Politische Seminare mit linken Jugendlichen
Interview mit Georg Dorn
Seit über einem Jahr ist Genosse Georg Dorn in Berlin-Pankow einer der wenigen "Alten", die Zugang zu Teilen der linken Antifa- und Antirassismusszene suchten, von den jungen Leuten akzeptiert wurden und in gemeinsamer Bildungsarbeit mit ihnen verbunden sind. Zu seiner Motivation, der Situation der linken Jugendszene, den Inhalten und künftigen Vorhaben sprach ich für die "Mitteilungen" mit Genossen Dorn: Zuerst die Frage nach den Gründen deiner leider nicht alltäglichen Zusammenarbeit mit jungen Linken:
G. D.: Christlich erzogen, erlebte ich politisch bewußt 12 Jahre faschistischer Diktatur mit all ihren Konsequenzen. Noch in den Krieg getrieben, begann ich mich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft und folgender Neulehrerausbildung zunehmend mit dem Ringen um eine antifaschistisch-demokratische Ordnung zu identifizieren und nahm aktiv am Aufbau eines sozialistischen Gesellschaftssystems in der DDR, sowohl in Funktionen in FDJ, Partei und Gewerkschaft, vor allem aber beim Aufbau unseres Bildungssystems, teil. Ich verstand mich immer als aktiver Streiter dieser gesellschaftlichen Bewegung. Deshalb erlebte ich den "Untergang" des Sozialismus und den Sieg der Konterrevolution als sehr persönliche Niederlage, die Mängel und Defizite des sozialistischen Aufbaus in der DDR ebenso als persönliche Schuld.
Meines Erachtens haben junge Menschen ein Rechtzu fragen, weshalb es zu dieser gesellschaftlichen Situation kam und wir als Ältere die Pflicht, zu antworten. Das gilt um so mehr, als durch den Manipulationsdruck der kapitalistischen Klassengesellschaft die Gefahr besteht, daß junge Menschen nur schwer die systemimmanenten Widersprüche durchschauen und noch verstärkt durch zunehmende neofaschistische Aktivitäten, Gefahr laufen, in politische und persönliche Konflikte zu treiben. Dem entgegenzuwirken sehe ich als meine Aufgabe in der politischen Arbeit. Diese glaube ich eher in der Kommunistischen Plattform und dem RotFuchs-Förderverein realisieren zu können als in der PDS/LINKEN.
Was treibt Dich konkret?
Ständig beschäftigt mich die Frage: Was bewegen wir?Mir ist klar, daß ich mit 82 Jahren keine gesellschaftlichen Veränderungen erleben werde. Deshalb sehe ich es als Pflicht an, gemeinsam mit anderen mein Wissen, meine Erfahrungen, auch Erkenntnisse über Irrtümer und Fehler an die Jungen weiterzugeben.
Wie ist es zur konkreten Zusammenarbeit gekommen?
Ich besuchte eine Veranstaltung der "Antifaschistischen Initiative weinrotes Prenzlauer Berg" – einer der doch recht zahlreichen autonomen linken Gruppen im Norden Berlins – über den antifaschistischen Widerstandskampf im Bezirk. Das weckte Erstaunen bei den Teilnehmern, da erstmals ein "Alter" bei ihnen auftauche. Am Ende wollten sie aber doch meine Meinung wissen, die ich mit einem Angebot zur Mitarbeit verknüpfte. Dem folgte später ein Kontaktgespräch, in dessen Verlauf mich drei Mitglieder der Gruppe nach Leben und Positionen befragten, mich im wörtlichen Sinne testeten, ob sie mit mir etwas anfangen könnten. Im Ergebnis vereinbarten wir einen Abend "Kinder und Jugendliche im Faschismus". Dem folgte die Einladung, auf einem Meeting zum Tag der Befreiung zu sprechen. Danach suchten Mitglieder der Gruppe regelmäßige Arbeitskontakte. Ich war akzeptiert!
Wie entstanden die Themen und Fragestellungen der Seminare?
Im Verlauf mehrerer Gespräche teilten die jungen Leute Erfahrungen ihrer bisherigen Gruppenarbeit und Vorstellungen ihrer weiteren Entwicklung mit. Dabei wurden interessierende Themen benannt, zu denen sie Sachwissen suchten und erwarteten. Daraus entwickelten wir gemeinsam Seminarthemen (Klassen und Klassenkämpfe in unserer Zeit; Dialektik von Reform und Revolution; Sozialismus/Kommunismus – Utopie oder reales Ziel; Rolle des Anarchismus in sozialen Kämpfen; Rolle des Staates in sozialen Kämpfen; Rolle der Nation und der nationalen Frage). Wichtig war auch die Klärung von gesellschaftspolitischen Begriffen.
Wie verliefen die Seminare?
Anfänglich überwog das Frage-Antwort-Gespräch. Später gab es Problemdiskussionen zwischen den Teilnehmern und auch kritische Auseinandersetzungen mit den von mir vorgetragenen Positionen. In den Diskussionen kamen stets neue Fragen und Problemstellungen auf, die eine systematische Weiterführung der Seminare nicht nur möglich, sondern notwendig machten. Dabei ging es um Fragen wie: Was ist Faschismus, Neofaschismus (Gemeinsamkeiten/Unterschiede)? NPD Verbot – ja oder nein? Was passiert in China? Freiheit oder Sozialismus – Freiheit und Sozialismus? Ist Marx noch gültig? Was ist Neomarxismus? Rassenkunde und Rassentheorie, Antisemitismus. Dazu kam eine Fülle ökonomischer Fragestellungen. Als unvermuteter "Nebeneffekt" dieser Seminare entstanden Kontakte zu weiteren linken Jugendgruppen.
Inwieweit kannst Du die Situation in der autonomen linken Jugendszene in Pankow nach über einem Jahr der Zusammenarbeit beschreiben ?
Insgesamt ist die Situation in den verschiedenen Gruppen und Bünden sehr instabil. Gruppen lösen sich auf, Mitglieder gehen zu stabileren Gruppen, spontan entstehen neue Gruppen. Nicht wenige Jugendliche sind gleichzeitig in mehreren Gruppen tätig. Themen- und aktionsabhängig arbeiten verschiedene Gruppen zeitweise zusammen, bilden Bündnisse. Andererseits gibt es auch sehr konträre Positionen, wie zum Beispiel in der Nahostfrage oder im Demokratieverständnis. Manche Jugendliche sind auch Mitglieder von Solid. All diesen Gruppen sind Ansätze zu anarchistischem Denken und demzufolge fehlende Leitungsstrukturen, eine mehr oder weniger geprägte Spontaneität, Antifaschismus, Antirassismus, Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit als tragende ideologische und politische Fundamente, Wille zu politischer Aktivität und deshalb zu politischer Weiterbildung gemeinsam.
Wie geht es weiter?
Die bisher hauptsächlich mit mir zusammenarbeitende Gruppe gibt es so nicht mehr. Ihre Mitglieder sind aber in anderen Zusammenhängen weiter aktiv.
Im März 2008 traf ich zwei dieser Jugendlichen. Wir vereinbarten die Weiterführung der Seminare ab September und verständigten uns auf Themen für die nächsten Veranstaltungen. (Verhältnis von Freiheit – Demokratie und Politik; Neomarxismus; China – Maoismus heute; der Nahostkonflikt, seine historischen Wurzeln und Rolle in der weltpolitischen Auseinandersetzung)
In einem Rundbrief an mehrere Genossen stellst du die Hoffnung auf Unterstützung an den Beginn der Ausführungen?
Ich möchte nochmals unterstreichen, das wir dieser Arbeit nicht ausweichen können, auch wenn sie schwierig erscheint und ist. Gesellschaftliche Veränderung ist nur mit solchen Jugendlichen möglich, so unorganisiert oder nur lose vernetzt sie auch sein mögen. Deshalb hoffe ich auf diesen oder jenen Mitstreiter.
Welche Schlußfolgerungen für die weitere Zusammenarbeit kannst Du benennen?
Eine für alle Beteiligten erfolgreiche und nützliche Zusammenarbeit kann es meines Erachtens nur geben, wenn man
- autonome Gruppen so nimmt wie sie sind,
- akzeptiert, daß diese Jugendlichen nicht von allein kommen,
- keine Angst vor kritischer Sicht auf linke Geschichte hat, sondern sich diesen Positionen stellt,
- sich bemüht, ein politisch motiviertes gegenseitiges Vertrauen herzustellen,
- nur solche Fragen und Themen aufwirft, welche von den Jugendlichen gewollt sind und diese bewegen,
- das Bemühen "des oder der Alten" um das Verständnis ihrer Sprache, nicht zuletzt als Grundlage eines überzeugenden Dialogs, sichtbar macht.
Ich danke für Aktivität und Gespräch und möchte darauf hinweisen, daß die Redaktion der "Mitteilungen" für Interessenten den Kontakt zum Genossen Dorn herstellen kann.
Interview: Thomas Fritsche, Berlin