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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Rassismus aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft

Dokumentiert

"Der Bezirk Reinickendorf versucht (alles), negative Einflüsse für Sie als Anwohnerinnen und Anwohner zu unterbinden ..."

Am 16. Mai 2013 teilte das Bundesinnenministerium mit, dass in den ersten vier Monaten dieses Jahres knapp 26.800 Menschen einen Antrag auf Asyl stellten, davon viele aus Syrien und Afghanistan. Das waren rund 73 Prozent mehr als von Januar bis April 2012.

Gab es in Berlin 2010 sieben Unterkünfte für Asylbewerber und Flüchtlinge, so sind es gegenwärtig ca. 30, davon acht Notunterkünfte.

Wie man in einer Situation, in der sich die Anzahl der auch in Deutschland Schutzsuchenden drastisch erhöht, Rassismus schüren kann, ohne einen einzigen rassistischen Begriff zu verwenden - davon zeugt der nebenstehend [1] dokumentierte Brief. Nachdem der Reinickendorfer Bezirksstadtrat in diesem Schreiben die Telefonnummern der Mitarbeiterinnen des Wohnheimbetriebes öffentlich gemacht hatte, wurden diese faktisch einem Telefonterror ausgesetzt.

Am 19. Juni 2013 berichtete Marina Mai im "nd" über die aktuelle Lage um die Notunterkunft im Marie-Schlei-Haus:

Polizei regelt Quarantäne in Flüchtlingsheim: Seit Freitagabend bewacht die Polizei das Asylbewerberheim "Marie Schlei" im Reinickendorfer Ortsteil Wittenau, in dem knapp 200 Menschen wohnen. Der Grund: Acht Kinder sind an Windpocken erkrankt. [...] Das Gesundheitsamt hat das Haus unter Quarantäne gestellt.

[...] Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in einem Eilverfahren die Windpocken-Quarantäne als nicht rechtmäßig abgelehnt. Diese Absonderungsmaßnahme, die vom Bezirk getroffen worden war, könne nicht auf das Infektionsschutzgesetz gestützt werden, heißt es in der am Dienstag verbreiteten Entscheidung vom Montag.

Dass Asylbewerber trotz der Windpockenfälle im Haus einfach so draußen herumliefen, erregt den Unmut der Wittenauer Nachbarn, die von Anfang an der Meinung waren, ein Asylheim gehöre nicht in ihre beschauliche Wohnumgebung. "Windpocken im Marie-Schlei-Haus", war ein anonymes Flugblatt überschrieben, das in Reinickendorf großflächig an Laternenpfähle und S-Bahnhöfe geklebt war. "Gesundheitsamt hat Haus unter Quarantäne gestellt, aber niemand kontrolliert das. Erwachsene und Kinder gehen in der Umgebung herum und können munter andere Leute anstecken … Was kommt demnächst? Masern? TBC? Cholera?" Das Flugblatt endet mit dem Hinweis, Erkrankte sollen Anzeige wegen Körperverletzung und Verletzung der Aufsichtspflicht stellen. Würde das jede Mutter tun, deren Kind sich in der Kita an Windpocken ansteckt, hätte die Polizei viel zu tun.

"Wir haben Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt", sagt Snezana Hummel von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Heim betreibt. "So plumper Rassismus ist mir in meiner langjährigen Tätigkeit noch nicht begegnet." Windpocken würde es in Asylheimen immer wieder geben. "Normalerweise wird lediglich darauf geachtet, dass niemand dort ein- und auszieht und Schwangere werden geschützt." [...]

Die Wittenauer Nachbarn hatten sich heftig gegen die Eröffnung des Asylheimes gewehrt. Als sie auf einer Bürgerversammlung erfuhren, dass das Heim kommt, haben einige Männer vereinbart, "besondere Vorkommnisse" zu protokollieren, um irgendwann vor einem Gericht gegen das Heim in ihrer Nachbarschaft klagen zu können. Nowak zufolge seien die Windpocken "die erste handfeste Beschwerde". [...]

Ein weiteres Ärgernis für die Nachbarn: Kinder aus dem Asylheim spielen auf "ihrem" Spielplatz. Die AWO bekam exakte Protokolle zugeschickt, wann wie viele nichtdeutsche Kinder dort spielten. Auch im Internet-Kiezblog gibt es ein solches Protokoll: "Gegen 18 Uhr befanden sich ca. zwölf Kinder auf dem Spielplatz der WEG. Gegen 19 Uhr kam noch mal eine Frau mit ihrem ca. 3 Jährigen und hat dort vielleicht eine viertel Stunde gespielt." Der Spielplatz, auf dem nach dem Willen einiger Anwohner nur deutsche Kinder spielen sollen, gehört der Eigentümergesellschaft der umliegenden Eigentumswohnungen. Da er nicht eingezäunt ist, kann man anderen Kindern das Spielen allerdings nicht untersagen.

Anmerkung:

[1] Das Faksimile des Briefes vom für Stadtentwicklung, Umwelt, Ordnung und Gewerbe zuständigen Bezirksstadtrat Martin Lambert "An die Anwohnerinnen und Anwohner des Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik-Geländes", in dem der Unterzeichnende u.a. versichert, "dass der Bezirk Reinickendorf alles versucht, negative Einflüsse für Sie als Anwohnerin und Anwohner zu unterbinden", befindet sich nur in der Printausgabe der "Mitteilungen".