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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Offener Brief an den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD)

Hans Fricke, Rostock

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich glaubte, nicht richtig zu hören bzw. zu lesen, als ich von Ihren Aufsehen erregenden Äußerungen zur DDR in der Allgemeinen Frankfurter Sonntagszeitung Kenntnis erhielt. Es gleicht fast einer Sensation, wenn ein in Regierungsverantwortung stehender Politiker bereit ist, sich sachlich zur DDR zu äußern und dabei der Wahrheit den Vorzug gegenüber haltlosen Verleumdungen und pauschaler Verurteilung all dessen, was mit der DDR zusammen hängt, zu geben. Darum auch das bundesweite Wutgeheul über Ihre Äußerung all derer, die die DDR als Popanz brauchen, um von den Differenzen, Versäumnissen und Fehlentwicklungen im staatlich vereinten Deutschland abzulenken. Und darum auch die breite Zustimmung ehemaliger DDR-Bürger zu Ihrer Auffassung, die ich heute bei Gesprächen feststellen konnte.

Ich stimme Ihnen auch ausdrücklich zu, wenn Sie meinen: "Es ist ja nicht so, daß ein idealer Staat auf einen verdammenswerten Unrechtsstaat stieß. Die alte Bundesrepublik hatte auch Schwächen, die DDR auch Stärken.", wobei ich mir erlaube, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihr Verweis auf solche Stärken wie Kindertagesstätten, Reformen in Schule und Gesundheitsversorgung, so wichtig sie sind, erheblich zu kurz greift. Zu den Stärken der DDR gehören, wenn ich Sie daran erinnern darf, auch solche Fakten wie beispielsweise Bildungschancen unabhängig von Vaters Geldbeutel, reale Gleichberechtigung der Frauen, fehlende Hungerlöhne, Obdachlosigkeit, Kinder- und Altersarmut sowie Ackermänner und Zumwinkels und natürlich die außerordentlich bedeutsame Tatsache, daß die DDR und ihre Armee Zeit Ihres Bestehens keinen Krieg, schon gar nicht einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, geführt haben.

So, wie Sie sich dagegen verwahren, die DDR als den Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bißchen Gute gab, so verwahre ich mich und viele andere dagegen, daß die Eliten der alten BRD sich anmaßen, die Deutungshoheit über die deutsche Nachkriegsgeschichte für sich zu beanspruchen. Im übrigen gehört schon eine tüchtige Portion Selbsttäuschung dazu, die Bundesrepublik nach jahrelangem  besorgniserregenden Wirken eines Innenministers Wolfgang Schäuble als "Rechtsstaat" zu feiern, von dem Prof. Peter Alexis Albrecht, Staatsrechtler der Universität Frankfurt, meint: "Der Rechtsstaat ist mittendrin in der Auflösung" und "... die Politik sucht nach Mitteln, um zu zeigen, was sie kann, und dabei vernichtet sie den Rechtsstaat, und das ist im Grunde das Verbrechen..."

Bei der von mir registrierten Zustimmung ehemaliger DDR-Bürger zu Ihren Äußerungen möchte ich aber auch nicht verschweigen, daß bemerkenswert oft die Befürchtungen geäußert wurde, es handele sich um Ihre Bemühungen, sich und damit der SPD im Osten Wählerstimmen zu sichern. Ich persönlich gehöre übrigens auch dazu. Aber dessen ungeachtet, werte ich Ihre Äußerungen als einen begrüßenswerten Tabubruch und um den Anfang eines hoffentlich beginnenden Umdenkens sowohl in Bezug auf die DDR als auch auf die Geschichte der Alt-BRD und den Zustand Deutschlands 18 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD. In diesem Sinne hoffe ich persönlich, daß Sie bei Ihrer Sicht der Dinge bleiben werden und sich weder von den darüber außer Rand und Band geratenen Kräften noch von der Führung Ihrer eigenen Partei davon abbringen lassen.

Mit freundlichen Grüßen,               

Hans Fricke (78)

Rostock, 23. März 2009