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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Öffentlich und privat: Kalter Krieg

Wolfgang Harich (3. Dezember 1923 – 21. März 1995)

Am 21. März 1995 starb Wolfgang Harich. Wenige Jahre zuvor hatte ich ihn kennengelernt. Ich wusste von ihm kaum mehr, als dass er in der DDR sieben Jahre im Zuchthaus gewesen war. Ich traf keinen verbitterten Menschen. Ich traf einen überzeugten Sozialisten, der Krieg und Faschismus hasste, aus der Wehrmacht desertiert war und den Kapitalismus unter keinen Umständen als das Ende der Geschichte akzeptierte. Er war Mitbegründer und Vorsitzender der Alternativen Enquete-Kommission der DDR, vertrat trotz seiner bitteren persönlichen Erfahrungen eine ausgesprochen differenzierte Sicht auf unser untergegangenes Land. Gerne denke ich an stundenlange Unterhaltungen mit Wolgang Harich zurück. Zunächst siezten wir uns und einen zurückhaltend vorgetragenen Vorschlag von mir, eventuell zum Du überzugehen, lehnte er abrupt ab. Das Du senke die Schwelle zu Grenzüberschreitungen. Letztere habe er beim Barras und im Knast hassen gelernt. Eines Tages dutzte er mich und es war mir eine Ehre.

1994 wurde Wolfgang Harich PDS-Mitglied. Unsere Auffassungen über Tendenzen in der Partei waren sich sehr nahe. Nur wenige Monate vor seinem Tod kam er zu einer Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform. Er sprach in der Diskussion, fand kritische Worte zur Lage in der PDS und durchaus anerkennende zur Tätigkeit der KPF. Er betrachte sich nunmehr als Mitglied der Kommunistischen Plattform, so schloss er seinen Beitrag. Als Wolfgang Harich kurz darauf verstarb, gedachten wir seiner in den Mitteilungen. Der Bundessprecherrat entschied, seine kurzzeitige Zugehörigkeit zur KPF nicht zu erwähnen. Wir wollten den Eindruck vermeiden, seinen gerade erst vollzogenen Schritt zu instrumentalisieren. Inzwischen sind 20 Jahre vergangen und es ist an der Zeit, zu berichten, dass Wolfgang Harich sich zu uns bekannte. Ellen Brombacher

Ein Auszug aus: Wolfgang Harich, Ahnenpass, Versuch einer Autobiographie, Herausgegeben von Thomas Grimm, Verlag Schwarzkopf&Schwarzkopf 1999, S. 174-176:

Und die liberale Gruppe vermittelt mir dann auch die Bekanntschaft der 1946/47 zeitweilig in Berlin weilenden bedeutendsten deutsch-amerikanischen Marxisten Franz L. Neumann (Verfasser von »Behemoth«, einer der wenigen soziologischen Untersuchungen über den deutschen Faschismus, die, obwohl in den USA entstanden, dessen Klassencharakter aufdecken) und - Herbert Marcuse. Unabhängig voneinander bekräftigen Neumann und Marcuse in langen Gesprächen meine negative Beurteilung der amerikanischen Deutschlandpolitik. Nichtsdestoweniger zeigen beide sich besorgt darüber, daß ich in die SED eingetreten bin, und meinen, das könne einem Intellektuellen meiner Denkart und Lebensweise auf keinen Fall gut bekommen; ich hätte mich besser der Sozialdemokratie anschließen und deren linken Flügel stärken helfen sollen. Sullivan ist dem gegenüber so begeistert davon, in mir einen in nächster Dahlemer Nachbarschaft wohnenden Kommunisten und Russenfreund zu finden, daß er sich aufs engste an mich anschließt und fast täglich bei mir aus- und ein geht. Holstein verhält sich persönlich zwar reservierter mir gegenüber, ist aber in allen politischen Fragen uneingeschränkt meiner Meinung. Die Bassett, die keine Kommunistin ist, wird um die Jahreswende 1946/47 - nach dem Fortgang Nong Yaus (Oktober 1946) - meine Geliebte und bleibt es ungefähr ein Jahr lang, bis sie Ende 1947 ihrerseits Deutschland verläßt, um in die Staaten zurückzukehren.

Mit Kellen und Speyer habe ich gewisse begrenzte politische Meinungsverschiedenheiten, wie sie zwischen Kommunisten und linken Liberalen üblich sind; sie stören aber unsere Freundschaft nie, die bereits im Frühjahr 1946 einsetzt. Daß ich den »Kurier« verlasse und zur »Täglichen Rundschau« gehe, finden Kellen und Speyer nach den Affären Jüngerund Pechel völlig in Ordnung. Durch Kellen erhalte ich einmal vorabgedruckte Bruchstücke aus dem gerade im Werden begriffenen Roman »Doktor Faustus« von Thomas Mann, erschienen in der Stockholmer »Neuen Rundschau«‚ und als ich daraus einen Beitrag für die »Tägliche Rundschau« mit meinen Mutmaßungen über Inhalt und Tendenz des neuen Thomas Mannschen Werks zusammenbraue, schickt Kellen diesen Artikel an den Meister nach Kalifornien, der mir daraufhin in einem freundlichen Handschreiben dankt.

All diese Beziehungen bergen für die amerikanische Besatzungsmacht nicht die geringste Gefahr in sich. Trotzdem muß ich erleben, daß sie bereits während des Jahres 1947 ausnahmslos nach und nach in die Brüche gehen. Holstein und Sullivan verlieren ihre Funktionen. Holstein geht verbittert in die Schweiz, Sullivan tief deprimiert nach England.

Speyer und Kellen bleiben zwar, eröffnen mir aber eines Tages, daß sie es sich nicht mehr länger leisten könnten, mit mir noch Umgang zu haben.

Man hätte ihnen von oben den Wink gegeben, sich von mir zurückzuziehen. Schließlich wird Miss Bassett sogar zu einem amerikanischen General beordert, der ihr wegen ihrer Freundschaft mit einem bei den Russen arbeitenden deutschen Kommunisten schwerste Vorwürfe macht und sie vor die Alternative stellt, entweder freiwillig aus der US-Army auszuscheiden und in ihre Heimatstadt Chicago zurückzukehren oder sich in Berlin einem Untersuchungsverfahren auszusetzen, wobei sie aber damit rechnen müsse, daß ihr einige Tonbandaufnahmen von Telephongesprächen mit mir vorgespielt werden würden. Natürlich wählt die Bassett den ersten Weg. Dieser letzte Fall ist, im Licht abendländischer Freiheitsideologie betrachtet, um so makabrer, als die Bassett ein Jahr lang fast sämtliche Berliner Theaterpremieren mit mir, auf Freikarten der »Täglichen Rundschau«, besucht hat, ohne daß die Sowjets jemals meine Intimität mit dieser amerikanischen Besatzerdame beanstandet hätten, obwohl die ihnen gegenüber, bei gelegentlichen Unterhaltungen in der »Möwe«, aus ihrer westlichen, nichtkommunistischen Gesinnung nie einen Hehl gemacht hat. – So viel nur zu den privaten Erfahrungen. Was die lokalen Angelegenheiten angeht, so paßt es ins Bild, daß 1947 auf Betreiben der Amerikaner der Kulturbund in den Westsektoren Berlins mit der Begründung verboten wird, seine Schlüsselfunktionen befänden sich in den Händen der SED – woraus von dem Präsidenten Becher, dem Sekretär Abusch und dem »Aufbau«-Chefredakteur Gysi nie ein Geheimnis gemacht worden war und bei der Legalität der SED in allen Sektoren Berlins auch nicht gemacht zu werden brauchte. Alle Proteste helfen nichts. Das Kulturbundsekretariat muß in der Schlüterstraße (im britischen Sektor) seine Koffer packen und sich neue Büroräume in Ostberlin suchen, derweil die in Westberlin wohnhaften Kulturbundmitglieder, namentlich diejenigen unter ihnen, die parteilos sind oder nichtkommunistischen Parteien angehören, unter massiven Druck gesetzt werden, diese Organisation zu verlassen. Der kalte Krieg ist in vollem Gang.