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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Oder-Neiße-Grenze und deutsch-polnisches Verhältnis - Gedanken zu einem Jahrestag

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch

 

DDR und VR Polen schaffen Friedensgrenze

In seiner ersten Regierungserklärung vom 12. Oktober 1949 betonte Ministerpräsident Otto Grotewohl, daß die Ziele der Regierung den Zielen entsprächen, die die Alliierten als für Deutschland verbindlich im Potsdamer Abkommen festgelegt haben. Er bekannte sich im Namen aller Fraktionen zur Oder-Neiße-Grenze und wandte sich entschieden gegen jede Völkerverhetzung.

Als Konrad Adenauer am 21. Oktober 1949 zur Gründung der DDR Stellung nahm, bezeichnete er die BRD als "die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes", womit er öffentlich die Alleinvertretungsanmaßung der BRD verkündete. Mit seiner Ablehnung, die DDR anzuerkennen, verband er auch die Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze. In diesem Sinne bemühte man sich zugleich, die vor allem in kleinbürgerlichen Kreisen noch nicht überwundenen nationalistischen Auffassungen (auch in der DDR) zu politisieren und für die Bonner Politik zu nutzen. Als Ziel seiner Regierungspolitik erklärte er schon damals, ganz Deutschland in eine "europäische Ordnung hineinzuführen" (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, I. Wahlperiode 1949, Bd. 1, S. 308/309). Kurt Schumacher sekundierte mit der Forderung: "Alles, was wie eine Legitimation des in der Ostzone herrschenden Systems aussieht, müsse vermieden werden". (Neuer Vorwärts, Hannover, 29. Oktober 1949)

Unter diesen Bedingungen wurde – ausgehend vom Bekenntnis zu den Zielen des Potsdamer Abkommens – im Juni 1950 zwischen der DDR und der Republik Polen die Deklaration über die beiderseitige Markierung der Oder-Neiße-Grenze als Grenze des Friedens vereinbart. Bereits am 6. Juli 1950 wurde in Zgorzelec von den beiden Ministerpräsidenten das entsprechende Abkommen unterzeichnet.

Die DDR schätzte damals ein – wie Wilhelm Pieck in einem Schreiben an den polnischen Präsidenten erklärte –, damit sei "ein düsteres Kapitel, in dem Jahrhunderte hindurch die Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern vergiftet wurden, endgültig abgeschlossen. Die Friedensgrenze an der Oder und Neiße hat die Voraussetzungen für neue friedliche und gutnachbarliche Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern geschaffen". (Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. I, Berlin 1954, S 334) Es wurde eine Grundlage für ehrliche, auf gegenseitiger Achtung beruhende Zusammenarbeit, in gegenseitigem Interesse und im Sinne der Sicherung friedlicher Bedingungen in Europa gelegt.

Der polnische Wissenschaftler Jozef Kokot schrieb dazu folgende Sätze: "Den Mut, dem deutschen Volk über alles die Wahrheit zu sagen, und die Tatsachen als einen Preis anzusehen, den man für verbrecherische, völkermörderische Aggression gegen Polen und im Interesse der Gestaltung eines friedlichen Zusammenlebens der Völker Europas zahlen müsse, hat erst die neu erstandene DDR aufgebracht. Schon sehr früh hat sie sich auf den Boden der Potsdamer Vereinbarung gestellt. … Die formelle Festlegung der schon bestehenden deutsch-polnischen Grenze im Görlitzer Abkommen hat zur Milderung antideutscher Gefühle in Polen und zur Belebung der beiderseitigen Kontakte wesentlich beigetragen." (J. Kokot, Die Logik der Oder-Neiße-Grenze, 1959)

Die Haltung der DDR ergab sich aus dem Grundkonsens ihrer Innen- und Außenpolitik, aus ihrer Absage an jede Form von Revision oder Revanche gegenüber den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges.

Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze in einem sehr frühen Stadium nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war eine der unerläßlichen Voraussetzungen, um zu einer deutsch-polnischen Aussöhnung und einer Verständigung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk zu gelangen. Mit dem Abkommen wurde ein wesentlicher Baustein in das Fundament gelegt, auf dem in der Folge das wahrlich nicht problemlose deutsch-polnische Verhältnis sich normalisieren konnte.

Die BRD-Regierung und die Grenze

Die Politik der Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze war ständig Bestandteil des Kampfes der BRD-Regierungen gegen die DDR, aber auch gegen die Volksmacht in Polen. Es war nie die Zugehörigkeit der westlichen Gebiete Polens zu diesem Staat, sondern es war immer die Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze seitens der Bonner Regierung, die in Europa Spannungen erzeugte. Hinzu kamen die immer wieder erhobenen Forderungen nach Wiederherstellung mal der Grenzen von 1937 und mal der Grenzen von 1939.

Bundeskanzler Adenauer bezeichnete am 9. Juni 1950 im Bundestag den Görlitzer Vertrag als "null und nichtig" und sogar als im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen stehend. Die Bundesregierung werde sich "niemals mit der allen Grundsätzen des Rechts und der Menschlichkeit widersprechenden Wegnahme dieser rein deutschen Gebiete abfinden".

Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Rechtfertigung und zur Erweiterung der Massenbasis für die Bonner Politik der Nichtanerkennung der Grenze und der Gebietsforderungen wurde in Westdeutschland seit den ersten Nachkriegsjahren die Umsiedlerbevölkerung mißbraucht.

In der DDR wurde alles getan, um die Umsiedler sofort in das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben völlig gleichberechtigt einzureihen. Im Rahmen der Möglichkeiten wurden auch Sonderregelungen getroffen, um ihre größte materielle Not zu beheben. Durch offene Aufklärung half man ihnen, den politisch-historischen Sachverhalt um die Endgültigkeit der Grenzen zu erkennen, um vorbeugend revanchistischen Bestrebungen auch die ideelle Nährkraft zu entziehen.

In der BRD wurden mit eindeutig politischen Zielen Illusionen über die Rückkehrmöglichkeit in die ehemalige Heimat erzeugt. Der geschichtliche Komplex um das Potsdamer Abkommen wurde entsprechend den Erfordernissen des Kalten Krieges entstellt. Über die Aussiedlung wurden die Berichte so gestaltet, daß sie verhetzende Wirkungen hinterließen, um daraus Revisionsforderungen erwachsen zu lassen.

Die Zielsetzung der Landsmannschaften und die der Staatspolitik ging sehr klar aus einem Telegramm hervor, das der Vorsitzende des Bundesverbandes der Sudentendeutschen Landsmannschaft im Sommer 1959 an Eisenhower richtete: "Die deutschen Heimatvertriebenen, die auch für die Völker hinter dem Eisernen Vorhang stellvertretend sprechen, hoffen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika auch in Zukunft sich für die Befreiung der Völker hinter dem Eisernen Vorhang und für die Rückkehr der deutschen Heimatvertriebenen in ihre Heimatländer einsetzen werden. … Unser Kampf für das Heimatrecht unserer Volksgruppe ist ein Kampf für ein Naturrecht, das allen Völkern der Welt zuerkannt werden muß." (Süddeutsche Zeitung vom 29. August 1959)

Von solchen Positionen ausgehend lehnte es die Bonner Regierung über Jahrzehnte ab, mit Polen und der Tschechoslowakei Verträge abzuschließen, die eine direkte oder indirekte Anerkennung des territorialen Status quo hätten bedeuten können.

Selbst nach Abschluß der Verträge im Rahmen der sogenannten "neuen Ostpolitik" wurde von maßgeblichen Kreisen der Bonner Politik das sogenannte Heimatrecht der Ausgesiedelten noch vertreten, blieb die BRD der einzige Staat in Europa, in dem Gebiets- und Grenzforderungen gegenüber anderen Staaten erhoben wurden.

So wurde auch der im Rahmen der "neuen Ostpolitik" zwischen der BRD und Polen abgeschlossene Warschauer Vertrag (1970) gleich nach dem Vertragsabschluß im Dezember 1970 von beiden Vertragsseiten unterschiedlich und in mancher Hinsicht gegensätzlich ausgelegt. Die polnische Seite betrachtete z.B. den Vertrag als im Sinne des Völkerrechts verbindliche Anerkennung der Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze durch die BRD. Für die BRD dagegen war der Vertrag bekanntlich nur bis zu einer Wiedervereinigung Deutschlands verbindlich und die Grenze zu Polen sollte endgültig nur im Friedensvertrag entschieden werden.

Es spricht für die Realitätsnähe des Görlitzer Abkommens von 1950, daß im Grenzvertrag vom 14. November 1990 zwischen Deutschland und Polen nicht auf das Potsdamer Abkommen, sondern auf den Görlitzer Vertrag verwiesen wird. "Die Vertragsparteien bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze, deren Verlauf sich nach dem vom 6. Juli 1950 zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Polen über die Markierung der festgelegten und bestehenden deutsch-polnischen Staatsgrenze und den zu seiner Durchführung und Ergänzung geschlossenen Vereinbarungen … bestimmt" (Artikel 1). Damit wird eigentlich der Bankrott der jahrzehntelangen Bonner Politik der Nichtanerkennung der Grenze und die Richtigkeit der DDR-Politik dokumentiert.

Die Landsmannschaften

Im Sinne der Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bonner Regierung bestand das Interesse der Politik darin, die verschiedenen Umsiedlerorganisationen in der BRD zusammenzuschließen, um sie im Sinne der offiziellen Politik politisch und organisatorisch weitgehend einheitlich auszurichten.

Die einzelnen Landsmannschaften waren ihrerseits daran interessiert, möglichst starke und politisch einflußreiche Schalthebel in der Gesellschaft der BRD und gegenüber dem Staat zu haben.

Auf einen weiteren Aspekt, der Regierung und Landsmannschaften zusammenführte, machte Erich Mende, Mitinitiator bei der landsmannschaftlichen Organisierung der Oberschlesier, ehemaliger Vorsitzender der FDP, Vizekanzler und Bundesminister aufmerksam, als er schon 1949 erklärte: "Wir stehen hier vor der großen Gefahr, aus Sorge um die Nöte des Alltags den Blick auf das große Ziel zu verlieren, das nur heißen kann: Rückkehr in die angestammte Heimat! ... Der Assimilationsprozeß ist unter unseren Jüngsten schon so weit fortgeschritten, daß sie in wenigen Jahren nicht einmal die deutschen Namen ihrer Heimat kennen werden, … Der Aktivität der SED-Politik muß die Aktivität der Heimatverbände entgegengesetzt werden". (Ost-West-Kurier, Westberlin, 10.-16. Dezember 1949)

In diesem Sinne wurde (im Jahre 1957) der heutige Bund der Vertriebenen als Dachorganisation der Landsmannschaften gegründet. Mit der Gründung des Dachverbandes, deren Vorsitzende heute die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach ist, wurde der Mechanismus vervollkommnet, der die Rollenverteilung zwischen der regierungsamtlichen Politik und den Landsmannschaften ermöglicht. Damit wurden auch neue Möglichkeiten für den zielgerichteten Einsatz der dazugehörigen zahlreichen Kulturorganisationen, Berufsverbände, der Institute der "Ostforschung", der "Ostkunde" in den Schulen, des Verlagswesens, Jugendverbände usw. geschaffen.

Schon am 5. August 1950 wurde in Stuttgart die sogenannte Charta der Heimatvertriebenen verabschiedet, auf deren Passus "Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung" sich die Landsmannschaften vor und nach 1957 sehr gern beziehen.

Um zu verhindern, daß das auch als "Verzicht auf die Heimat" ausgelegt werden könnte, wurde es von einem der Vorsitzenden an Ort und Stelle wie folgt interpretiert: "Die heute verkündeten Forderungen und Grundsätze … enthalten das Bekenntnis zum ewigen und unverlierbaren Recht auf unsere Heimat und bekunden den Willen, dieses Recht niemals und unter keinen Umständen aufzugeben. Sie erheben den Anspruch der Vertriebenen auf den notwendigen Lebensraum (Hervorhebung – A.L.)…". (Linus Kather, Die Entmachtung der Vertriebenen, Erster Band, München-Wien 1964, S.170)

Von dem in der "Charta" proklamierten Verzicht "auf Rache und Vergeltung" keine Rede mehr! Statt dessen die bekannte Forderung nach "Lebensraum"!

Diese Doppelzüngigkeit begleitet den Bund der Vertriebenen bis in unsere Tage. Daraus erklärt sich die Gegenstimme von Erika Steinbach gegen den deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1991. So erklärt sich ihr gleichzeitiger Anspruch, mit diesem Verhalten zur Versöhnung mit dem polnischen Volk beizutragen. (Ohne Verzicht auf revisionistische Forderungen). Bei dem Streit um die Vertretung des BdV im Stiftungsrat ging es also um mehr als einen Sitz. Es ging um Bedingungen, die es ermöglichen, die Ansprüche auf Revision der Grenzen in Europa aufrechtzuerhalten und um Möglichkeiten zur systematischen Proklamation der Ansprüche.

Die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung", in der der Bund der Vertriebenen unter seiner Präsidentin Erika Steinbach um noch mehr Einfluß kämpft, der angeblich der Versöhnung dienen soll, soll in Wirklichkeit dazu genutzt werden, neue Vorteile im Sinne der Propagierung und Aufrechterhaltung der Ansprüche auf Revision des territorialen Status quo in Europa in dieser oder jener Form zu schaffen.

Es sind nicht nur die persönlichen Ambitionen der Erika Steinbach, die ihr Verhalten in Zusammenhang mit der Vertretung des BdV im Stiftungsrat prägen! Ihr Verhalten wird von bestimmten Interessen ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Kreise der Bundesrepublik getragen. Das Erkennen dieser Hintergründe soll durch die Stiftung erschwert werden. Dieser Richtung in der deutschen Gesellschaft und Politik kann man nicht wirksam begegnen, ohne eine kritische Aufarbeitung der deutschen Ostpolitik seit Kaisers Zeiten. Ohne eine klare Absage an diese Tradition wird das polnische und tschechische Mißtrauen gegenüber Deutschland als Faktor der Unruhe in Europa bleiben.

Die Aufarbeitung dieser Fragen kann nicht in Form eines "Vertriebenen-Zentrums" erfolgen, in dem das wirkliche Wesen der Sache durch gut verpackte Klischees verdeckt werden soll. Dafür ist eine lebendige Auseinandersetzung notwendig, die die Klassenwurzel dieser Politik schonungslos aufdeckt. Akademische Diskussionen oder politische Manipulationen nach dem Motto "Jede Vertreibung ist Unrecht" helfen da nicht weiter. Die Positionen, deren Ziele und Inhalte am Mythos des "deutschen Ostens" festhalten und eine Revision historischer Entscheidungen auf der Grundlage von unhaltbaren geschichtspolitischen Umdeutungen vornehmen, werden zu einem Problem für die deutsche Gesellschaft. Die Politik des BdV ist eine Zumutung, egal ob Erika Steinbach im Stiftungsrat sitzt oder nicht. Sie ist eine Zumutung, aber das Problem geht weit darüber hinaus!

Diese Richtung gehört zu einem Konzept, das Klaus Kinkel, damals Außenminister, wie folgt formuliert hat: "Zwei Aufgaben gilt es parallel zu meistern: Im Innern müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht." (Deutsche Außenpolitik in einer sich neu ordnenden Welt, FAZ 19. März 1993)

 

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