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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Sagen was ist

Fabio De Masi, Berlin

Wer es gut meint mit Europa, muss dem Unmut über die Europäische Union eine linke Stimme geben. Wer regieren möchte, muss DIE LINKE stärken und nicht der SPD gefallen. Wer die Rechte bekämpfen will, muss von links angreifen.

Die Nervosität auf dem Europaparteitag der LINKEN war mit den Händen zu greifen. Die SPD hat uns eine Botschaft geschickt: Auch wir dürfen im Bund auf der Regierungsbank Platz nehmen, wenn wir uns zu einer "verantwortungsvollen Europa- und Außenpolitik" bekennen. Der SPD-Vorsitzende, Sigmar Gabriel, wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die SPD nach dem erneuten Gang in die Große Koalition nach innen beruhigen und DIE LINKE aufreiben.

Fast wäre es ihm gelungen. DIE LINKE begann zu tanzen - unbeeindruckt von den tatsächlichen Gefahren wie der Zuwanderungskampagne der CSU. Es folgten abseitige Debatten über die - im Erfurter Grundsatzprogramm verankerte - Forderung nach dem Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO und deren vermeintlichen Internationalismus. Die Erfurter Formel war jedoch ein wohltemperierter Kompromiss: Sie sollte das Ziel der Auflösung der NATO - die eine Zustimmung aller Vertragsparteien erfordert - sowie den einseitigen Austritt, der ohne Verbleib in den politischen Strukturen auch den Verzicht auf die Vetomacht einer linken Regierung bedeuten würde, versöhnen.

Darüber hinaus wurde zum Jahreswechsel ein Absatz im Programm attackiert, der die EU unter anderem militaristisch nannte. Der Absatz hätte sich problemlos mit den Forderungen aus dem Entwurf des Europawahlprogramms der CDU, den konkreten Formulierungen der EU-Verträge bzw. dem europapolitischen Memorandum (2007) von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine ersetzen und somit übersetzen lassen. Sowohl die CDU bzw. die EU-Verträge reden nicht um den heißen Brei: Gewünscht wird eine EU-Armee, die mit der NATO weltweit Kriege führt, und eine Verbesserung der militärischen Fähigkeiten bzw. Aufrüstung.

Was die SPD indes unter europäischer Verantwortung versteht, lässt sich im Koalitionsvertrag nachlesen: Weiter so mit der Rettung von Großbanken - im Rahmen der Bankenunion bzw. der direkten Rekapitalisierung von Banken aus Mitteln des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) [1]. Weiter so mit Austerität, Depression und Massenarbeitslosigkeit. Weiter so mit jedem zweiten jungen Menschen in Spanien oder Griechenland ohne Job bzw. einer verlorenen Generation [2].

Und der einstige "ökonomische Riese und politische Zwerg" Deutschland soll unter europäischer Flagge wieder in die Schützengräben. Die Bundesregierung will den Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen "überprüfen" [3] und Frankreichs militärische Afrikapolitik über deutsche Soldaten im Rahmen der EU-Battlegroups entlasten. [4]

Der Parteitag hat Verantwortung bewiesen: Das Wahlprogramm der LINKEN formuliert trotz aller Defizite - auch in der historischen Bewertung des Integrationsprozesses - deutliche EU-Kritik. In der Außenpolitik fand jenseits der symbolischen Konflikte keine Aufweichung der Friedenspolitik statt. Gleichwohl hat DIE LINKE die eigentlich lohnenswerte Diskussion über die Einschätzung der weiteren europäischen Integration und ihre Wahlkampfstrategie nicht wirklich geführt.

Die Debatte Europa vs. Nationalstaat ist hierbei wenig hilfreich. Es geht um Demokratie und Sozialstaat. Die Internationalisierung von Konzernen und (hoch konzentrierten) Finanzströmen hat keinesfalls generell die Autonomie des Nationalstaates beendet. Deutschland ist etwa im Rahmen der Architektur der Euro-Zone mächtiger geworden. Dies erklärt auch den Sinneswandel hinsichtlich einer Vertiefung der "Economic Governance", welche die Bundesregierung bis zur Krise immer ablehnte. Griechenland verfügt hingegen nur über eine eingeschränkte "Souveränität". Griechische Banken werden nur noch durch die Emergency Liquidity Assistance der Notenbank am Leben gehalten, die Europäische Zentralbank (EZB) kann diese jederzeit untersagen. Der Konflikt wird eher darüber geführt, ob es realistischer ist, die Löhne der Beschäftigten in Arbeitskämpfen - die vorwiegend auf nationaler bzw. regionaler Ebene stattfinden - oder über die europäischen Institutionen zu verteidigen (etwa über Mindestlohnrichtlinien oder Sanktionen für Staaten mit chronischen Leistungsbilanzüberschüssen [5]). Sicher gibt es Bereiche, die sich auf europäischer Ebene gut regeln ließen, etwa eine Begrenzung des Steuerwettbewerbs. Nur bieten die EU-Verträge hierfür wenig Raum und können nicht einseitig verändert werden.

Jenseits dieser Debatten geht es darum, wie wir bei den Europawahlen mobilisieren. Die Europawahlen sind längst ein Symbol eines Zwei-Klassen-Wahlsystems. Kaum die Hälfte der Wahlberechtigten nimmt noch teil. Auch wenn die Wut über die Politik der Troika in den Krisenstaaten viele Menschen diesmal an die Wahlurnen treiben könnte: In den europäischen Kernstaaten dominiert die Ohnmacht gegenüber einer permanenten Euro- bzw. Bankenrettung zu Lasten der Steuerzahler.

Sowohl in den Krisenstaaten wie auch in den Kernstaaten erleben rechtspopulistische bzw. offen rechtsextreme Parteien einen Aufschwung. In Frankreich ist Marine Le Pen gar die derzeit populärste Politikerin. In Deutschland konnten sich rechtsextreme Parteien bisher nicht auf Bundesebene behaupten, das politische Tabu wirkt noch. Allerdings will die Alternative für Deutschland (AfD) mit marktradikalen Positionen und nationalen Thesen sowohl das verrohte Bürgertum, die abstiegsbedrohten Mittelschichten als auch sozial Entrechtete gewinnen.

Niemand in der LINKEN zieht daraus den Schluss, DIE LINKE solle nun das soziale Versprechen einer "nationalen Schutzgemeinschaft" suchen. Aber DIE LINKE sollte nicht das legitime Bedürfnis der Menschen nach einem Ordnungsrahmen unterschätzen, auf den sie Einfluss haben, bzw. die Entleerung des Kernbestands der Reste einer bürgerlichen Demokratie. Wenn die großen Volksparteien in Portugal vor den Parlamentswahlen bereits einen Vertrag mit der Troika schließen, werden Wahlen zur Farce. Und wenn das portugiesische Verfassungsgericht anschließend die Rentenreform kippt, ist dies nicht nationalistisch, sondern das letzte Lebenszeichen der Gewaltenteilung. Es ist schon grotesk, wenn plötzlich die Verteidigung portugiesischer Rentner gegen den Wirtschaftskrieg der Troika ein Akt der Aggression sein soll.

Gleichwohl: Die Bundeskanzlerin hat es verstanden, die Kernbelegschaften in ihre Krisenpolitik einzubinden. Das "deutsche Wirtschaftswunder" ist zwar eine Fata Morgana, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands wuchs im letzten Quartal 2013 gegenüber dem Vorjahre um gerade einmal 0,3 Prozent. Doch der Rückgang der deutschen Exporte in die Krisenstaaten Südeuropas konnte durch Diversifizierung gen Asien teilweise kompensiert werden. Die Euro-Zone ist nun eine verlängerte Werkbank Deutschlands, um die Weltmärkte zu erobern. Daher wird die Kritik am Krisenregime der Kanzlerin weniger von Gewerkschaften artikuliert, als von den marktradikalen Kleinbürgern der AfD.

Der LINKEN muss es gelingen, den Spagat zu schaffen, eine kritische Diskussion in den Gewerkschaften über die unkonditionierte Unterstützung des "deutschen Europas" zu fördern und Wählersegmente anzusprechen, die sich durch die EU entmündigt und bedroht fühlen. Die Kritik an der EU muss daher populär und präzise sein. Die Aufgabe lässt sich am Bespiel der Zuwanderungsdebatte verdeutlichen: DIE LINKE muss den Versuch bekämpfen, Zuwanderer für die miserablen Arbeitsbedingungen in Deutschland und die sozialen Probleme in den Kommunen verantwortlich zu machen. Dies bedeutet aber nicht, sich schlichtweg mit den Interessen der Arbeitgeberverbände an billigen Arbeitskräften gemein zu machen. Vielmehr bietet die Große Koalition Angriffsflächen, wenn sie mit den Ausnahmen vom Mindestlohn, Aufstockerei und Scheinselbständigkeit den "Sozialmissbrauch der Bosse" fördert und einen regelrechten "Arbeiterstrich" organisiert. Ich bin zuversichtlich, dass die LINKE den Spagat schafft, den wahren Charakter der EU in verständliche Sprache zu übersetzen - mithin zu sagen, was ist - und die Lohnabhängigen weder der SPD noch der AfD zu überlassen. Das ist Verantwortung für Europa.

Fabio De Masi ist Kandidat der LINKEN zur Wahl des Europäischen Parlaments (Listenplatz 6).

Anmerkungen:

[1] Die Haftung der Aktionäre und Gläubiger der Banken hat indes Löcher wie ein Schweizer Käse. Nicht einmal eine Trennung von klassischem Bankgeschäft und Investmentbanking - wie gleichwohl unzureichend in den USA - zeichnet sich in der EU nach dem jüngsten Likannen-Report ab.

[2] Der Fiskalpakt unterwirft die EU-Staaten dem einmaligen ökonomischen Experiment, bei Aufgabe der nationalen Geld- und Währungspolitik der Euro-Staaten die Fiskalpolitik zu amputieren. Und mit dem zwischenstaatlichen Wettbewerbspakt zum Angriff auf Löhne, Renten und Streikrecht - der über die nationalen Parlamente hinweg durchgesetzt werden soll - will Bundeskanzlerin Merkel die Krise auch nach Deutschland holen.

[3] Auch die Anpassung der etwaigen nationalen Parlamentsvorbehalte ist ein Auftrag aus dem Vertrag von Lissabon.

[4] Der Hintergrund: Deutschland wurde seit der Wiedervereinigung und im Zuge der Krise zu mächtig für Paris. Eine Bändigung über die Gemeinschaftswährung Euro hat nicht funktioniert. Dieser neuen Realität soll nach dem Willen des sozialdemokratischen Außenministers Frank-Walter Steinmeier Rechnung getragen werden. "Deutsche Interessen" liegen vornehmlich in Osteuropa: Absatzmarkt, Werkbank und Arbeitskräftereservoir der deutschen Exportindustrie. Frankreich beansprucht den Mittelmeerraum bzw. Nordafrika. Dies erklärt die Zurückhaltung der Transatlantiker wie Bundeskanzlerin Merkel und den früheren Außenminister Westerwelle in Libyen oder Syrien. Frankreich sollte für seine "militärischen Abenteuer" gefälligst selber zahlen. Die SPD hingegen beweist, dass der Bruch politischer Tabus - wie einst der Kosovo-Krieg unter einer rot-grünen Bundesregierung - stets der SPD bedürfen. Die Unterstützung Frankreichs ist die supranationale Eintrittskarte Deutschlands in die militärische Arena. Das Motto der europäischen Solidarität bzw. die humanitäre Katastrophe in der zentralafrikanischen Republik sollen eine kriegsmüde Bevölkerung umstimmen. Die erste weibliche Verteidigungsministerin und CDU-Erneuerin Ursula von der Leyen und das Pathos des Bundespräsidenten Joachim Gauck sind die perfekte Unterstützung für die geistig-moralische Wende.

[5] Die EU-Kommission kritisiert zwar mittlerweile auch Deutschlands Exportüberschüsse. Aber die empfiehlt keine deutlichen Lohnzuwächse, sondern eine Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes, um ausländischen Wettbewerbern mehr Marktzugang zu gewähren.