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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Noch Schätze zu heben

Werner Wüste (1931-2022)

 

An unseren langjährigen Autor Werner Wüste, der am 22. Juli leider verstorben ist, haben wir im Augustheft 2022 auf Seite 37 erinnert. In den Büchern, die er als Mitstreiter der KPF herausgab, und in zahlreichen Artikeln hinterlässt er uns wertvolle Anregungen. Hier folgt eine kleine Leseprobe:

 

Es gibt tausend gute Gründe, immer wieder an Walter Benjamin zu erinnern. Geistige Land­schaft in unserer Zeit ohne ihn ist ärmere Landschaft. Und zudem scheint mir, dass sein Erbe, besonders wo es die Grenzen bürgerlichen Denkens überschreitet, wo es philoso­phisch-materialistisch, wo es marxistisch wird, noch längst nicht erschlossen wurde. Dass da vielleicht noch Schätze zu heben sind.

2014 erschien bei Suhrkamp ein Taschenbuch: ErdmutWizisla, Benjamin und Brecht, Die Geschichte einer Freundschaft.

(Man könnte scherzen: An der Quelle saß der Knabe ... Wizisla ist seit 1993 Leiter des Brecht-, seit 2004 Leiter des Benjamin-Archivs der Akademie der Künste.)

Nach mehrmaligem Durchblättern, unterbrochen von gelegentlichem Innehalten und auf­merksamem, nachdenklichen Lesen, bin ich sicher, dass uns hier ein bedeutendes Doku­ment europäischer Geistesgeschichte vorliegt.

Es mag ja an mir liegen, dass ich es nicht genauer wusste; aber erst hier fand ich belegt, dass Gershom Scholem, dessen Aussagen als absolut gesetzt werden, nicht immer und in allem bedingungslos Freund von Walter Benjamin war, dass Scholem Walter Benjamin mehr und mehr kritisch sah und zwar in dem Maße, wie Benjamin sich marxistischem Denken, marxistischer Sicht öffnete. In Übereinstimmung mit Brecht. Fast könnte man Eifersucht nennen, wie Scholem die entstehende und sich entwickelnde Freundschaft mit Brecht beobachtete.

Und es ist wohl überhaupt so, dass, sollte unsere Vorstellung die von herzlicher Harmonie, von ein für alle Mal gegebener Freundschaft, von Konfliktlosigkeit, von unveränderbaren Standpunkten in der linken Intelligenz gewesen sein, wir diese radikal verlassen müssen. Die Realität war anders. War viel beweglicher, lebendiger. Und interessanter. Und Freund­schaften blieben Freundschaften, jedenfalls der Möglichkeit nach, trotz schärfster Ausein­andersetzung in der Sache.

Wizisla nennt Adorno, dessen spätere Frau Gretel Karplus, Ernst Bloch, Siegfried Kracauer und andere, die eine kritische Sicht auf Benjamins Ansichten entwickelten.

An Gretel Karplus antwortet Benjamin, und er meint alle Freunde:

»... kann ich wenig mehr tun als das Vertrauen meiner Freunde dafür erbitten, daß diese Bindungen … ihre Fruchtbarkeit zu erkennen geben werden. Gerade Dir ist es ja keineswegs undeutlich, daß mein Leben so gut wie mein Denken sich in extremen Positionen bewegt.«

Wizislaw erklärt:

Selten hat Benjamin es deutlicher … beschrieben: Zum Originären seines Denkens zählt gerade der Versuch, gegensätzliche Positionen zu verknüpfen. Die auf der Hand liegenden Gefahren beständen – so ließe sich das Unausgesprochene vermuten – im Scheitern des Versuchs der Verknüpfung, im Verharren in einer der als extrem bezeichneten Positionen. Die Fruchtbarkeit derartiger Beziehungen sah Benjamin in der Möglichkeit, mit Personen gleichberechtigt Haltungen und Positionen erproben zu können, die Alternativen zu den von ihm bislang eingenommenen bildeten und ihm Gelegenheit gaben, sein Denken zu schärfen.

Benjamin und Brecht

Als ich, nach vierjährigem Dienst bei der Deutschen Grenzpolizei, mein Studium an der Filmhochschule begonnen hatte, wurde, neben manchem anderen, auch Brecht Gegen­stand meines Interesses. Nicht, dass ich zuvor nichts von ihm kannte. Die »Hundert Gedichte«, Bibliothek Fortschrittlicher Deutscher Schriftsteller, 1951, besaß ich bereits. Aber was nun begann, war anders.

Ich spürte, das ging mich an. Es forderte meine Aufmerksamkeit heraus.

Die »Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration«, nach heutiger Ausdrucksweise, »fasste mich an«. Ich muss sie wohl auch rezi­tiert haben; jedenfalls sind Zeichen für Bindung oder Zaesur noch erkennbar.

»Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich,

Und die Bosheit nahm nach Kräften wieder einmal zu ...«

Der Zöllner, der nach Kostbarkeiten fragte, bekam von dem Knaben, der den Ochsen führ­te, Bescheid: »Er hat gelehrt!«

»Doch der Mann in einer heitren Regung

Fragte noch: Hat er was rausgekriegt?

Sprach der Knabe: Daß das weiche Wasser in Bewegung

Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.

Du verstehst, das Harte unterliegt.« 

Benjamin:

Das Gedicht ist zu einer Zeit geschrieben, wo dieser Satz den Menschen als eine Verheißung ans Ohr schlägt, die keiner messianischen etwas nachgibt.

DU VERSTEHST, DAS HARTE UNTERLIEGT.

Die Schweizer Zeitung am Sonntag veröffentlichte im April 1939 Gedicht und Benjamins Kommentar. Er bittet um Exemplare,

»... wenn irgend möglich 10 bis 15 Stück. Ein Hauptzweck so einer Publikation liegt darin, daß man sie den richtigen Leuten in die Hände spielen kann; das habe ich vor.«

Den Vorschlag einer präventiven Volksbewaffnung in der selben Zeitung nannte Benjamin »ausgezeichnet«; und fügte hinzu: »Wenn Ihr den durchsetzen würdet!«

Wizisla berichtet:

Seine eigentliche Wirkung fand das bedruckte Zeitungsblatt jedoch in den französischen Internierungslagern ... und zitiert Hannah Arendt:

»Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Gedicht in den Lagern, von Mund zu Mund gereicht wie eine frohe Botschaft, die, weiß Gott, nirgendwo dringender benötigt wurde als auf diesen Strohsäcken der Hoffnungslosigkeit.«

Benjamin, Brecht, Bernard von Brentano, Ihering planten Herbst 1930/Frühjahr 1931 unter Mitarbeit von Bloch, Kracauer, Kurella und Lukács mit Rowohlts Hilfe eine Zeitschrift herauszugeben: KRISE UND KRITIK.

Deutlicher als anderswo, so scheint mir, lassen im Anhang veröffentlichte Protokolle die Haltung der Beteiligten erkennen.

Fragmentarische Notiz Brechts:

die kritik ist so aufzufassen dass die politik ihre fortsetzung mit anderen mitteln wäre die kritik schaelt keineswegs ewige gesetze heraus indem sie ihre hauptresultate erst jenseits von raum und zeit … konstituiert

Benjamin an Brecht 1931, nachdem er sich aus dem Herausgeberkreis zurückgezogen hatte: ... der bürgerlichen Intelligenz zu zeigen, daß die Methoden des dialektischen Materialismus ihnen durch ihre eigensten Notwendigkeiten … diktiert seien. Die Zeitschrift sollte der Propaganda des dialektischen Materialismus durch dessen Anwendung auf Fragen dienen, die die bürgerliche Intelligenz als ihre eigensten anzuerkennen genötigt ist.

Benjamin wollte in den Gesprächen wissen:

Wie bringt man die Intellektuellen in den Klassenkampf?

Denn er glaubte sich sicher, dass eine proletarische Revolution bevorstehe, folglich dem Proletariat die Führungsrolle zustehe.

 

Diese Passage entstammt Werner Wüstes Beitrag »Du versteht, das Harte unterliegt«, den er vor fünf Jahren, aus Anlass des 125. Geburtstages von Walter Benjamin, in den »Mitteilungen«, Heft 7/2017 veröffentlichte.

 

Mehr von Werner Wüste in den »Mitteilungen«: 

2022-04: »Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen«

2021-05: Der Krieg und die Liebe. Die Liebe und der Krieg.

2021-04: ... in memoriam Tschernobyl

 

Mehr über Werner Wüste in den »Mitteilungen«: 

2022-08: Am 22. Juli 2022 verstarb unser Genosse Werner Wüste