Reformen zur Stärkung der UNO sind notwendig und machbar. Vorschläge für eine linke Positionierung zur Weltorganisation
Auszüge aus einem Papier von André Brie, Ernst Krabatsch, Stefan Liebich, Paul Schäfer und Gerry Woop, vorgestellt am 24. August 2011
Das Forum demokratischer Sozialismus hat ebenfalls Änderungsanträge zum Entwurf des Parteiprogramms eingebracht, so zum internationalen Teil. Darin werden zum wiederholten Male Einzelfallprüfungen gefordert, die eventuelle Unterstützung von militärischen Missionen der UNO betreffend. Die Anträge (siehe www.forum-ds.de, dort "Das Neueste – 23. September 2011 – Änderungsanträge des fds zum Leitantrag des Parteivorstandes (Programmentwurf)") entsprechen dem Geist und teils auch den Buchstaben des Papiers, aus dem wir nachfolgend zitieren:
"Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden neue Herausforderungen als Aufgaben bestimmt. Mit Weltkonferenzen, politischem Dialog, Programmen und insbesondere den Millennium-Entwicklungszielen reagierte die Staatenorganisation auf zentrale Probleme. Die Auflösung bisheriger Ordnungsmuster führte aber auch zu neuen Konflikten und zu einem Ansteigen des Einsatzes von zivilem, polizeilichem und auch militärischem Personal in zahlreichen Missionen. Die Bilanz ist gemessen am Notwendigen ambivalent."
"DIE LINKE steht vor der Frage, welches Verhältnis sie zur UNO hat. Die mangelnde Repräsentanz der Staaten des Südens im Sicherheitsrat, die zunehmende Orientierung auf Militär und Polizei bei der Bearbeitung von Konflikten, die immer zahlreicheren Missionen nach Kapitel VII der UN-Charta, der besondere Einfluß der mächtigen Staaten des Nordens auf die UN-Politik sind nachvollziehbare Gründe auch für kritisch fragende Positionen innerhalb der LINKEN im Verhältnis zur UNO. Auch die Mandatsüberdehnungen wie im Falle der militärischen Interventionen jüngst in der Elfenbeinküste oder in Libyen sind bedenklich. Die Möglichkeiten (agenda-setting) und Grenzen der Gipfeldiplomatie (Ergebnis- und Umsetzungsdefizite) sind realistisch zu bewerten. Die Ergebnisse von politischen und auch militärischen UN-Missionen zur Friedensstabilisierung sind ambivalent."
"Die UNO hat auf der Grundlage der Charta die Aufgabe, als System kollektiver Sicherheit für Frieden zu sorgen, Gewaltkonflikten präventiv zu begegnen, sie durch Vermittlung oder im Ernstfall auch durch Zwangsmaßnahmen möglichst schnell und nachhaltig beizulegen. Friedensgebot und Gewaltverbot sind zentral, die Beseitigung von Konfliktursachen sollte Priorität schon in der Ressourcenverteilung haben. Zugleich kann es im Einzelfall völkerrechtskonforme Zwangsmaßnahmen bis hin zu militärisch ergänzten UN-Missionen geben."
"DIE LINKE lehnt eine exklusive Kooperation der UNO mit der NATO ab, weil damit die Prioritäten bei Konfliktlösungen zum Militärischen verschoben werden. Wichtiger wären eigene UN-Missionen anstelle von Mandatierungen Dritter."
"Verzichtet DIE LINKE weiterhin weitgehend auf eine differenzierte Sicht auf die sich in der Weltorganisation vollziehenden Prozesse und die massive Verschiebung der Kräfteverhältnisse in dieser Organisation in den letzten zwanzig Jahren, wird sie sich an dieser Diskussion nicht ernsthaft und glaubwürdig beteiligen können. Zugleich gibt es Widersprüche, auch Rechtsbrüche, Konflikte und Bruchstellen, auf die wir mit Kritik und konstruktiven Vorschlägen reagieren sollten. Sich ihnen zuzuwenden ist vernünftig und politisch erfolgversprechender, als sich verbalradikal auf eine idealisierte Zukunfts-UNO zu berufen."
"Aufbauend auf dem bereits 1992 vom Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali vorgelegten Politikkonzept "Agenda für den Frieden" wurde durch eine Reihe von Resolutionen des Sicherheitsrates und der Generalversammlung das Konzept einer stärker interventionistischen UNO durchgesetzt, die aber auch Beschlüsse zum Schutz von Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten, zur Rolle der Frauen im Hinblick auf Frieden und Sicherheit oder die Verbreitung von Kleinwaffen enthalten. Dieser Bereich wuchs seit der Beendigung des Kalten Krieges beträchtlich und hat seit dieser Zeit eine Reihe wichtiger Veränderungen erfahren."
"Auch den sicherheitspolitischen Risiken und Bedrohungen, den Terror-Netzwerken, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und den regionalen Auswirkungen so genannter 'gescheiterter Staaten' ist mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig zu begegnen. Diese Probleme sind letztlich nur mit zivilen Instrumenten Diplomatie, Stärkung des Völkerrechts, globale Zusammenarbeit und Initiativen zur Umsetzung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, allgemeine Abrüstung und Stopp von Rüstungsexporten zu lösen."
"DIE LINKE bekräftigt das Friedensgebot der UN-Charta und das Gewaltverbot als unverrückbare Grundlagen des UN-Systems. Sie tritt einer Aufweichung des Gewaltmonopols und einer Legitimation von Kriegen entschieden entgegen und befürwortet jeden vernünftigen Versuch, die UNO zu einem effektiv funktionierenden kollektiven Sicherheitssystem auszubauen …"
"Dennoch dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, daß für Millionen von Zivilisten in Konflikt- und Kriegsgebieten UN-Soldaten oft die letzte Hoffnung auf Stabilität und Frieden sind. Die UNO verfügen aber über keine eigenen militärischen Verbände. Auch die Stand-by-Abkommen haben bislang dieses Defizit nicht behoben. Gäbe es solche Verbände, sähe die militärische Interventionspraxis wahrscheinlich praktisch und rechtlich besser aus. Zumindest auf die Fragen nach den schnell verfügbaren Einsatzkräften und nach den nationalen Interesseneinflüssen auf Mandatsentscheidungen und Truppenstellung sowie zu Problemen von historischen Bezügen (Kolonialgeschichte) oder hegemonialen bzw. Wirtschaftsinteressen wären eigenen UN-Verbände eine angemessene Antwort. Es gibt bedauerlicherweise auch keinerlei Signal der ständigen Sicherheitsratsmitglieder, die bisherige Praxis ändern zu wollen."
"DIE LINKE sollte aber ihrerseits auch nicht jede UN-Mission, die eine militärische Komponente enthält, ohne gebührende Prüfung der konkreten Umstände kategorisch ablehnen. Dafür bedarf es im Rahmen der geltenden Völkerrechtsnormen der Festlegung von genauer definierten Kriterien für die Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen bei ausdrücklicher Bindung an die UN-Charta bei Fällen der Gefährdung der internationalen Sicherheit, bei massenhaften systematischen Menschenrechtsverletzungen, Massentötungen oder ethnischen Vertreibungen. Zu solchen Bedingungen sollten u.a. gehören: der Einsatz militärischer Maßnahmen nur nach Ausschöpfung aller möglichen nichtmilitärischen Optionen (von politischer Vermittlung über Sonderbeauftragte und Forderungen oder politische Missionen bis zum Sanktionsregime nach Kapitel VII der Charta), Vorrang von Maßnahmen nach Kapitel VI (die die Zustimmung der Konfliktparteien beinhalten), Wahrung der Unparteilichkeit der Mission, die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die effektive Erfolgsaussicht, Ausstiegsszenarien, Vorrang für eigene UN-Missionen anstelle von Mandatierungen Dritter, militärische Einsätze nach Kapitel VII nur bei Einbettung in einer politische Mission."
"Die gegenwärtigen bewaffneten Konflikte werden zunehmend nicht mehr unter Kombattanten ausgetragen, sondern richten sich häufig gegen die Zivilbevölkerung. Daraus hat sich eine Debatte über die Verantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung entwickelt. Im Völkerrecht hat sich in den letzten Jahren die Auffassung gefestigt, daß zwischen systematischen und breit angelegten Verstößen gegen Rechte von Zivilpersonen in Fällen von Völkermord oder massenhaften Verletzungen der Menschenrechte einerseits und einer Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit andererseits ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Solche Fälle sollen nicht mehr durch das Interventionsverbot geschützt sein. Damit wird aber nicht nur ein Anknüpfungspunkt für Maßnahmen nach Kapitel VII gegeben, sondern wird der Schutz der Zivilbevölkerung als solcher zum Handlungsauftrag des UN-Sicherheitsrats erhoben. Es handelt sich insofern nicht um eine völlig neue Rechtsnorm, sondern um eine Weiterentwicklung der Kapitel VII-Interpretation, um auf das reale Phänomen des bewußten Einbeziehens von Zivilisten in – eben auch innerstaatliche – bewaffnete Handlungen zeitgemäß antworten zu können. Faktisch werden die Menschenrechte in Friedens- wie in Kriegszeiten zu einer Grundaufgabe bei der Durchsetzung des Völkerrechts erklärt. Dies ist Chance und Risiko zugleich. Die Durchsetzung grundlegender Menschenrechte darf jedoch nicht unverhältnismäßig mittels Gewalt erfolgen. DIE LINKE wendet sich gegen jeglichen Mißbrauch dieser neu entstehenden Rechtsnorm. Staaten oder regionale Organisationen erwerben hierdurch nicht das Recht, präventive Kriege zu führen bzw. zu veranlassen. Auch eine bewußte einseitige militärische Unterstützung von Bürgerkriegsakteuren läßt sich hieraus nicht ableiten. DIE LINKE begrüßt hingegen, daß dem Nichteinmischungsgebot durch diese entstehenden Schutznormen Grenzen gesetzt werden."
"Die UNO haben Ende der 1990er Jahre einige zentrale Weichenstellungen zur Stärkung der Menschenrechte vorgenommen, zu denen die Annahme des Statut des IStrGH in Den Haag (Römisches Statut vom 17. Juli 1998) und das a.a.O. erwähnte Konzept der Schutzverantwortung ("responsibility to protect") gehören. Dieses Konzept ist ein Kernstück des Übereinkommens zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords. Seine Kernelemente wurden auf dem UN-Jubiläumsgipfel 2005 vereinbart. Im Gegensatz zur unilateralen "humanitären Intervention", der eine völkerrechtliche Anerkennung aus guten Gründen untersagt blieb, wird auf die Verantwortung aller Staaten abgestellt, autorisiert durch den UN-Sicherheitsrat zum Schutz von Menschen in lebensbedrohenden Situationen – im Rahmen der Prävention, im Krisenfall als auch danach ("responsibility to prevent, react, rebuild"). Das schließt auch kollektive Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta ein, "falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden offensichtlich dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen". Trotz der rechtlichen Unverbindlichkeit dieser Erklärung sowie der Tatsache, daß Elemente dieser "Schutzverantwortung" Bestandteil des Völkerrechts sind, ist die Haltung der UNO-Mitgliedsstaaten dazu zwiespältig."
"Der Sicherheitsrat trägt (lt. Art. 24 UN-Charta) für die Erfüllung der zentralen Aufgaben der UN, der Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die Hauptverantwortung, widerspiegelt in seiner Zusammensetzung aber im Wesentlichen die Machtverteilung von 1945. Nach Beendigung der Ost-West- Konfrontation konnte er sich relativ schnell wieder als das eigentliche Machtzentrum etablieren – allerdings zu Lasten der Generalversammlung."
"Die NATO dagegen zielt auch in ihrer "neuen Strategie" darauf ab, unter dem Konzept der "vernetzten Sicherheit" von ihr geführte Operationen, wenn möglich vom Sicherheitsrat autorisiert, in Friedenseinsätzen der UNO durchzuführen. Faktisch bedeutet dies: Die UNO sollen unter der NATO Dienst tun. Ein solches Herangehen lehnt DIE LINKE ab. Zugleich wird eine bestimmte Form der Kooperation in einzelnen Fällen zu erwarten oder auch sachlich kaum zu vermeiden sein; jedoch bedarf es hier einer dominierenden Rolle der UNO."