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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Otto Grotewohl, antifaschistischer Streiter gegen Krieg und Militarismus

Prof. Dr. sc. phil. Wolfgang Triebel, Berlin

 

Immer offener werden Verlauf und Geschehnisse des 20. Jahrhunderts sowie das Handeln bestimmter Persönlichkeiten vom gegenwärtigen Mainstream im Interesse mächtiger anachronistischer politischer Eliten und ihrer Hintermänner medienwirksam umgedeutet. Das gilt besonders für die Geschichte der DDR und ihre führenden Repräsentanten. Zu den Lieblingsfeinden speziell der SPD gehört noch immer Otto Grotewohl, Mitbegründer der SED und von 1949 bis 1964 erster Ministerpräsident der DDR.

Wer war Otto Grotewohl?

Am 11. März 1894 wurde er in Braunschweig geboren, der Vater ungelernter Arbeiter, die Mutter Schneiderin. Er besuchte die Volksschule und erlernte das Buchdruckerhandwerk. Liebevoll spricht er in seinem Tagebuch von einem seiner Lehrer, einem knurrigen Junggesellen: "Zu ihm schaute ich voll Bewunderung. Er las mit mir Gedichte und Erzählungen, lehrte mich den Zeichenstift führen und zeigte mir mit seiner unbedingten Wahrheitsliebe ein Stück Welt. Ich danke ihm manche fröhliche Stunde, manchen guten Ratschlag und manch aufrichtiges Trostwort." [1] Grotewohl engagierte sich seit 1907 im "Bildungsverein Junger Arbeiter", 1912 wurde er zum Vorsitzenden gewählt. Seit dem sah er in der Jugendarbeit die Wurzeln seiner Kraft. "Die Jugendbewegung wurde mir zur Lebensbedingung. Ich fühlte…: ´Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein`." [2] Im März 1914 trat er in die SPD und in den Buchdruckerverband ein, aber er zog nicht freiwillig in den Krieg. Nach Verwundung und Erlebnissen an der Front schrieb er 1918 in sein Tagebuch: "Alles Heilige, alles Hohe und Edle, Schöne und Wahre wollte in mir zerreißen." [3]

An der Westfront war er Mitglied eines Soldatenrates, kehrte Weihnachten 1918 nach Braunschweig zurück. Er begann 1919 als Kassenbeamter der AOK. Ein Jahr später wurde er auf der Liste der USPD in den Landtag des Freistaates Braunschweig gewählt. Mit 27 Jahren als Minister für Volksbildung setzte er sich für die Abschaffung des Schulgelds für höhere Schulen und für die Trennung von Kirche und Staat im Schulwesen ein. Ein "Schulerlass" (1923) strich den Religionsunterricht aus den Lehrplänen der Schulen des Freistaates Braunschweig. 1923 als Minister für Inneres und Justiz beeinflusste er Ende 1924 die Verabschiedung einer neuen Kommunalverfassung. 1925 erschien sein viel beachtetes Buch "Die Verfassung der Gemeinden und Kreise im Freistaat Braunschweig". Das war kommunalpolitisches Neuland. Von 1925 bis 1933 war er Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Reichstag. Auf seine Initiative hin lehnte die Braunschweiger SPD einstimmig den Bau des Panzerkreuzers A ab, obgleich SPD-Minister der Reichsregierung zugestimmt hatten. Sein Antimilitarismus beförderte seinen Antifaschismus. Die Nazis warfen ihn 1933 als Präsident der Landesversicherung hinaus. Er musste Braunschweig verlassen. In Hamburg und ab 1938 in Berlin hatte er Mühe, seine Familie zu ernähren. Zweimal, von August 1938 bis März 1939 und von November 1939 bis Februar 1940 war er inhaftiert. Vor einer dritten Verhaftung Anfang 1945 versteckte er sich außerhalb Berlins.

Das zweite Leben des Otto Grotewohl

begann im Mai 1945. Bereits einen Tag nach der Kapitulation der Wehrmacht in Berlin-Karlshorst am 9. Mai trafen sich Otto Grotewohl, Erich Gniffke und andere Sozialdemokraten zwecks Sammlung überlebender Parteimitglieder. Der Wiederaufbau war die politische Hauptaufgabe. In zwölf Jahren Faschismus hatten Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter den Bruderkampf der Arbeiter bis 1933 als eine Ursache dafür erkannt, dass Kapital und Militärs die braune Nazipartei zum Handlanger für ihren Revanchekrieg haben machen können. Diese Erkenntnis war Vermächtnis der ermordeten Klassenbrüder. Grotewohl und der in Berlin im Juni 1945 konstituierte Zentralausschuss der SPD strebten einen Reichsparteitag der SPD an, auf dem ein neuer Vorstand gewählt und über die Vereinigung mit der KPD beraten werden sollte. Dies lehnte Kurt Schumacher, der sich und sein Büro in Hannover als SPD-Zentrale für die Westzonen verstand, kategorisch ab. Zudem handelten die Siegermächte trotz Potsdamer Abkommen in ihren Zonen und in den vier Sektoren Berlins zunehmend uneinheitlich. Das ermöglichte restaurativen Kräften in den Westzonen das Festhalten an Positionen in den dort weiterhin bestehenden gesellschaftlichen Strukturen. Antikommunismus und Antibolschewismus der gehobenen sozialen und politischen Nazi-Eliten im Osten wurden als "Angst vor den Russen" hochgeputscht, die sie in den Westen trieb. Unter diesen veränderten politischen Bedingungen stimmten Grotewohl und die Ost-SPD der Vereinigung mit der KPD nur in der sowjetischen Zone zu. Wie immer man heute darüber denkt, die Gründung der SED war 1946 eine politisch logische Alternative gegen restaurative antikommunistische und antisowjetische Tendenzen in Nachkriegsdeutschland. Geist und Bauch waren fruchtbar noch, aus dem das 1933 gekrochen war. Das Gelöbnis von Buchenwald - Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Von Deutschland darf nur noch Frieden ausgehen! - steht bis heute für dieses Bewusstsein. Für seine Zustimmung zur Vereinigung wurde Grotewohl in den Westzonen und ab 1949 in der alten BRD kübelweise mit Verleumdungen als Verräter der SPD überschüttet.

Zwei Nachkriegsdeutschland und ihre beiden ersten Regierungschefs

Otto Grotewohl wurde am 7. Oktober 1949 zum Ministerpräsidenten der DDR gewählt. Zuvor, am 15. September, war Adenauer erster Bundeskanzler der BRD geworden. Adenauer forcierte die Westbindung der BRD. Grotewohl initiierte die Volkskongressbewegung für Einheit und gerechten Frieden, um die Spaltung Deutschlands nun durch eine Volksbewegung zu überwinden. Die Westmächte behinderten diese Bewegung in ihren Zonen, unterstützt von Schumacher und Adenauer. Otto Grotewohl zog Lehren aus der deutschen Geschichte immer mit Blick auf die Nachbarvölker, die von Nazideutschland okkupiert waren. Willy Brandt tat das wortlos mit seinem Kniefall in Warschau am 7. Dezember 1970.

Die dritte Regierung Merkel wird als historischer Einschnitt in deutsche Außenpolitik gehandelt. Deutschland müsste in der Welt militärisch aktiver werden, predigt 2014 der evangelische Pfarrer Joachim Gauck, z. Zt. deutscher Bundespräsident. Deutschland dürfe sich nicht mehr hinter seiner historischen Schuld "verstecken". Sollen deutsche Schuld an zwei Weltkriegen und massenhafte Kriegsverbrechen vergessen sein? Wird so deutsche Geschichte der letzten einhundert Jahre umgeschrieben? Zur Durchsetzung der Menschenrechte sei nach Gauck auch der "Einsatz von Militär möglich". [4] Wie im Irak, Afghanistan, Libyen usw.? Ihm zur Seite stehen ein SPD-Außenminister und zwei christdemokratische Frauen, die eine Kanzlerin, die andere Verteidigungsministerin. Gauck, 1940 in Rostock geboren, hat seine Kinderjahre auf dem Fischland ohne Bombenkrieg erlebt. Kanzlerin, Außenminister und De-facto-Kriegsministerin, 1954, 1956, 1958 geboren, kennen Bombardierungen nur aus dem Fernsehen.

Gibt es über Grotewohl auch Kritisches zu sagen? Ganz sicher, aber es muss nicht zu seinem 120. Geburtstag sein. Setzt man beim Regierungschef Grotewohl die Relation von Geist und Macht an, dann dominiert der Geist. Man wünschte, die jetzige Regierung würde weniger Weltmachtansprüche bedienen, stattdessen mehr von diesem humanistischen Geist übernehmen und ihn in friedliche Außenpolitik umsetzen.

Februar 2014

 

Anmerkungen:

[1] Zitiert in: Wolfgang Triebel: Gelobt und geschmäht. Wer war Otto Grotewohl? Berlin 1998, S. 301.

[2] Ebenda, S. 302.

[3] Ebenda, S. 303.

[4] Alle Zitate aus der Rede von Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 31. Januar 2014 aus: www.faz.net/aktuell/politik/inland/gauck-rede-im-wortlaut-deutschland-muss-bereit-sein-mehr-zu-tun-12778744.html