Propaganda oder Fakten?
Bundessprecherrat der Kommunistischen Plattform
Offener Brief an den Vorstand der Partei Die Linke
Liebe Genossinnen und Genossen, am 21.09.2024 wurde im Parteivorstand über bereits vorliegende Anträge an den Hallenser Parteitag beraten, so auch über den Antrag G.04 »Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik«, eingereicht von folgenden Antragstellerinnen und Antragstellern: Kommunistische Plattform, BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik, Cuba Sí, zwei Berliner Bezirksorganisationen, fünf regionale Strukturen sowie 202 Genossinnen und Genossen, darunter zum Zeitpunkt der Antragstellung 24 (mittlerweile 27) Delegierte.
Der Parteivorstand will diesen Antrag ablehnen. In der Debatte am 21.09.2024 wurde suggeriert, dies sei ein reiner KPF-Antrag und es wurde behauptet, er widerspräche der Beschlusslage der Partei und würde aussagen, dass Russland wegen der Wortbrüchigkeit bezüglich der NATO-Osterweiterung die Ukraine überfallen musste und dass es den russischen Imperialismus nicht gäbe. Das sei Kreml-Propaganda.
Bevor auf diese Behauptungen eingegangen wird, werden nachfolgend zum einen aus dem Antrag »Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik« alle Formulierungen dokumentiert, die sich im Antrag in irgendeiner Weise auf die Sowjetunion, auf Russland oder die Ukraine beziehen. Zum anderen wird der Kern der bei Wikipedia nachzulesenden Definition des Propagandabegriffs wiedergegeben.
Aus dem Antragstext
»27 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion überlebten den Vernichtungskrieg Hitlerdeutschlands nicht.«
»Auch der völkerrechtswidrige Krieg Russlands in der Ukraine, der zugleich ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO ist, macht das westliche Militärbündnis nicht zu einer friedensbewahrenden Kraft. Die wortbrüchige NATO-Osterweiterung gehört vielmehr zur Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, der wohl hätte vermieden werden können, wären russische Sicherheitsinteressen nicht völlig ignoriert worden und gäbe es ein kollektives Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands.«
»Doch wer auch immer wie auch immer den Ukraine-Krieg bewertet: Die Partei Die Linke wendet sich uneingeschränkt gegen das in rasendem Tempo vonstattengehende Wiedererstarken des deutschen Militarismus.«
»Aus dem Bundeshaushalt des laufenden Jahres werden über 90 Milliarden Euro für die Hochrüstung und weitere Milliarden für die Ukraine ausgegeben.«
»Schluss mit den Waffenlieferungen in alle Welt; vor allem Schluss mit den Waffenlieferungen in die Ukraine und nach Israel. Wir wollen kein neues NATO-Kommando für die Ukraine, nicht in Wiesbaden und nirgendwo sonst in Deutschland.«
»Die Kriegshysterie in Politik, Medien und Gesellschaft muss ein Ende haben. Sie ist Hauptbestandteil der ideologischen Kriegsvorbereitung. Den Kern dieser Hysterie bildet die Behauptung, Russland bereite sich darauf vor, NATO-Staaten und somit auch Deutschland anzugreifen. Dass die russische Führung dies mehrfach zurückgewiesen hat, wird ignoriert. Ebenso wird ignoriert, dass die NATO im Jahr 2023 mehr als das Zwölffache an Rüstungsausgaben hatte wie die Russische Föderation. Damit diese Ignoranz Früchte trägt, wurde und wird ein Russenhass entfacht, der selbst den aus Zeiten des Kalten Krieges überbietet.«
Zum Propagandabegriff
»Propaganda bezeichnet in ihrer modernen Bedeutung zielgerichtete Versuche, politische, religiöse oder weltanschauliche Meinungen oder öffentliche Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und das Verhalten in eine vom Propagandisten … erwünschte Richtung zu steuern. Die verschiedenen Seiten einer Thematik nicht darzulegen sowie die Vermischung von Informationen und Meinungen charakterisieren dabei die Propagandatechniken.«
Fragen
Ableitend von unserem Antragstext und der Propagandadefinition stellen wir zunächst folgende Fragen:
- 27 Millionen Tote in der Sowjetunion – Propaganda oder Fakt?
- Die Bezeichnung des russischen Krieges in der Ukraine als völkerrechtswidrig – Propaganda oder Fakt?
- Die Vorgeschichte des Ukrainekrieges (z.B. NATO-Osterweiterung, Missachtung jeglicher russischer Sicherheitsinteressen) – Propaganda oder Fakt?
- Mittlerweile ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO – Propaganda oder Fakt?
- Waffenlieferungen in die Ukraine und eine diese Lieferungen ablehnende Beschlusslage der Partei Die Linke – Propaganda oder Fakt?
- Dass die NATO im Jahr 2023 mehr als das Zwölffache an Rüstungsausgaben hatte wie die Russische Föderation – Propaganda oder Fakt?
- Kriegshysterie auf der Basis der Behauptung, Russland werde die NATO angreifen - Propaganda oder Fakt?
- Das Schüren von Russenhass wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr – Propaganda oder Fakt?
Welche Aussagen – oder nennen wir es Fakten – widersprechen der Beschlusslage der Partei? Wie kann man auf die Idee kommen, über die Vorgeschichte des Krieges, den wir klar als völkerrechtswidrig benennen, zu sprechen, als sei die Kontextualisierung eine Rechtfertigung desselben? Ist nicht eher das Gegenteil der Fall? Wer über die Vorgeschichte des Krieges nicht sprechen will, spricht die NATO, und in diesem Kontext besonders die USA, von jeglicher Verantwortung frei; das Militärbündnis, welches sich ja im Verlaufe seiner Geschichte stets als lupenreine Friedensmacht erwiesen hat. Und noch etwas: Der Begriff Imperialismus kommt im Antrag G.04 in keinem Kontext vor.
Liebe Genossinnen und Genossen, jede und jeder kann Änderungsanträge stellen. Wer einen Antrag pauschal ablehnen will, noch dazu mit mehr als fragwürdigen Begründungen, dem passt die ganze Richtung nicht. Und genau auf die kommt es uns an, damit wir als Friedenspartei wieder klar zu erkennen sind.
Mit solidarischen Grüßen, Bundessprecherrat der KPF
P.S.: Wie geht Ihr eigentlich mit dem jüngsten Abstimmungsverhalten von Carola Rackete im Europäischen Parlament um? Dieses widerspricht ja nun eindeutig der Beschlusslage unserer Partei.
Berlin, den 23. September 2024