Ökologische Zeitenwende einleiten
Marko Ferst, Gosen
In Deutschland werden rund 14% des Stroms bereits aus Wind, Wasserkraft, Biomasse, Photovoltaik etc. gewonnen. Über 30 Länder übernahmen das Erneuerbare-Energien-Gesetz, darunter auch China. Schon 2004 waren 130.000 Menschen in Deutschland durch den solaren Energiesektor beschäftigt. Erfolge sind also möglich. Die Linke positionierte sich 2005 im Wahlprogramm klar, bis 2050 soll alle Energie hierzulande aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden. Wir setzen uns dafür ein, auf der Ebene der Vereinten Nationen eine internationale Agentur für erneuerbare Energien aufzubauen.
Doch der weltweite Energiehunger ist gewaltig. Nach wie vor gehen global erheblich mehr fossile Kraftwerke an die Netze als solare Energien. Alle paar Tage wird ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb genommen. Selbst in Deutschland sind für 25-30 Anlagen zumindest Planungen vorhanden. Kanzlerin Merkel redet zwar viel von Klimaschutz, ebenso wie SPD-Umweltminister Gabriel. Wer aber die Energiezukunft mit neuen Kohlekraftwerken auf Jahrzehnte festlegt, der kommt nicht zu einer kohlenstofffreien Wirtschaftsweise, wie sie etwa der Klimaforscher Mojib Latif einfordert. Das Europa der 15 wird die Ziele des Kyotoprotokolls nicht erreichen. Acht Prozent Minderung an CO2-Ausstoß sind bisher nicht mal im Ansatz erkennbar. In den USA gab es seit 1990 mehr als 20% Zuwachs.
Wir müssen Energie sparen und ökoeffizienter einsetzen. Eng verknüpft mit diesen Verbrauchsfragen sind die Stoffströme, die wir durch unsere Industriegesellschaft leiten. Insgesamt müssen sie um den Faktor 10 reduziert werden, meint Friedrich Schmidt-Bleek. Jeder Deutsche schleppt im Jahr einen ökologischen Rucksack von 70 Tonnen Feststoffen hinter sich her, jeder Japaner jedoch nur 40. In Japan ist die Faktor 10-Strategie bereits 2001 als nationale Wirtschaftspolitik beschlossen worden. Wenn jeweils das energieeffizienteste Gerät innerhalb von 3 Jahren den gesetzlich vorgeschriebenen Standard in Deutschland vorgeben würde, ließen sich schneller Erfolge erzielen.
Solange man in Deutschland 70% der Steuern auf Arbeit und nur 5% auf Energie erhebt, werden Arbeitsplätze gestrichen und nicht Energie und Ressourcen gespart. Dazu braucht man einen ökologischen Umbau des gesamten Steuersystems. Damit bestraft sich jede Verschwendung von selbst auf allen Stufen der Herstellung, im Handel, dem Transport und dem Konsum. Abfälle werden zu echten Wertstoffen, Reparaturdienstleistungen rechnen sich wieder. Als Linke müssen wir hier substantiellere Strategien ausarbeiten.
Sinnvoll wäre zudem eine modifizierte Mehrwertsteuer. Für die unbedingt notwendigen sozialen Grundbedürfnisse könnte sie völlig wegfallen. Für zahlreiche Produkte bliebe alles wie bisher, während für klimaschädliche Luxusprodukte um 30% zu entrichten wären. Konkret: Die Bahnfahrt zur Arbeit bliebe unbesteuert, während der Flugzeugtrip oder die Mercedes S-Klasse die hohe Last zu tragen hätten.
Gelänge es in Deutschland, um 2030 herum den Stromverbrauch auf ein Drittel zu senken, könnte dieser bereits vollständig aus solaren Quellen stammen. Dazu ist nur etwas mehr als eine Verdopplung des bisherigen Potentials nötig. Selbst wenn man ein solches Ziel nicht schafft, zeigt die Fragestellung an, in welche Richtung man gehen muß. Deutschland und andere Industriestaaten besitzen Vorbildwirkung auf die übrige Welt. Gedacht in den bisherigen Koordinaten, könnten China und Indien 2030 bereits 50% des weltweit ausgestoßenen CO2 beitragen.
Ohne ausreichend Öl würde das industriewirtschaftliche System zusammenbrechen, weil der Rohstoff in unzähligen Bereichen Anwendung findet. Wir haben die Spitzenförderung an Ölmengen inzwischen erreicht. Danach sinkt das Angebot unter die ständig steigende Nachfrage. Das wird eine Dauer-Ölkrise mit immer neuen Preisgipfeln. Die Bevölkerung büßt das mit sinkenden Einkommen. Eine solare Energiewende, ökoeffizienter Energieeinsatz und preiswerter öffentlicher Verkehr, statt Börsenbahn und ausgedünnter Nahverkehr, würde diese Schocks deutlich abmildern können.
Allzu warme Winter, Rekordsommer wie 2003, zurückweichende Gletscher etc. zeigen immer deutlicher an, der Klimawandel hat rasant Fahrt aufgenommen. In der Arktis sind die Veränderungen den Berechnungen um 30 Jahre voraus. Die Ozeane verzögern die Treibhauswirkung an Land um Jahrzehnte, weil sie große Mengen an Wärme und CO2 aufnehmen. Einstweilen dämpfen die Rußpartikel aus Industrie, Verkehr und Regenwaldabholzung die Sonneneinstrahlung. Die BBC-Dokumentation "Global Dimming" verweist darauf, dieser Effekt ist viel stärker als angenommen. Ohne ständigen Nachschub an Aerosolen wird sich der Planet deutlich stärker aufheizen, um 8–10 Grad bis 2100. Beide Prozesse täuschen uns eine geringere klimatische Veränderung vor, als wir sie schon ausgelöst haben.
Allein im Permafrostboden des Planeten schlummern 400 Mrd. Tonnen vom Treibhausgas Methan, in der Barentssee könnte Methaneis schon bei einem Grad Temperaturerhöhung freigesetzt werden. Kommt in diese Prozesse richtig Dynamik, verschwindet unsere ganze Zivilisation bis auf die Grundmauern. Die Vorräte, die an den Festlandsockeln der Ozeane eingefrostet sind, betragen im Minimum geschätzte 10.000 Mrd. Tonnen, beim Maximum sind zwei Nullen dranzuhängen.
Das vom Ozean aufgenommene CO2 zerschneidet durch die Versauerung die Nahrungsketten. Wird langfristig Grönland wieder Grünland und bricht das Westantarktische Schelfeis auf, stiege der Meeresspiegel um rund 13 Meter. Auch in der Eem-Warmzeit vor 125.000 Jahren lag der Meeresspiegel um rund 6 Meter höher bei zwei Grad mehr gegenüber der jetzigen Warmzeit.
Die schwierigste Frage ist die nach den Maßen, um die Klimabalance zu erhalten. Die Menschheit hat 20 Jahre weitgehend verschenkt. Weitere Jahre werden im Kampf um Minimalien verstreichen. Jedes verschenkte Jahr engt den Handlungsspielraum weiter ein. 10-15 Länder sind dabei, zum verschwenderischen Lebensstil des Nordens schrittweise aufzuschließen. Zugleich wird die Erdbevölkerung bis 2050 auf 9-10 Milliarden ansteigen. Alles Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Wenn jeder Mensch gleich viel Treibhausgase verursachen und analoge Umwelträume nutzen darf, wirft das auch für linke Politik hierzulande fast unlösbare Dilemma zur Umweltgerechtigkeit auf. Jeder Amerikaner nutzt 9,7 ha Umweltraum, der EU-Bürger kommt auf 4,7 ha und der Inder auf 0,7 ha.
Studien weisen darauf hin, die vielzitierte Zwei-Grad-Grenze, die man nicht überschreiten dürfe, wird mit Sicherheit gebrochen, weil die Klimasysteme mit starker Verzögerung reagieren und der Betrag faktisch längst gebucht ist. Der Punkt, von dem es keine Rückkehr mehr gibt, ist überschritten. Kohlendioxid bleibt rund 100 Jahre in der Stratosphäre klimaaktiv. Selbst wenn man innerhalb weniger Jahre den Ausstoß global halbieren könnte und nicht bis 2050 darauf wartet, baut sich die Klimagefahr weiter auf, weil jedes Jahr Milliarden Tonnen zur bereits angesammelten Menge dazukommen.
Eine zentrale Aufgabe für die Zukunft wird sein, sich auf den bereits in Gang gesetzten Klimawandel einzustellen. Das bedeutet zum Beispiel, Wälder so anzulegen, daß sie extremem Klimastreß widerstehen können. In alpinen Regionen müssen wegen Gletscherseen, Murengänge etc. gefährdete Ortsteile umgesiedelt werden. An Nord- und Ostsee sind Schutzmaßnahmen dem steigenden Meeresspiegel anzupassen. Die Landwirtschaft sollte sich auf zunehmende Trockenperioden und Starkregen vorbereiten und ihre Anbaumethoden grundlegend umgestalten. Wir brauchen regenerierte Landschaften, die eine starke Kühlfunktion wahrnehmen können und zugleich Bodenerosion verhindern. Trinkwasserreservoire sind zu schonen und für künftige Generationen zu bewahren. Sollten sich Szenarien für einen erheblich beschleunigten Klimawandel bestätigen, ist die gesamte Infrastruktur unserer Gesellschaften schnell und grundlegend zu verändern.
Wir müssen den langfristigen sozialen Interessen Vorrang einräumen. Wirtschaftliches Wachstum zu Lasten der Lebenschancen zukünftiger Generationen zerstört die ökonomische Basis und richtet nicht bezahlbare Milliardenschäden an. Ungebremste globale Klimaveränderungen würden große Teile der Bevölkerung ins soziale Nichts stürzen und zwischen Arm und Reich in ungekanntem Ausmaß polarisieren, mit entsprechendem Konfliktpotential.
Wenn weite Teile von Afrika verwüsten, hält niemand die gigantischen Flüchtlingsströme auf. Als Linke sollten wir darüber nachdenken, ob nicht die reichen Staaten, um die Folgen der Klimaveränderungen in zahlreichen ärmeren Ländern abzudämpfen, auch einen erheblichen finanziellen und logistischen Beitrag leisten müssen. Schließlich tragen sie in hervorgehobener Weise Schuld an dieser Situation.
Die Berliner Republik kann ähnlich schnell verschwinden wie die Weimarer vor ihr. Wenn der heutige Kapitalismus scheitert, kann er neuartige totalitäre Gebilde hervorbringen. Gleichzeitig muß man aber sehen, es gibt viele politische Instrumente vom Erneuerbaren Energiengesetz, über ordnungspolitische Vorgaben etc., mit denen man die Gesellschaft in neue Bahnen lenken kann. Auch Instrumente, die eine nichtkapitalistische Ordnung auf den Weg bringen würden, sind denkbar. Ob eine sozialökologische Volksbewegung zwischen 2020 und 2030 einen neuen Kurs erzwingt, hängt davon ab, ob sich im Laufe der Zeit dafür die geistigen Potentiale herausbilden. Neue gesellschaftliche Konstellationen entstehen in jedem Fall. Eine LINKE, die nur in eingefahrenen parlamentarischen Bahnen agiert, ist viel schwächer als eine Linke, die gesellschaftlichen Protest und Alternativen aktiv mitgestaltet. Darüber hinaus sind die Zielkonflikte dabei zu thematisieren.
Seit 2000 haben sich die globalen CO2-Emissionen um rund 20% erhöht. Setzt sich dieser Weg fort, wird vermutlich nur noch in Sibirien, Kanada und Alaska auf aufgetauten Arealen eine kleine Restzivilisation übrig bleiben. Durch Übernutzung der Gebiete durch zu viele Menschen ist auch hier eine schwerwiegende Schädigung vorauszusehen, so daß die Übriggebliebenen in vorzivilisatorische Zeiten zurückfallen.
Wenn die Linke in dieser welthistorischen Herausforderung noch etwas zu Gunsten der Menschen gewinnen will, wird sie über ihre bisherigen Politikmuster hinauswachsen müssen. Laut Bundestagswahlprogramm will die Linke, daß die Treibhausgasemissionen in den Industriestaaten gegenüber 1990 bis zum Jahr 2020 um 50 Prozent und bis zum Jahr 2050 um mindestens 90 Prozent gesenkt werden. Diese Zielstellung setzt den Rahmen für alle anderen Politikbereiche. Ein grundlegender Kurswechsel ist am Ende jedoch nur möglich, wenn es gelingt, den spekulativen "Casino-Kapitalismus", der sich weitgehend von realwirtschaftlichen Prozessen abgekoppelt hat, durch eine gerechte Weltwirtschaftsordnung zu überwinden.
Marko Ferst ist Gründungsmitglied (1994) und Mitglied im Koordinierungsrat der
Ökologischen Plattform bei der LINKEN.