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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Rede am 125. Geburtstag von Ernst Thälmann

Ellen Brombacher, Berlin

 

Liebe Genossinnen und Genossen, "Jubiläen", so 1925 Ernst Thälmann, dessen 125. Geburtstag wir heute begehen, "sind für die Kommunisten ... nicht leere Gedenktage, sondern Richtlinien für den Klassenkampf, Leitfäden für die Aktion." Gerade in diesem Kontext möchte ich heute an ein Ereignis erinnern, welches mit dem Namen Ernst Thälmanns verbunden ist. Es liegt 25 Jahre zurück. 1986, anläßlich des hundertsten Geburtstages von Teddy, wurde hier der Thälmannpark eingeweiht: Die hinter uns liegenden Häuser waren neu erbaut, die Wabe als Kulturstätte eröffnet, das Denkmal, vor dem wir stehen, war soeben – sehr umstritten – fertiggestellt.

Die Einweihung fand am Vorabend des XI. Parteitages der SED statt. Angekündigt war auch der KPdSU-Generalsekretär M. S. Gorbatschow. An jenem Tag, vielleicht auch am Vortag, schossen US-amerikanische Kampfjets zwei libysche MIGs ab. Nicht etwa unweit von Europa oder gar in der Nähe der USA, sondern unmittelbar vor der libyschen Küste. Zur damaligen Zeit noch eine Ungeheuerlichkeit. Wird Gorbatschow da überhaupt kommen, fragten wir uns? Wie wird die Sowjetunion auf diese dreiste Provokation reagieren? Gorbatschow kam. Er redete über die Notwendigkeit, Glasnost noch gläserner zu machen und die Perestroika noch beschleunigter durchzuführen. Über die abgeschossenen MIGs ist mir kein Wort erinnerlich. Hätte mir 1986 jemand gesagt, daß es gut fünf Jahre später die Sowjetunion nicht mehr geben würde und auch die DDR nur noch kurze Zeit – ich hätte es nicht für möglich gehalten. Heute wissen wir: Für die Niederlage des real existierenden Sozialismus in Europa gab es ein Bündel an inneren und äußeren Ursachen. Eine wesentliche Ursache ist darin zu sehen, daß die Führung der KPdSU nicht mehr wahrnahm oder nicht mehr wahrnehmen wollte, daß die Todfeinde des Sozialismus nie aufhörten, Todfeinde zu sein und das demzufolge die Negierung eben dieser elementaren Tatsache tödlich sein mußte.

Liebe Genossinnen und Genossen, heute streiten Linke nicht zuletzt darüber, welche Fehler die KPD unter Thälmann begangen habe. Und dieser Streit ist unumgänglich. In einer Frage hat Thälmann mit Sicherheit nicht geirrt, in der Frage der Einschätzung imperialistischer, antisozialistischer Politik. 1926 schrieb er: "Die unversöhnliche Feindschaft der kapitalistischen Länder gegenüber dem ersten proletarischen Staat der Welt hat sich auch nach Beendigung der Intervention und Blockade überhaupt nicht geändert. Sie hat lediglich eine neue, versteckte Form angenommen, und wenn die bürgerlichen Staaten jetzt notgedrungen Beziehungen zur UdSSR anknüpfen und Vereinbarungen mit ihr abschließen, so wird die Vorbereitung eines Krieges gegen die UdSSR nichtsdestoweniger unaufhörlich fortgesetzt." Welche Weitsicht! Sie fehlte all denjenigen, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre annahmen, wenn man Feindbilder abhängt, käme der Feind gleich mit abhanden.

Aus den 1986 zwei abgeschossenen MIGs ist inzwischen ein brutaler Bombenkrieg gegen Libyen geworden. Nur ein Viertel Jahrhundert liegt dazwischen. Die imperialistischen Hauptländer haben sich selbst zur internationalen Gemeinschaft erklärt und bomben und schießen – hier im Einklang mit dem UN-Sicherheitsrat und dort auch ohne dessen Zustimmung. Sie tun dies, wenn ihre Interessenlage das verlangt und nennen es humanitäre Intervention. Und da, wo kein Öl oder strategisches Terrain zu holen ist, ist auch der Humanismus eher nicht von Belang. Wir leben in einer Welt, in welcher der Profitmechanismus – unmittelbar oder mittelbar – wie vielleicht nie zuvor täglich mehr in das Leben der Menschen eingreift: Soziale Kälte breitet sich aus, der Hunger tötet wie die Kriege, die wieder zum alltäglichen Mittel der Politik geworden sind, die Klimakatastrophen reißen nicht ab, und die Atomkatastrophe von Fukushima führt den Begriff "Restrisiko" ad absurdum. Wir alle wissen um Gegentendenzen: Sei es in Lateinamerika, sei es in Nordafrika, der arabischen Welt oder andernorts. Heute gegen den Weltmachtanspruch der USA und der NATO zu stehen, wie dies z.B. China tut, ist schon viel. Kommunistinnen und Kommunisten sollten immer Realisten sein. Zuviel haben wir schon für Fehleinschätzungen gezahlt. Es geht auch heute, und vielleicht mehr denn je, um die Frage: Sozialismus oder Barbarei. Und doch steht der Sozialismus hier nicht vor der Tür, so wie Sowjetdeutschland in den dreißiger Jahren nicht vor der Tür stand. Aus der Geschichte zu lernen, heißt, sich auch daran zu erinnern. Als Kommunistinnen und Kommunisten sollten wir, wo immer unser konkreter Wirkungskreis ist, dazu beitragen, daß die Friedensbewegung an Einfluß gewinnt – am 23. April ist Ostermarsch –, daß die Kämpfe gegen Sozialabbau intensiviert werden – der 1. Mai steht bevor –, daß die Antiatomkraftbewegung ebenso an Fahrt gewinnt wie die Bürgerbewegungen gegen den sich in immer größerem Tempo vollziehenden Abbau der noch verbliebenen Reste bürgerlicher Demokratie. Daß wir uns, wo immer wir uns befinden, gegen den seuchenartig grassierenden Antikommunismus wenden, versteht sich von selbst. Wir sind solidarisch mit den Unterdrückten dieser Erde und daher besonders mit Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen in diesem Land. Und: Wir sind konsequente Antifaschisten.

Gerade hier ist Thälmann uns bleibendes und außerordentliches Vorbild. Niemals verschwieg er den Klassencharakter des aufkommenden Faschismus. So erklärte er am 3. März 1932 in Frankfurt am Main: "Den Namen 'Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei' müssen wir untersuchen. Am Montag sprach ich in Düsseldorf in den Maschinenbauhallen, wo vor einigen Wochen Hitler gesprochen hat. Bei Hitler erschienen die Gastgeber aus den großkapitalistischen Kreisen, aus Schwerindustrie und Bergbau in 700 Limousinen. Glaubt ihr, Genossen, daß hier in unserer Versammlung die Direktoren oder die Inhaber der kapitalistischen Industrie erscheinen würden, um mich zu begrüßen? Haltet ihr es für möglich, daß irgendein Frankfurter Industrieller es wagen könnte, den Genossen Thälmann für heute Abend zu einem Abendbrot einzuladen?"

Liebe Genossinnen und Genossen, diese Klarheit der Gedanken und damit der Sprache war es, wofür sie Thälmann haßten, ihn für zwölf Jahre in den Kerker warfen, folterten und schließlich, als ihr Ende sich als unabwendbar erwies, Thälmann 1944 in Buchenwald ermordeten, und mit ihm töteten die Faschisten in den letzten Monaten und Wochen ihrer Schreckensherrschaft Tausende weiterer deutscher Kommunistinnen und Kommunisten, die bis dahin die Nacht des Faschismus überlebt hatten. Sie sollten einem besseren Deutschland nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn wir heute Ernst Thälmanns gedenken, dann sind sie alle mit in unseren Gedanken und Gefühlen. Die Zeiten sind andere geworden. Die Maßstäbe, die sie an sich legten, sollten die unsrigen bleiben.

Auf der Gedenkkundgebung am 16. April 2011 im Berliner Ernst-Thälmann-Park vor dem Ernst-Thälmann-Monument sprachen Dieter Rolle (Vorsitzender der KPD), Ellen Brombacher (Sprecherin der KPF der Partei DIE LINKE) und Patrik Köbele (stellvertretender Vorsitzender der DKP).

 

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