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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Russische Welt ist nicht auf Expansionen aus

Gerd Schulze, Berlin

 

Diskussionsbeitrag von der KPF-Bundeskonferenz am 20. April 2024

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich habe mir überlegt, ob ich noch das Wort ergreife, nachdem im Bericht schon ausführlich auf die doch etwas neue gefährliche internatio­nale Lage eingegangen wurde. Ich habe mich trotzdem entschieden, das, was ich so ein bisschen vorbereitet habe, hier zu sagen.

Wir sollen in Deutschland also wieder wehrhaft und kriegstüchtig gemacht werden. Wie­der einmal. Wir befinden uns demnach tatsächlich seit geraumer Zeit in einer neuen gefährlichen Phase der Kriegsvorbereitung, die nur bedingt vergleichbar ist mit der Perio­de des Kalten Krieges. Denn der westliche Imperialismus, dominiert von den USA, kämpft mit allen Mitteln gegen den Verlust seiner globalen Hegemonie, die er glaubte, nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Beseitigung des Sozialismus in Europa errun­gen zu haben.

Dabei ist die Erzeugung einer Kriegsbereitschaft der Bevölkerungen nicht nur in Deutsch­land, sondern in allen NATO-Ländern, dafür eine sehr wichtige Voraussetzung.

Und dazu dient die Erzählung von einer zunehmenden Bedrohungslage, die von Russland, aber auch China, ausgehen würde. Ich möchte etwas sagen, was in dieser Hinsicht Russ­land betrifft.

Zuerst einmal: Wie wird diese Bedrohung durch Russland durch die herrschenden Kreise begründet? Das wäre

- erstens begründet mit der von Putin proklamierten Doktrin einer russischen Welt als einheitlicher historischer und geistig-kultureller Raum, die angeblich auf die Wiederher­stellung des zaristischen Reiches zielen würde,

- zweitens mit der erklärten Obhutspflicht für ethnische Russen im Ausland,

- drittens mit Erklärungen zum Einsatz von Kernwaffen im Falle einer existenziellen Bedrohung des russischen Staates und schließlich

- viertens und in erster Linie mit dem militärischen Vorgehen Russlands in der Ukraine und angeblichen Analogien zur Eroberungspolitik des faschistischen Deutschlands.

Dazu kommt die Behauptung, autoritäre Regime seien a priori kriegerisch. Zur letzteren nur so viel: Dann werden wohl Staaten, die Serbien, Irak, Libyen, Afghanistan angegriffen haben, von autoritären Regimen regiert?

Auf zwei der genannten sogenannten »Begründungen« möchte ich etwas ausführlicher eingehen.

Ich bin der Meinung, dass die Doktrin einer russischen Welt und ihrer Begründung aus der Geschichte heraus durchaus auf berechtigte Kritik stoßen kann. Auch die Kommunis­tische Partei der Russischen Föderation hat hier widersprochen. Diese Betrachtungs­weise wird nach meiner Ansicht den objektiven Prozessen der Nationenbildung, vor allem durch ökonomische Faktoren im Kapitalismus, nicht gerecht.

Aber, und das ist für mich die wichtige Frage: Lassen sich daraus etwa expansionistische Zielstellungen, eine Bedrohung EU-Europas ableiten? Ich meine: Nein. Putins russische Welt umfasst die slawischen, zum Einflussbereich des Moskauer Patriarchats der rus­sisch-orthodoxen Kirche gehörenden Gebiete, die also auch Weißrussland und Teile der heutigen Ukraine einschließt. Nicht aber und auf keinen Fall die baltischen Staaten – hier gibt es allerdings auf Grund der Diskriminierung der dort verbliebenden ethnischen Rus­sen Konfliktstoff –, und aber schon gar nicht Finnland.

Was sich die russische Staatsführung jedoch verbittet, ist die Einflussnahme, das Hinein­wirken in diese russische Welt von außen. Und in dieser Hinsicht macht Putin keine Kom­promisse mehr, auch bezüglich der Wahrung traditioneller russischer Wertvorstellungen.

Aber nichts und auch gar nichts weist in offiziellen Aussagen darauf hin, dass diese Wert­vorstellungen in Russland anderen aufgezwungen/aufgedrängt werden sollen. Die Erzäh­lung der russischen Welt ist also nicht nach außen gerichtet, nicht auf Expansionen aus.

Sie zielt nach innen auf die Stärkung des Zusammenhalts des russländischen Vielvölker­staates, aber auch mit der deutlichen Ansage an den Westen, an die NATO: Wir wehren uns, wenn ihr uns bedrängt, uns belehrt, wie wir zu leben haben und wie wir unseren Staat gestalten sollen.

Am Beispiel der Beziehungen Russlands zu den ehemaligen Sowjetrepubliken in Mittel­asien ist abzulesen: Gutnachbarliche, vielseitige Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil sind möglich, wenn man sich nicht durch andere Mächte gegen Russland in Stellung brin­gen lässt.

Hinsichtlich der Behauptung, Putin macht nicht Halt, wenn er in der Ukraine siegt, wie auch Hitler nicht Halt gemacht hat, als die Tschechoslowakei und Polen unterworfen wur­den: Meiner Ansicht nach sind solche formalen Vergleiche, ohne jeglichen Bezug auf kon­krete historische Fakten, völlig absurd. Sie verbieten sich, und sie dienen nur dazu, die eigenen unlauteren Absichten zu verschleiern.

Denn – da trage ich jetzt Eulen nach Athen – die rassistische, völkische Ideologie der deutschen Faschisten, die mit maßgeblicher Unterstützung durch einflussreiche Teile des deutschen Monopolkapitals und der Generalität an die Macht kamen, war von Anfang an darauf ausgerichtet, nicht nur für die Niederlage im ersten Weltkrieg Revanche zu neh­men, sondern neue Siedlungsgebiete und Rohstoffquellen im Osten zu erobern, die dorti­ge Bevölkerung zu vertreiben, zu versklaven, ja zu vernichten.

Und das war auch den Regierungen in Großbritannien und Frankreich bekannt, als sie den deutschen Faschisten in München gestatteten, die Tschechoslowakei zu zerstückeln, um anschließend zu verkünden, sie hätten den Frieden gerettet.

Weder Rassismus und nationalistische Überheblichkeit noch Absichten, den eigenen Machtbereich Richtung EU-Europa auszudehnen, kann man der Führung der russischen
Föderation unterstellen. Aus gewissen völkischen Tendenzen ihrer Geschichtsbetrach­tung lässt sich nicht automatisch auf aggressive Absichten schließen.

Man muss hier auch anführen, dass wahrlich gigantische Herausforderungen im eigenen Land zu bewältigen sind. Dafür werden seit geraumer Zeit nicht nur konkrete Pläne erar­beitet, sondern es ist konkret in Angriff genommen worden. Nur Stichwörter: Beseitigung der Armut, Entwicklung der Infrastruktur, Diversifizierung der Wirtschaft, Technologie­entwicklung, Hochwasserschutz.

Ich meine: Bei der Beurteilung der Politik der russischen Führung sollte man immer auch die Spezifika der räumlichen Ausdehnung und geografischen Lage des Landes, den Reichtum an Ressourcen (der natürlich auch andere lockt), die multiethnische Zusam­mensetzung seiner Bevölkerung, die Brüche und Wendungen in der gesellschaftlichen Entwicklung (Das ist nicht zu unterschätzen, und ich meine jetzt nicht nur den krassen Absturz vom Sozialismus in den oligarchischen Kapitalismus.) und natürlich die perma­nenten Anfeindungen berücksichtigen. Dass alles müsste man im Blick haben, wenn man die russische Politik beurteilt. Und besonders auch das Trauma des wortbrüchigen Über­falls des faschistischen Deutschlands, als nach nur wenigen Monaten die faschistischen Armeen vor Moskau und Leningrad standen.

Jahrelang hat sich die russische Führung gegenüber der NATO um die Respektierung der legitimen Sicherheitsinteressen ihres Landes bemüht. Das alles ist aber von der NATO zurückgewiesen worden. Es war vergeblich.

In einer Rede vom 27. März dieses Jahres in einem Ausbildungszentrum der Luftwaffe hat der russische Präsident nochmals die Ignoranz der NATO gegenüber den Sicherheits­interessen Russlands als Ursache des russischen militärischen Vorgehens in der Ukraine verdeutlicht und dabei versichert – ich zitiere jetzt –, »wir verteidigen nur unsere Leute in unseren historischen Gebieten. Deshalb ist, wenn behauptet wird, dass wir beabsichtigen würden, nach der Ukraine Europa zu überfallen, das völliger Blödsinn, purer Nonsens, wieder nur ein Mittel, die eigene Bevölkerung zu betrügen, aus den Menschen zusätzliche Ausgaben herauszupressen und sie zu zwingen, diese Last zu schultern.«

Aber, er fügte bezüglich der angekündigten Lieferungen der F16-Kampfbomber an die Ukraine auch hinzu – ich zitiere wieder: »Wenn sie von Flugplätzen außerhalb der Ukraine eingesetzt werden sollten, werden diese Flugplätze für uns legitime Ziele.«

Das ist eine deutliche Warnung an die NATO vor einer weiteren Eskalation. Von den Ver­antwortungsträgern in unserem Lande sollten wir schon verlangen, dass sie zwischen Warnung und Drohung unterscheiden. Dass sie das vorsätzlich aber nicht tun, verrät ein Blick in die verteidigungspolitischen Richtlinien und die aktuellen Operationsplanungen.

Abschließend: Die Auseinandersetzungen mit der Lüge über die Bedrohung aus dem Osten und die Aufklärung über die tatsächlichen Verantwortlichen für die Bedrohung – auch innerhalb der Linken, dazu ist heute schon sehr viel gesagt worden – bleiben somit eine sehr aktuelle und langfristige Schwerpunktaufgabe unserer politischen Arbeit, und dazu gehört die aktive Mitwirkung an der Organisierung einer einflussreichen Friedensbe­wegung in unserem Lande.