Anträge sowie Meinungsäußerungen in zwei total gegensätzliche Richtungen. Es gibt einerseits eine ganze Reihe von Zuschriften, die besagen, der Text im Zusammenhang mit der Geschichtsanalyse sei zu negativ, zu abgrenzend in Bezug auf die DDR-Geschichte. Und dann gibt es den gegensätzlichen Part: die Forderung nach Komplettabgrenzung zur Geschichte der DDR. Dazu gibt es entsprechende Anträge des fds. In dem Gegenentwurf von Halina Wawzyniak und Raju Sharma etwa ist ein wesentlicher Unterschied zum Programmkommissions-Entwurf der Geschichtsteil. In etwa so ein Text zur Geschichte ist jetzt vom fds auch noch mal als Einzelantrag eingereicht worden. Also in puncto Geschichte kann man nicht von einem gemeinsamen Trend reden. Und da wird man im Parteivorstand entscheiden müssen. Ich wäre dafür, daß man die differenzierte Sicht, wie sie jetzt im Entwurf ist, im wesentlichen beibehält.
Zur Kapitalismusanalyse gibt es viele, die sagen, die ist völlig richtig, genau in dieser Beschreibung der Realität und der ganzen Brutalität und Unmenschlichkeit der Verhältnisse. Es gibt aber auch die Meinungsäußerung: Das sei doch alles zu negativ und zu düster beschrieben, und irgendwie sei doch der Kapitalismus gar nicht so schlecht, wie wir ihn hier zeichnen. Solche Meinungsäußerungen und adäquaten Anträge sind aber überwiegend von Genossinnen und Genossen eingebracht, die ihr namentlich kennt. Von Basisgruppen kommt in dieser Richtung nicht viel. Aber alle Zuschriften werden natürlich gleichrangig bewertet und einbezogen.
Dann ist ein strittiger Punkt die Frage Eigentum und Sozialismus. Dazu gibt es allerdings erstaunlicherweise nicht so sehr viel an Anträgen und Meinungsäußerungen. Anscheinend ist es nicht so, daß die im Entwurf hierzu beschriebenen Positionen in der Partei massiv Widerspruch ausgelöst haben. Aber es gibt natürlich Anträge auch des fds. Und zwar gibt es hier wieder beides:
Es gibt einerseits diejenigen, die die Eigentumsfrage, so wie sie gestellt wird, mehr und mehr ins Unverbindliche auflösen wollen. Statt der Aussage ‚Überwindung des kapitalistischen Eigentums in den Kernbereichen’ Formulierungen wie: Wir wollen alle möglichen Eigentumsformen, und alle müssen gleichberechtigt nebeneinander existieren.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Anträge, kapitalistisches Eigentum auf klein- und mittelständische Unternehmen zu reduzieren – in diesen Bereichen selbstverständlich von uns akzeptiert und unterstützt – aber es bei großen Unternehmen nicht zuzulassen. Das steht so deutlich nicht drin – die jetzige Formulierung ist ein Kompromiß. Ich denke schon, daß man bei dem Eigentumspart präzisieren kann.
Im Entwurf von Halina Wawzyniak und Raju Sharma fällt mal eben das Kapitel zur Eigentumsfrage, welches eigentlich unsere Alternative zumindest umreißen sollte, fast komplett raus. Ich finde, das sagt eigentlich schon viel über diesen Gegenentwurf aus. Offenbar möchte man sich am besten gar nicht dazu äußern, was wir jenseits des Kapitalismus anstreben. Und wenn man dies einfach wegläßt, ist natürlich auch klar, daß wir nichts anstreben, denn wo, wenn nicht im Programm, hätten wir denn das verankert.
Auch das wird sicherlich im Parteivorstand ein wichtiger Punkt der Auseinandersetzung sein, wie wir uns dazu verhalten.
Dann gibt es ganz viele Anträge zu den konkreten Politikfeldern, die im Programmentwurf unter dem Stichwort "Reformalternativen" behandelt werden. Da gibt es auch viele Verbesserungen von Genossinnen und Genossen, die in bestimmten Bereichen schlicht und einfach kompetenter sind als wir, die Autoren des Entwurfs. Das betrifft z.B. den Bereich Agrarpolitik oder den Bereich Migration. Da sind einfach Dinge vorgeschlagen, die ohne großen Streit einfach übernommen werden könnten.
Allerdings gibt es auch Grenzlinien: Da kommen Anträge als Konkretisierung daher, und wenn man genauer hinguckt, ist es dann doch etwas anderes. Das betrifft z.B. den Komplex Internet und neue Ökonomie/neue Medien. Da heißt es, das sei nicht genug berücksichtigt. Das mag auch sein, aber wenn dann irgendwie über die Hintertür – wie z.B. auch im Interview von Lothar Bisky in der FAZ – begründet wird, daß eigentlich prekäre Arbeit gar nicht mehr so etwas Problematisches sei, dann merkt man, daß über den Schein der sachlichen Präzisierung doch etwas ganz anderes gewollt wird. Man muß sehr genau hinschauen, wo tatsächlich Fachleute am Werke sind, die Besseres wissen, und wo sozusagen Fachwissen politisch instrumentalisiert wird, um Kerninhalte des Entwurfs zu verwässern.
Dann gibt es beim Thema Frieden nach wie vor einige, wenn auch sehr, sehr wenige, die die friedenspolitischen Prinzipien aufweichen wollen. Das fds will in diesem Kontext anderes formulieren. Das betrifft vor allem die Haltung zu UN-mandatierten Kriegseinsätzen. Insgesamt steht allerdings ausdrücklich in vielen Zuschriften, der Friedensteil solle unbedingt so bleiben, wie er ist. Jene, die beim Friedensteil eine andere programmatische Ausrichtung vorschlagen, sind eine sehr kleine Minderheit, die allerdings eine sehr aktive ist, und deswegen darf man das auf gar keinen Fall unterschätzen. Sie versuchen das seit Münster. Aber es ist eben im Unterschied zu Münster und der damaligen Situation so: In der jetzigen Partei stoßen sie diesbezüglich auf keine relevante Resonanz. Aber, wie gesagt, unterschätzen darf man es nicht.
Es wird hier wie auch bei anderen Fragen möglicherweise von einigen das Bestreben geben, große Kompromisse machen zu müssen. Ich bin für Kompromisse – wenn es nicht ans Grundsätzliche geht.
Es gibt eine Reihe Anträge zur Bewertung der EU. Auch hier wieder aus beiden Richtungen: Einige finden die EU immer noch nicht positiv genug gewürdigt, trotz der Elogen, die es da gibt. Und auf der anderen Seite gibt es – von der KPF, aber auch von anderen – das Bestreben, diese sehr positive und nicht sehr differenzierte Beschreibung der EU, die sich nun gegenwärtig wieder als Kriegskraft aufrüstet, den Realitäten anzupassen.
Einen Punkt hat auch Thomas schon angesprochen: Haltelinien. Ich glaube, das wird eine der härtesten Auseinandersetzungen werden. Ich hoffe sehr, daß die Haltelinien im Kern so erhalten bleiben. Das ist sehr wichtig. Aber es wird ganz massive Versuche geben, zumindest eine der Haltelinien rauszustreichen – und das betrifft den Beschäftigungsabbau im öffentlichen Dienst. Das wollen einige definitiv nicht im Programm haben. Das wird nicht nur vom fds gefordert, sondern auch teilweise von Funktionsträgern und Kommunalpolitikern. Es gibt auch Leute, die gar keine Haltelinien festlegen wollen. Aber ich habe das Gefühl, daß sie sich hauptsächlich auf den Punkt Beschäftigungsabbau im öffentlichen Dienst konzentrieren werden, weil sie da die größten Chancen sehen, das aufzubrechen. Auch hier wird man sicher eine ziemlich harte Auseinandersetzung haben.
So, und dann kommt ein ganz wichtiger Punkt, den will ich aber jetzt nicht ausführlich behandeln, weil Ralf das hauptsächlich machen wird. Das ist die ganze Problematik Arbeit, Bewertung von Arbeit, Grundeinkommen, Sozialsystem. Und da gibt es die Schwierigkeit, daß teilweise das Bedingungslose Grundeinkommen auch von Linken in der Partei unterstützt wird, weil die Implikationen, die damit zusammenhängen, eigentlich viel zu wenig durchschaut werden. Das ist ja bei diesem Entwurf von Halina Wawzyniak und Raju Sharma auch sehr deutlich. Das läuft letztlich darauf hinaus, daß man das gesamte Sozialsystem in Frage stellt und ihm eine völlig andere Grundlage geben will. Und das ist natürlich etwas, was die Wirtschaftslobby in Deutschland sich seit Jahrzehnten wünscht: endlich diese sogenannten Arbeitgeber-Beiträge, also "staatlich regulierte Lohnabgaben", loszuwerden. Und da sie ja kaum noch Steuern zahlen, ist es natürlich für sie viel komfortabler, wenn das steuerfinanziert wird. Das ist eine ganz gefährliche und problematische Kiste. Einerseits klingt Bedingungsloses Grundeinkommen natürlich gut, und verständlicherweise ist dafür auch jeder empfänglich, der jetzt HartzIV-Empfänger ist und der sagt, er will diese verfluchten Repressionen nicht mehr. Da muß man gut argumentieren, was eigentlich dahintersteht und daß es am Ende natürlich auch bedeutet, sich mit Arbeitslosigkeit abzufinden. Denn das ist ja der Kern.
Das sind so die wesentlichen strittigen Punkte, die ich sehe. Bei letzterem glaube ich, daß das auch ein ganz zentraler Punkt wird. Und ich hoffe, daß trotzdem Mehrheitsverhältnisse im Kern die jetzige Linie des Programms unterstützen, was natürlich nicht heißt, daß man nicht möglicherweise an bestimmten Punkten Kompromisse finden muß. Man darf nicht pauschal alles ablehnen, was aus einer bestimmten Richtung kommt. Natürlich gibt es Dinge, die man übernehmen sollte, aber das Grundkonzept muß bleiben.
Zu den Wahlen
Die Wahlen haben ja auch mit der Programmdebatte zu tun. Wir merken ja jetzt schon, daß einige das natürlich enttäuschende Abschneiden bei den beiden Wahlen nutzen wollen, um das Grundprofil, den Grundcharakter, den Kurs und damit auch den Programmentwurf in Frage zu stellen. Mit relativ absurden Anwürfen, wir seien z.B. eine "Einpunktpartei". Da hat man offenbar den Programmentwurf nicht gelesen.
Es ist daher wichtig, daß wir diese Wahlergebnisse, die ja leider keine Erfolge waren, sehr korrekt analysieren. Ich selbst habe von Anfang März an sehr viel in Baden-Württemberg und auch in Rheinland-Pfalz Wahlkampf gemacht, und ich habe deutlich gespürt, was sich verändert hat – verändert seit der Reaktorkatastrophe in Japan, die zwei Wochen lang vor der Wahl jeden Tag die Fernsehbilder und Nachrichten bestimmt hat. Es war vor allem so, daß zum Thema "Atomenergie" eine Partei ganz primär – ein bißchen noch die SPD, aber vor allem die Grünen –, gefragt und präsentiert wurden – in sämtlichen Talkshows, in sämtlichen Nachrichtensendungen, während die LINKE zu diesem Thema kaum vorgekommen ist. Nicht, weil wir dazu keine Position hätten, sondern weil wir zu diesem Thema nicht eingeladen wurden. Und das ist natürlich schon ein Problem, wenn man zwei Wochen vor der Wahl medial vollständig ins Off geht, währenddessen speziell die Grünen in einer Weise medialen Rückenwind hatten und haben, der völlig beispiellos ist.
In diesen Wahlkämpfen habe ich in den ersten Wochen – also noch vor der Atomkatastrophe – deutlich gespürt, daß wir mit unseren wichtigen Themen natürlich die Leute erreichen. Selbstverständlich sind Hartz IV, Mindestlohn, prekäre Beschäftigung auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wichtige Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen – das merkt man ja an der Resonanz, wenn man redet. Die unbewältigte Finanz- und Wirtschaftskrise – was sich schon wieder zusammenbraut – daß schon wieder gezockt wird. Das waren alles Themen, wo die Leute mitgegangen sind.
Ich war zwei, drei Wochen vor der Wahl relativ zuversichtlich, daß wir tatsächlich gute Chancen haben, in die Landtage einzuziehen. Mindestens in einen von beiden Landtagen. Nicht daß ich fest davon überzeugt gewesen wäre, daß wir es schaffen, aber das Gefühl hatte ich schon. Das waren mit die bestbesuchten Veranstaltungen und mit der engagierteste Wahlkampf, gerade auch in Baden-Württemberg, den ich je erlebt habe. Das war wirklich eine sehr geschlossene Partei und sehr gut organisiert. Es waren in meinen Veranstaltungen, auch bei den Abschlußkundgebungen, unglaublich viele Leute da.
Und dann kam die japanische Katastrophe, und es kippte völlig. Nicht vordergründig die Resonanz auf die Veranstaltungen. Aber das Thema kippte. Das war dann so, daß es hauptsächlich um Fragen der Atom- und Energiepolitik ging. "Kann das bei uns auch passieren?" und "Was droht da?" usw. wurde fast ausschließlich debattiert. Fragen nach dem Mindestlohn oder der Rente mit 67 gerieten in den Hintergrund.
Wir haben natürlich problematisiert, was diese Art der Energiepolitik mit der Wirtschaftsordnung zu tun hat, mit wirtschaftlicher Macht, mit Profitinteressen, mit Eigentum. Aber, das fand nur noch dort statt, wo wir unmittelbar waren, und da sind dann eben einige 100, und auf den Abschlußkundgebungen waren es vielleicht mal 1.000 Leute. Aber das sind nicht Hunderttausend, das sind nicht Millionen.
Ich habe zunehmend in den letzten zwei Wochen gespürt, daß uns die Felle wegschwimmen. Es waren Wahlen im Ausnahmezustand, der darin bestand, daß ein Thema absolut dominierte, das öffentlich den Grünen zugeschrieben wird. Auch wenn das völlig ungerechtfertigt ist, denn die haben in sieben Jahren Regierung eben den Atomausstieg nicht hingekriegt, sondern einen faulen Kompromiß mit der Atomlobby gemacht, der ja Frau Merkel überhaupt erst die Möglichkeit gegeben hat, ihn aufzukündigen. Schwarz-Gelb konnte die Laufzeitverlängerung machen, weil seinerzeit SPD und Grüne eben keinen richtigen Ausstieg gemacht haben, sondern eine 30-Jahre-Regelung, von der klar war, daß die nächste Regierung sie aufkündigen könnte.
Das Falscheste wäre nun, aus diesen Wahlergebnissen abzuleiten, wir müßten unseren grundlegenden Kurs ändern. Das wäre vollkommen absurd. Es waren Wahlen im Ausnahmezustand, dominiert von einem Thema, das kann schon bei den nächsten Wahlen ganz anders sein.
Wenn wir in dem Wahlkampf möglicherweise einen Fehler gemacht haben, dann den, daß wir neben den inhaltlichen Dingen, die wir in Baden-Württemberg betont haben, auch einen sehr stark taktischen Wahlkampf gemacht haben. Mit Losungen wie "Mappus weg – nur mit Links" haben wir darauf gesetzt, daß die LINKE gebraucht wird, um Mappus abzuwählen. Und dann passierte, was wir in NRW auch schon mal hatten, daß eine Woche vor der Wahl Rot/Grün eine Mehrheit hatte und man uns sozusagen nicht mehr brauchte. Das Problem dieser taktischen Argumente ist eben, daß sie sich ja dann gegen uns wenden können.
Zudem: Wenn es nur noch darum geht "Mappus weg" zu kriegen, dann braucht man Links nicht. Links braucht man, um Druck zu machen. In Rheinland-Pfalz ging es mehr in diese Richtung: "Man braucht uns als Aufpasser, wir müssen Druck machen." Allerdings, obwohl wir in Rheinland-Pfalz keinen taktischen Wahlkampf gemacht haben, ist es dort nicht besser ausgegangen.
Wie auch immer: Man kann zumindest aus diesem Wahlkampf jetzt nicht konstruieren, daß unsere klare Abgrenzung von den anderen Parteien das Scheitern verursacht habe, denn wir haben dort relativ taktisch argumentiert, neben dem Umstand, daß wir eigene Inhalte eingebracht haben.
Das Abgrenzungsargument kommt übrigens vor allem von jenen, die im Grunde das fortsetzen, was sie schon das ganze erste halbe Jahr betrieben haben: Sie wollen die Führung weghaben, sie wollen den Kurs verändern, und jetzt ist ihnen sozusagen dieses schlechte Abschneiden der nächste Hebel oder das nächste Argument in ihrem Spiel.
Ich sage in aller Deutlichkeit: In Baden-Württemberg haben die Genossinnen und Genossen einen hervorragenden Wahlkampf gemacht; es war in dieser Situation einfach nicht mehr zu holen. Wir sollten uns nicht verführen lassen, jetzt das Falscheste zu machen, uns zu zerlegen und von unseren Inhalten abzuschwören. Mit anderen Inhalten hätten wir noch schlechter abgeschnitten. Die, die jetzt so groß daherreden und die Führungsdebatte wieder aufmachen wollen, die haben ja immerhin lange Zeit sehr massiv eine Partei dominiert, die in Baden-Württemberg bei 0,5% lag. Und nicht zu vergessen: Deren Konzepte haben bundesweit 2002 ein bekanntes Ergebnis gehabt, nämlich, daß wir aus dem Bundestag flogen. Und sie haben nie im Westen irgendwelche relevanten Landtagswahlergebnisse erzielt, die auch nur über 1% gelegen hätten. Und daß sie mit ihren alten Konzepten jetzt die Wahlergebnisse im Westen, die sie – das sei wiederholt – nie erreicht hatten, verbessern wollen, ist schon ziemlich absurd.
Zu Änderungsanträgen, Zuschriften und zum bedingungslosen Grundeinkommen
Zur Frage, wie man denn all die Zuschriften gleichrangig behandeln soll. Wie soll man das kategorisieren? Wir haben uns in der Redaktionskommission so verständigt, daß alles, was an Anträgen vorhanden ist, ob von Landesparteitag oder einfachem Parteimitglied, behandelt wird. Wir werden jetzt natürlich nochmal sichten, wie viele Anträge es gibt und ob das realistisch, denkbar und möglich ist. Sicher werden wir, wenn es zig Anträge zu einer Stelle gibt, die in eine Richtung zielen, diese in einer Formulierung zusammenfassen, denn sonst wird man nie fertig.
Ich wollte noch eine Bemerkung zum bedingungslosen Grundeinkommen machen. Häufig wird die Produktivitätssteigerung angeführt, um daraus ein Argument für das bedingungslose Grundeinkommen abzuleiten. Allerdings gibt es gar nicht die umfassende Produktivitätssteigerung, sondern nur in bestimmten Bereichen. So sollte man in der Seniorenpflege die Produktivität nicht steigern. Man kann schon, aber das ist nichts Erstrebenswertes. Und im Krankenhaus auch nicht. Klar: Mit vielen Apparaten geht das. Aber das ist ja nicht unser Ziel. Das heißt, es gibt Bereiche, wo wir als Linke sogar ausdrücklich dafür plädieren, daß notwendigerweise mehr Arbeit reingesteckt wird, da die Aufgaben nur so zu erfüllen sind. Auch in der Bildung möchte ich keine Produktivitätssteigerung. Die bedeutet nämlich einfach größere Klassen. Da möchte ich weniger Produktivität, nämlich mehr Lehrer. Insoweit bitte ich einfach, da wirklich zu hinterfragen: Was steckt eigentlich dahinter? Denn Produktivitätssteigerung klingt immer gut, kann aber in bestimmten Bereichen etwas ganz Negatives bedeuten.
Und ein weiterer Punkt: Selbst wenn wir nur die Produktion hätten, und die Produktivität würde dort weiter gigantisch steigen, selbst dann wäre nicht das bedingungslose Grundeinkommen die Lösung, sondern Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Das steht ja im Entwurf. Es wird angegriffen werden. Die Auseinandersetzung um diese Forderung gab es schon bei allen möglichen Wahlprogrammen. Immer vertraten einige die Auffassung, voller Lohnausgleich gehe nicht. Ich halte es für sehr wichtig, darum zu kämpfen, daß diese Forderung im Entwurf bleibt, denn niemand will Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Man muß Arbeit umverteilen und für entsprechend hohe Löhne kämpfen.
Wie viele Entwürfe gibt es?
Wenn ich nichts übersehen habe, dann gibt es den Programmentwurf der Programmkommission und den von Halina Wawzyniak und Raju Sharma.
Zur Frage, ob man alle Veränderungen ablehnen solle: Das hielte ich für falsch. Natürlich gibt es Veränderungen, die wirklich Verbesserungen sind. Wenn jemand über Agrarpolitik mehr weiß als wir, die wir den Entwurf geschrieben haben, dann sollte man das berücksichtigen. Das gilt auch für andere Bereiche.
Man darf auch nicht in die Partei hinein das Signal senden, hier solle gar nichts geändert werden. Nachdem die ganze Partei ein Dreivierteljahr diskutiert hat. Und natürlich gibt es immer genügend Notwendigkeiten, Entwürfe zu verbessern. Mir sind durch entsprechende Hinweise auch Sachen aufgefallen, die man klarer und besser formulieren sollte. Vielleicht werden wir manches auch einhellig in der Redaktionsgruppe übernehmen können. Bei einer ganzen Menge Anträge werde ich gegebenenfalls im Vorstand dafür plädieren, sie zu übernehmen, weil ich meine, sie machen den Entwurf besser. Und je besser er ist, desto besser ist auch die Ausgangslage für den Parteitag.
Nur bei den Grundpositionen, Eigentum, Frieden, Haltelinien, Kapitalismusanalyse, da werde ich mich ganz massiv dafür einsetzen, daß daran nicht gerüttelt und auch nichts verwässert wird, weil das tatsächlich unser Grundprofil zerstören und in Frage stellen würde. Wo sind es Verbesserungen, wo sind es Infragestellungen des Grundprofils, das muß man, denke ich, einfach unterscheiden.
Zur Frage der Gewichtung: Die Programmdiskussion ist extra so organisiert worden, daß es eben nicht nur Länderzusammenfassungen gibt. Gerade deswegen habe ich mich zum Beispiel auch dafür eingesetzt, daß alles gleichrangig behandelt wird. Das heißt nämlich, daß wirklich jede Basisorganisation, die eine bestimmte Position hat, diese Position ganz direkt an die Redaktionskommission schicken konnte und kann. Und daß eben nicht nur auf Landesebene diskutiert wird und dort Zusammenfassungen gemacht werden. Solche Vorschläge gab es nämlich. Man muß die Zusammenfassungen lesen, das ist auch wichtig und interessant. Aber es gibt auch die ganz vielen einzelnen Zuschriften, wo sich Genossinnen und Genossen hingesetzt und ihre Position deutlich gemacht haben, und deswegen ist das – wenn ich mir jetzt das Gesamtspektrum dessen ansehe, was vorliegt – schon ein Bild davon, wie unsere Partei diskutiert hat und lebt. Das, was dort an Wünschen formuliert wurde, ist unverfälscht und in vielem authentisch.