Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Rechts und Links im Rechtsstaat

Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff, Berlin

 

Das Grundgesetz ist gut, wir wissen es. Es gibt uns hehre Grundrechte: Die Würde des Menschen ist unantastbar, alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, alle Menschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Alles schön und gut, doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Gilt das z. B. auch für Stasi? Artikel 38 des Grundgesetzes sagt: wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt. Das Bundeswahlgesetz (BWahlG) sagt in § 13, ausgeschlossen von der Wahl ist:

1. wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt,

2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfaßt,

3. wer sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet."

Alles präzise geregelt. Stasi nicht dabei. Stasi kann also auch gewählt werden. Wir leben in einem Rechtsstaat. Aber nach der Wahl rufen alle, die Medien und die Abgeordneten: Stasi raus. Und das war’s dann, siehe neuerdings Brandenburg, früher schon der Fall des PDS Bundestagsabgeordneten Professor Gerhard Riege. Er nahm sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief schrieb er: "Mir fehlt die Kraft zum Kämpfen und zum Leben. Sie ist mir mit der neuen Freiheit genommen worden. Ich habe Angst vor der Öffentlichkeit, wie sie von den Medien geschaffen wird und gegen die ich mich nicht wehren kann. Ich habe Angst vor dem Haß, der mir im Bundestag entgegenschlägt, aus Mündern und Augen und Haltung von Leuten, die vielleicht nicht einmal ahnen, wie unmoralisch und erbarmungslos das System ist, dem sie sich verschrieben haben. Sie werden den Sieg über uns voll auskosten. Nur die vollständige Hinrichtung ihres Gegners gestattet es ihnen, die Geschichte umzuschreiben und von allen braunen und schwarzen Flecken zu reinigen."1

Der kluge Kandidat verzichtet deshalb von vornherein auf seine Kandidatur oder er beichtet. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 GG) nimmt er lieber nicht in Anspruch. Er gesteht zum Beispiel, daß er, lang ist es her, als Siebzehnjähriger einmal eine Verpflichtungserklärung der Stasi unterschrieben und berichtet habe, daß dieser und jener mit der DDR nichts am Hut hat. Strafbar hat sich dieser Kandidat damit weder damals noch heute gemacht. Es ist danach auch kein Verbrechen von der Stasi verübt worden. Aber schlimm ist das auch nach 20, 30, 40 Jahren noch. So einer kann oder darf ebenso wenig Volksvertreter sein wie einer, der nach § 13 BWahlG vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, weil er geisteskrank ist oder durch Richterspruch sein passives Wahlrecht verloren hat. Letzteres kann ihm der Richter allerdings nur auch die Dauer von 5 Jahren entziehen (§ 45 Absatz 1 StB). Stasi wirkt lebenslänglich, das ist, Grundgesetz hin oder her, Volkes Wille oder der Wille der Opfer – sagt man. Abgestimmt wurde nicht.

Ist ja auch klar, denn Stasi soll furchtbare Verbrechen begangen haben, sagt selbst Klaus Lederer, Vorsitzender der Partei Die Linke in Berlin. Welche waren es? Generalstaatsanwalt Schaefgen hat es, als er noch im Amt war, bekanntgegeben (Neue Justiz 2000, S. 1) und die Professoren der Humboldt Universität kamen zum gleichen Ergebnis. Sie verkündeten, 143 Personen wurden wegen MfS-Straftaten angeklagt, verurteilt wurden 20 (Marxen/Werle, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht, Berlin, New York 1999, S. 210). 12 von ihnen wurden zu Geldstrafen, 8 zu Freiheitsstrafen, davon 7 zur Bewährung verurteilt. Eine Bestrafung wegen Verbrechens kann demnach höchstens in einem Fall vorgekommen sein, denn "Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind" (§ 12 Absatz 1 StGB). Amtlich wurde das Ergebnis der juristischen strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung nicht bekanntgegeben. Eine Petition, es zu tun, wurde abschlägig beschieden. Nichts geht über die Information der Öffentlichkeit. Wußte das Herr Klaus Lederer nicht oder sagte er bewußt die Unwahrheit?

Also, Verbrechen hat Stasi nach Meinung der Professoren und des ehemaligen Generalstaatsanwalts nicht begangen. Eine Kollektivschuld aller ihrer haupt- und nebenberuflichen Mitarbeiter kann darauf also nicht gestützt werden. Ist Kollektivschuld überhaupt rechtsstaatlich? Wohl eher nicht. Doch alle Stasi-Angehörigen, alle IM werden behandelt, als trügen sie schwere Schuld – ohne Urteil, ohne Verteidiger, kraft Bild-Zeitung und aller Eigentümer der Medien. Trotz Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) keine Arbeit im öffentlichen Dienst und anderswo, etwa bei der Presse, schlechtere Rente als nach den Beiträgen begründet. Ganz gleich, ob Musiker, Arzt, Personenschutz oder Vernehmer. Mitgefangen, mitgehangen, kollektiv eben. Strafen sind das juristisch nicht, weil sie nicht von einem Strafgericht verhängt worden sind. Etwas anderes wäre nicht rechtsstaatlich. Empfunden werden sie jedoch als Strafen, etwa als Strafrenten.

Mit den Nazis, die man natürlich korrekt als Nationalsozialisten bezeichnet (vorgeblich waren sie eben auch Sozialisten), war das etwas ganz anderes. Die konnten wie Globke rechte Hand des Bundeskanzlers werden oder wie Kiesinger selbst Bundeskanzler sein oder den BND mit aufbauen. Und Richter und Staatsanwälte und Polizisten konnten sie auch sein. Die hatten schließlich Erfahrung, wie man mit Kommunisten umgeht. Die Straftaten der Nazis wurden Zug um Zug amnestiert, am 31. Dezember1949, am 17. Juli 1954, am 30. Juni 1956 und am 31. Dezember 1956. Die Gerichte waren auch gnädig. Der BGH bekannte 1995, daß die Auseinandersetzung mit der NS-Justiz "insgesamt fehlgeschlagen" sei und "keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung verurteilt" worden wäre"[BGH, Urteil v. 16.11.1995, BGH St 41, 317, (5 StR 74/94)]. Ein spätes, ein zu spätes und ein halbes Geständnis. Nicht nur die Juristen wurden nicht bestraft, wie die Amnestien zeigen. Robert M. W. Kempner, stellvertretender Hauptankläger der Nürnberger Prozesse, sprach von einem "Gnadenfieber". Das "Fieber" hatte eine Ursache, die Nazis wurden gebraucht. Es ging wieder gegen die Roten, für die Freiheit des Kapitals. Kempner, der Ankläger, schildert: "Das Unglückselige von meinem Standpunkt aus war, daß die Gnadenwünsche in gewissem Sinne der damaligen amerikanischen Politik gar nicht ins Gehege kamen. Das war in der Zeit, wo die Wiederbewaffnung langsam begann, der Koreakrieg drohte und bald schon anfing, so daß die Frage einer Bundesgenossenschaft mit den USA stärker in den Vordergrund trat. (...) Die Industriellen, die Krupp-, Flick- und IG-Farben-Leute kamen mit den passenden Argumenten: Wenn Deutschland wieder aufgebaut werden soll, dann müssen wir in ganz starkem Maße daran mitwirken, und unsere gefangenen früheren Chefs müssen entlassen werden."2 Da konnte rechtsstaatlich nicht gezögert werden.

So war und so ist das mit Rechts und Links im deutschen Recht und in der deutschen Politik. Nur die Linken werden gelinkt. Geendet hat das nie gut.

Aus: Ossietzky, Nr. 1, 2010, mit freundlicher Genehmigung.

 

Anmerkungen:

1 Zitiert nach Hans Modrow, Von Schwerin bis Strasbourg, Berlin 2001, S. 216 f.

2 Robert M.W. Kempner, Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen, Frankfurt/M-Berlin-Wien, 1983, S. 391.

 

Mehr von Friedrich Wolff in den »Mitteilungen«: 

2009-11: Kommunist

2009-08: Daniela Dahn: Bilanz nach 20 Jahren