Rechtspopulismus – was droht der Gleichstellungspolitik?
Brigitte Triems, Berlin
Im Jahr 2018 begehen wir den 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland. Ein Grund zum Feiern? Auf jeden Fall, denn es war dem jahrelangen Ringen der Frauenbewegung zu verdanken, dass Frauen seit Ende des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern das aktive und passive Wahlrecht erhielten. Deutschland gehörte 1918 mit zu den ersten Ländern, in denen Frauen wählen und damit ihr demokratisches Recht wahrnehmen konnten.
Das Frauenwahlrecht war nur ein erster Meilenstein auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Vieles wurde seit diesem Zeitpunkt von Frauen für Frauen errungen, häufig in zähem und unermüdlichem Kampf durchgesetzt. Unter dem Druck der Frauenbewegung gingen Regierungen weltweit rechtsverbindliche Verpflichtungen zur Achtung und zur Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen ein. Aber noch immer gibt es eine Kluft zwischen rechtlichen Regelungen und ihrer Umsetzung, auch in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Der im Oktober 2017 veröffentlichte Gleichstellungsindex des Europäischen Gleichstellungsinstitutes EIGE macht deutlich, dass der EU-Durchschnittswert für die Gleichstellung von Frauen in Zahlen ausgedrückt auf einer Skala von 1 bis 100 Punkten nur 66,2 Punkte ausmacht. Obwohl über die Hälfte der Bevölkerung der EU weiblich ist, kann von der Hälfte der Macht, des Einflusses und der wirtschaftlichen Kraft für Frauen noch lange nicht die Rede sein. Trotz formal garantierter Gleichberechtigung ist die Gleichstellung der Geschlechter nach wie vor nicht Realität: Teilzeitarbeit und ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse sind vor allem Frauensache – die Differenz der Beschäftigungsrate zwischen Frauen und Männern beträgt durchschnittlich 18,7 Prozent; die geschlechterspezifischen Unterschiede bei Löhnen liegen bei 16,3 Prozent, und die Rentenlücke beträgt 38,6 Prozent. Der Anteil von Frauen in Entscheidungspositionen ist in den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten mit 28,7 Prozent, in den Regierungen mit 27,9 Prozent und in den Nationalbanken mit 20,1 Prozent immer noch weit von Parität entfernt. Frauen leisten weiterhin 2,6-mal so viel unbezahlte Sorge- und Hausarbeitwie Männer. Und Gewalt gegen Frauen und Mädchen nimmt trotz zahlreicher Gegenmaßnahmen zu. [1]
Antifeministische Einstellungen auf dem Vormarsch
Es gibt demzufolge noch viel zu tun. Aber es gilt auch, Erreichtes zu verteidigen – heute mehr denn je. »Frauenrechte sind immer wieder Gegenstand politischer Verhandlungen. Es gibt keine zwangsläufige Entwicklung hin zur Geschlechtergleichheit. Politische Rechte von Frauen können je nach Machtverhältnis auch wieder abgeschafft oder rückgängig gemacht werden…«, wie es die österreichische Tageszeitung »Der Standard« kürzlich feststellte.[2]
In den vergangenen Jahren schienen die Chancen zur Verwirklichung eigener Lebensentwürfe und der Abbau von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts weitgehend gesellschaftlicher Konsens zu sein, der jetzt aber mit dem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte und ihrer Parteien in Europa infrage gestellt wird. Es wird immer deutlicher, dass rechtspopulistisches Denken kein Randproblem ist, sondern in vielen europäischen Staaten zunimmt, resultierend aus dem durch die Globalisierung hervorgerufenen tiefgreifenden Wandel in den Gesellschaftsstrukturen. In der Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten sind rechtspopulistische Parteien in die Parlamente eingezogen. 2017 nominierten 46 rechtspopulistische Parteien Kandidaten für Parlamentswahlen; 24 Parteien waren es im Jahr 2000. Im Durchschnitt stimmten im Jahr 2017 17,7 Prozent der Wähler*innen in Europa für Kandidaten rechtspopulistischer Parteien. [3]
Neben antisemitischen, islam- und ausländerfeindlichen Haltungen sind auch antifeministische Einstellungen auf dem Vormarsch. Verbreitete Ressentiments gegenüber Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung werden gezielt aufgegriffen und kommuniziert. Wenn man sich Dokumente und Reden von Vertreter*innen rechtspopulistischer Parteien auf europäischer Ebene und in EU-Mitgliedsstaaten ansieht, haben sie eins gemeinsam: wenn überhaupt von Frauenrechten die Rede ist, finden sie sich im Kapitel »Familie« wieder. Und Geschlechterfragen werden zunehmend mit Migrationsfragen in Zusammengang gebracht. Es geht immer nur um den Sexismus der »Anderen«, der eine Gefahr für die eigene Kultur ist.
EU-weite Tendenz
Ein Schritt in Richtung Verfestigung rechtspopulistischer Positionen war die auf Initiative von Marine Le Pen, der Vorsitzenden des französischen Front National (FN), betriebene Gründung der Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit (MENL) am 3. Oktober 2014. Mitglieder der MENL sind der Front National, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), der belgische Vlaams Belang, die tschechische Partei »Freiheit und direkte Demokratie (SPD) und die italienische Lega Nord. Dazu kommen Einzelmitglieder aus rechtspopulistischen Parteien Deutschlands, Bulgariens, Polens, Rumäniens und des Vereinigten Königreiches.
Die politische Plattform der MENL umfasst fünf kurz gefasste Punkte: Respekt demokratischer Prinzipien, Souveränität, Identität, Spezifität und Freiheiten. Die Partei ist euroskeptisch und wendet sich gegen Globalisierung. Unter Hinweis auf die Oberhoheit von Staaten und Völkern weist sie jegliche Übertragung von nationaler Souveränität an supranationale Gremien und/oder europäische Institutionen zurück. Des Weiteren lehnt sie eine gemeinsame Flüchtlingspolitik der EU vehement ab. Diese Positionen werden auch in der am 15. Juni 2015 gegründeten Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) im Europäischen Parlament vertreten. Der Fraktion gehören derzeit 37 Abgeordnete aus 9 Mitgliedsstaaten an. Mehrheitlich blockieren sie im Europäischen Parlament alle Initiativen und Vorhaben zur Gleichstellung von Frauen und Männern.
Rassistische Familienpolitik und bedrohte Frauenrechte
Rechtspopulist*innen propagieren rückwärtsgewandte Frauenbilder und ein rassistisches Familienmodell. Sie stellen eine Bedrohung von Frauenrechten dar und sind ein Rückschritt auf dem Wege zu wirklicher Gleichstellung. Ein Blick auf die Positionen ausgewählter Parteien soll dies anschaulich machen.
Zunächst zur Front National (FN) in Frankreich: Weder im Parteiprogramm noch in den 144 Wahlversprechen zu den Präsidentschaftswahlen 2017 findet sich ein Kapitel zu Frauenrechten. Dieses Thema wird im Zusammenhang mit »Familie« abgehandelt. Das Wahlversprechen »Frauenrechte verteidigen« wird verknüpft mit dem »Kampf gegen den Islamismus, der die Grundrechte von Frauen abbaut«. Die Forderung nach einem nationalen Plan für Lohngleichheit und die Ankündigung für den Kampf gegen berufliche und soziale Prekarität sind allgemein gehalten und nicht präzisiert. [4]
Finden sich also in den offiziellen Dokumenten des FN kaum Aussagen zum Thema Gleichstellung, lassen Reden und Veröffentlichungen führender FN-Vertreter keinen Zweifel daran, wie sie zu Frauenrechten stehen: Frauen müssen zurück an den Herd, um einerseits das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen und andererseits die Kinder besser zu erziehen, damit sie nicht kriminell werden. Die Vision von einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind, bezeichnen führende Vertreter des FN als eine »differentialistische und multikulturelle Ideologie, die eine Form des inversen Rassismus, deren erste Opfer weiße heterosexuelle Männer sind, ist«. [5]
In Deutschland betont die Alternative für Deutschland (AfD), dass sie sich für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzen will. Aber wie sieht das konkret aus? Die AfD will Frauen in ihre traditionelle Rolle in der Familie als »wertegebende Grundeinheit« zurückdrängen; sie sollen sich wieder vermehrt zu Hause um die Erziehung der Kinder kümmern und nicht voll erwerbstätig sein. Demzufolge wendet sie sich auch gegen Kindereinrichtungen für Kinder unter drei Jahren zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die AfD prangert die angeblich hohe Geburtenrate unter Migrantinnen, die zu einem ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur führt, an. Wenn die Partei verlangt, dass Mütter und Familien stärker gefördert werden müssen, meint sie ganz eindeutig deutsche Familien ohne Migrationsgeschichte. Die Schlussfolgerung, dass es sich um eine rein rassistische Familienpolitik und nicht um die Interessen der Frauen in diesem Land handelt, liegt auf der Hand.
Besonders deutlich wird das mangelnde Engagement der AfD für die Gleichstellung von Frauen und Männern durch die Ablehnung des Gender Mainstreaming, der Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenssituationen und Interessen von Frauen bei politischen Vorhaben und Maßnahmen. »Instrumente, wie Gender Studies, Quotenregelungen z.B. für Frauen, Propagandaaktionen wie den Equal Pay Day oder die geschlechterneutrale Sprache« werden von der AfD als Ursache für den Werteverfall und den Rückgang der traditionellen Familie abgelehnt. [6]
Die Positionen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die seit den letzten Wahlen mit in der Regierungsverantwortung ist, schließen sich voll inhaltlich der Politik des FN und der AfD an. Im Handbuch freiheitlicher Politik wird zugegeben, dass es in der Gesellschaft »noch immer evidente Benachteiligungen von Frauen« gibt. Gleichzeitig wird betont, dass es nicht angeht, »das geschlechtsspezifische Verhalten durch Beeinflussung, Gängeln und Zwang zu verändern, ja sogar zu unterdrücken«. Und: »Die Bevorzugung eines Geschlechts zur Beseitigung tatsächlicher oder vermeintlicher Benachteiligungen wird von uns entschieden abgelehnt.« [7] Folgerichtig schlägt die FPÖ vor, alle Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen und einkommensmäßigen Situation, mit denen die öffentliche Hand Frauen und Verbände fördert, einzustellen.
2019 stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament an. Es liegt an den Wählern zu verhindern, dass rechtspopulistische Parteien noch größeren Einfluss erlangen und Frauenrechte derart weiter mit Füßen treten können.
Brigitte Triems ist Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes e.V.
Anmerkungen:
[1] eige.europa.eu/gender-equality-index/2017
[2] www.derstandard.de/story/2000074320601/100-jahre-frauenwahlrecht-zehn-themen-zum-diskutieren
[3] institute.global/insight/renewing-centre/european-populism-trends-threats-and-future-prospects
[4] www.frontnational.com/pdf/144-engagements.pdf
[5] www.rtl.fr/girls/identites/marine-le-pen-le-fn-applique-t-il-ses-discours-sur-l-egalite-hommes-femmes-7787275502
[6] www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2017/08/AfD_Wahlprogramm_2017.zip
[7] www.fpoe.at/fileadmin/user_upload/www.fpoe.at/dokumente/2015/Handbuch_freiheitlicher_Politik_WEB.pdf
Mehr von Brigitte Triems in den »Mitteilungen«:
2013-03: Überlegungen zum Internationalen Frauentag
2011-11: Gewalt gegen Frauen