Ohne Gedächtnis
Michael Mäde-Murray
Die kürzlich erschienenen »Texte gegen den Krieg 1999-2022« von Michael Mäde-Murray sind in dem Band »Die Nacht hat keinen Ausgang mehr« versammelt. Beginnend mit dem Krieg gegen Jugoslawien, Irak, Afghanistan und anderen endet der Band mit dem Krieg in der Ukraine. Es sind eindringliche, großartig geschriebene Verse, die der »Verlag am Park« herausgegeben hat.
Das Lyrikbändchen kann auch direkt über den Autor bezogen werden. Mailbestellung reicht! An: michaelmaede@gmx.net. Er schickt euch das Büchlein dann, mit Rechnung über 13,- €, versandkostenfrei zu. ISBN: 978-3-89793-358-3. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages dokumentieren wir Texte unseres Freundes und Genossen Micha.
Das Ende vom Lied
An uns, werden sie sagen,
hat es nicht gelegen,
wenn die Erde nun endlich
verheert.
Wir haben, sorgsam,
den Müll immer getrennt
und selbst unsere Scheiße
haben wir noch kompostiert.
Wir haben erwartet
und euch immer gesagt,
dass es so endet.
Unsere Schuld war es nicht,
dass ihr Besserer der Welt
nun baumelt an Masten
die keine Nachricht mehr
zu übermitteln haben.
(2001, S. 12)
Auch mich haben sie bekommen
Beklommen sitze ich im Jumbo
nach Frankfurt am Main und sehe im Anflug
die gläsernen Türme der Stadt.
Vorsichtig wende ich mich
um zu schauen,
ob es sich auf wen zu achten lohnt.
Nach wem, denkt ihr, hab ich geschaut?
Auch mich haben sie bekommen.
(2001, S. 16)
Als wir vermeintlichen Sozialisten
noch stritten, ob man mit den Herrschern
dieser Welt kritische Solidarität
üben müsse, war der Tod
mit seinen FLUGKÖRPERN schon
auf dem MARSCH
zu den längst zerstörten Städten
Afghanistans.
(2001, S. 22)
An die besagten Genossen
Ich verliere die Angst vor den Gesängen
in meinem Kopf wird weiter
marschiert, gebombt und gestorben.
Nichts davon auf eurer Agenda.
Verwaltung, Schacher, Posten, Pöstchen.
(S. 45)
Es eilt die Geschichte,
zu wiederholen sich
als Farce.
Dies schließt
– da sei gewarnt –
echte Tode nicht aus.
Die Deutschen kauen
– mal wieder –
auf den Lehren
ihrer Geschichte herum,
enttäuscht
über den Nährwert der Ration.
Verlegen wendet sich
Michel (wieder)
von der Klassenfrage
zur Rassenfrage.
Vorm Kommunismus
wird ausdrücklich gewarnt.
Denn dann, ach Gott,
sind wir gleich wieder
bei Pol Pott.
(S. 55)
Ukrainischer Frühling
Nazihorden spielen Revolution,
Die vermeintlichen Sieger prügeln
Parlamentarier zur Abstimmung
für die neue Ordnung,
Lenin aus Eisen fällt dutzendmal,
Büros brennen, die Kommunisten
richten trefflich ein sich im Untergrund
Russen schützen Russen auf der Krim.
Jetzt nun schreien die Herren der Welt:
Aggression! Krise!
Sie entdecken die Integrität,
wenn auch nur territorial.
(2014, S. 67)
Der Krieg vor dem Krieg
ist angekommen.
Die Vorausabteilung in Europas Straßen.
Panzer brennen, blinde Höhlen
starren aus Häusern.
Winterkrieg in Schlamm und Schnee.
Leere Blicke, starrende Angst
in den U-Bahnschächten
von Kiew und Charkow.
Die Wiedergänger der Faschisten
waschen derweil ihre Hände
in Unschuld.
Der deutsche Kanzler
findet über Nacht 100 Milliarden
für den kommenden großen Krieg.
(2022, S. 81)
»Die Kinder sagen wieder Stettin
und lesen bei Lampenschein,
wie mutige Männer gen Russland ziehn,
und würden es selbst so gerne sein.«
Hartmut König, »Denn sie lehren die Kinder«
Ohne Gedächtnis
aber mit viel Tradition
marschiert das Kriegsgut
für Freiheit und Demokratie
schon mal voraus.
Tiger, Panther brannten
einst schon reichlich
zwischen Dnjepr und Wolga.
Welch Schicksal wohl Gepard, Marder
und den schönen Leoparden
ereilen mag alsbald?
(2022, S. 92)
Das ist nicht unser Krieg, Genossen
rufe ich – bis ich heiser geworden -
erwache aus der Endlosschleife
der schlechten Nachrichten des Tages.
Trotz dürftiger Datenlage
entdecke ich doch
das lustige Weißgardistenblut
hinterm Pathos wider die Faschisten
und unterm Wortschwall des Präsidenten
entstellt die großrussische Fratze
das Antlitz der Solidarität.
Das, Genossen, ist nicht unser Krieg.
(2022, S. 94)
Das Geheul
kommt nicht
von anfliegenden Geschossen.
Ohrenbetäubend jault
die hysterische Hoffnung
auf Revanche.
Der Mehlpuderstaub
der Zivilisation
weggeblasen
mit einem Atemzug.
Der Russenhass
tost in den Gazetten.
(2022, S. 97)
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