»Sag mir, wo du stehst ...«
Dr. Jochen Willerding, Rangsdorf bei Berlin
Wer von jenen, die in der DDR aufgewachsen sind, kennt diese stets wiederkehrende Frage und zugleich Forderung von Hartmut König nicht! Sie hat uns seit der Schulzeit über die Ausbildung bis ins Berufsleben begleitet und bezog sich stets auf die persönliche Haltung zu den Grundwerten, die den Versuch des Sozialismus auf deutschem Boden, in der Deutschen Demokratischen Republik ausmachten: Antifaschismus und Antiimperialismus, Frieden, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Fortschritt, internationale Solidarität mit den unterdrückten und ausgebeuteten Völkern. Sie kann getrost als der rote Faden der vor kurzem erschienen Autobiografie von Hartmut gelten, die er übrigens jüngst durch eine CD mit alten und neuen fortschrittlichen Liedern vervollständigte.
Diese Fragestellung war es wohl auch, die am Anfang des künstlerischen Wirkens des »Schul-, Kirch- und Grenzgängers in Ostberlin« als Liedermacher und Texter seine Identifikation mit dem Arbeiter- und Bauernstaat als seiner politischen und persönlichen Heimat bestimmte. Diese Frage war es auch, die er zunehmend in seinem Umfeld stellte, die die motivierende und nachhaltige Kraft des politischen Engagements von Oktoberklub und Singebewegung der FDJ für eine von Ausbeutung, Krieg und Faschismus freien Gesellschaftsordnung auf deutschem Boden ausmachte. Und sie war es wohl letztlich auch, die den talentierten Künstler zu dem Entschluss brachte, Kultur und Kunst mit der Politik zu verbinden. Viele Jahre wirkte er als Jugendfunktionär in der FDJ und im Zentralkomitee der SED sowie als stellvertretender Kulturminister der DDR.
Hartmut lebte die Ideale in Wort und Tat. Die ihm gegebenen Mittel nutzte er engagiert zur Verbreitung sozialistischen Bewusstseins unter der jungen Generation, war dies doch die Voraussetzung für die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges.
Aus den in der Autobiografie erzählten Geschichten entsteht eine Geschichte der geistigen Entwicklung der Gesellschaft in der DDR, nicht nur der kulturpolitischen, auch der Auseinandersetzung über den »richtigen« Weg der gesellschaftlichen Entwicklung. Findet doch der zitierte Ausgangssatz seine Fortsetzung: »… und welchen Weg du gehst.« Bis zur »Wende« waren es ja weniger die Werte, die zur Disposition standen, es war stets der Weg, ob bei der Diskussion um das Neue Ökonomische System, die Bitterfelder Konferenz oder beim Umgang mit den Forderungen eines Gerhard Gundermann in der alltäglichen Produktion oder den Gorbatschowschen Ideen von Perestroika und Glasnost. Mehr als ein Nebenprodukt von Hartmuts Geschichtsschreibung ist dann auch ein Who-is-who der handelnden Personen in Politik, Kultur und Wirtschaft der DDR entstanden.
Es war also der eingeschlagene Weg, der zunehmend die Diskussionen bestimmte. Aber es gab bis dato keinen anderen. Die Bolschewiki wussten zwar, wie die größte, tiefgreifendste Revolution seit Menschengedenken in Russlands Oktober siegreich verwirklicht werden konnte. Doch für den »Aufbau« einer neuen gesellschaftlichen Ordnung/Produktionsweise gab es keine Blaupause. Für die Kommunisten in Deutschland/der DDR hieß es dann »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!« Es blieb also auch bei uns beim »Learning by doing«. Das ist ein Vorteil des Neuen. Es kann aber auch zum Problem werden, v.a. wenn das revolutionäre Bewusstsein nachlässt und die führende Kraft nicht mehr weiter weiß. Und als dann unsere Partei aufhörte zu führen, ging gar nichts mehr. Hartmut König gelingt die Herausforderung für uns und unsere Nachfolger, sich mit der Niederlage des Sozialismus nicht abzufinden, sondern sich jenseits ideologischer Schmähungen mit deren Ursachen zu beschäftigen. Überzeugend und wohltuend ist, dass dies durchaus auch durch selbstkritisches Hinterfragen eigenen Denkens und Tuns geschieht.
Die Autobiografie ist in diesem Sinne eine starke Anregung, das lange, schmerzvolle Ringen um den sozialistischen Weg nachzuvollziehen und Lehren für die Zukunft zu ziehen. Lenin meinte seinerzeit in Auseinandersetzung mit seinem anarchistischen Bruder, Alexander, die Bolschewiki würden einen anderen Weg gehen. Uns nachfolgende Generationen werden dies mit Sicherheit auch tun. Doch sie werden es tun, denn die wiederkehrenden verheerenden Krisen der kapitalistischen Produktionsweise werden neue Revolutionäre hervorbringen, die mehr über die objektiven Gesetzmäßigkeiten der sozialen Entwicklung der Menschheit wissen und neue Wege zur Überwindung des Kapitalismus beschreiten werden. Wie nah das Gespenst des Kommunismus ist, wissen wir nicht, aber es ist allgegenwärtig, um der Verhinderung der Selbstzerstörung der Menschheit durch Krieg oder Zerstörung der Lebensumwelt willen. »Warten wir die Zukunft ab!«
Hartmut König: Warten wir die Zukunft ab, Autobiografie, Bereits 2017 erschienen im Verlag Neues Leben, ISBN: 978-3-355-01866-1.