Rosa Luxemburg und die Freiheit der Andersdenkenden
Prof. Dr. sc. Annelies Laschitza, Berlin
In Kürze beginnen die Vorbereitungen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 12. Januar 2014. Rosa Luxemburgs Schriften "Zur russischen Revolution IV" und "Was will der Spartakusbund?" dokumentierten wir in den diesjährigen Februar- und April-Mitteilungen. Im aktuellen Heft findet ihr nachstehend einen am 11./12. November 1989 im Neuen Deutschland veröffentlichten Artikel von Prof. Dr. Annelies Laschitza. Die Historikerin ist führende Rosa-Luxemburg- und Karl-Liebknecht-Forscherin, und sie errang Anerkennung durch die Edition der Gesammelten Briefe und die Mitherausgabe der Werke Luxemburgs.
Die gegenwärtigen Diskussionen um die Erneuerung unserer sozialistischen Gesellschaft und meiner Partei bewegen und erregen mich wie viele Menschen in unserem Lande. Die Unmenge angestauter Probleme in allen Lebensbereichen und die vielen mit demonstrativem Massendruck aufgeworfenen Fragen und Forderungen zwingen jeden von uns, mit nachzudenken und mit für Veränderungen zu sorgen.
Heftigste Debatten über Charakter, Struktur und Ziel der Partei
Als Historikerin für Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, die ich mich besonders mit der Parteigeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftige, fühle ich mich herausgefordert, Stellung zu nehmen. Denn ich habe in das Denken und Handeln vieler Sozialisten zu einer Zeit Einblick, als in unserem Jahrhundert das erste Mal nahezu alle Fragen des Kampfes für eine friedliche, demokratische und sozialistische Zukunft der Völker Europas und auch anderswo neu beantwortet werden mußten. Heftige Debatten wurden über den Charakter, die Struktur, die Tätigkeit und das Ziel der Partei der Arbeiterklasse geführt. Die Sozialdemokratische Partei hatte sich mit August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Paul Singer‚ Karl Kautsky, Georg Ledebour, Franz Mehring und Clara Zetkin in vorderster Reihe zu einer anerkannten revolutionären marxistischen Massenpartei entwickelt, den Herrschenden des Kaiserreichs achtunggebietende Sch1achten geliefert und geholfen, politische und soziale Rechte für die Werktätigen zu erkämpfen.
Als jedoch mit Beginn der imperialistischen Entwicklung neue Fragen auf sie einstürmten, geriet sie - zunächst nur hier und da spürbar - an Grenzen ihrer Führungs- und Funktionsfähigkeit. Von Zeit zu Zeit kam unter den Mitgliedern und Anhängern große Unzufriedenheit auf, bis sich am 4. August 1914‚ als die Reichstagsfraktion die Kredite für den imperialistischen Krieg bewilligte, gegen dessen Vorbereitung Hunderttausende bis zuletzt mutig aufgetreten waren, eine tiefe Krise offenbarte. Über Jahre hinweg war die Partei von Kräften, die den Marxismus für überholt erklärten, zu revidieren versuchten oder in Phrasen verwandelten, in eine reformistische Arbeiterpartei umfunktioniert worden, die sich für den Kampf gegen den ersten Weltkrieg als ohnmächtig erwies.
Eine von vielen, die das nicht wollten und sich diesem Umwandlungsprozeß entgegenstemmten, war Rosa Luxemburg. Sie erkannte sehr früh Gefahren, die der Partei durch Ausbreitung von Revisionismus und Reformismus drohten, und trat entschieden dafür ein, daß die Partei sich den neuen Aufgaben stellte und neue Fragen auf der Grundlage des von Marx und Engels begründeten wissenschaftlichen Sozialismus beantwortete. Schon in jungen Jahren hatte sie - übrigens ähnlich wie Lenin - begonnen, sich den Marxismus als eine revolutionäre Weltanschauung anzueignen, die, wie sie später äußerte, "stets nach neuen Erkenntnissen ringen muß, die nichts so verabscheut wie das Erstarren in einmal gültigen Formen, die am besten im geistigen Waffengeklirr der Selbstkritik und im geschichtlichen Blitz und Donner ihre Kraft bewährt." [1] In diesem Geiste arbeitete Rosa Luxemburg für eine neue, bessere Welt - streitbar, kreativ und kritisch.
Da aber alle, die etwas Neues in die Parteidiskussion einbringen wollten, dies unter der Losung "Freiheit der Kritik" taten, äußerte sie beizeiten, am 15. September 1899, in der "Leipziger Volkszeitung" ihre Meinung dazu. Rosa Luxemburg schrieb: "Alle Kritik, die unseren Klassenkampf zur Verwirklichung des Endziels kräftiger, klarer, zielsicherer macht, verdient den größten Dank. Eine Kritik aber, die dahin strebt, uns zurückzuentwickeln, uns überhaupt zum Verlassen des Klassenkampfes und zum Aufgeben des Endziels zu bringen, diese Kritik ist nicht mehr ein Faktor des Fortschritts und der Entwicklung, sondern des Verfalls und der Zersetzung." [2] Und sie warnte obendrein, daß, wenn jede Kritik mit gleicher Freude aufgenommen würde, aus einer zielsicheren Kampfpartei eine "Gesellschaft von Schwätzern" werden könnte [3]. Rosa Luxemburg wurde immer drastisch, wenn sie ihren Standpunkt verdeutlichen wollte. Sie war also für die Freiheit der Kritik, drängte nach neuen Erkenntnissen und Erfahrungen, focht für eine lebensnahe Praxis ihrer Partei und bestimmte als Kriterium nützlicher Kritik, daß sie dem Sozialismus dienlich sein müsse. Ihre Konsequenz setzte sich jedoch in der Partei nicht durch.
Im Jahre 1913 mußte Rosa Luxemburg die bittere Erfahrung machen, daß in ihrer Partei, in der offiziell unbegrenzte Freiheit der Kritik herrschen sollte, ihre kritische Einschätzung des Jenaer Parteitages nicht mehr veröffentlicht wurde. Opportunisten hatten inzwischen in der Presse wie in den Leitungsgremien das Sagen und behinderten das Wirken von Marxisten. Die Aussprache vor und auf dem Parteitag aber hatte Rosa Luxemburg durch wichtige Anregungen belebt. Denn sie hatte erkannt, daß angesichts der Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie zu einer Millionenpartei, wie sie es bis dahin noch nicht gegeben hatte, über das Verhältnis zwischen den Führern, den Mitgliedern und den Volksmassen schöpferisch-kritisch nachgedacht werden musste. Die Partei müsse an der Spitze der Bewegung stehen, sagte Rosa Luxemburg auf dem Parteitag 1913, "aber damit sie an der Spitze steht, darf sie nicht ruhig abwarten die revolutionäre Situation, um von den Massen geschleift zu werden, sondern sie muss durch die Gestaltung der ganzen Taktik und Kampfesweise nach der revolutionären Seite hin in scharfer Offensive die Massen darauf vorbereiten, daß sie uns in vollem Vertrauen folgen." [4]
Zusammen mit Karl Liebknecht, Anton Pannekoek und Clara Zetkin entwickelte sie in den Massenstreikdiskussionen von 1913 Grundsätze für die Massenverbundenheit einer revolutionären Arbeiterpartei, die ich in Kapitel 7 des Bandes 1 der "Geschichte der SED", Berlin 1988, S. 722, wie folgt zusammengefaßt habe: Nur durch eine zielklare und revolutionäre Politik könne der Mut der Massen gestählt und die Bewußtheit der Handelnden vertieft werden. Parteileitungen müßten erkennen lernen, was die Massen wollen. Selbstverständlich verkörpere die Partei zunächst die Minderheit der bewußten Vertreter der Arbeiterklasse. Diese dürften aber damit rechnen, daß sie in dem Maße, wie sie entschlossen echte Volksinteressen verfechten, als Minderheit objektiv die Mehrheit repräsentieren und auf diese Weise immer größere Teile der Klasse gewinnen könnten. Die Partei sei das denkende und leitende Hirn sowie das feste organisatorische Rückgrat künftiger Massenbewegungen. Die Rücksichtnahme auf das Reagieren des Klassengegners dürfe nicht so weit getrieben werden, daß sie zur Stagnation und zum Rückwärtsgang in der Parteipolitik führe. Vielmehr gelte es, den Gegner durch Massenaktionen der Arbeiterklasse in die Enge zu treiben und ihm Niederlagen beizubringen.
Auf ein Grundanliegen des einen Monat zuvor verstorbenen August Bebel verweisend, erklärte Rosa Luxemburg: "Ich glaube, die erste Voraussetzung für ernste politische Führer, die dieses Namens wert sind, die Führer einer Massenpartei wie die unsrige sind, ist ein überaus empfindliches Ohr für alles, was sich regt in der Seele der Massen." [5]
Dies und noch vieles andere mehr, was, weil in Erfolgen und Niederlagen der Geschichte erprobt und bestätigt, bleibende Aktualität behält, kann in den vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegebenen Werkausgaben Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts, Clara Zetkins und weiteren Quellenpublikationen nachgelesen und entdeckt werden. Warum hebe ich das so hervor? Seitdem ich mich mit Rosa Luxemburg beschäftige, erlebe ich als Gesprächspartnerin, daß sich bei noch zu vielen Menschen die Kenntnis über sie auf nahezu einen Satz reduziert, auf ihre Bemerkung in dem unvollendeten und von ihr nicht veröffentlichten Manuskript "Zur russischen Revolution" von 1918: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden." [6] Und es gibt immer wieder Ignoranten, die behaupten, in der DDR könne und dürfe diesen Satz keiner lesen.
Die Motive dafür, sich auf diesen Satz zu berufen, sind so verschiedenartig, wie sich die Charaktere und Absichten der Menschen entsprechend ihrer sozialen Stellung und politischen Anschauung, persönlichen Mentalität und gesellschaftlichen Interessen unterscheiden. Ich bin vielen Menschen begegnet, die sich Rosa Luxemburg auf der Suche nach Kraft im Kampf für Frieden und sozialen Fortschritt zuwandten. Viele Artikel im In- und Ausland belegen das Bemühen, sich mit ihrem Leben und Werk zu identifizieren und sich manchmal nur mit diesem Satz Drangsalierungen bürgerlicher Klassenjustiz, persönlicher Diffamierung oder gar faschistischer Verfolgung im Sinne von Gedankenfreiheit zu erwehren.
Den Kampf gegen den Kapitalismus mit dem Leben bezahlt
Doch wenn ich nach dem Typischen beim zusammenhanglosen Herausgreifen des Luxemburgschen Satzes von der "Freiheit der Andersdenkenden" frage, was ich selbst bisher auf Konferenzen im Ausland erleben und in unzähligen Büchern lesen konnte, dann ist es das Bestreben, Rosa Luxemburg W. I. Lenin und dem Leninismus entgegenzusetzen, Rosa Luxemburg zu benutzen, um Auffassungen zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und zur Verteufelung der sozialistischen Demokratie wie des Sozialismus überhaupt zu rechtfertigen. Wer sich zum Beispiel mit Rosa Luxemburgs Satz auf den Lippen oder auf Plakaten vom ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden abwendet oder diesen verleumdet, befindet sich im Widerspruch zu Rosa Luxemburg, die ja eben ihr ganzes Leben gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus gekämpft hat und die deswegen als Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) am 15. Januar 1919 bestialisch ermordet wurde.
In dem für diese Partei von ihr entworfenen Programm steht bis ins einzelne gehend, was Rosa Luxemburg unter sozialistischer Demokratie verstand. Ihre Bemerkung von der "Freiheit der Andersdenkenden" wird von ihr nie wiederholt. Ihr gesamtes bewußtes Leben, ihr gesamtes Schriftgut beruht auf dem klassenmäßig eindeutigen Standpunkt, daß zwischen bürgerlicher und sozialistischer Demokratie klar zu unterscheiden ist. Für die Marxistin Rosa Luxemburg waren und blieben die Forderungen nach Freiheit der Kritik, nach Freiheit und Demokratie Klassenfragen, und die Entfaltung wahrer Demokratie hing nach ihren Auffassungen von der Errichtung der sozialistischen Gesellschaft ab, sollte der Verwirklichung des Sozialismus dienen.
"Das Wesen der sozialistischen Gesellschaft besteht darin", schrieb sie im Programmentwurf "Was will der Spartakusbund?", "daß die große arbeitende Masse aufhört, eine regierte Masse zu sein, vielmehr das ganze politische und wirtschaftiche Leben selbst lebt und in bewußter freier Selbstbestimmung lenkt." [7]
Kritik an Maßnahmen der Bolschewiki
Da die Dispute über die "Freiheit der Andersdenkenden" sich bis heute meistens darum drehen, daß Rosa Luxemburgs "weite" Demokratieauffassung Lenins angeblich engem diktatorischem Demokratieverständnis entgegengesetzt wird, steht im Vordergrund meiner Erwiderungen nach wie vor das Bemühen um den Nachweis, daß diese Art von Luxemburg-Interpretationen die historisch-konkreten Zusammenhänge mißachtet und auf eine Verfälschung des Demokratieverständnisses sowohl Rosa Luxemburgs als auch Lenins hinausläuft und sich nicht selten gegen heute existierende sozialistische Staaten richtet.
Es ist nun einmal wahr, und jeder kann es nachlesen, daß Rosa Luxemburgs ganze Sympathie und Hochachtung der Partei der Bolschewiki mit Lenin und Trotzki an der Spitze galt, die in der Oktoberrevolution 1917 in Rußland gezeigt haben, "daß sie alles können, was eine echte revolutionäre Partei in den Grenzen der historischen Möglichkeiten zu leisten imstande ist" [8]. Rosa Luxemburgs Kritik richtete sich gegen die Verteilung des Bodens an die Bauern, gegen das Recht auf nationale Selbstbestimmung bis zur staatlichen Lostrennung, gegen die Auflösung der Konstituante, gegen den Entzug des allgemeinen Wahlrechts für alle diejenigen, die nicht arbeiten, sowie gegen die Einschränkung der Pressefreiheit, des Versammlungs- und Vereinsrechts.
Rosa Luxemburg kritisierte die angesprochenen Maßnahmen der Bolschwiki aus Sorge um die Behauptung der Diktatur des Proletariats als sozialistische Demokratie gegen deren Feinde und Widersacher. Sie räumte ein, daß Lenin das Beste wollte, unter äußerst schwierigen Bedingungen im wesentlichen das einzig Richtige tat und nicht kritiklos bewundert zu werden wünschte. Die Gesamtaussage des Manuskripts "Zur russischen Revolution" über die sozialistische Demkratie wie alle späteren Stellungnahmen zu diesem Thema in der "Roten Fahne" und im Parteiprogrammentwurf erlauben festzustellen, daß sich in der Kritik an Lenin und den Bolschewiki über die Konstituierung der Diktatur des Proletariats und die Art der Verwirklichung sozialistischer Demokratie ein 1918 objektiv nicht lösbarer Widerspruch offenbarte. Rosa Luxemburgs Ideal von sozialistischer Demokratie stand im Widerspruch zu den realen Möglichkeiten, die die Bolschwiki unter der von Rosa Luxemburg selbst angesprochenen gefährlichen Bedrohung der Sowjetmacht durch äußere Feinde zur breiten Entfaltung sozialistischer Demokratie besaßen. Rosa Luxemburg berücksichtigte, daß das erste Exempel der Errichtung der Diktatur des Proletariats als sozialistische Demokratie nicht von vornherein vollkommen sein könne. Sie wollte zum Nachdenken anregen und warnte: "Das Gefährliche beginnt dort, wo sie aus der Not die Tugend machen, ihre von diesen fatalen Bedingungen aufgezwungene Taktik nunmehr theoretisch in allen Stücken fixieren und dem internationalen Proletariat als das Muster der sozialistischen Taktik zur Nachahmung empfehlen wollen." [9]
In letzter Zeit werde ich immer häufiger danach gefragt, und mich bewegt die Frage selbst, ob bei aller Anerkennung unbedingt zu berücksichtigender konkreter Bezogenheit der Äußerungen Rosa Luxemburgs von 1918 in dem Manuskript mit dem viel umstrittenen Satz von der "Freiheit der Andersdenkenden" nicht auch Gesichtspunkte enthalten sind, die für die Gestaltung der sozialistischen Demokratie von existentieller Bedeutung sind. Ich meine ja. Rosa Luxemburgs Überlegungen bestärken mich dabei ebenso wie die Tatsache, daß in ihre Erwägungen vielgestaltige Erfahrungen einflossen: Erlebnisse mit der innerparteilichen Demokratie der deutschen Sozialdemokratie, Folgerungen aus den Kämpfen gegen das imperialistische deutsche Kaiserreich, auch die Revolution von 1905 bis 1907 gegen den Zarismus und Beobachtungen über die Anfänge der ersten Arbeiter-und-Bauern-Macht in Sowjetrußland.
Ungehemmtes politisches Leben der Volksmassen ist kräftigstes Korrektiv
Meines Erachtens sind vor allem folgende Gedanken Rosa Luxemburgs beachtenswert. Rosa Luxemburg schrieb in ihr Manuskript nachdrücklich, daß die lebendige Einwirkung der Stimmung und der politischen Reife der Massen auf die gewählten Körperschaften ständig gewährleistet sein müsse. Der "Pulsschlag des Volkslebens" dürfe nie versiegen. "Und je demokratischer die Institution, je lebendiger und kräftiger der Pulsschlag des politischen Lebens der Masse, um so unmittelbarer und genauer die Wirkung." [10] Das aktive, ungehemmte, energische politische Leben der breitesten Volksmassen sei das kräftigste Korrektiv für den schwerfälligen Mechanismus von Institutionen. [11]
Die Freiheit dürfe nicht zu einem Privilegium werden [12], sonst werde das öffentliche Leben armselig, schematisch, unfruchtbar, und die schöpferische Kraft versiege. Freier Meinungskampf schütze vor Bürokratie. Öffentliche Kontrolle verhindere den Verlust an Erfahrungen und bewahre vor Korruption. [13]
Ohne freie ungehemmte Presse, ohne ungehindertes Vereins- und Versammlungsleben sei die Herrschaft breiter Volksmassen undenkbar. [14] Politische Schulung und Erziehung der ganzen Volksmasse sei für die sozialistische Demokratie "das Lebenselement, die Luft, ohne die sie nicht zu existieren vermag". [15]
Durch Erdrückung des öffentlichen Lebens werde die Quelle politischer Erfahrung verstopft. [16]
Gefahr der Entartung der sozialistischen Demokratie
Der sozialistischen Demokratie drohe die Gefahr der Entartung, wenn das öffentliche Leben einschliefe. "... einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wiklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen ..." [17] Vor der Gefahr der Einengung der Diktatur des Proletariats auf eine Diktatur der Partei oder gar Parteiführer bewahre nur die aktive Teilnahme der Massen an der Ausübung der sozialistischen Demokratie, die Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit, die wachsende politische Schulung der Massen [18] - "der Wille zur Macht des Sozialismus überhaupt" [19].
Je besser wir solche Gedanken zu beherzigen und zu verwirklichen verstehen, um so größer wird die Schar derer, die Rosa Luxemburgs Rat folgen, daß die sozialistische Gesellschaft Menschen braucht, "von denen jeder an seinem Platz voller Glut und Begeisterung für das allgemeine Wohl ist, voller Opferfreudigkeit und Mitgefühl für seine Mitmenschen, voller Mut und Zähigkeit, um sich an das Schwerste zu wagen." [20] Wenn wir uns so dem Heute stellen, werden alle Andersdenkenden, die unsere sozialistische Gesellschaft mit erneuern wollen, mit Freiheit der Kritik im Sozialismus leben und für seine schöpferische Weiterentwicklung wirken können. Die "andersdenkenden" Gegner des Sozialismus aber werden isoliert und nicht zum "freien" Zuge kommen.
(Text, Überschrift und Zwischenüberschriften: nd vom 11./12. November 1989, Seite 13)
Anmerkungen
[1] Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 5, Berlin 1985, S. 523.
[2] Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 1, Erster Halbband, Berlin 1987, S. 527.
[3] Siehe ebenda.
[4] Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1984, S. 337.
[5] Ebenda, S. 330.
[6] Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1987, S. 359.
[7] Ebenda, S. 442.
[8] Ebenda, S. 365.
[9] Ebenda, S. 364.
[10] Ebenda, S. 355.
[11] Siehe ebenda, S. 355/6.
[12] Siehe ebenda, S. 359.
[13] Siehe ebenda, S. 360.
[14] Siehe ebenda, S. 358.
[15] Ebenda, S. 359.
[16] Ebenda.
[17] Ebenda, S. 362.
[18] Siehe ebenda, S. 364.
[19] Ebenda, S. 365.
[20] Ebenda, S. 434.
Noch sind die "andersdenkenden" Gegner des Sozialismus und Humanismus nicht isoliert. Vielmehr dominieren sie den Zeitgeist, faschistoide und faschistische Tendenzen inklusive. Sie hinterließen und hinterlassen eine endlose Blutspur der von ihnen Gemeuchelten und ungezählte von ihnen oft grausam Verfolgte.